Mexiko ist Mitglied verschiedener internationaler Foren, die über das internationale Klimaregime beraten: Neben der Vertragsstaatenkonferenz (UNCCC) sind das die G 20 und das MEF (Major Economies Forum).[fn]Forum der größten Wirtschaftsmächte der Welt, auf Initiative Obamas Anfang 2009 ins Leben gerufen; neben den üblichen Verdächtigen beteiligen sich China, Indien, Indonesien, Südkorea, Südafrika, Brasilien und Mexiko.[/fn] Eine gewisse Meinungsführerschaft hat das Land aber vor allem innerhalb der UN erlangt, und zwar beim Thema Finanzen, wo es seinen Vorschlag eines „Grünen Fonds“ vorantreibt. Der „Grüne Fonds“ soll „transparent und demokratisch“ gestaltet werden und einfachen Zugang zu finanziellen Ressourcen gewährleisten. Prinzipiell soll jedes Land beitragspflichtig sein, aber auch Zugang zu Mitteln erhalten. Die Höhe der Beiträge soll sich nach der Verantwortung für den Klimawandel und der ökonomischen Stärke eines Landes richten, so dass die armen Länder nicht oder kaum zur Kasse gebeten werden. Zweifelsohne sehr attraktive Prinzipien im Kontext der undurchsichtigen und ungleichen Klimaverhandlungen. Deshalb ist es auch gelungen, für den „Grünen Fonds“ breite Unterstützung zu gewinnen und dieses Projekt als Hauptvorschlag zu etablieren. Gemeinsam mit England, Australien und Norwegen hat sich Mexiko außerdem für eine Finanzarchitektur im Klimaregime ausgesprochen, die auf drei Pfeilern steht: internationaler Emissionshandel, zusätzliche öffentliche Mittel und die Beibehaltung bereits bestehender Finanzierungsmechanismen. Der „Grüne Fonds“ integriert die beiden ersten Optionen.
In anderen wichtigen Verhandlungsthemen – wie zum Beispiel der juristischen Form des Klimaabkommens – hat sich Mexiko sehr ambivalent positioniert. So haben sich offizielle Vertreter des Landes vor der COP 15 in Dänemark für eine zweite Phase des Kyoto-Protokolls und damit für ein völkerrechtlich verbindliches Vertragswerk ausgesprochen. Diese Position wurde während der Verhandlungen selbst jedoch nicht offensiv vertreten, Mexiko hat sogar im Gegenteil durch Schweigen den Vorschlag der Europäischen Union gestärkt, der ein völkerrechtlich nicht verbindliches neues Vertragswerk vorsieht, das das Kyoto-Protokoll ersetzen soll. Eine solche Haltung steht im krassen Gegensatz zu der mexikanischen Selbstbeschreibung, Brücke zwischen den verschiedenen Positionen zu sein. Als Ziel der nächsten COP 16 in Cancún hat Präsident Calderón bereits angekündigt, so zu vermitteln, dass ein internationales Abkommen unterzeichnet werden kann, das ambitioniert und völkerrechtlich verbindlich ist. Dafür bringt das Land in der eigenen Wahrnehmung beste Voraussetzungen mit: Als Schwellenland mit einer hohen Armutsrate (Mexiko steht als Wirtschaftsmacht weltweit an 15. Stelle, knapp 60 Prozent der EinwohnerInnen gelten als arm) sieht es sich dabei als hervorragend geeignet, um als Brückenland zwischen reichen und armen Ländern zu fungieren.
In der gleichen Logik präsentierte Präsident Calderón medienwirksam als erstes „Non-Annex-1-Land“[fn]„Annex-1-Länder“ sind Industrieländer, die laut Kyoto-Protokoll zur Reduktion der Treibhausgase verpflichtet sind, „Non-Annex-1-Länder“ sind Länder des globalen Südens.[/fn] auf der Klimakonferenz die 4. Nationale Kommunikation, ein im Kyoto-Protokoll vereinbarter Berichtsmechanismus zu Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels, und kündigte gleichzeitig die bereits erwähnte Emissionsreduzierung um 30 Prozent bis zum Jahr 2020 an. Dies diente als Botschaft ans eigene Land sowie ans Ausland. Klimapolitik ist neben dem Sicherheitsthema eines der beiden wichtigen außenpolitischen Themen der Regierung Calderón. Der eigenen Bevölkerung wollte man damit in Anbetracht der schwierigen innenpolitischen Situation zeigen, wie gut und anerkannt Mexiko im internationalen Kontext agiert. Gegenüber dem Ausland wollte man mit gutem Beispiel vorangehen und mit eigenen Reduktionsverpflichtungen als Schwellenland Bewegung in die festgefahrenen Positionen bringen. Ein kleiner Schatten fällt allerdings auf diesen Glanz, solange nicht geklärt ist, wie viele Reduktionen aus eigener Kraft und wie viele nur mit finanzieller Hilfe aus dem Norden wirklich realisiert werden.
Innenpolitisch fehlen bislang konkrete politische Entscheidungen und Maßnahmen, um diese angekündigten Emissionsreduzierungen auch wirklich umzusetzen. Das Spezialprogramm für den Klimawandel (PECC), das politische Hauptinstrument Mexikos, wurde Anfang 2009 ins Leben gerufen und skizziert die notwendigen Reformen und Politikfelder, etwa im produktiven Sektor, in den Bereichen mit sehr hohem Emissionsausstoß, wie dem Energie- (Erdöl, Strom) und dem Transportsektor, die zusammen 70 Prozent der CO2-Emissionen ausmachen, oder der Bodennutzung (Landnutzung), die mit etwas mehr als 20 Prozent zu den Emissionen beiträgt.
Was aussteht, sind Schritte zur konkreten Umsetzung. Es wurden noch keine Instrumente entwickelt (Normen, Gesetze, Programme etc.), um die drei wesentlichen Faktoren zu begrenzen, die den Reduktionsanstrengungen entgegenstehen: Erstens hängt der Energiesektor in hohem Maße von fossilen Rohstoffen ab, während mit Ausnahme der großen Wasserkraftwerke der Bereich der erneuerbaren Energien zu wenig unterstützt wird. Außerdem werden fossile Energien insbesondere für bestimmte Nutzergruppen (Verkehr und energieintensive Industrie) stark subventioniert und damit die Verschwendung unterstützt. Gleichzeitig gibt es nur sehr wenige Energiesparprogramme mit begrenzter Reichweite (im Wesentlichen die Nutzung von Energiesparlampen und von energiesparenden Kühlschränken).
Des Weiteren ist die Waldpolitik nicht darauf ausgerichtet, die ungebremste Abholzung zu verhindern, sondern konzentriert sich auf unkoordinierte Aufforstung, die darüber hinaus noch intransparent in Bezug auf Ressourcen und Nachhaltigkeit ist. Allein im Forstsektor könnten die CO2-Emissionen um 20 Prozent gesenkt werden, wenn die bestehenden Wälder erhalten und die Abholzung auf Null reduziert würde.
Schließlich begünstigen die vorgeschlagenen Reformen nicht den Wechsel zu einem CO2-armen Wirtschaftsmodell, was nicht nur aus Gründen der Emissionsreduktion sinnvoll wäre, sondern auch notwendig, um die bevorstehende Energiekrise aufgrund der schnell schwindenden Erdölvorräte zu verhindern.
Allein durch eine entsprechende Wald- und Energiepolitik könnte Mexiko also den Ausstoß von Treibhausgasen kurzfristig um 40 Prozent reduzieren; mittelfristig könnte dieser Anteil sogar durch eine Klima- und Energiepolitik verdoppelt werden, die ein anderes Konsum- und Energiemodell befördert.
Die andere wichtige Komponente innerhalb des Spezialprogramms ist die Anpassung an den Klimawandel, dem die Regierung allerdings sehr viel weniger Gewicht beimisst. Grund hierfür ist vermutlich die Tatsache, dass sich in absehbarer Zeit mit internationalem Emissionshandel – insbesondere mit den USA und Kanada – sehr viel mehr Mittel mobilisieren lassen als mit internationalen Hilfen für Adaptationsmaßnahmen. Treibende Kraft ist hier das Wirtschaftsministerium, das bereits konkrete Planungen in der Schublade hat.
Obwohl die erwarteten Auswirkungen des Klimawandels sehr beunruhigend sind und Anpassungsmaßnahmen deshalb möglichst bald und ausreichend eingeleitet werden müssten, ist das Spezialprogramm auch in diesem Bereich nicht mit konkreten Politiken und Maßnahmen unterlegt. Nach wissenschaftlichen Berechnungen muss bereits bei einem Temperaturanstieg von nur ein bis zwei Grad Celsius bis zum Jahr 2050 mit erheblichem Verlust der Biodiversität gerechnet werden. Das Verschwinden von Säugetierarten wird um sechs bis acht Prozent zunehmen, die Anzahl der Vogelarten wird um fünf bis acht Prozent und die der Schmetterlingsarten um sieben bis 19 Prozent abnehmen. Die tropischen Wälder im Zentrum und im Süden Mexikos werden verschwinden und die Gebiete versteppen, während die semiaride Vegetation in der Mitte und im Norden des Landes durch aride Fauna und Flora ersetzt wird. Bei einem Temperaturanstieg von zwei bis drei Grad Celsius wird die Anbaufläche für Mais bis zum Jahr 2020 um knapp sechs Prozent zurückgehen, ab 2030 wird die Verfügbarkeit von Süßwasser jährlich um zehn Prozent abnehmen, beides entscheidende Faktoren für die Entwicklung des Landes.
Hinzu kommen die bereits bestehenden Umweltprobleme. Viele strukturelle Probleme in Mexiko sind auf den nicht nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zurückzuführen und ziehen gravierende soziale Konsequenzen nach sich. Auf diese Weise verliert das Land jährlich etwa zehn Prozent des BIP. Als wichtigstes Problem ist vielleicht der Umgang mit den Wasserressourcen zu nennen: 63 Prozent des Nutzwassers stammen aus Oberflächenwasser, die restlichen 37 Prozent sind Grundwasser. Es gibt keine nachhaltige Politik, die die Wasservorkommen vor Überausbeutung und Verschmutzung schützt. Nur 30 Prozent des Abwassers wird geklärt, mit der Folge, dass schätzungsweise 52 bis 73 Prozent des Oberflächenwassers stark kontaminiert, 39 Prozent leicht kontaminiert und nur neun Prozent in akzeptabler Qualität ist. Die Mangrovenwälder sind in den letzten Jahren um 65 Prozent zurückgegangen, was nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten dramatisch ist, sondern auch in sozialer Hinsicht, denn 70 Prozent der Fischerei hängen von diesem Ökosystem ab.
Nur wenige zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich bislang systematisch mit dem Klimawandel beschäftigt. Allerdings ist davon auszugehen, dass in Vorbereitung auf die COP 16 in Mexiko die Anzahl der Akteure deutlich zunehmen wird. Die Herausforderung, vor der sie stehen, liegt nicht nur im komplexen Organisations- und Koordinierungsprozess; wichtig wird auch sein, die Konjunktur für sich zu nutzen und das Thema auch in den Organisationen zu etablieren, die traditionell nicht zum Klimathema arbeiten.
Die wenigen (vor allem Umwelt-)Organisationen, die schon länger, d.h. seit etwa zwei bis drei Jahren, zum Klimathema arbeiten, haben ihre Arbeit auf drei Ebenen konzentriert: Erstens, Lobbyarbeit bei der mexikanischen Regierung, um Kommunikations- und Informationskanäle zu öffnen mit dem Ziel – zweitens – Druck auszuüben für eine starke Klimapolitik. Da die so geschaffenen Kanäle und Mechanismen aber noch relativ jung und labil sind, konzentrieren sie sich drittens darauf, das Thema in die breite Öffentlichkeit zu bringen und so weitere Akteure im Klimathema zu mobilisieren, bislang allerdings noch mit begrenztem Erfolg. Die COP wird hier sicherlich eine positive Rolle spielen.
Doch es zeichnet sich schon ab, aus welchen Bereichen künftig Unterstützung für das Klimathema zu erwarten ist. Zu den ersten Nicht-Umweltorganisationen, die es aufgegriffen haben, gehören Bauernorganisationen. Nachdem in Mexiko als Folge des Booms von Agrotreibstoffen die Maispreise in die Höhe geschnellt waren, haben sie sich aktiv in die Debatte eingeklinkt und auf den möglichen Konflikt zwischen Agrotreibstoffen und Nahrungsmittelsouveränität hingewiesen. Sie waren maßgeblich daran beteiligt, dass die Ethanolproduktion auf Grundlage von Mais in Mexiko reguliert und begrenzt ist. Inzwischen fordern sie von der mexikanischen Regierung, in Anbetracht des Klimawandels die Landwirtschaftspolitik zu ändern, die nationale (kleinbäuerliche) Landwirtschaft wieder zu fördern und stärker auf Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln statt auf Nahrungsmittelimporte zu setzen.
Ein weiterer Bereich sind die Organisationen und Bewegungen, die zum Wasserthema arbeiten. Sie haben erkannt, dass sich in Mexiko als semiaridem Land die Wasserprobleme mit dem Klimawandel weiter verschärfen werden und deshalb der Kampf um das Menschenrecht auf Wasser erweitert werden muss.
Auch die Gruppen und Gemeinden, die für den Erhalt der Wälder streiten – bislang vor allem unter der Perspektive der gemeinschaftlichen Kontrolle und Bewirtschaftung – , beziehen das Klimathema zunehmend in ihre Arbeit ein. Sie sind es, die Druck auf die schwache mexikanische Forstpolitik ausüben, um den Erhalt der Wälder (unter gemeinschaftlicher Kontrolle) als Mitigations- und Adaptationsmaßnahme zu begreifen. Und sie haben die mexikanische Regierung auch dazu gebracht, im Rahmen der Klimaverhandlungen REDD Plus[fn]REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) ist ein Abkommen, das zum Schutz der tropischen Regenwälder finanzielle Anreize für Entwicklungsländer schafft, um die Abholzung des Regenwaldes und somit Treibhausgasemissionen zu reduzieren.[/fn] zu unterstützen.
In zunehmendem Maße greifen auch andere zivilgesellschaftliche Akteure das Thema auf, wie z.B. Frauen- und indigene Organisationen (einige von ihnen haben die Erklärung von Anchorage[fn]Ende April 2009 trafen sich in Anchorage, Alaska, knapp 400 VertreterInnen indigener Völker, um ihren Standpunkt zum Klimawandel und zu den derzeit diskutierten Maßnahmen zu erörtern.[/fn] unterzeichnet), Gruppen, die zu Freihandelsabkommen arbeiten, sowie Hochschulen und Wissenschaft. Nicht vergessen werden sollten schließlich die Teile der Unternehmerschaft, die sich von einer aktiven Klimapolitik günstige Produktionsbedingungen versprechen. Dazu gehören die (häufig, aber nicht ausschließlich kleinen) Unternehmen, die auf erneuerbare Energien setzen. Etliche von ihnen haben sich in einer Plattform zusammengeschlossen, mit der sie versuchen, nationale Gesetzgebung zu beeinflussen. In dem Maße, in dem dieser Bereich wirtschaftlich interessant wird, steigen aber auch große Unternehmen in diesen Markt ein – nicht immer mit sozialverträglichen Auswirkungen, wie die beiden spanischen Windenergieriesen Iberdrola und Gamesa in Mexiko zeigen. So gibt es in Juchitán/Oaxaca z.B. inzwischen heftige Proteste der indigenen Gemeinden gegen die Windanlagen. Die Betreiberfirma Iberdrola wird beschuldigt, mit den BewohnerInnen viel zu niedrige Pachtverträge für den Grund und Boden abgeschlossen zu haben, auf denen die Windräder stehen. Zum Teil kamen diese Verträge nur durch Korruption und/oder massiven Druck zustande und wurden auch nur auf Spanisch ausgestellt – eine Sprache, die viele indigene BewohnerInnen nicht verstehen.
Die COP 16, die vom 29. November bis zum 10. Dezember 2010 in Cancún stattfinden wird, bedeutet eine Herausforderung sowohl für die mexikanische Regierung als auch für die Zivilgesellschaft. Letzterer muss es gelingen, trotz aller inhaltlichen und ideologischen Vielfalt eine kraftvolle Bewegung zustande zu bringen, die nicht nur bis zum Ende des Klimagipfels hält, sondern auch darüber hinaus die Umsetzung der politischen Beschlüsse einfordert und überwacht. Präsident Calderón und die mexikanische Regierung müssen zeigen, ob sie die internationale Führungskraft aufbringen, die sie versprechen.