Ach wie gut, dass niemand weiß…

Die Putschisten in Honduras verweigern sich kategorisch jedem Lösungsvorschlag und verschärfen die Repression

Unter normalen Umständen würde aktuell in Honduras nur ein Thema die Menschen bewegen, nämlich die Frage, ob die Selección, die Fußballnationalelf, es diesmal tatsächlich schaffen könnte, sich zum zweiten Mal – nach 1982 in Spanien – für die Fußball-WM 2010 in Südafrika zu qualifizieren. Die Chancen sind groß, nach ihrem 4:0 Sieg gegen Costa Rica am 12. August steht die Mannschaft auf Platz zwei der Tabelle. Aber die Situation in Honduras ist weit entfernt von einer bis zum 28. Juni gelebten Normalität mit all den Problemen, die dieses Land schon seit Jahrzehnten plagen. Der Weg zum Stadion in San Pedro Sula, der Wirtschaftsmetropole und zweitgrößten Stadt des Landes, führte am 12. August durch mehrere Polizei- und Armeesperren und repräsentierte in der Form auch für die internationale Fußballcommunity den honduranischen Alltag seit Beginn des Putsches. 

Der 12. August steht nicht allein für den 4:0-Sieg, es war auch einer der Tage, an denen die Sicherheitskräfte aus Militär und Polizei der De-facto-Regierung besonders hart gegenüber Demonstranten und Demonstrantinnen gegen den Putsch vorgingen. „Schreckliche Szenen und zahlreiche Verletzte gab es gestern in Tegucigalpa und San Pedro Sula. Unter den Verletzten ist auch Marvin Ponce, Kongressabgeordneter, Mitgründer und langjähriger Vorsitzender von FIAN Honduras, zwischen 2000 und 2004 Vizepäsident von FIAN International“, berichtete Martin Wolpold-Bosien von FIAN International am 13. August. Willkürliche Verhaftungen und massive Gewalt gegen die PutschgegnerInnen gehören zur Tagesordnung in Honduras, solche Szenen sind keine Ausnahmen.

Die Interamerikanische Menschenrechtsorganisation, kurz CIDH, veröffentlichte am 5. August eine detaillierte Liste mit den ihr vorliegenden Meldungen zu Menschenrechtsverletzungen in Honduras. In Vorbereitung ihrer Vor-Ort-Untersuchung kündigte CIDH in dieser Erklärung an, worüber sie Auskünfte erhalten möchte, und listete all die bisher von ihrer Seite aus unternommenen Schritte angesichts von Bedrohungen von Leib und Leben honduranischer Bürgerinnen und Bürger auf. Unter den bedrohten Menschen befindet sich mit Datum von 30. Juli auch der Abgeordnete der Liberalen Partei José de la Paz Herrera, besser bekannt als Chelato, der als erster und bisher einziger Fußballtrainer den honduranischen Traum, die Teilnahme an einer Fußball WM 1982 in Spanien schaffte. Eigentlich ein nationaler Held, ist Chelato heute eine der Personen, für die laut CIDH Schutzmaßnahmen notwendig sind. Darunter fallen Personen, die Bedrohungen und Einschüchterungen erfahren, wie z.B. Schüsse in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, Hausfriedensbruch, Androhung der Sperrung ihrer Konten, Ermittlungen gegen sie wegen aufrührerischem und vaterlandsverräterischem Verhalten, weil sie sich öffentlich gegen den Putsch äußerten. 

Das ansonsten im internationalen Geschehen nicht wirklich wahrgenommene Honduras ist heute Reiseziel vieler Internationaler Delegationen, Menschenrechtsmissionen, Beobachtergruppen, angefangen von der UN über CIDH, amnesty international, Human Rights Watch, FIAN und Delegationen verschiedenster internationaler Organisationen. Sie alle waren zwischenzeitlich im Land, um sich vor Ort einen Überblick über die Situation der Menschenrechte zu verschaffen. Sie sprachen mit Betroffenen, mit Verletzten und Verhafteten, mit honduranischen Menschenrechtsmitarbeitern, mit Journalisten, Abgeordneten, Staatsanwälten, Mitarbeitern des Obersten Gerichtshofes, Mitgliedern des nationalen Widerstands gegen den Putsch, mit Personen der De-facto-Regierung und Vertretern der Sicherheitsorgane. Ihre Abschlußberichte sind alle ähnlich erschreckend, sprechen von großer Besorgnis, von systematischen Menschenrechtsverletzungen, von willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen der Gefangenen, von unverhältnismäßig heftigen Gewaltanwendungen gegen friedliche Demonstrationen, von militärischen Straßenkontrollen und willkürlich festgesetzten Ausgangssperren, von massiven Behinderungen und Einschränkungen der Pressefreiheit, angefangen mit Einschüchterungen, Verhaftungen und Behinderungen von Journalisten bis zur Zerstörung des technischen Equipments des putschkritischen Radio Globo. 

Die Fakten sind international bekannt. Und doch sitzen die Putschisten immer noch fest im Sattel und trotzen den Versuchen der internationalen Staatengemeinschaft, den Vermittlungsvorschlag des costaricanischen Präsidenten Oscar Arias anzunehmen. Zuletzt beendete am 26. August die Delegation der OAS-Staaten ergebnislos ihre Mission. Die Außenminister von Argentinien, Costa Rica, Kanada, Mexiko, der Dominikanischen Republik und Panama, begleitet vom Generalsekretär der OAS, José Miguel Insulza, dem die Putschisten lediglich den Status eines Beobachters zuerkannten, versuchten die Putschregierung zur Annahme des Arias-Vorschlags zu bewegen. Der zentrale Punkt darin, die Rückkehr Zelayas als Präsident einer Regierung der nationalen Einheit, bleibt für die Micheletti-Gruppe kategorisch ausgeschlossen. „Wir sind ein souveränes Land, wir lassen uns von niemandem, von wo auch immer, etwas aufzwingen“, verkündete Micheletti nach dem erneuten Scheitern der OAS-Mission. Und in Rumpelstilzchenmanier machte er auch deutlich, dass sie kein Embargo fürchten.

Die Reaktion der USA auf die gescheiterte OAS-Mission kam prompt. Ab dem 26. August werden für Reisen in die USA für Honduraner keine Visa mehr ausgestellt werden, weder für Geschäfts- noch Urlaubsreisen oder für Studenten. Insulza sieht eine Chance, tatsächlich mit dem Arias-Plan voranzukommen, wenn die in der OAS organisierten Länder, ähnlich der US-Reaktion, auf bilateraler Ebene die Beziehungen zu Honduras deutlich und vor allem für Honduras spürbar einschränken. 
So fordert beispielsweise der dominikanische Finanzminister die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftsintegration, kurz BCIE, auf, die von der De-facto-Regierung ernannten Funktionäre Gabriela Núñez und Sandra Martínez nicht im Gremium der BCIE zu akzeptieren. 

Die täglich stattfindenden Widerstandsaktionen im Land haben – auch wenn sie bisher das eigentliche Ziel, die Putschisten zu verjagen, noch nicht erreichen konnten – doch eine enorme Politisierung der sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen geschaffen. In der nationalen Widerstandsfront gegen den Putsch finden sich die unterschiedlichsten Gruppierungen wieder, darunter Gewerkschaften, Feministinnen, LandarbeiterInnen, Organisationen der verschiedenen Ethnien des Landes, Kunstschaffende und Menschenrechtsgruppen. Sie fordern nicht nur die Rückkehr Zelayas und damit die Wiedereinsetzung der demokratisch legitimierten Regierung. Für sie ist die von Zelaya angeschobene Diskussion zur Errichtung einer Verfassunggebenden Versammlung eines der politischen Ziele, für das sie tagtäglich auf der Straße demonstrieren. Die damit verbundenen Hoffnungen sind groß, reichen von verfassungsmäßig verbrieften Reformen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich, der Nutzung der Ressourcen des Landes, einer möglichen Landreform und arbeitsrechtlichen Garantien bis zu mehr Rechten für die indigenen Bevölkerungsgruppen. Die sich mehr und mehr zusammenschließende Widerstandsbewegung kann als ein – wenn auch von den Initiatoren nicht gewünschter – Erfolg des Putsches gesehen werden.

Und doch bleibt die Frage, wieso sich diese De-facto-Regierung trotz internationaler Isolierung und nationalem Widerstand halten kann. Antworten dafür lassen sich in den bisher nicht wirklich angekratzten Unternehmerinteressen finden. Die Bekundungen der internationalen Staatengemeinschaft, Honduras zu isolieren, spielen sich auf politischer Ebene ab. Weder der Warenhandel noch der Geldtransfer haben bisher massive Einschränkungen erfahren. Auch ist es der honduranischen Widerstandsbewegung bisher nicht gelungen, die Zentren des unternehmerischen Schaffens lahmzulegen. Die die Widerständler unterstützenden Streiks finden hauptsächlich im öffentlichen Sektor statt, in Schulen und Universitäten oder in Krankenhäusern und Gesundheitszentren. Das stört zwar das soziale Gewissen, trifft allerdings nicht die Unternehmer ins Herz. In den Maquilas, den großen Werkshallen der Freihandelsfabrikation, wird weiter produziert, auf den Ländereien der unternehmerischen Elite des Landes wird weiter gepflanzt, gejätet, geerntet. Die Militärs bekunden ihre Verfassungstreue, nach der sie sich verpflichtet fühlen, die von den Putschisten geschaffene Ordnung aufrechtzuerhalten. In einem großen öffentlichen Auftritt Anfang August verkündeten Hunderte von Reservisten ihre Bereitschaft, das aktive Heer bei der Verteidigung dieser Ordnung gegen jedwede Angriffe zu unterstützen.

Micheletti und Co. wollen am Wahldatum 29. November festhalten, auch wenn dies international keine Anerkennung finden würde, betonte er Ende August nach Abreise der OAS-Außenminister. So war es der Plan von Anfang an, seit der Verschleppung Zelayas: den Putsch aussitzen, dann die für November angesetzten Wahlen durchführen und damit letztlich die Form Staatsstreich mit militärischer Unterstützung als legitimes politisches Mittel etablieren. Ob diese Rechnung für die Putschisten letztlich aufgehen kann, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Immer häufiger ist gerade in den letzten Tagen zu hören, dass eine Wahl, die unter dieser Putschregierung durchgeführt werden sollte, angesichts der manifesten Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen bürgerlicher Grundrechte keine demokratische sein könne. Inwieweit die internationale Staatengemeinschaft sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen gewillt zeigt, wird man an deren politischen und wirtschaftlich-ökonomischen Absprachen oder Restriktionen gegenüber der Putschregierung ablesen können.