Im gewohnten sprachlichen Stakkato sprintet Georg Seeßlen durch sein Thema, entfaltet die beiden großen Erzählungen des ökonomisch-politischen Diskurses und des Entertainments und den Mythos des Volkshelden, um sie anschließend als erklärende Kategorien zu benutzen. Das klingt komplizierter, als es ist, und Seeßlen kann überzeugend darlegen, wie Trump die drei grundlegenden Modelle aller Volksheldenlegenden bedient, nämlich das des „Aufstand(s) des ‚einfachen Volkes‘ mit seinem ‚natürlichen‘ Empfinden von Gerechtigkeit und Solidarität gegen eine ‚Elite‘, die sich immer weiter von ‚unseren‘ Interessen und Empfindungen entfernt“, das des „Aufstand(s) des ländlichen, konservativen ‚religiösen‘ Landes gegen die urbanen, progressistischen, ‚sündigen‘ Zentren“ und das des „Aufstand(s) der alten Werte, der alten Legitimationen, der alten Sitten gegen einen Fortschritt, der sie abkoppelt“. (S. 20ff)
Es ist keineswegs zwingend, Trump mit dieser Brille zu betrachten, aber es lässt manches verständlich werden. Seine immer wieder behauptete Widersprüchlichkeit und die Inkonsistenz seines Programms etwa erscheinen nicht mehr erstaunlich, wenn man den US-Volkshelden schlechthin, den Westernhelden, bemüht: „Wenn die Macht des Establishments zu groß wird, muss der Westerner sie brechen, so einfach ist das, und wenn das Volk zu wenig Ordnung hält, muss der Westerner sie ihm beibringen. Er ist mal Volk und mal Establishment, das ist sein Trick, er kämpft heute gegen korrupte Banker und Waffenhändler und im nächsten Film gegen Banditen, die gern etwas von deren Reichtum abhaben wollen, heute Sheriff und morgen Outlaw – und doch immer derselbe. Der Volksheld als Urbild des Populismus ist kein Revolutionär, kein Demokrat und kein Staatsagent, aber er hat ein wenig von allem.“ (S. 25f)
Andere, nicht nur amerikanische Mythen werden angesprochen, der Selfmademan, der Macho und Sugardaddy, der Antiintellektuelle, der „einer wissenden Elite misstraut“ und deshalb „folgerichtig dem Wissen selbst misstrauen“ muss (S. 52). Und so landen wir schließlich bei den Simpsons, bei denen Donald Trump schon im Jahr 2000 Präsident geworden war, in der Folge „A Recipe for Desaster“: „Es hätte, bei der Verbreitung der Simpsons in der Welt, allen Grund gegeben, gewarnt zu sein. Aber noch lebte man ja in einer Kultur, in der man allen Ernstes einer soziologischen Untersuchung mehr Wahrheitsgehalt zutraute als einer Simpsons-Folge. Das immerhin wird sich nun wohl ändern.“ (S. 64)
Das ist alles unterhaltsam geschrieben und wird immer wieder in Sätzen zusammengefasst, die die Analyse zu einem Bekenntnis gerinnen lassen: „In jedem Volkshelden steckt ein kleiner Diktator, und die populistische Bewegung läuft noch stets auf den Beginn einer terroristischen Bewegung hinaus.“ (S. 73) Selbst diejenigen, die Politik sehr genau beobachten, erfahren noch Neues, zum Beispiel über die Bedeutung von Körperteilen, die Dreiecke formen und nicht nur bei Angela Merkel, sondern auch bei Erdogan und eben Trump vorkommen. Eine Vielzahl von Bildern illustriert dies: „Die Inszenierung der Bilder, der Familienporträts und der öffentlichen Auftritte, die Vertrashung der Kultur und die Nobilitierung des Trash nehmen medial jenes Bündnis vorweg, vor dem Hannah Arendt gewarnt hat: die Verbindung der ökonomisch-politischen Elite mit dem ‚Straßen‘-Mob.“ (S. 101)
Diese Aussage markiert den Übergang zur ebenso erschreckenden wie unabweisbaren Schlusssequenz des Büchleins. Seeßlen erkennt eine Zwickmühle. „Ist das ‚Volk‘ … so unwissend, dumm und leichtgläubig, dass es sich von den Propagandamaschinen der Eliten einwickeln lässt, so ist es schwer, es als Subjekt von Aufklärung und Umformung zu rekonstruieren; nimmt man es aber von vorneherein ernst, so kommt man nicht umhin, dem Volk eine Mitschuld an allen Ereignissen, einschließlich der von staatlicher und ökonomischer Seite begangenen Verbrechen, zuzuschreiben. Das Volk aber wird konstruiert und konstruiert sich selbst genau zu diesem Zwecke, nämlich zur Abwehr allgemeiner und konkreter Schuldzuweisungen. Man muss keine Pegida-Demonstrationen und keine AfD-Veranstaltungen besuchen, um zu erkennen: Da sind Menschen, die sich als Volk definieren, zu Untaten bereit, zu denen sie als Einzelne und in individueller moralischer Souveränität mehrheitlich wohl nicht in der Lage wären.“ (S. 17f)
Wir sind jetzt selbstverständlich nicht mehr nur in den USA und bei Trump, sondern längst in Europa und bei seiner aktuellen Rechtsentwicklung. „Denn wer sich als Volk versteht, kann dies nur in Bezug auf zwei Gegenpole tun, nämlich in Bezug auf die anderen ‚Völker‘ (also die Fremden, die nicht zu uns gehören) oder auf die Herrschaftsverhältnisse und Regierungsformen. Gibt es keine Herrschaft, dann gibt es auch kein Volk; gibt es universale Menschenrechte, dann gibt es kein Volk, jedenfalls nicht als politisches Subjekt … Wenn das Volk in Beziehung auf diese beiden Gegenpole begriffen wird, dann liegt der Widerspruch genau hier: Menschen die unbedingt Volk sein wollen, können nicht gleichzeitig wirkliche Demokratie wollen, die per se einerseits keine ‚anderen‘ kennt, sondern nur ein universales Menschenrecht, und die andererseits Herrschaft als institutionalisierte Macht ablehnt. Anders, und fundamental gesprochen: Wer die Demokratie im Namen des Volkes zu verteidigen meint, hat sie schon aufgegeben. (‚Wir sind das Volk!‘ hieß die Parole, die zuerst die Demokratie einforderte und dann ihre Abschaffung.)“ (S. 130) „Vielleicht tut die Linke gut daran, dem Thatcher-Dogma des Neoliberalismus, nach dem es keine Gesellschaft gibt, ein eigenes entgegenzusetzen: There is no such thing as ‚Volk‘.“ Wenn das dabei herauskäme, dann wäre Trump in der Tat für etwas gut gewesen!