„Du sagst, ich bin ein Träumer? Du glaubst ja an das Versprechen von Milch und Honig im Himmel – aber ich will meinen Anteil hier und jetzt“, erregt sich Ivanhoe ‚Ivan‘ Martin (Jimmy Cliff) im Gespräch mit seiner Freundin Elsa (Janet Barkley). Er wollte von ihr die letzten zwei Dollar bekommen, die sie in dem Moment haben, geht aber auch so alleine in die Dancehall. Dort möchte er etwas Mundpropaganda für sein erstes Lied machen, das gerade als Single veröffentlicht wurde. Vor diesem Abgang hat Elsa ihn gefragt, ob er wirklich nur 20 Dollar vom Produzenten für das Lied bekommen hat. Und das ganze Geld gleich für Kleidung ausgegeben hat. Ja, so ist es, aber den Vorwurf, deswegen ein Träumer zu sein, will er nicht auf sich sitzen lassen. Bald haben sie bestimmt Geld, bald. So zieht er die zusammengenagelte Tür ihrer fensterlosen Bretterbude hinter sich zu und zieht los, über den staubigen Trampelpfad.
Gedreht ist „The Harder They Come“ in einem Slum von Westkingston, Trenchtown, nahe beim Hafen. Die Elendsviertel sind nicht Kulisse, sondern Handlungsort des Filmes. Die meisten Akteur*innen wohnen und leben dort. Der Film zeigt viel vom Alltag und dem Denken downtown. Auch wenn der Film vor 50 Jahren Premiere hatte und sich das Elend gewandelt hat – von Spaziergängen durch die Elendsviertel von Westkingston, gar mit Kamera, wird Tourist*innen, zumal „weißen“, auch heute abgeraten. Von den Villen der Oberschicht Kingstons, gelegen uptown an den Hügelhängen, wo ein meist angenehm kühlender Wind weht, zeigt sich abends am Pool ein Teppich von kleinen Lichtern aus den ausgedehnten Slums downtown bis ans Meer. Aus der Ferne malerisch. Die meisten, die hier wohnen, belassen es auch bei der Distanz.
Perry Henzell nicht. 1936 geboren und in einer durch Zuckerrohrplantagenwirtschaft reich gewordenen Familie aufgewachsen, ging der jamaikanische Regisseur seinen eigenen Weg und sammelte jahrelang Eindrücke über den Alltag in den Armenvierteln. Gemeinsam mit Trevor D. Rhone schrieb er das Drehbuch für einen Film über einen jungen Mann vom Land, der in die Hauptstadt geht in der Hoffnung, dort ein besseres Leben zu finden. Der Name des Protagonisten geht dabei auf einen bekannten Gangster der 40er-Jahre in Jamaika zurück: Ivanhoe Martin, genannt Rhyging, „der Wilde“ im Kreoljamaikanisch, führte über sechs Wochen hinweg einen One-Man-Guerillakampf gegen Polizei und Oberschicht. Er starb im Kugelhagel einer Übermacht von Polizisten. Bei seiner Beerdigung gaben ihm Tausende das letzte Geleit. Rhyging war der erste Rude-Boy, so der Reggae-Historiker Roger Steffens: ein Role-Model für angehende Outlaws. Interviews mit Steffens und vielen am Film Beteiligten enthält eine zweite DVD, die zusammen mit dem remasterten und optional Englisch oder Deutsch untertitelten Film jetzt bei Arsenal Film erschienen ist.
Perry Henzell, Trevor D. Rhone und andere entwickelten ein Konzept für den Film – Arbeitstitel: „Ivan“ – und organisierten Geldgeber. Das war nicht einfach, bis dahin gab es keine jamaikanische Spielfilmproduktion. Henzell hatte zwar mal bei der BBC in London gearbeitet, verdiente seine Brötchen in Kingston aber mit Werbefilmen. Sein Schwager gab ihm Geld, der Etat der Independent-Produktion war klein. „‚The Harder They Come‘ war der entscheidende Wendepunkt in der Geschichte der jamaikanischen Musik. Der Film brachte weltweit Aufmerksamkeit für die Musik namens Reggae. Und die Slums von Westkingston wurden entdeckt, mit ihrer entrechteten und enteigneten Bevölkerung“, stellt Roger Steffens treffend fest.
Dass der Film handwerklich so gut gelungen ist, liegt an der Aufbruchstimmung Ende der 60er, Anfang der 70er in Jamaika. Vor der Unabhängigkeit 1962 hatte die britische Kolonialmacht dafür gesorgt, dass der marxistische Flügel aus der zeitweilig einzigen großen Partei PNP, Peoples National Party, herausgedrängt worden war und ihre Gewerkschaften isoliert wurden. Bei der Gründung der konservativen JLP, Jamaican Labour Party, wirkte die Kolonialmacht auch unterstützend mit. Bis 1968 hatte alles seine Ordnung, die JLP regierte und die arme, „schwarze“ Bevölkerungsmehrheit schien sich damit abgefunden zu haben, weiterhin von der institutionellen Politik ausgeschlossen zu sein. Aber als die Regierung der JLP den am Hauptsitz der University Of The West Indies in Mona lehrenden, populären marxistischen Dozenten Walter Rodney nach Guayana abschob, dessen Staatsbürger er formal war, brachen nicht nur an der University Of The West Indies, sondern auch in Westkingston Unruhen aus. Es gab militante Demonstrationen, marxistische und Black-Power-Gruppen schlossen sich zusammen. Die „Rodney-Affäre“ änderte das politische Klima auf der Insel. Die PNP öffnete sich wieder für Linke und gewann 1972 die Wahlen mit der Parole „Power to the people“ und einem Wahlkampf, der sich explizit an die „schwarze“ Bevölkerungsmehrheit richtete, diese zur Partizipation ermutigte – bis hin zur Aufnahme von Codewörtern der Rastafarian-Bewegung in die Politikerreden.
Perry Henzell war mit Michael Manley befreundet, dem Spitzenkandidaten und bis 1980 Ministerpräsidenten der PNP. Manley unterstützte den Film und trug mit Slogans wie „Sozialismus ist Liebe“ dazu bei, dass plötzlich Vieles möglich schien. Manley sorgte auch dafür, dass „The Harder They Come“ im größten Kino Kingstons, dem Carib-Theatre, seine Welturaufführung haben konnte.
Während die PNP um die „schwarze“ Arbeiterklasse warb, kam der Dreh des Filmes in Gang. Henzell setzte auf ein gemeinschaftliches kreatives Arbeiten: Die Kameramänner waren für die Bildauswahl weitgehend eigenverantwortlich, und wer vor der Kamera stand, konnte die Texte aufgrund seiner eigenen Erfahrungen variieren und abändern. Die Dialoge im kreolischen Jamaikanisch waren ein Tabubruch, eine Absage an die Dominanz des Hochenglisch der „weißen“ Plantagenbesitzer*innen. Und sie waren lebensnah am Alltag der Prekären, der Ausgegrenzten. Dafür sorgten auch in den Nebenrollen viele Laiendarsteller*innen aus den Slums, die das harte Leben kannten. Zwei von ihnen starben während der Aufnahmen eines gewaltsamen Todes. „Es war der erste karibische Film, der die Leute so zeigte, wie sie wirklich lebten und dachten“, so Arthur Gorson, Produzent des Filmes: „Nicht so wie die James-Bond-Filme, wo Jamaika wegen der schönen Strände als Kulisse genommen wurde. Er zeigt die raue Seite der jamaikanischen Wirklichkeit.“
Auf Jimmy Cliff als Hauptdarsteller war Perry Henzell durch eine Single aufmerksam geworden, wie er in einem Interview über die Entstehung des Filmes erzählt: „Vorne auf dem Cover blickte er wie ein rebellischer Abenteurer direkt in die Kamera, auf der Rückseite sah er in einer Profilaufnahme wie ein Leidender aus. Diese Ausdrucksvielfalt hat mich überzeugt“. Ein Glücksgriff, denn Jimmy Cliff, der in Jamaika schon ein paar Platten aufgenommen hatte, konnte nicht nur überzeugend spielen. Er hatte die Geschichte von Ivan zum Teil auch selbst erlebt, war vom Land in die Stadt gekommen und musste mühsam darum kämpfen, ein anerkannter Reggae-Sänger zu werden. Reggae hatte sich erst in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre aus dem Ska, dem Mento, dem Calypso und dem Trommelrhythmus der Rastafarians entwickelt. Der Sound des jamaikanischen 68 hatte sich vor dem Film noch keinen Platz im internationalen Musikmarkt verschaffen können. Der Soundtrack des Filmes besteht fast zur Hälfte aus Titeln von Jimmy Cliff und anderen, ebenso rhythmisch eingängigen wie melodisch und textlich zur Geschichte passenden Hits aus der ersten Aufbruchszeit der Reggae-Sänger – eine Sängerin ist nicht dabei.
Mit „You can get it if you really want“ von Jimmy Cliff geht es los. Dem Lied, wie gemacht für Jugendliche vom Land, die am Transistorradio hängen, das sich Ende der 60er-Jahre in Jamaika rasant verbreitet, und die vom besseren Leben in der Großstadt träumen.
Ein beladener Überlandbus kurvt durch die sattgrünen Berge runter nach Kingston. So beginnt der Film. Kaum ausgestiegen am quirligen Busbahnhof, wird Ivan von einem mobilen Straßenverkäufer, der Takeaway Food anbietet, als Landei tituliert – und ausgenommen. Als Ivan ihn nach dem Weg fragt, verlangt der erst für die Auskunft 50 Cent und klaut ihm anschließend mit einem Trick das Gepäck. An einer Straßenecke fragt Ivan vier Männer, die beim Dominospiel sitzen, nach dem Haus, wo er hinwill. Domino wird im Film auf die typische jamaikanische Art gespielt – um Geld als Einsatz, die großen Steine werden auf den Tisch geknallt. Obwohl im ersten Teil des Filmes vieles gezeigt wird, was auch in touristischen Erzählungen als typisch jamaikanisch gepriesen wird, kippt der Film nie ins Pittoreske. Sobald die Landschaft eine Szene lang malerisch ist, folgt mit Sicherheit unmittelbar ein neuer Tiefschlag für Ivan.
Wie er sich in die Kirche schleichen muss, um heimlich die Melodie für sein Lied „The Harder They Come“ zu entwickeln, mit einem E-Gitarristen und leise gestelltem Verstärker, dort vom Pastor rausgeschmissen wird, um endlich am nächsten Tag im Studio dem alles entscheidenden Produzenten Hilton (Bob Charlton) mit Begleitband vorzusingen, ist eine Sequenz, die nicht nur für Reggae-Fans ein Höhepunkt des Filmes ist. Sofort nach der Aufnahme zückt Hilton einen Standardvertrag: Ivan soll ihm alle Rechte an dem Lied und dessen Verwertung übertragen, dafür würde er ihm 20 jamaikanische Dollar zahlen. Ivan, noch außer Atem vom Singen, wendet zaghaft ein, sein Lied sei doch mehr wert. Er lehnt ab und versucht seine Single selbst in Plattenläden und ins Radio zu bringen. Aber die Absagen haben immer den gleichen Grund: Wir arbeiten mit Hilton zusammen und können keine Deals an ihm vorbei tätigen.
Ivan braucht Geld, willigt schließlich ein. Aber die 20 Dollar reichen nicht lange. José (Carl Bradshaw), der ein paar Bretterbuden neben Ivan wohnt, spricht ihn an: Ob er mit viel Geld umgehen könne. Prompt ist Ivan mitverantwortlich für die Distribution von Ganja in einem Gebiet. Bald kommt er aber dahinter, dass die Händler immer einen Teil ihrer Einnahmen an José abgeben müssen. Er erfährt nicht, dass das Schutzgeld letztendlich bei einem hohen Polizeioffizier landet. Als er sich weigert, zu zahlen, will Detective Ray Jones (Winston Stona) ihn nach Absprache mit José verhaften lassen. Ivan wehrt sich, erschießt drei Polizisten, als diese ihn aus dem Bett heraus festsetzen wollen. Eine lange Verfolgungsjagd beginnt. Ivan geht zu einem Fotografen, lässt sich cool mit seiner Ballonmütze, Schlaghosen und zwei gezückten Pistolen aufnehmen. Du siehst aus wie „Johnny too bad“, sagt einer: „Walking down the road / With your pistol in your waist / Johnny you‘re too bad“, erklingt das gleichnamige coole Lied der Slickers dazu.
Noch vor der Verfolgung durch die Polizei ist Ivan mit Elsa im Kino, wo ein Italowestern aus der Djangoreihe läuft. Das Publikum ist begeistert, Ivan ist zu sehen, schemenhaft, lachend, er geht mit der Handlung mit. Als Ivan später von Soldaten verfolgt wird, gehen ihm die Bilder von Django durch den Kopf, werden hineinmontiert in die Handlung.
The Clash sangen auf „London Calling“ in ihrem Skastück „The Guns of Brixton“ über Riots in London, Aufruhr und Widerstand gegen die Polizei. Dabei beziehen sie sich auf Ivan aus dem Film: „You see he feels like Ivan / Born under the Brixton sun / His game is called survivin‘ / At the end of The Harder They Come.“ Im Londoner Stadtteil Brixton leben viele Migrant*innen aus Jamaica. Als Perry Henzell mit seinem Film 1973 nach Europa kam, auf der Suche nach Vorführmöglichkeiten, brachte er den Film zuerst in einem Kino in Brixton unter. Bereits am dritten Abend war das Kino voller Zuschauer*innen, die das kreolische Jamaikanisch ebenso gut verstanden wie das Aufbegehren von Ivan. Später lief der Film auch woanders viele Male, etwa in einem alternativen Kino in Boston, USA, über acht Jahre hindurch. Schließlich zeigt der Film nicht nur die harte soziale Realität in den Townships Kingstons, sondern auch Solidarität. Da ist der Rastafari Pedro (Ras Daniel Hartman), der Ivan aufmuntert und ihm beim Untertauchen hilft. Er vermittelt Ivan den Kontakt zu einem cubanischen Matrosen. Das Handelsschiff aus Cuba im Hafen von Kingston, für Ivan eine Möglichkeit, rauszukommen. Eine kleine Hommage an die Revolution auf der benachbarten Karibikinsel.
Der Soundtrack von „The Harder They Come“ ist eine der meistverkauften Reggaeplatten weltweit. Jimmy Cliff komponierte den Titelsong eigens für den Film. Als Perry Henzell ihn das erste Mal hörte, war ihm klar, dass der Film nicht Ivan heißen würde. Das Lied könnte auch für die Revolten der Zukunft geschrieben sein: „So as sure as the sun will shine / I‘m gonna get my share now what is mine / And then the harder they come / The harder they fall / One and all“.
The Harder They Come, 88 Min., Jamaika 1972/Remastered 2010, Englisch / Jamaikanisch mit deutschen Untertiteln. Regie: Perry Henzell. Kamera: Peter Jessop, David McDonald, Franklyn St. Juste. Mit: Jimmy Cliff, Carl Bradshaw, Basil Keane, Janet Bartley, Winston Stona, Bobby Charlton. Musik: Jimmy Cliff, Desmond Dekker,Toots & the Maytals, The Melodians. • Auf DVD 2010 bei Arsenal erschienen, gebraucht erhältlich. Plus zweite DVD mit Bonusmaterial: Making Of /Doku: The Phenomenon of THTC / Interviews mit Regisseur und Darstellern