Wenige Tage vor Vollendung seines 70. Lebensjahres starb Siegfried Pater, der die Entstehungsgeschichte der ila und ihre frühen Jahre wesentlich mit geprägt hat. Als 22- jähriger Vermessungstechniker wollte er nicht zur Bundeswehr und ging stattdessen 1967 für zwei Jahre als Entwicklungshelfer nach Brasilien. Seither wusste er, dass „Entwicklung“, ob als Hilfe getarnt oder als Imperativ formuliert, in doppelter Weise den Entwicklern nutzt und in keiner Weise irgendwem sonst. „Entwicklung“ sah er als ein zutiefst eurozentrisches Projekt, das „die da unten“, unten im Süden und unten in der gesellschaftlichen Ansehensskala, machen sollte wie „uns“ – wenn die ProtagonistInnen es gut meinten. Meinten sie es nicht so gut, geht und ging es bei der „Entwicklung“ immer um die „Entwicklung der Unterentwicklung“, also um die Sicherung umfassender Profite für das Kapital. Diese Einsicht und Überzeugung ist der ila bis heute geblieben.

Siegfried und ich waren schon gemeinsam in der „Aktion CLAT“ gewesen. Das war Anfang der 70er-Jahre eine kleine Gruppe, die sich solidarisch auf den (christdemokratischen) lateinamerikanischen Gewerkschaftsdachverband CLAT bezog. Einige von dessen damals dissidenten nationalen Sektionen und AktivistInnen spielten später bei dem Aufbau fortschrittlicher Organisationen in Süd- und vor allem Mittelamerika eine bedeutende Rolle. Wir konnten deren politische Situation gut begreifen, weil wir selbst längst das Gefühl hatten, nicht mehr in unser jeweiliges politisches Umfeld zu passen. Siegfried suchte und fand Auswege, zuerst das „Deutsche Unterstützungskomitee für das Russelltribunal gegen die Unterdrückung in Chile und Lateinamerika“, dann, daraus entstehend, die Informationsstelle Lateinamerika. Kurz nach deren Gründung baute er den „Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen“, Buko, heute Bundeskoordination Internationalismus, mit auf. Die Treue zum Anliegen verlangt eben manchmal den Wechsel der Form und des Ortes.

Siegfried hat wesentliche Kampagnen in der ila mit angestoßen und gestaltet, als bekannteste vielleicht die zum Sobradinho-Staudamm im Nordosten Brasiliens, und lange unser Gesicht geprägt. Trotzdem hat er die ila irgendwann verlassen. Da gab es keinen unlösbaren Konflikt und auch keine Divergenz in der politischen Einschätzung der Welt. Die ila konzentrierte sich sehr stark auf die Solidaritätsbewegung. Wir wandten uns an engagierte Gruppen und Menschen, die mit Lateinamerika verbunden waren. Siegfried fand das wichtig und richtig, aber ihm war es ein noch stärkeres Anliegen, die zu erreichen, die noch nicht überzeugt waren. Um konservative Türen zu öffnen, war er zu manchem Kompromiss bereit.

Dabei wird die Annahme, dass Menschen lernen und neue Sichtweisen gewinnen können, oft auf harte Proben gestellt. Dennoch hat sich Siegfrieds Zuversicht durchaus ausgezahlt. Als er schon einmal nach Aussage der Ärzte dem (Krebs)Tod ins Auge schaute, lehnte er deren Behandlungsvorschläge ab und verließ sich auf seine eigene Wahrnehmung und ging einen selbstbestimmten Weg. Fast sein halbes Leben lebte er noch nach dem Zeitpunkt, für den sein Tod prognostiziert worden war. Unendlich viel hat er geschafft und erreicht in dieser Zeit. Es gibt keinen Grund, an die Aussichtslosigkeit von Situationen und schlechte Prognosen zu glauben.