200 Jahre „Amerika den Amerikanern“ (und der Rest auch)

 

Im Dezember jährt sich die Rede von US-Präsident James Monroe zur Lage der Nation zum zweihundertsten Mal. Selbst in der ila scheiden sich die Geister über die Aktualität und Bedeutung der sogenannten Monroe-Doktrin. Immer wieder wird sie totgesagt und mit dem möglichen Aufstieg Chinas zur Supermacht könnte es diesmal wirklich so sein. Doch auch ein geköpftes Huhn kann immer noch über den Hof laufen. Und hat Frankreichs Präsident Macron nicht vor einigen Jahren die NATO für hirntot erklärt?

Die Monroe-Doktrin besagt grob, dass die europäischen Kolonialmächte sich nicht in die Angelegenheiten Amerikas einmischen sollten, dann würden sich auch die Amerikaner aus den europäischen Angelegenheiten heraushalten. 200 Jahre lang hat dieses Prinzip – mal mehr, mal weniger direkt – die US-amerikanische Politik geprägt. Nun legt der US-amerikanische Autor und Friedensaktivist David Swanson in sieben Kapiteln einen umfassenden Überblick vor:

1. Warum ist die Monroe-Doktrin von Bedeutung?

2. Was ist eine Doktrin?

3. Wer war Monroe?

4. Wie wurde die Monroe-Doktrin geschaffen?

5. Was wurde mit der Monroe-Doktrin gemacht?

6. Was wurde auf ihren Fundamenten aufgebaut?

7. Was sollte getan werden?

Anders als die Überschriften suggerieren, ist der Text weder trocken, noch hält sich Swanson strikt an eine Struktur oder Chronologie. Eine Fülle von Beispielen aus der Geschichte gestaltet den Text interessant und lehrreich.

Im ersten Kapitel begründet Swanson, wie die Monroe-Doktrin über die Zeit zum prägenden Paradigma wurde: „… Handlungen bedürfen der Rechtfertigung, aber sie bedürfen umso weniger der Rechtfertigung, je länger sie bereits als gerechtfertigt angesehen werden. Sie können sogar ihre ursprünglichen Rechtfertigungen verlieren und weitergeführt werden, fast unhinterfragt, aber bei Bedarf neue Rechtfertigungen erhalten. Die Monroe-Doktrin war und ist eine Rechtfertigung für Handlungen, einige gut, einige gleichgültig, aber der überwiegende Teil verwerflich.“ Seine Auflistung der weltweiten US-Interventionen ist gewaltig im wahrsten Sinne des Wortes.

Eine Doktrin, so Swanson, sei mehr als ein änderbares Gesetz. Sie besitze vielmehr eine quasi religiöse Autorität, etwas Dauerhaftes. Der spätere US-Präsident James K. Polk zitierte 1845 aus der Rede Monroes und erklärte, die Expansion gen Westen sei das „unabwendbare Schicksal“ („Manifest Destiny“). Er warnte dabei jede europäische Macht sich einzumischen. In Monroes Rede trat das Sendungsbewusstsein, die Arroganz, Teil eines „auserwählten Volkes“ zu sein, schon deutlich hervor. Später wurde sie mit dem „Manifest Destiny“ bestätigt. Es war auch Polk, an den Mexiko im US-Angriffskrieg 1846-1848 die Hälfte seines Territoriums verlor.

Swanson kommt immer wieder zurück auf die gewaltsame Entstehung der Vereinigten Staaten und die vielen Kriege, die sie dafür führten. Monroe selbst hatte sich in seiner Rede für friedliche Verhandlungen mit den europäischen Regierungen ausgesprochen, während er gleichzeitig die gewaltsame Eroberung und Besetzung dessen, was er in seiner Rede als die „unbewohnten“ Länder Nordamerikas nannte, über jeden Zweifel erhaben feierte. Im Massaker von Wounded Knee im Dezember 1890 wurde der Widerstand der Prärie-Völker endgültig gebrochen – der längste Krieg, den die USA je geführt haben, ohne ihn so zu benennen. Als Monroe seinen Text vortrug, lebten viele von ihnen noch in Freiheit.

Im Verlauf der Geschichte zeige sich das grundlegende Prinzip immer wieder, auch ohne dass es den Namen Monroes brauche. 2020 zum Beispiel, als der bolivianische Präsident Evo Morales behauptete, die Vereinigten Staaten hätten einen Putschversuch in Bolivien organisiert, damit der US-amerikanische Oligarch Elon Musk an das Lithium käme, und Musk daraufhin twitterte: „Wir putschen, wen immer wir wollen! Finde dich damit ab!“ Es geht aber auch expliziter. Als Trumps Sicherheitsberater John Bolton in einem Interview mit dem Sender CNN 2019 behauptete, die Vereinigten Staaten könnten in Venezuela, Cuba und Nicaragua intervenieren, weil sie in der westlichen Hemisphäre lägen, warf ihm CNN Scheinheiligkeit vor: Überall auf der Welt Diktatoren unterstützen, aber dann eine Regierung stürzen wollen, weil sie vermeintlich eine Diktatur sei. Darauf Bolton: „In dieser Regierung haben wir keine Angst davor, den Begriff Monroe-Doktrin zu verwenden.“ Die Washington Post, die darüber berichtete, stellte seine Aussage nicht in Frage, wies aber darauf hin, dass die Erwähnung der Monroe-Doktrin „kontraproduktiv für die Ziele der Vereinigten Staaten in Lateinamerika“ sein könnte.

Die vielversprechende Frage „Was sollte getan werden?“, beantwortet Swanson mit längeren Auszügen einer Rede des mexikanischen Präsidenten López Obrador (AMLO) anlässlich des 238. Geburtstages Simón Bolivars. Er weist allerdings darauf hin, wie alle Politiker*innen würde auch AMLO besser sprechen als handeln. Ansonsten listet Swanson viele gute und aktuelle Ideen, Beispiele aus und Entwicklungen in Lateinamerika auf. Von den USA verlangt er unter anderem, aufzuhören mit der Heuchelei und sich an manch gutem Beispiel aus Lateinamerika zu orientieren. Als Friedensaktivist setzt er sich für die Selbstbestimmung der Völker und die Nichteinmischung eines jeden Staates in die Angelegenheiten eines anderen ein. Sein letzter Satz lautet: „Der Punkt ist: Wir haben die Wahl, irgendeine „Doktrin“ zu schaffen, anzunehmen oder ernst zu nehmen, einschließlich der von Monroe.“ Es liegt an uns, nach Alternativen zu suchen.