Agrokalypse

Nach seiner preisgekrönten Produktion „Kahlschlag – der Kampf um Brasiliens letzte Wälder“ führt es Filmemacher Marco Keller erneut nach Brasilien. Dieses Mal folgt er zusammen mit dem deutschen Biotofuproduzenten Wolfgang Heck der Spur der transgenen Soja und reist zu deren Produktionsstätten nach Brasilien. Heraus kam die ZDF-Dokumentation „Gutes Soja – Schlechtes Soja“, die diesen Sommer in einer längeren Fassung unter dem Titel „Agrokalypse. Der Tag, an dem das Gensoja kam“ im Kino angelaufen ist. Der Film beleuchtet die Folgen der Agroindustrie für Menschen und Natur und zeigt, wie insbesondere die indigene Bevölkerung der Guarani-Kaiowá unter den Agrarkonzernen und der neoliberalen Politik Brasiliens zu leiden hat, aber auch, wie sie kämpferisch für ihr Recht auf Land eintritt.

Die Sommersonne scheint, weit erstrecken sich die Felder mit saftig grünen Sojapflanzen im schönen Freiburg im Breisgau. Zwischen den hochgeschossenen Gewächsen steht Wolfgang Heck. Vor über 20 Jahren hat er als einer der ersten begonnen, Biotofu zu produzieren. Mittlerweile ist sein Unternehmen „Taifun“ das größte dieser Art in Europa. Für seinen Tofu kommt nur qualitativ hochwertige Biosoja infrage. Den Bedarf kann er nur zum Teil mit Soja aus Deutschland decken. Der Rest wird aus Brasilien importiert, einem der größten Sojaproduzenten weltweit.

Wolfgang Heck nimmt uns mit zu einer seiner Vertragsfarmen nahe der Iguazú-Wasserfälle. Dort betreibt der deutschstämmige Vili Hofmann schon seit vielen Jahren biologische Landwirtschaft. Für ihn stehen Qualität und der Einklang mit der Natur im Vordergrund, nicht die Ausbeutung der Ressourcen auf Teufel komm raus. Sein Sohn setzt dagegen auf Chemie und genetisch verändertes Saatgut. Damit ist er nicht der Einzige. In Brasilien wird inzwischen auf über 95 Prozent der Flächen GV-Soja angebaut. Ein gutes Geschäft: Der Ertrag ist hoch und Pestizide à la Roundup vernichten alles bis auf die genetisch veränderten Pflanzen. Davon bekommen auch Vili Hofmanns Felder etwas ab. Einen Teil seiner letzten Ernte konnte er wegen Pestizidrückständen nicht verkaufen.

Auch Anderson Machado hat mit der Pestizidbelastung zu kämpfen. Er lebt mit seiner Familie am Rand der Großstadt Dourados im brasilianischen Mato Grosso, direkt neben den Plantagen. Hier boomt das Geschäft mit der Sojapflanze. Immer mehr Landstriche werden von den riesigen Anbauflächen verschlungen. Wie viele andere Indigene wurde auch Anderson Machado durch die Gier der Großproduzenten von seinem Land vertrieben. Er und seine Familie leben auf dem Grundstück illegal in einem aus Holzresten zusammengezimmerten Haus. Durch das Reparieren schrottreifer Autos versuchen sie sich über Wasser zu halten. Auf die Frage, was die Regierung für sie tue antwortet er: „Die Regierung mag uns besonders gerne am Wahltag. Sie wollen die Stimmen der Indios. Sie schütteln uns die Hand und später desinfizieren sie die Hand mit Alkohol.“

Die strukturelle Diskriminierung spiegelt sich auch im brasilianischen Gesetz wider. Statt einem Pass und einer Geburtsurkunde werden sie mit einem „indigenen Personalausweis“ zu BürgerInnen zweiter Klasse deklariert und ihnen wird mittels des „Gesetzes der Vormundschaft“ ihr Recht auf Autonomie abgesprochen.

In der Nähe von Dourados setzt sich der Franziskanerbruder Alido Rossa seit über 20 Jahren für die Guarani-Kaiowá ein, eine der größten indigenen Gruppen Brasiliens. Gegen die Macht von Staat und Sojakonzernen kämpfen sie schon lange einen ungleichen Kampf um ihr Land. Alido Rossa ist dabei ihr einziger Unterstützer von außen. Durch eine Landbesetzung wollen sie den Staat unter Druck setzten. Die Sojaindustrie hat ihnen ihre Lebensgrundlage entzogen und auch der Boden des besetzten Landes ist durch die Pestizide kontaminiert. „Die Erde spielt in unserer Weltanschauung eine ganz andere Rolle als in der Agrarindustrie. Doch das werden die nie verstehen. Niemals!“, erklärt uns eine Frau mit Augen voller Wut und Trauer.

Die leidenschaftliche Rede der indigenen Kämpferin bleibt leider einer der wenigen Momente, in denen die direkt Betroffenen des Konflikts als aktive ProtagonistInnen gezeigt werden. Der Blickwinkel des Films ist insgesamt eher paternalistisch und männlich dominiert. Hauptakteur ist der deutsche Tofuproduzent, der nach neuen Produktionsstätten für seinen Biotofu sucht und seine Betroffenheit über die „armen Ureinwohner“ oder die raffgierigen GV-SojaproduzentInnen ausdrückt. Als Lösungsansatz wird die Bioproduktion vorgeschlagen, die soziale Mobilisierung gegen die GV-Produktion, die überall in Brasilien zu finden ist, außen vor gelassen.
Ursachen und Auswirkungen des Wandels in der brasilianischen Agrarindustrie werden zwar beleuchtet, eine tiefergehende Kritik an neoliberaler Wirtschaft bleibt aus und der Anteil des Westens daran wird nur oberflächlich gestreift, am konkretesten noch als Appell an die KonsumentInnen: „Das Recht auf ein tägliches Steak für alle Menschen, das geht nicht“, wie es der sympathische süddeutsche Tofumogul ausdrückt.

„Agrokalypse“ ist seit Juni auf Tour durch die deutschen Kinos, für einen allgemeinen Überblick lohnt sich der Kinobesuch jedoch allemal.