In seinem Buch „Salvador Allende – Antisemitismus und Euthanasie“ verdreht Victor Farías infam die historischen Fakten. Zunächst einmal behauptet er, dass die Dissertation jahrelang verschollen gewesen sei. Dies ist unwahr, denn sie stand seit eh und je in der Universitätsbibliothek in Santiago, wo sie jeder einsehen konnte. Die Stiftung Salvador Allende hat die Dissertation inzwischen vollständig ins Internet gestellt. (als pdf-Datei unter www.elclarin.cl/hemeroteca.html) Dort kann sich jedeR davon überzeugen, dass Farías falsch zitiert: Allende setzt sich nämlich mit den biologistisch orientierten Kriminologietheorien seiner Zeit à la Lombroso usw. kritisch auseinander! Die von Farías öffentlich benutzten Zitate, insbesondere dasjenige über die kriminellen Neigungen der „Hebräer“, sind nicht solche von Allende, sondern von diesem zitierte Passagen in seiner Doktorarbeit. Sie stammen von Cesare Lombroso, einem einflussreichen italienischen Kriminologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Allende hat in seiner Arbeit zu diesem Zitat lapidar angemerkt, er habe keinerlei Daten, die derartige Zuschreibungen bestätigen würden.

Des Weiteren belegt Farías nicht den Vorwurf, Minister der Volksfrontregierung Ende der dreißiger Jahre hätten mit dem deutschen Außenminister Ribbentrop Geschäfte gemacht (er teilt auch nicht mit, woher er diese angebliche Information hat!), noch trifft die Aussage zu, Allende habe dem Naziverbrecher Rauff „Asyl gewährt“ oder seine Nichtauslieferung gerechtfertigt – woraus Farías schließt, dass Allende ein Nazifreund war. Der Kontakt mit dem Wiesenthalzentrum zu diesem Thema, ein Schriftwechsel aus den Jahren 1972/1973, stellt Farías nach einem angeblichen Gespräch mit Wiesenthal so dar, als habe Allende das Recht gebrochen, indem er Rauff nicht ausliefern ließ. Wiesenthal selbst skizziert das in seinen Memoiren vollkommen anders (vgl. Simon Wiesenthal: Recht, nicht Rache. Erinnerungen, Ullstein-TB, Berlin 1991, S.88-91). Farías selbst hat inzwischen schon mehrere sich widersprechende Versionen zu seiner angeblich zu diesem Thema mit Wiesenthal geführten Unterhaltung und dem Schriftwechsel zwischen der Regierung Allende und Wiesenthal geliefert. Verlässlich erscheint allein die Äußerung Wiesenthals, er habe Allende in diesem Zusammenhang zu keinem Zeitpunkt des Antisemitismus oder der Nazinähe beschuldigt.

Allende teilte nämlich mit, dass das ursprüngliche Auslieferungsgesuch der deutschen Bundesregierung 1963 (!) vom chilenischen Obersten Gerichtshof als unzulässig abgelehnt wurde, und zwar unter Hinweis auf die – kürzeren – Verjährungsfristen für Mord nach chilenischem Recht. Dass der Oberste Gerichtshof Chiles nach den heute allgemein – unter anderem seit dem Pinochet-Verfahren und dem Rom-Statut über die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes – etablierten Regeln des Völkerstrafrechts von der Unverjährbarkeit des Völkermords hätte ausgehen sollen, ist zwar richtig, jedoch sollte Farías dann den Vorwurf an die Richter des Obersten Gerichtshofs richten, die damals – durchaus in Übereinstimmung mit der damaligen juristischen Diskussion, auch in Deutschland – so entschieden haben, und dies nicht Allende anlasten, der erst sieben Jahre später an die Regierung kam und mit dieser Angelegenheit im Rahmen seiner Exekutivbefugnisse befasst wurde. Nach einer solchen Entscheidung eines Obersten Gerichts darf keine Exekutive in keinem Land ausliefern, ohne die Gewaltenteilung zu missachten und einen internen Rechtsverstoß zu begehen. Das wäre auch in unserem „Rechtsstaat“ ein klarer Rechtsbruch, selbst wenn das Urteil eines Obersten Landesgerichts über die Zulässigkeit der Auslieferung – wie in unserem Fall – juristisch grottenfalsch wäre.

Hinzu kam, dass die bürgerliche Opposition in Chile nur darauf gewartet hat, dass Allende die Verfassung bricht, indem er über eine Entscheidung des Gerichts hinweggeht, um ihn juristisch zu stürzen. Ich habe die Zeit damals live in Chile verfolgt, darum ging es den chilenischen Christdemokraten ja die ganze Zeit. Der Austausch zwischen Wiesenthal und Allende über die Frage einer möglichen – ausländerrechtlichen – Ausweisung von Rauff, der seit 1961 in Chile lebte und von den vorherigen Regierungen unbehelligt gelassen worden war (also, wenn man bundesdeutsche Kriterien anwenden wollte, erheblichen Vertrauensschutz genoss, denn die Vorgängerregierungen hatten seinen Aufenthalt jahrelang akzeptiert), wurde durch den Putsch unterbrochen, weil Allende inzwischen tot war.

Die Stiftung Salvador Allende hat unter der angegebenen Webadresse auch den kompletten Schriftwechsel zwischen Simon Wiesenthal und Salvador Allende im Internet zugänglich gemacht. Farías muss aus seiner (linksradikalen!) Vergangenheit bestens wissen, wie die Zwickmühle für Allende 1972 und 1973 mit dem ständigen Vorwurf des Rechtsbruchs durch die Opposition war und dass Allende sich – nach chilenischem Recht – rechtmäßig verhalten hat, indem er darauf verweisen musste, dass er ohne rechtliche Zulässigkeitserklärung Rauff nicht ausliefern konnte. Es jetzt so darzustellen, als habe Allende die Auslieferung abgelehnt, weil er Antisemit war, ist nicht nur unseriös und unwissenschaftlich, auch unter juristischen Gesichtspunkten, sondern perfide.

Den Gipfel der historischen Verfälschung erreicht Farías jedoch, indem er Allende mit Goebbels vergleicht: Auf die Frage, warum er für eine Umbenennung der Salvador-Allende-Straße und Schule in Berlin eintritt, antwortete er im Programm von Radio Multi-Kulti des RBB am 24. Mai: „Wenn es eine Goebbels-Straße in Berlin gäbe, meinen Sie doch auch, dass die umbenannt werden müsste, oder?“

Unter www.elclarin.cl/hemeroteca.html findet sich die komplette Dissertation Salvador Allendes und der Schriftwechsel zwischen Allende und Simon Wiesenthal.
Als Reaktion auf die Reichspogromnacht sandten chilenische Parlamentsabgeordnete – darunter Salvador Allende – am 26. November 1938 ein Protesttelegramm an Adolf Hitler.

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