German, könntest du kurz ein paar persönliche Daten nennen: Alter, Herkunft und wann Du in die BRD gekommen bist?
Ich wurde am 16. Dezember 1947 in Chiclayo im Norden von Peru geboren und bin in Lima aufgewachsen. Mit 16 Jahren bin ich zum ersten Mal nach Deutschland gekommen. Ich habe hier die Schule besucht und das Abitur gemacht. Dann kehrte ich zurück nach Peru. Ich blieb dort drei oder vier Jahre und ging dann wieder nach Europa. Ich war zunächst in der Schweiz, und seit Januar 1974 lebe ich kontinuierlich in Berlin.
Wie bist du als 16jähriger nach Deutschland gekommen?
Um das zu erklären, muß ich ein bißchen ausholen und etwas über meine Familie erzählen. Meine Eltern gehörten in Peru, sagen wir, zur gehobenen Mittelschicht. Mein Vater war Arzt und stammte aus einer wohlhabenden Familie, während meine Mutter aus armen Verhältnissen kam. Sie war zear die Tochter eines Deutschen, allerdings eine uneheliche Tochter. Ihr Vater hat in Peru eine Brauerei geleitet. Er war der deutsche Brauereidirektor, der alle weiblichen Angestellten verführte und mit verschiedenen Frauen mehrere Kinder hatte. Er soll ein hübscher und großer Mann gewesen sein. Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, stellte ich fest, daß er so groß war wie ich und ich bin deutscher Durchschnitt. Aber die Deutschen haben in Peru groß zu sein, sonst stimmt das Bild nicht. Die Frauen, die er schwängerte, hat er natürlich nicht geheiratet.
Meine Großmutter war eine Indianerin, die als Hilfsarbeiterin in dieser Brauerei gearbeitet hat, sie hat dort Flaschen gewaschen. Als mein Großvater wieder zurück nach Deutschland ging, hat er meine Mutter und andere uneheliche Kinder, vor allem Töchter, zwar anerkannt, hat meine Großmutter allerdings nicht finanziell unterstützt, bestenfalls kam ab und zu einmal eine karitative Spende. Deshalb mußte meine Mutter schon mit 14 Jahren für sich und ihre jüngeren Geschwister aufkommen. Sie war schon mit 12 oder 13 Jahren praktisch eine Erwachsene und hatte Verantwortungen zu tragen, die in diesem Alter normalerweise nicht üblich bzw. in dieser Schicht eben doch üblich sind. So ist meine Mutter eine starke Frau geworden. Sie war außerdem hübsch, schlank und für peruanische Verhältnisse auch groß und entsprach dem Schönheitsideal von Männern, die nicht aus dieser Schicht kommen. Deswegen wurde sie immer von Juristen, Ärzten, von Männern, die aus höheren Schichten kamen, umworben, und einer dieser Männer war mein Vater. Meine Mutter war natürlich froh, daß sich ein wohlhabender junger angehender Arzt für sie interessierte, und ich würde sagen, sie griff zu und heiratete diesen Mann. Das bedeutete für sie nicht nur einen ökonomischen, sondern auch einen sozialen Aufstieg. Das hieß aber für sie auch „nie wieder arm werden“, und sie orientierte sich entsprechend nicht nach unten, sondern nach oben, was in der ganzen Welt nicht unüblich ist.
Weil sie die finanziellen Möglichkeiten hatte, schickte sie uns in teure Schulen. Mich schickte sie in die Schweizer Pestalozzi-Schule, wo nur Kinder von reichen Familien bzw. nur Kinder von Deutschen und Schweizern sind, war ich der einzige „cholo“ in meiner Klasse, der einzige Mischling. Als solcher wurde ich auch diskriminiert. Darunter habe ich sehr gelitten, schon in der Grundschule, und das wurde schlimmer, je älter ich wurde. Das hat bei mir sehr viele Minderwertigkeitskomplexe rassischer Art geschaffen. Ich fühlte mich häßlich, hatte kaum Chancen bei Mädchen, weil ich überhaupt nicht dem Schönheitsideal von blauen Augen und blonden Haaren, also dem importierten Schönheitsbegriff, entsprach. Ich versuchte diese Diskriminierung durch gute Leistungen in der Schule zu kompensieren, konnte es allerdings, je älter ich wurde, immer weniger ertragen. Irgendwann sagte ich meinen Eltern, daß ich keine Lust mehr hätte, in diese Schule zu gehen, und wenn sie nicht schleunigst etwas machten, würde ich nach Europa abhauen, zu meinem Großvater. Meine Eltern haben das nicht ernst genommen, aber ich habe sie dann in einem ziemlich radikalen Prozeß dazu gezwungen, mich nach Deutschland zu schicken. Sie haben mich schließlich in ein Augustiner-Seminar in Weiden in der Oberpfalz geschickt, also in ein religiöses Internat. So bin ich nach Deutschland gekommen. Ich bin also nicht aus politischen Gründen nach Europa gekommen. Der Grund war vielmehr ein wichtiges Merkmal der Gesellschaft meiner Heimat. Peru ist ein sehr rassistisches Land.
Welche Erfahrungen hast Du als Jugendlicher aus Peru in Bayern gemacht?
Für mich war das die große Wende in meinem Leben. Ich kam nach Deutschland und war in diesem 40 000 Einwohner großen Städtchen Weiden plötzlich ein Star, so fühlte ich mich zumindest damals. Ich galt als der schönste von allen Jungs, und die Mädchen flogen auf mich. Das war für mich eine Situation, die ich zunächst einmal gar nicht verstand. Irgendwann, ich glaube so mit 18, habe ich tatsächlich geglaubt, daß ich schön wäre, weil es mir so oft gesagt und in Briefen geschrieben wurde. Außerdem war ich ein guter Fußballer, ich kam aus Lateinamerika und galt sofort als die „schwarze Perle“. Ich war der Star der Mannschaft unseres Seminars bei den bayerischen Landesmeisterschaften der katholischen Schulmannschaften. Das führte dazu, daß mich alle Kinder bewunderten, weil ich so gut Fußball spielte. Ich wurde damals sogar von Mannschaften wie 1860 München angesprochen, ob ich da einsteigen könnte, das waren so Sachen, die mir natürlich als jungem Menschen sehr gefallen haben. Ich habe diesen Kulturschock lange nicht verkraften können.
Vielleicht ist es auch noch wichtig zu sehen, daß sich meine Klassenkameraden und Freunde, also die Jungs auch, unheimlich viel Mühe gegeben haben, mir Deutsch beizubringen. Sie haben mich am Wochenende in ihre Familien eingeladen, und ich genoß wirklich spontane Zuneigung seitens der Deutschen. Diese Art zu leben, diese Spontaneität, sogar Wärme, hat mir sehr gefallen. Ich fühlte mich wohl und gut aufgehoben. Wenn ich z.B. in eine Kneipe kam, rief oft jemand: „Eh, Schwarzer, komm her, trink ein Bier mit mir.“ Heute würde ich es wahrscheinlich anders interpretieren, wenn mich jemand so anreden würde, aber damals war die Situation und die Zeit eine andere, es war lieb gemeint, die konnten es wahrscheinlich auch nicht anders. Bei diesen Stammtischleuten habe ich gelernt, Bier zu trinken, sie interessierten sich, fragten mich über Peru aus. Irgendwie galten meine Aussagen als interessant, aber doch als exotisch, einen 16-/17-jährigen in einer kleinen Stadt wie Weiden nimmt man nicht so ernst.
Wenn ich heute über diese Zeit nachdenke und mit meinen linken Freunden darüber rede und sage, ich hätte die Bayern nur als nette Kerle erlebt, verstehen die das meistens nicht, aber ich meine, daß sie es doch sind. Die Südländer in Deutschland sind anders als im Norden, spontaner. Sicher sind sie auch in vielen Bereichen reaktionärer, konservativer, aber in ihren Alltagssituationen, in ihrer Sprache, in ihrer Körperlichkeit, in ihrer unmittelbaren Auseinandersetzung sind sie irgendwie wärmer, spontaner, nicht so cool wie im Norden, und das sprach mich sehr an.
Ich bin einmal nach Hamburg gefahren, da erlebte ich eine ganz andere Atmosphäre. Da fand ich die Leute tatsächlich kalt – so empfand ich es zumindest damals – und irgendwie unnahbar und immer so intellektuell und so wichtig. Damal dachte ich, ich fühle mich bei „meinen Bayern“ besser, die sind irgendwie echter, mit denen komme ich eher zurecht. Meine Erfahrungen in Bayern haben mein Verhältnis zu Deutschland sehr geprägt und waren sicherlich der maßgebliche Grund für meine spätere Rückkehr. Ich habe die Bayern sehr geliebt und freue mich heute immer noch jedesmal, wenn ich dort bin. Nicht München, aber Bayern.
Du bist dann nach dem Abitur 1966 nach Peru zurückgekehrt?
Ja, das war eine schwierige Zeit. Ich hatte mich in Bayern sehr wohlgefühlt und war viel selbstbewußter geworden. Was ich allerdings nicht verloren hatte, war mein Haß auf die Weißen, aber nicht auf die deutschen Weißen, sondern auf die peruanischen Weißen. Als ich nach Peru zurückkehrte, hatte ich richtige Rachegefühle, ich war richtig süchtig nach Rache, ich wollte den weißen Jungen – und auch den Mädchen –, die mich damals abgelehnt hatten, zeigen, wer ich bin. Also habe ich mich in jeder Auseinandersetzung mit Weißen bemüht, ihnen zu zeigen, daß sie wirklich eine Bande von Dümmlingen sind. Mit meinem Abitur kam ich mir so unheimlich klug vor, und es gelang mir auch meistens, mich durchzusetzen. Diese infantile Haltung hat dazu beigetragen, daß ich in Peru nicht glücklich sein konnte.
Ich kam mir damals sehr interessant vor, ich hatte in diesen vier Jahren, die ich in Deutschland verbracht hatte, sehr intensiv gelebt und meinen Horizont erweitert. Ich war damals sehr der Literatur zugeneigt, ich hatte kleine Geschichten und Gedichte geschrieben. Ich war damals fasziniert vom Existentialismus, ich war großer Camus- und Sartre-Anhänger. Juliette Gréco faszinierte mich. Ich zog mich ganz schwarz an, ließ die Haare länger wachsen. Ich hatte auch eine ganz andere Art der Auseinandersetzung gelernt, eine ganz andere Art der Sexualität, 1964/65 war es hier sicher noch nicht so offen wie heute, aber es war doch anders als in Peru.
So kam ich nach Peru, ganz schwarz angezogen, lange Haare und mit einem ganz anderen Begriff und einer anderen Wahrnehmung von Interaktion, von menschlichen Beziehungen. Meine Rückkehr war ein Schock, nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie, lange Haare waren ja unfaßbar in dieser Zeit. Ich lehnte es ab, die Haare schneiden zu lassen, für mich war mein Haar mein Stolz, meine Haare und meine Kleidung repräsentierten meinen Protest und meine Identität, meine neu gewonnene Identität. Die Identität, die ich in Peru nie gehabt hatte. Ich hatte mich entdeckt und das war zumindest unter diesen Bedingungen nicht immer positiv. Es hat mir in Peru sehr viele Schwierigkeiten gebracht. Ich wurde auf der Straße immer wieder als Schwuler beschimpft, von den Jungs bzw. den Männern wurde ich abgelehnt, vielleicht auch weil ich nicht mehr der richtige Macho war. Schon damals war mir dieses plumpe Macho-Gehabe zuwider. Für die Frauen war es auch ein Problem, ich hatte sehr viele Probleme, was die Beziehungen zu Frauen betrifft, wenn ich mit einer Frau davon sprach miteinander zu schlafen, hieß es sofort heiraten, und das paßte mir eben nicht. Unter dieser kulturellen Konfrontation habe ich sehr gelitten in dieser Zeit. Deshalb entschloß ich mich nach einem bzw. anderthalb Jahren, wieder zurück nach Europa zu gehen, ich sehnte mich irgendwie nach Europa. Mein Vater wollte mir die Rückkehr nach Europa aber nicht finanzieren. Deshalb begann ich zu arbeiten, um das Geld zusammenzubekommen. Ich habe als Deutschlehrer für Peruaner und als Spanischlehrer für Deutsche gearbeitet, bis ich genügend Geld hatte, um die Reise nach Deutschland zu finanzieren. Ich wollte in München studieren, wollte allerdings vorher noch meine Schwester besuchen, die in Zürich lebte. Bei diesem Besuch aber verliebte ich mich unsterblich und blieb erstmal mehrere Jahre bis Anfang 1974 in der Schweiz.
Aus der Schweiz bist Du nach West-Berlin gegangen, um zu studieren. Wie hat dann Dein politisches Engagement begonnen?
Mein politisches Leben hat nicht erst in Berlin begonnen und liegt ebenfalls in meiner Familiengeschichte begründet. Mein Vater war ein peruanischer Sozialdemokrat. Er gehörte zur ersten Generation der APRA (Alianza Popular Revolucionaria Americana – Amerikanische Revolutionäre Volksallianz) und war der Generalsekretär der Partei im Norden in der Provinz Pacasmayo. Außerdem war er ein sehr beliebter und volksverbundener Arzt. Die APRA wurde während der Diktatur des Generals Odría (1948-1956) massiv verfolgt, ihre Mitglieder mußten untertauchen oder ins Exil gehen. Auch meine Familie war von diesen Verfolgungen betroffen. Mein Vater mußte sich zum Beispiel sechs Monate lang in den Zuckerrohrplantagen verstecken. Diese Zeit der Verfolgung hat sich auf die ganze Familie ausgewirkt, wir durften nicht vom Vater erzählen, die Mutter mußte dauernd irgendwelche Papiere verbrennen, mehrmals gab es Hausdurchsuchungen.
Von uns Kindern identifizierte ich mich am stärksten mit meinem Vater, vor allem politisch. Und diese Identifikation führte dazu, daß mein Vater mich schon sehr früh in die Partei brachte, schon mit 8 Jahren wurde ich Mitglie der CHAP (Chicos Apristas Peruanos). Dort haben wir gebastelt, machten die Fähnchen für Veranstaltungen und Demonstrationen, malten Transparente und solcherlei Sachen. Mein Vater hat uns immer gepredigt, uns auf die Seite der Unterdrückten und Schwächeren zu stellen. Diese Haltung und Konsequenz hat mein politisches Engagement geprägt, auch wenn ich später politisch einen anderen Weg ging als mein Vater. Ich habe 1967, wie viele Jung-Apristen, mit der APRA gebrochen, weil sie eine Koalition mit ihrem ehemaligen Schlächter Odría einging. Odría war einer der größten Verfolger der APRA und einer der mörderischsten Diktatoren Perus. Es war die Zeit, wo wir alle sehr von der Figur Che Guevara und der kubanischen Revolution geprägt waren. Als ich dann wieder nach Europa kam, habe ich zunächst in der Schweiz nur für die Liebe gelebt und mich wenig mit Politik und meinem Studium beschäftigt. Ich habe mit Sicherheit diese Zeit gebraucht, das hat mit meiner ersten Sozialisation zu tun, aber das ist eine lange Geschichte.
Dann kam der Putsch in Chile, im September ‘73. Ich hatte plötzlich ein total schlechtes Gewissen, einfach so dahinzuleben, dieser Putsch hat mich unheimlich wachgerüttelt. Das führte – unter anderem – auch dazu, daß die Beziehung zu Ende ging. Im Januar 1974 kam ich nach Berlin und stürzte mich – zunächst mal aus schlechtem Gewissen – in alles, was mit „Solidarität mit Chile“ zu tun hatte. Ich war sofort im Chile-Komitee, das reichte mir nicht, dann bin ich bei amnesty international eingetreten, wo ich chlenische Flüchtlinge betreut habe. Unter anderem weil ich Deutsch konnte, wurde ich von der MIR (Bewegung der Revolutionären Linken Chiles) angesprochen und bin dieser Partei beigetreten. Ich habe für die MIR sehr viel gemacht und habe dabei auch sehr viel gelernt. Dann kam ich in immer größere Widersprüche mit dieser Partei, trat schließlich aus, gründete gleich ein Peru-Komitee und war dann auch aktiv in einem Lateinamerika-Komitee.
Die siebziger Jahre waren die Zeit der vielen Gründungen, es gab ganz viele Komitees, wenn wir uns zu fünft oder zu sechst trafen und irgend etwas überlegten, dann wurde gleich ein Komitee gegründet. Ich spielte damals in diesen Komitees, in denen ich mitarbeitete, schnell eine wichtige Rolle. Das hing zum einen mit meinem Engagement zusammen, wenn ich mich in etwas hineinstürze, dann mache ich es erstmal hundertprozentig, aber auch damit, daß es hier in der Bundesrepublik so eine Art positive Diskriminierung gibt. Die Ausländer werden diskriminiert, negativ, das ist die alltägliche Diskriminierung, die plumpe rassistische Diskriminierung. Es gibt aber auch die positive Diskriminierung, vor allem bei Linken, d.h. der Ausländer ist per se gut, nur weil er Ausländer ist. In beiden Fällen wird er aber nicht ernst genommen. Wenn er dazu noch jemand ist, der gut deutsch kann und eigentlich auch – in ihrem Sinne – vernünftige Sachen sagt, was auch eine Frage der Sozialisation ist, die bei mir ja teilweise in Deutschland ablief, dann sind die Voraussetzungen gegeben, daß er eine führende Rolle in solchen Gruppen spielten konnte und kann. In dieser Art war ich bis 1977/78 aktiv, dann war ich auf der Suche nach einer neuen Partei und landete bei den Grünen bzw. der AL Berlin.
Warum bis Du in die AL eingetreten, was machte für Dich als Latino die Attraktivität dieser neu entstehenden politischen Kraft aus?
Ich hatte mehrere Gründe. Zunächst einmal, ich war ein sehr großer Anhänger von Che Guevara. Che ist eine Figur, die mich sehr geprägt hat. Er prägte zum Beispiel – zumindest habe ich es von ihm zum ersten Mal gehört – die These des Neuen Menschen. Neuer Mensch heißt, wir müssen auch unser alltägliches Verhalten mit Freunden, in der Familie, in der Beziehung verändern. Nur ein Mensch, der sich völlig in Frage stellt und sich neu definiert, kann in der Lage sein, auch eine neue Gesellschaft zu gründen. Dann kam ich in diese Partei, den MIR. Für mich war meine Mitgliedschaft im MIR zunächst einmal ein sicherlich sehr lehrreicher Prozeß, andererseits war es die Auseinandersetzung mit einer dogmatischen Partei, einer Partei, die hierarchisch und vertikal organisiert war, wo die Basis im Grunde nichts zu sagen hatte, wo das Zentralkomitee schon alles beschlossen hatte. Die Diskussionen an der Basis hatten nur Alibifunktion. Es war für mich eine bittere Erfahrung, als mir klar wurde, daß die Partei in der Lage war, Basis zu opfern, nur um das Prestige der Partei aufrechzuhalten. Ich meine z.B. diese Rückkehrpolitik des MIR war für mich eine empörende Geschichte, wo sie die GenossInnen zurück in den Kampf nach Chile schickten und wußten, daß diese GenossInnen praktisch in den Tod geschickt wurden, weil die Partei nicht in der Lage war, für sie irgendwelche logistische Unterstützung zu leisten. Das war für mich eine mörderische Tat dieser Partei, die nie zugab, daß sie wirklich am Ende war.
Diese Partei war schon sehr früh am Ende und wurde praktisch künstlich am Leben gehalten, und uns wurde im Ausland erzählt, die Partei lebe noch. Das war nicht meine Idee von Sozialismus, das war nicht meine Idee von dem, was ich von meinem Vater glernt hatte. Auch die sexuelle Ausbeutung der Frauen, die hier für den MIR gearbeitet und übersetzt haben, war mir total zuwider. Da sind Sachen gelaufen, die der These des neuen Menschen völlig widersprachen. Das war auch der Grund, warum ich in Konflikt mit der Partei kam, und dann habe ich eine neue Partei gesucht. Ich hatte keine richtige Vorstellung, wie die Partei aussehen sollte, aber sie sollte eine basisbezogene Partei sein, eine Partei, wo die Basis das Sagen hat. Ich muß sagen, daß der Gedanke der Basisdemokratie, der Gedanke der Rotation, der Gedanke, mehr Frauen in die Politik einzubeziehen, mich fasziniert hat. Deshalb hat mich der grüne Gedanke, bzw. dieser Gedanke, der sich dann als Grüne etabliert hat, von Anfang an fasziniert hat. Außerdem war meine Erfahrung in den Komitees die, daß man immer auf die SPD geschimpft hat, weil die so reformistisch sei, sich kaum von der CDU unterscheide, weil sie eine staatstragende und systemstabilisierende Partei sei usw. Und trotzdem, wenn wir Aktionen gemacht haben, waren wir immer auf diese SPD-Abgeordneten orientiert, waren wir immer froh, wenn wir eine Unterschrift von irgendeinem SPD-Abgeordneten bekamen, und das war für mich auch ein Widerspruch. Warum brauchten wir, wenn wir eine andere Politik machten und unsere Solidaritätsarbeit z.T. im diametralen Widerspruch zur Politik der SPD stand, SPD-Abgeordnete und SPD-Prominenz, um unsere Positionen zu unterstreichen und zu unterstützen. Und da meinte ich, wir müssen das selber in die Hand nehmen. Das war der Gedanke, wenn wir eine Partei werden, wenn wir so viele sind, dann brauchen wir uns nicht mehr auf die SPD zu beziehen, sondern beziehen uns auf uns selber, auf unsere Partei, und das sollte dann die grüne Partei sein.
Das andere ist, daß ich natürlich ein Parteimensch bin und glaube, daß man in einer Partei mehr bewirken kann als in losen Komitees. Außerdem nahmen und nehmen die linken Politiker aus der Dritten Welt, aus Lateinamerika, uns Komitees im Grunde überhaupt nicht richtig ernst. Wir waren gut genug, einr Reise nach Berlin, Bonn oder Hamburg zu organisieren oder ihre Zeitschriften und Rundfunksender finanziell zu unterstützen, aber politisch ernst nehmen sie uns nicht. Sie bauen ihre internationale Arbeit nicht auf die Solidaritätsgruppen oder auf die Solidaritätsbewegung auf, sondern auf die Sozialdemokratie. Ich wunderte mich immer, daß bekannte „Revolutionäre“ aus Peru, wenn sie kamen, lieber mit SPD-Abgeordneten und SPD-Genossen ihre Zeit verbrachten als mit uns. Ich wollte meine internationalistische Arbeit in einer Partei fortsetzen, mit größerer Effizienz. Und da ich nicht in die SPD eintreten wollte, bot sich eben diese Diskussion um die Gründung einer neuen Partei in meinem Leben glänzend an, und daher habe ich an der Auseinandersetzung um die Grünen bzw. AL teilgenommen und gehöre ich eigentlich zu den Gründern dieser Partei. Es war also eine Bündelung von Gründen, die mich zum Mitmachen bei den Grünen bewog.
Du hast 1984 die deutsche Staatsbürgerschaft bantragt und angenommen. Waren dafür pragmatische Gründe wie ein besserer rechtlicher Status und größere politische Möglichkeiten, die Du dann auch genutzt hast, ausschlaggebend oder war die Entscheidung grundsätzlicherer Natur, daß Du sagtest, ich lebe und arbeite jetzt hier, ich bin hier aktiv, dann möchte ich auch formal Deutscher sein. Was war die Hauptmotivation?
Ich würde sagen beides. Konkret, ich bin hierher gekommen, nicht um Deutscher zu werden, sondern ich wollte hier studieren. Ich wollte meinen Beruf erlernen und wollte zurückfahren, weil ich eigentlich Politik in Peru machen wollte. Das war meine ursprüngliche Motivation. Aber so ist es nicht im Leben. Naiverweise hatte ich nicht daran gedacht, daß ich hier auch Bindungen oder eine dauerhafte Liebesbeziehung eingehen könnte bzw. hatte davon abstrahiert, daß die Frau natürlich auch ein Recht hat zu sagen, wo sie leben möchte, sondern ich bin immer nur von mir ausgegangen. Bis kurz vor meiner Entscheidung, die deutsche Staatsbürgerschaft anzustreben, war es meine Intention, nach Peru zurückzugehen. Ich wollte meine damalige Frau immer dazu bewegen, mit mir nach Peru zu gehen. Wir waren dreimal zusammen in Peru, und ich hatte das jedesmal mit der Absicht gemacht, daß sie Peru kennenlernt, daß sie vielleicht Geschmack daran findet, in dieses Land zu gehen. Sie war jedesmal angetan von Peru, ihr gefiel das Land, auch meine Familie, aber sie sagte auch jedesmal wieder, daß sie dort nicht leben wollte. Für mich war das jedesmal ein Schock. Trotzdem habe ich sie verstanden. Dann kam eine Tochter, zu der ich eine sehr innige Beziehung hatte und habe. Als ich mein Studium abgeschlossen hatte, stand für mich die Entscheidung an, nach Peru zurückzukehren. Wenn ich mich dafür entschieden hätte, wäre es eine Entscheidung gewesen gegen meine Familie. Meine Frau war definitiv nicht bereit mitzukommen, sie hätte auch eine Trennung in Kauf genommen. Das war erst einmal für mich ein Problem. Aber ich habe irgendwie auf Zeit gearbeitet, weil ich dachte, vielleicht kommt es mit der Zeit. Dann habe ich mich von meiner Frau getrennt – damals war ich schon in der AL –, ich lernte Margret, meine jetzige Frau kennen, wir waren zusammen im Vorstand der AL, und mir stellte sich die Frage, was ich jetzt mache. Soll ich dableiben oder doch zurückkehren? Für mich war der Gedanke, mich von meiner Tochter zu trennen – sie lebte bei ihrer Mutter – sehr schwerwiegend. Wenn ich ganz ehrlich bin, war das eigentlich das Ausschlaggebende, daß ich mich nicht mit der Vorstellung zufriedengeben konnte, daß ich vielleicht 15 000 km von meiner Tochter entfernt leben würde, sie vielleicht einmal alle zwei Jahre hätte sehen können, praktisch hätte ich meine Tochter verloren. Ja, das war eigentlich das Ausschlaggebende. Ganz einfach.
Das waren die persönlichen Gründe, warum ich hiergeblieben bin. Dann sagte ich mir, wenn ich schon hierbleibe, dann hat es keinen Zweck, daß ich mein Leben hier als Ausländer verbringe, um so mehr, wenn ich hier politisch tätig bin. Ausländer sein ist nirgends in der Welt ein angenehmer Gedanke, geschweige denn Praxis, um so weniger wenn man aus einem 3.Welt-Land stammt. Und die Politik war in der Bundesrepublik praktisch die Hauptbeschäftigung meines Daseins, meines Alltags hier in diesem Land. Als Ausländer bist du ja minderwertig, hast weniger Rechte, kannst eigentlich deine politischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Wenn ich in der AL etwas mit meinem Namen unterschrieben habe – Artikel für unsere Zeitung, Flugblätter usw. – und das in der Redaktion noch mal besprochen wurde, dann haben mich die Juristen darauf aufmerksam gemacht, daß mir das als Ausländer Probleme machen könnte, weil es gegen das Ausländergesetz verstoße, sich in die politischen Belange der Bundesrepublik einzumischen, erst recht zu irgend etwas wie zivilem Ungehorsam aufzurufen. Deswegen war ich gezwungen, die Sachen, die ich geschrieben habe, jemand anderem zu geben, damit der oder die seinen Namen darunter schreibt. Das kann man natürlich politisch rechtfertigen, aber das war für mich persönlich unangenehm, daß ich meine Positionen, das, was ich dachte, nicht auch in der Öffentlichkeit vertreten durfte.
Aber einfach war die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft für mich nicht. Als mir bei der Einbürgerung mein peruanischer Paß abgenommen wurde, habe ich so richtigen körperlichen Schmerz empfunden. So böd das auch klingt, daß praktisch ein Papier deine nationale, deine ursprüngliche nationale Identität repräsentiert, das ist es natürlich nicht, aber in diesem Moment hat es mir richtig weh getan, weil ich das Gefühl hatte, vieles von meiner Identität abzugeben. Ich bin ein Mensch, der eigentlich eine doppelte Identität hat und darunter auch leidet. Ich leide darunter, daß ich mich nicht so ganz eindeutig zu etwas bekennen kann, was mit einem Volk, d.h. mit den Eigenarten eines Volkes, zu tun hat. Ich kann das nicht, ich fühle mich hier als Ausländer und ich fühle mich in Peru als Ausländer und ich fühle mich hier heimisch und ich fühle mich auch in Peru heimisch. Es ist so, ich kann nicht im ganzen an den Freuden der Deutschen partizipieren, so wie ich es auch in Peru nicht mehr kann. Ich bin irgendwie gespalten. In bestimmten Bereichen bin ich Latino, in wichtigen Bereichen sicherlich, z.B. im emotionellen Bereich, in den nicht gelernten Bereichen bin ich Latino, fühle mich als Latino. Ich spüre das so richtig, wenn ich unter Latinos bin. Da bin ich mit Sicherheit ein anderer Mensch. Aber zum Beispiel im intellektuellen Bereich, sagen wir so im vernünftigen Bereich, fühle ich mich eher als Deutscher. Ich bin eben ein komplizierter, glücksdistanzierter, sich immer wieder in Frage stellender Mensch geworden. Das ist nicht typisch Latino. Ich komme mit bestimmten Eigenarten der Lateinamerikaner nicht mehr zurecht, insofern bin ich deutsch und wiederum nicht ganz deutsch, weil auch da, wo ich glaube, deutsch zu sein, die Deutschen glauben, daß ich nicht ganz deutsch bin. Das ist so eine Dualität in meinem Wesen, das geht auch sehr tief, wo ich mich nicht so ganz glücklich fühle. Daher auch die Entscheidung für mich, meinen Kindern eine einzige Identität zu geben, daß sie nicht zwischen Deutschland und Peru hin und her gerissen werden. Natürlich denke und hoffe ich, daß sie durch Gespräche und Nähe eine Sensibilität dafür entwicklen werden, aus welchem Land ihr Vater kommt. Aber ich möchte schon, daß sie sich zunächst mal dort heimisch fühlen, wo sie aufgewachsen sind.
Nachdem Du die Staatsbürgerschaft angenommen hattest, wurdest Du 1988 sogar „Volksvertreter“. Wie kamst Du eigentlich zur Entscheidung, für den Bundestag zu kandidieren?
Eigentlich hatte ich immer vor, Abgeordneter zu werden. Es hängt vielleicht damit zusammen, daß mein Vater mir schon als kleinem Kind eingeschärft hat, ich müsse ins Parlament, ich müsse das schaffen, was er nicht geschafft hat. Mein Vater nahm mich als kleines Kind mit auf die Besuchertribüne zu Parlamentssitzungen, und ich erinnere mich, daß er mir schon als kleines Kind sagte, da unten, siehst du, da mußt du einmal sitzen. Vielleicht war das nicht ganz bewußt, aber vielleicht war es unbewußt da, daß ich immer mit diesem Wunsch, dieser Vorstellung gelebt habe. Für mich gehört es zum politischen Tun, zur politischen Tätigkeit, irgendwie ein Mandat zu haben. Ich tue mich sehr schwer, Politik zu machen ohne Mandat. Ein Mandat muß ja nicht unbedingt ein Abgeordnetenmandat sein, aber es bedeutet die Übertragung irgend einer Befugnis durch die Basis, der Auftrag, in eine Stellung gewählt oder delegiert zu sein und in dieser Stellung etwas machen zu müssen. Auf die Idee, hier für ein Parlament zu kandidieren, bin ich dann aber nicht alleine gekommen. Kurz nachdem ich meine deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hatte, bin ich vom Ausländerbereich der AL angesprochen worden, für den Bereich Ausländer für das Berliner Abgeordnetenhaus zu kandidieren. Damals habe ich das mit meiner Frau besprochen und wir sind übereingekommen, daß wir das nicht machen. Unsere finanzielle Situation war damals nicht gefestigt, Margret hat gearbeitet, und ich hatte auch einen Job, in dem ich sehr viel zu Hause sein konnte. Ich konnte mich deshalb viel um unseren kleinen Sohn kümmern, der im September 1984 geboren ist. Das heißt, meine persönliche Lage war zu diesem Zeitpunkt nicht so, daß eine Kandidatur in Frage gekommen wäre. Es hätte eine Vernachlässigung meiner Pflicht – ich betrachte das auch als solche gegenüber meinem Sohn – und eine Abschiebung dieser Pflichten an Margret bedeutet. Deshalb mein Entschluß, es nicht zu tun. Ich muß sagen, daß ich es sehr ungern abgelehnt habe. Dann bin ich später wieder angesprochen worden, diesmal für den Bundestag zu kandidieren. Ich habe das wieder mit Margret besprochen, was das für uns bedeuten würde, daß ich jetzt nach Bonn ziehen würde, und welche Konsequenzen diese Entscheidung mit sich bringen würde, und sie hat gesagt, sie traue sich das jetzt zu, Boris sei schon größer und insofern hätte sie eigentlich grundsätzlich nichts dagegen, wenn ich kandidierte, weil sie auch wüßte, daß es mir auch eine Freude beriten würde. Ich habe also kandidiert, wurde als Nachrücker nominiert und zog so 1988 in den Bundestag ein.
Wie waren die Reaktionen, in Deinem Freundeskreis, in der AL und auch in der Öffentlichkeit, als Deine Kandidatur bzw. Wahl zur Kenntnis genommen wurde?
Gemischt, manche grüne Freunde meinten, wie kannst du so etwas machen, deine Frau alleine zu lassen, oder, du bist verrückt, nach Bonn zu gehen. Die Öffentlichkeit hat das zuerst gar nicht wahrgenommen, erst später, es gab z.B. die rassistischen Äußerungen einiger CDU-Abgeordneten, die dann von der Presse, vom Stern und der Frankfurter Rundschau, aufgenommen worden sind. Ich denke, viele Leute konnten das nicht kapieren, daß ich deutscher Bundestagsabgeordneter war. Ich erlebte eine ganze Reihe komischer Situationen, wo ich als Abgeordneter irgendwo hinkam und die Leute das gar nicht glauben bzw. sich totgelacht haben, wenn ich gesagt habe, ich komme als Abgeordneter. Diese Situation veränderte sich dann total, wenn ich tatsächlich meinen Ausweis zeigte. Da wurden dieselben Leute auf einmal völlig untergeben und entschuldigten sich, daß man das natürlich nicht hätte wissen können, daß ich ja nicht unbedingt wie ein Abgeordneter aussähe, solche Situationen gab es häufiger. Ich denke schon, daß die Deutschen sehr autoritätsbezogen sind, und ich war halt als Abgeordneter eine Autorität, und sobald sie wußten, daß ich Abgeordneter war, sind sie stillgestanden. Ob sie sich dann nachher hinter meinem Rücken totgelacht oder sich geärgert haben, daß so ein dunkler Typ Volksvertreter sein kann, weiß ich nicht, kann es mir aber vorstellen.
Im Bundestag gab es einige Abgeordnete, vor allem in der CDU, die es nie akzeptiert haben und es auch nie akzeptieren werden, daß so ein Typ wie ich im Bundestag sitzen kann. Sie betrachten es wahrscheinlich als eine Sünde der Politik –und eine solche Sünde konnten ja nur die Grünen begehen – ernstzunehmende große demokratische Parteien könnten sich so etwas nicht leisten. Das ist auch ihre Beruhigung, daß so etwas normalerweise auch nicht geschehen kann. Ich denke, daß die Deutschen, auch diejenigen, die ausländerfreundlich sind, Schwierigkeiten haben mit der Vorstellung, daß ein Ausländer sie politisch vertritt. Ich denke, daß es hier selbst in linken Kreisen eine Einstellung gibt gegenüber Ausländern, vor allem gegenüber den Südländern und dunkelhäutigen Leuten, das gilt nicht für Amis, Franzosen oder Österreicher, daß sie in der Kultur, für musische Dinge, für Sport sehr ernstzunehmen sind, aber für Bereiche wie Wissenschaft, Politik eigentlich nicht so sind wie wir Deutschen. Und das sitzt – glaube ich – sehr tief. Ich habe im Bundestag eine grundsätzliche Schwierigkeit gespürt, als gleichwertiger Kollege, als Bundestagsabgeordneter, betrachtet zu werden. Wobei ich sagen kann, daß ich exzellente Beziehungen zu einzelnen Abgeordneten gehabt habe, sowohl der CDU als auch der SPD. Ich habe zum Beispiel zu Werner Schreiber von der CDU einen ganz tollen Kontakt, ich bin sehr angetan von diesem Menschen. Aber insgesamt haben sie es mich zum Teil sehr spüren lassen, daß ich nicht dazugehöre.
Das ist das eine, was die deutsche Seite betrifft. In Peru war ich der tolle Sohn des Landes – sie haben mich nie als Deutschen betrachtet, sondern für sie war ich weiterhin Peruaner. Sie waren stolz darauf, sie hatten das Gefühl, daß die Peruaner doch nicht so schlecht sind, daß die Peruaner auch was zu bieten haben, siehe, der Meneses sitzt im deutschen Bundestag. Das hat viel mit dem verletzten Selbstbewußtsein der Peruaner angesichts des scheinbar unaufhaltsamen Niedergangs. In Peru hat sich eine Zeitschrift sogar die Mühe gemacht zu untersuchen, wann ein Lateinamerikaner in Europa zuvor irgendeinen parlamentarischen Posten besetzt hatte, und dann sind sie draufgekommen, daß in „Las Cortes“, der spanischen Ständevertretung zur Kolonialzeit, auch je drei Sitze für Vertreter aus den Vizekönigreichen Peru und Mexico reserviert waren, das waren natürlich alles Spanier, bzw. Kinder von Spaniern. Insofern war ich halt ein Unikum und wurde als etwas Außergewöhnliches betrachtet, respektiert und gefeiert. Ich war als Abgeordneter mehrmals in Lateinamerika. Dadurch daß ich so häufig in Lateinamerika war, wurde mir klar, daß ich nicht Deutscher bin, zeitweise hatte ich gedacht, ich sei ganz Deutscher geworden. Aber wenn ich so die Indígenas, die Campesinos gesehen habe, die kleinen armen Mütter, die Opfer von Folter, von Ausbeutung, die auf mich zugekommen sind und um Hilfe gebeten haben, die Art und Weise, wie sie das gemacht haben, war mir so nah, so familiär, sowas kann ich hier in Deutschland nicht erleben.
Das hat mir gezeigt, ganz emotional, ganz tief in meiner Seele, daß ich zu diesen Menschen gehöre, daß das eigentlichmeine Leute sind, auch wenn ich sicherlich mit denen nicht leben kann, aber die sind vom Gefühl her meine Leute. Es war aber auch ein riesiges Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit. Ich habe mich sogar teilweise geschämt, daß es mir so gut geht. Es war eine Zeit der vielen Tränen, der für mich neuen körperlichen Nähe zu den einfachen Menschen aus Peru, Kolumbien, Chile, El Salvador. Es war ein zutiefst inniges Gefühl der Solidarität, in Liebe zu allen diesen hilfesuchenden Menschen. Diese Gefühle habe ich bei Deutschen nicht empfunden, obwohl meine besten Freunde Deutsche sind. Diese spontanen und tiefsinnigen Empfindungen und Gefühle, die so ganz plötzlich auftauchen, die habe ich nur in Lateinamerika gespürt. Insofern war meine Zeit im Bundestag für mich ganz persönlich, für meine Selbstwerdung und für meine Seele außerordentlich wichtig. Und dafür danke ich auch den Grünen.
German, ich danke Dir für dieses Gespräch.