Abschiede als Inspiration

Ayó bedeutet Adieu auf Garífuna, der Sprache der afrokaribischen Garínagu. Diese ist ebenso im Alltag verwurzelt wie ihre Musik, die von den kleinen und großen Unbilden des Lebens erzählt. Etwa 160 Jahre haben die Garínagu den Kolonialmächten in St. Vincent getrotzt, 216 Jahre währt jetzt ihr „Exil“ an den Atlantikküsten Mittelamerikas. Der Jugend ihre Sprache mittels zeitgemäßer Musik zu bewahren, war das Lebensziel Andy Palacios, der kurz nach dem Welterfolg mit „Wátina“ Anfang 2008 erst 47-jährig starb. Sein Tod war ein Zeichen für seine Band The Garifuna Collective und seinen Freund Aurelio Martínez, der von einem Exkurs ins Parlament von Honduras zur Musik zurückkehrte. Nach der Gedenktournee arbeitete er in Dakar mit Youssou N’Dour, der 2011 auf Aurelios „Laru Beya“-Album gastierte. Dreizehn Garífuna-Frauen präsentierten 2009 mit „Umálali“ ihre kraftvollen Balladen, Hymnen und Chants. Jetzt widmet das Garifuna Collective Andy Palacio mit „Ayó“ ein magisches Klangwerk aus Nostalgie und Neuaufbruch. Abschiede als Inspiration in einer Kultur, die von jeher Konflikte, Schmerz und Trauer zu Musik formt. 

Parallel zu „Ayó“ erscheint „Black Birds Are Dancing Over Me“ in Koproduktion mit dem kanadischen Rockpoeten Danny Michel, der zeitweise in Belize lebt und die Garífuna-Musik liebt. Das Experiment erinnert an bekannte Vorbilder, stellt aber eine einzigartige Gegenseitigkeit her. Das CD-„Doppelpack“ erscheint in Belize im Stonetree-Label des Produzenten und Bandmusikers Ivan Duran. Gerade hat das Garifuna Collective, oft begleitet von Danny Michel, in Nordamerika in 27 Konzerten gespielt. 

Der Titelsong von „Ayó“, eine Hymne auf Andy Palacio, stammt von Sänger und Songautor Lloyd Augustine, der mit eigenen Songs und Leadgesang auf dem Album hervortritt. Bei der Gedenktournee sang er 2008 neben „Ayó“ auch Songs von Andy Palacio mit geradezu jenseitiger Wirkung – man schloss die Augen und hörte Andy live singen. Aber, so Ivan Duran, „wir wollen nicht, dass einer der neue Andy Palacio wird“. Denn das Garifuna Collective versteht sich als offene Gruppe, die jedes Talent fördert und alle Mitglieder als SongtexterIn und LeadsängerIn beteiligt. So wie Desiree Diego, die zur starken Bandvokalistin avancierte und auch in einem eigenen Song „Alagan“ die Enteignung ihres Hauses durch den Grundbesitzer kommentiert: „Auch der Reiche stirbt und lässt sein Eigentum zurück.“ Andere Songs erzählen von Fischern und Zitrusfarmarbeitern, erloschener Liebe, Furcht vor AIDS, der leichtlebigen Nachbarin und der Obdach suchenden Frau, von der Welt des Hungers und der Waffengeschäfte, von Gelegenheitsgläubigen und der Mutter, die ihres Sohnes Hilfe braucht. 

Neben Aurelio sind auch Mohobub Flores und Lugua Centeno seit über 30 Jahren mit eigenen Projekten bekannt. Damit umspannt die Band eine ganze Epoche musikalischer Identitätsstiftung für die Garífuna-Jugend. Der Ehrenplatz gebührt dem Altmeister des Paranda Paul Nabor (83) im eindringlichen Schlussduett mit Danny Michel auf dem „Black Birds“-Album.

Das Album „Ayó“ ist letzter, posthumer Auftritt für zwei Musiker und einen Songautor, die während der Aufnahmen starben. Es trägt gleich fünf Widmungen zum Andenken an Andy Palacio, Giovani Chi, Justo Miranda, Juni Aranda und Charlie Gillett, den legendären Weltmusikmentor, der Andy Palacio 2008 posthum für „Wátina“ den BBC Radio 3 World Music Award verlieh, eine Ehrung, die offenbar mit Gillett starb. Der Autor eines „Ayó“-Songs Juni Aranda (71) starb 2011 an Krebs. Giovani Chi (33), der Perkussionist mit dem strahlenden Lächeln, wurde als Zeuge in einem Mordprozess erschossen, eine Tat, die wie so viele in Belize unaufgeklärt blieb. Und Justo Miranda singt in seinem Abschiedssong „Seremei Buguya“ (Ich danke dir) am Ende des Albums ahnungsvoll über Andy: „Vater, du hattest es gut, du hattest ein großes Begräbnis. Ich aber frage mich, wer wird sich um mein Begräbnis kümmern, wenn mein Tag kommt?“ Nur Monate später starb Justo an Herzversagen, allein unter einem Baum in Honduras, und die Nachricht erreichte seine Bandkollegen in Belize erst Wochen später. 

Viele Abschiede also, die die Arbeit an den Alben begleitet und inspiriert haben. Hervorragend gelungen ist die „Black Birds“-Koproduktion, in der die Gruppe Danny Michels Rockpoesie über seine Eindrücke in Belize mit kraftvollen Rhythmen, afrikanischer Percussion und Response-Versen auf Garífuna begleitet, gipfelnd in Michels Schlussduett mit Paul Nabor.

Mit dem Album „Ayó“ zeigt das Garifuna Collective sein Reservoir an Talenten und setzt ein Denkmal – den verstorbenen Musikern, dem großen Andy Palacio und dem ersten Dritteljahrhundert „junger“ Garífuna-Musik in Belize. Melodisch surfende Gitarren, die heiligen Trommeln Primero und Segunda, Turtle Shell Percussion und Maracas weben einen warmen, hypnotischen Sound voll Melancholie und Lebensfreude. The Garifuna Collective – ab 28. September auch live in Europa.

The Garifuna Collective, „Ayó“, und Danny Michel with the Garifuna Collective, „Black Birds Are Dancing Over Me“, www.stonetreerecords.com in Partnerschaft mit www.cumbancha.com . 
Infos und Torudaren: www.garifunacollective.com  und 
www.f-cat.de/Andy-Palacio-The-Garifuna-Collective-tour-daten.html.