Apocalypse now

„Am Anfang waren Wolken und Wasser.“ Zitate aus dem Popol Vuh, der Bibel der Maya, unterlegen die ersten Bilder des Films. Carlos Chan K’in Chanuk gleitet in seinem für die Lakandonen typischen weißen Gewand in einem Kanu über das Wasser. Er erklärt, wie in der Kosmovision der Maya das nahende Ende unserer Zeit beschrieben wird: „Die Flüsse werden ihre Farbe ändern, ebenso das Meer.“ Die Tzotzil-Maya Josefa „Chepita“ Hernández Pérez ergänzt: „Die nächste Welt wird kommen. Die Erde hat mit ihrer Reinigung bereits begonnen, das sehen wir an den Überschwemmungen und an anderen Naturkatastrophen.“ Der Ausgangspunkt des Films von Frauke Sandig und Eric Black: Der Maya-Kalender endet am 21. Dezember 2012, weswegen manche eine kosmische Katastrophe oder gar den Weltuntergang erwarten. Was sagen junge Maya aus Guatemala und Südmexiko heutzutage dazu? In Herz des Himmels, Herz der Erde zeigen sie ihren Alltag und stellen dar, was die Voraussagungen des Mayakalenders mit ihnen, der Menschheit und der Natur zu tun haben. Dabei wird klar: Die Apokalypse hat längst begonnen. Einerseits. Andererseits wird in Bälde lediglich ein Zyklus zu Ende gehen, die Ära des Maismenschen. Danach wird es – oder kann es – einen Neuanfang geben.

Chepita kommt aus dem Hochland von Chiapas. Schon als Kind wusste sie, dass sie einmal Heilerin werden wird, da sie sich sehr für Rituale und Spiritualität interessiert. Sie ging nach San Cristóbal de las Casas. Hier lebt sie gerne, doch sie nimmt auch den Rassismus in der Stadt wahr, in der die mestizische Bevölkerung die indigenen Mädchen vom Land als Dienstmädchen ausbeutet. Chepita wird bei Zeremonien gezeigt, die leider nicht erklärt werden, sondern nur als folkloristisches Bildmaterial rüberkommen. Doch dann erklärt sie ein Element ihrer Spiritualität, den 6. Sinn der Maya: Er steht für das Herz und die Gefühle, für die Intuition, die Wahrnehmung und die Träume. Carlos, der auch einmal Heiler werden möchte, träumt des Öfteren von einem Kanu: „Ich werde aus Sorgen um die Menschen früh sterben. Die Kanus zeigen mir, wo ich in die Erde gehen werde.“ 

Flori Pérez González kommt aus dem Hochland von Guatemala. Als sie drei Jahre alt war, flüchtete sie mit ihrer Familie nach Mexiko. Ihre Eltern hatten gegen die Regierung und die herrschende Ungerechtigkeit gekämpft. Fast 40 Jahre lang war Guatemala Schlachtfeld im Kalten Krieg, der Bürgerkrieg hinterließ 150 000 Tote, mehr als 45 000 Verschwundene und eine Million Flüchtlinge. Der Guatemalteke Kajkan Felipe Mejía Sepet ist Heiler und erzählt, dass er u.a. mit Überlebenden des Bürgerkrieges arbeitet. „In Guatemala hat es viele Massaker gegeben“. Daran ist auch sein Vater beteiligt gewesen, schließlich war er Mitglied der paramilitärischen PAC, die die indigene Bevölkerung auf dem Land terrorisierten. Felipe selbst machte als junger Mann eine Identitätskrise durch: Er hatte sich selbst stets als Mestize wahrgenommen, doch dann entdeckte er seine Maya-Identität. Nach einigen Irrungen und Wirrungen, u.a. einer Phase der Drogenabhängigkeit, hat er den Pfad des spirituellen Heilers beschritten. 
Der Tzeltal Alonso Palenque ist Künstler und erklärt das zyklische Konzept der Maya. 

Vor den Tempelruinen von Palenque, Chiapas, zieht er den Vergleich zwischen der Krise der Maya-Zivilisation und der heutigen Krise: „Sie lebten getrennt von der Natur, schlossen sich in ihre Paläste ein und erhoben sich über die anderen Menschen.“ Alonso begibt sich auf die Suche nach den Ruinen von Tortuguero (im Bundesstaat Tabasco), wo es auf Schrifttafeln den einzigen verbliebenen Hinweis auf das angekündigte Ende unserer Welt im Dezember 2012 gibt. Die Suche wird zum Albtraum: LKW-Kolonnen, Schaufelbagger, riesige leere Flächen, Erdberge, Staub und Lärm – das Antlitz des Tagebaus. Von Ruinen weit und breit keine Spur. „Das hier ist apokalyptisch“, sagt Alonso entsetzt. Auf der Rückfahrt berichtet er von der Zerstörung der Waldbestände in Chiapas durch die Viehzucht. In den letzten 30 Jahren sind im südwestlichsten Bundesland Mexikos zwei Drittel des Regenwaldes gerodet worden, mit gravierenden Folgen für die Biodiversität. 

Flori besucht ihre Familie in San Miguel Ixtahuacán, Guatemala. Ganz in der Nähe, in San Marcos, befindet sich der einst „heilige Berg“. Heute ist San Marcos die größte Goldmine Zentralamerikas. Flori nimmt ein Baby auf den Arm. Es hat roten Hautausschlag: eine Folge der Goldförderung, bei der große Mengen des hochgiftigen Zyanid eingesetzt werden. Flori erklärt, wie der Kolonialismus der Spanier und späterer Invasoren die Kultur und Kosmovision ihres Landes zerstört haben. „Sie überrennen uns. Sie erobern immer noch. Es wird Zeit, dass die Leute wieder ‚Basta!’ sagen.“ Einige haben dies bereits getan: die ZapatistInnen in Chiapas. Auch sie, bzw. eines ihrer Treffen, werden in dem Film gezeigt.

Und in San Marcos selbst? „Die Leute leben im Staub.“ Warum machen sie nichts gegen die Mine? „Sie haben uns so viel Angst eingejagt. Wir zittern immer noch“, stellt Flori fest. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem Bürgerkrieg und der Ausschaltung der Opposition und der heutigen Ausplünderung der Naturressourcen, eine Art Vorbereitung für Großprojekte, von denen die Bevölkerung nicht profitiert, sondern letztlich nur Schaden nimmt. Flori fragt ihre Familie, ob sie gegen die Mine unterschrieben haben. Schweigen. An die Kinder gerichtet: „Sprecht ihr in der Schule über die Mine?“ Schweigen. 

Eine Versammlung gegen den Tagebau wird gezeigt, auf der die Folgen zur Sprache kommen: vergiftetes Wasser, eingestürzte Wohnungen. Crisanta Pérez ist eine aktive Widerständlerin. Die Stromleitungen für die Mine laufen durch ihr Grundstück. Da hat sie schon mal einen Kurzschluss produziert, woraufhin die komplette Stromversorgung für den Tagebau lahmgelegt war. Allerdings wird Crisanta auch gehörig unter Druck gesetzt. Sie gesteht, dass sie oft Angst hat, gerade wenn ihr Mann unterwegs und sie allein ist. 

Von allen im Film portraitierten Maya beeindruckt Flori mit ihrer Geschichte am meisten. Ihre Aussagen sind glasklar und vermögen größere Zusammenhänge herzustellen: „Die Weißen sehen die Welt getrennt. Sie sehen nicht, dass sie Teil des Anderen sind. Bei den Indígenas ist alles miteinander verbunden.“ Eine Kernthese aus der Debatte um das „gute Leben“, das buen vivir.

Auch die Ästhetik kommt nicht zu kurz. Die Drehorte bieten aber auch eine Fundgrube für starke Bilder: so z.B. als der zukünftige Heiler Carlos in seinem weißen Gewand die Treppen einer zerfallenen Ruine im schummrigen Urwald hoch läuft und dabei feststellt: „Die Götter kommen nicht mehr vom Himmel herab“. 

Nach einem ruhigen, fast elegischen Anfang werden gegen Ende des Films weitere Aspekte en passant angerissen: der Analphabetismus vieler chiapanekischer Frauen, die Bedrohung, die von Monsanto und seinem transgenen Mais für die Maisvielfalt in Mexiko ausgeht. Diesen Zusammenhang erklärt uns Jerónimo, Tzotzil und Zapatist, der mit dem typischen Halstuch vor dem Gesicht bei der Maisernte gezeigt wird. Chepita erzählt, wie die Handelsliberalisierungen im Rahmen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA die lokalen Märkte kaputt gemacht und viele Bauern vom Land in die Migration gezwungen haben. „Mir tut es so leid um die Kinder, die hier ohne die Eltern zurückbleiben“. Dann wird noch der Zug gezeigt, la bestia, auf dem die MigrantInnen aus Zentralamerika durch Mexiko Richtung USA reisen. Zwischen dieser Fülle an Informationen werden immer wieder Textstellen aus dem Popol Vuh zitiert, unterlegt mit Naturaufnahmen, u.a. dem Fortpflanzungszyklus der Meeresschildkröten.

Der Schluss gerät ein wenig putzig-kitschig: Die Minischildkröten sind geschlüpft und kriechen ins Meer. Ein neuer Anfang? Alles kommt und geht? Ein fast zu versöhnliches Ende. Was dem schön zu guckenden und im besten Sinne aufklärerischen Film keinen Abbruch tut.