An der ersten Umschuldung Argentiniens nach dem Staatsbankrott, die einen beträchtlichen Kapitalschnitt bis zu 70 Prozent vorsah, beteiligten sich 76 Prozent der Gläubiger. Da Argentinien sich nur langsam vom wirtschaftlichen Zusammenbruch erholte, dauerte es noch mal fünf Jahre, bis die Regierung den Holdouts (Investoren, die das Angebot nicht akzeptiert hatten) mit einer neuen Umstrukturierung im Jahr 2010 entgegenkam. Insgesamt haben sich etwa 93 Prozent der Inhaber argentinischer Anleihen an beiden Umstrukturierungen beteiligt, eigentlich ein guter Anteil, zumal solche Umschuldungen freiwilliger Natur sind. 

Dass Argentinien im Alleingang und unter Berufung auf die Rechtsfigur des Staatsnotstandes die Umschuldungen durchführte, erklärt sich zum Teil durch seine damalige Lage. Doch ausschlaggebend war die Tatsache, dass es keinen Entschuldungsmechanismus für Staaten gibt, der einen institutionellen, geordneten und rechtssicheren Rahmen für Staatspleiten bietet, und in den sämtliche Forderungen eingebunden werden. So wurde das Land zum Angriffsziel von den ca. sieben Prozent Anleihebesitzern, die sich nicht an den Schuldenumstrukturierungen beteiligt hatten. Es handelt sich um verärgerte, organisierte Kleinanleger und die sogenannten Geierfonds. 

Die Entschuldungen von 2005 und 2010 waren dringend notwendig, um Argentinien zu einer tragbaren Verschuldung zurückzuführen. Dennoch hat das unvollständige Entschuldungsverfahren für das Land bis heute schwerwiegende Folgen. Bisher wurde 28-mal versucht, Grundbesitz und Vermögen Argentiniens in den USA, in Frankreich, Deutschland, Belgien, der Schweiz zu pfänden. Betroffen waren Immobilien (zum Beispiel Botschafterresidenzen), im Ausland deponierte Devisenreserven und Bankkonten, ferner das Regierungsflugzeug bis hin zum argentinisch-US-amerikanischen, mit der NASA entwickelten Forschungssatelliten Aquarius. Selbst in Ghana wurden die erbosten Anleger aktiv: Die Beschlagnahmung des argentinischen Schulschiffes Libertad im Jahr 2012 geschah auf Antrag von NML Capital. Nach verschiedenen erfolglosen Versuchen, auf diplomatischer Ebene eine Einigung zu erzielen – zunächst mit der Regierung Ghanas und danach mit den Vereinten Nationen –, klagte Argentinien vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg und bekam einstimmig Recht. Und in Deutschland versuchten verprellte Kleinanleger unter anderem, den argentinischen Stand auf der Frankfurter Buchmesse 2010 zu pfänden, als Argentinien Gastland war. 

Bis 2013 waren es 47 spekulative Investmentfonds, die gegen Argentinien agierten. Näher betrachtet schrumpft die Zahl, denn es handelt sich um dieselben Aktionäre, die in ihrer Zusammensetzung variieren. NML Capital Fond ist dabei führend, er hat bisher die Mehrheit der Klagen gegen Argentinien eingereicht. Zudem hat Paul Singer die American Task Force Argentina (ATFA) gegründet, eine Organisation von Lobbyisten in Washington. ATFA nimmt an verschiedenen US-Foren gegen Argentinien teil und schreckt nicht davor zurück, sich in die Innenpolitik des Landes einzumischen. So koordinierte AFTA mehrere Treffen in Washington, um über die Pressefreiheit in Argentinien zu debattieren; auf ihrer Homepage kann man Artikel der oppositionellen Presse Argentiniens lesen. Diese wiederum vertritt oft die Interessen der Geierfonds in Argentinien. Für seine Lobbytätigkeit gibt ATFA bis zu siebenstellige Summen aus.

Argentinien ist vielleicht zum Lieblingsobjekt der Begierde der Spekulanten avanciert, ist aber nicht das einzige Land, das der verwerflichen, jedoch legalen Methode der Geierfonds ausgesetzt ist; seit den 90er-Jahren sind es unter anderen auch Panama, Brasilien, Peru, Ecuador, Russland, mehrere afrikanische HIPC-Länder.[fn]Heavily Indebted Poor Country: hoch verschuldetes, armes Land nach Definition von Weltbank und IWF; hier handelt es sich um die Demokratische Republik Kongo, Liberia, Zambia, Republik Kongo, Kamerun und Äthiopien.[/fn] Das jüngste Beispiel ist Griechenland. Die Geierfonds profitieren hochgradig von Umschuldungen. 

Der Hedgefonds Elliot & Associates, der seinen Sitz auf den Cayman-Inseln hat und auch Paul Singer gehört, kaufte 1996 Bankforderungen gegenüber Peru zu einem Preis von 11,7 Mio. US-Dollar und verlangte die Rückzahlung mit einem Nennwert von 20,7 Mio. US-Dollar. Peru, das sich inmitten von Umschuldungsverhandlungen befand, ging durch mehrere gerichtliche Instanzen in den USA und in Europa, bis im Jahr 2000 der Kläger von einem belgischen Richter Recht bekam. Elliot hatte sich auf die in Anleiheverträgen enthaltene Pari passu-Klausel berufen, die den Gläubigern Gleichbehandlung garantiert. Eine kuriose Interpretation der Klausel, die den Forderungsverzicht der anderen legitimen Gläubiger völlig ignorierte. Am Ende einigte sich Peru mit Elliot auf einen Vergleich von 58,4 Mio. US-Dollar (mit Kompensationszahlungen).

„Elliot gegen Peru“ ist der naheliegende Präzedenzfall zum aktuellen Rechtsstreit zwischen Argentinien und einer Gruppe von Geierfonds vor einem New Yorker Gericht. Angesichts des Laissez-faire, das in der Finanzwelt herrscht, wundert es nicht, dass die Geierfonds erneut versuchen, aus einer Umschuldung Kapital zu ziehen. Bisher hat sich dieses Geschäftsmodell bewährt. Für Argentinien, das seit 2005 eine konsequente Entschuldungspolitik verfolgt, ist der Rechtsspruch des US-Richters Thomas Griesa vom Februar 2012 ein schwerer Schlag, denn er gefährdet eine dem Land zuträgliche Umschuldung, durch die seine Auslandsschulden von 160 Prozent auf 41 Prozent des BIP gesenkt wurden. Griesas Urteil verlangt, dass den Holdout-Gläubigern und Geierfonds die Forderungen von 1,33 Mrd. US-Dollar zu 100 Prozent, inklusive Zinsen, ausgezahlt werden, und argumentiert, dass die argentinische Regierung die Klausel der pari passu verletzt habe, es diskriminiere die Holdouts. Im Klartext: Geierfonds und sonstige Kleinanleger, die den Umschuldungen nicht beigetreten sind, sollen voll bedient werden im Gegensatz zu den 93 Prozent Anlegern, die auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtet haben. 

Die Kläger verbuchten einen ersten großen Erfolg, als ein New Yorker Berufungsgericht das Urteil von Griesa im Oktober 2012 bestätigte, jedoch eine Zahlung in Raten verfügte. Griesa bestimmte daraufhin eine Barzahlung der Gesamtsumme, woraufhin Argentinien erneut Berufung einlegte. Wäre diesem Einspruch am 28. November nicht stattgegeben worden, wäre Argentinien in eine sogenannte technische Insolvenz geraten, weil Anfang Dezember 2012 die Fristen zur Zahlung von Zinsverbindlichkeiten legitimer Gläubiger ausliefen, die dann gestoppt und beschlagnahmt hätten werden können, solange Argentinien sich nicht mit den Geierfonds einigte. 

Im Dezember 2012 zahlte Argentinien seinen legitimen Gläubigern 4,1 Mrd. US-Dollar über ein Treuhandkonto in New York fristgemäß zurück. Wieder gewann Argentinien eine weitere Schlacht gegen die Geier und gegen die Zeit. Denn das Berufungsgericht hatte den Kern von Griesas Urteil bestätigt, gleichwohl die Frist bis Ende Februar 2013 verlängert, damit die Parteien ihre Argumentationen erneut einreichen, sowie interessierte Dritte zugelassen.

Nach der aktuellen Revisionsablehnung durch den Obersten Gerichtshof der USA im Juni 2014 ist Argentinien erneut in Gefahr, in eine technische Insolvenz zu geraten, weil der New Yorker Richter den Pfändungsschutz aufgehoben hat. Inzwischen hat Griesa einen Mediator zwischen der argentinischen Regierung und den Geierfonds ernannt; die Verhandlungen haben aber noch nicht begonnen. 

Die Ratingagentur Fitch sah Argentinien Ende November 2012 kurz vor dem Zahlungsausfall. Moody’s warnte vor den Gefahren eines für Argentinien negativen Urteils. Ferner ging das Gerücht um, dass es Derivate gebe, die auf einen Staatsbankrott Argentiniens setzen. All dies trug dazu bei, dass argentinische Staatsanleihen in jenen Tagen bis zu 15 Prozent ihres Wertes verloren. Kaum ein Käufer interessierte sich damals für die Staatsanleihen, obwohl es laut einem lokalen Experten in der realen Wirtschaft Argentiniens keinen Grund dafür gab. 

Die aus der Zeit der letzten Militär- und Zivildiktatur (1976-1983) forcierte Preisgabe der juristischen Souveränität Argentiniens in Konfliktfällen, sei es bei bilateralen Investitionsverträgen oder bei der Platzierung argentinischer Staatsanleihen im Ausland, bereitet demLand zusätzlich enorme Kosten. Seit dem Staatsbankrott wurden 48 Klagen bei dem bei der Weltbank angesiedelten ICSD (International Centre for Settlement of Investment Disputes) eingereicht. Viele Klagen sind auf die damalige Abwertung des argentinischen Peso zurückzuführen, da ein Teil der erwirtschafteten Gewinne ausländischer Unternehmen verlorenging. Mit einem Wert von ca. 20 Mrd. US-Dollar waren bis 2013 noch 22 Fälle beim ICSD offen. 

Eine der letzten offenen Rechnungen hatte Argentinien gegenüber dem Pariser Club. Bei Zahlungseinstellung im Jahr 2003 waren es ca. 6 Mrd. US-Dollar. In den letzten Wochen gelang es der argentinischen Regierung, einen ziemlich günstigen Zahlungsplan mit dem Pariser Club zur vereinbaren. Das eigentliche und bei weitem größte Problem für das Land sind die Finanzspekulanten, weil sie keinerlei Regulierungen unterworfen sind. 

Dass nun das Urteil von 2012 gegen Argentinien durch die Nichtzulassung der Revision durch den Obersten Gerichtshof bestätigt wurde, bedeutet einen fatalen Präzedenzfall für alle zukünftigen Schuldenumstrukturierungen. Denn weshalb sollen Gläubiger freiwillig auf Forderungen verzichten, wenn andere skrupellose Inhaber von Forderungen große Kasse machen können? Für Argentinien, ein immer noch finanzschwaches Land, wäre es brandgefährlich, weil dadurch die Tür für eine mögliche Klagewelle von Holdout-Kleinanlegern, welche die gleiche Behandlung wie die Geierfonds verlangen, geöffnet wird. Die Anwaltskanzlei Clearly Gottlieb Steen & Hamilton, die Argentinien vertritt, hat am 1. Februar 2013 eine Gegendarstellung eingereicht, in der die Ansprüche der Geierfonds abgelehnt und die Möglichkeit eines neuen Anleihetauschs unter gleichen Bedingungen wie denen von 2005 und 2010 angeboten werden. 

Bereits seit 2012 bekommt Argentinien unerwartete Unterstützung von „interessierten Dritten“ beziehungsweise amici curiae (an einem Gerichtsverfahren beteiligt, ohne selbst Partei zu sein), vom legitimen Inhaber aktueller Forderungen über die Bank of New York Mellon (Abwickler der Auszahlungen Argentiniens), über das US-Justizministerium, das US-Federal Reserve System, US- Finanzinstitutionen, Clearing Houses bis hin zu anderen Hedgefonds. Die Bank of New York Mellon, Treuhänder Argentiniens am wichtigsten Finanzplatz der Welt, kann durch die Ratifizierung des Urteils gezwungen werden, souveräne Fonds zu pfänden, und hat einen Verlust ihres Ansehens zu fürchten. Noch nie hat das Land eine derart massive und mächtige Unterstützung im Kampf gegen die Geier erlebt. Diese Unterstützung wächst zurzeit weltweit, vor allem in Lateinamerika (unter anderem von Seiten der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, CELAC, der Union Südamerikanischer Nationen, UNASUR, und dem Gemeinsamen Markt des Südens, MERCOSUR). Schließlich werden ständig Umschuldungen durchgeführt, nicht zuletzt in Europa. Boliviens Präsident Evo Morales warnt davor, dass die Geierfonds damit die Plünderung der natürlichen Ressourcen verfolgen, und José Mujica, Präsident Uruguays, befürchtet, dass die Geierfonds die Erdöl- und Schiefergasreserven von Vaca Muerta (Provinz Neuquén, Argentinien) im Visier hätten.

Ende 2001 versank Argentinien im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Chaos. Zur relativ schnellen wirtschaftlichen Erholung des Landes trug maßgeblich die Aussetzung des Schuldendienstes (bis 2005) bei. Erst 2009 konnte das Land über Notprogramme hinaus seinen Kampf gegen die Armut durch ein umfassenderes basic-income-Programm (Asignación Universal por Hijo) verstärken, das im Februar 2010 etwa 3,4 Mio. Kinder der Unterschicht erreichte. Der Einkommensunterschied betrug 2013 nach dem Giniindex 0,43 (zum Vergleich 2003: 0,53). Die 10 Prozent reichsten Haushalte Argentiniens bekommen ein 21-fach höheres Einkommen als die 10 Prozent ärmsten Haushalte (2003 war es 56-fach höher). Der Mindestlohn betrug am 1. Februar 2013 2975 Pesos, das entsprach damals der Kaufkraft von 768 US-Dollar in den USA.

Die aktuelle argentinische Regierung versucht aus der von der zivil-militärischen Diktatur (1976-1983) verursachten Überschuldung, welche die Entwicklung des Landes über 30 Jahre lang gehemmt hat, herauszukommen. Frühere Regierungen haben alte Verbindlichkeiten mit der Aufnahme neuer Kredite beglichen, das heißt, Altschulden wurden durch neue ersetzt, en Teufelskreis, den die Regierung von Néstor Kirchner zu durchbrechen wagte. Eine mutige Entscheidung angesichts der internationalen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Dennoch scheint das Land zu weit gegangen zu sein. Seinen Entwicklungsanstrengungen werden ständig Steine in den Weg gelegt.

Bisher ist es Argentinien nur bedingt gelungen, seinen Entwicklungsweg durch Entschuldung wieder aufzunehmen. Aber das liegt weniger an der Sozialpolitik des Landes als an einem ungerechten, inhumanen, inzwischen verselbstständigten Finanzsystem, aufgrund dessen der freundschaftliche Besuch eines Segelschulschiffes zu Spannungen zwischen zwei souveränen Staaten wegen der Interessen Dritter führt.