Argentinien war bereit für dieses Experiment

Wie seid ihr auf das Thema Soja gekommen?

Unser Hintergrund war der Kampf für die organische Landwirtschaft. Damals waren wir ziemlich enttäuscht von den ersten Zertifizierungsregelungen, die dazu führten, dass alle unsere Freunde ihre ökologisch angebauten Produkte exportierten oder an die Supermärkte verkauften, ohne dabei das Supermarktmodell zu hinterfragen. In dem Zusammenhang entdeckten wir, wie das herrschende Agrarmodell, das auf Rohstoffexporten basiert, eigentlich funktioniert. Mit den Jahren verstanden wir immer besser, dass dieses Agrarexportmodell Teil der Auslandsverschuldung ist, die uns die Militärdiktatur hinterlassen hat. Das Schuldenmodell zwang uns dazu, Rohstoffe und Agrarprodukte zu verkaufen. Und das Modell ist global. Bei uns ist es die Soja, in Chile der Lachs etc. Das heißt aber nicht, dass wir Umweltschützer sind. Greenpeace sind Umweltschützer. Wir machen Politik. Ich selber komme vom bewaffneten Kampf, bin in den 60er Jahren auf Cuba militärisch ausgebildet worden, war mehrere Male im Knast, wo sie mich sehr hart gefoltert haben. Danach ging ich nach Spanien und entdeckte eine komplett andere Welt: Obstgärten und landwirtschaftliche Tätigkeiten am Wochenende, autonome Kollektive; und in Schweden dann die Ökologiebewegung. 

Als die erste genmanipulierte Soja in Argentinien angebaut wurde – in welchem politischen und juristischen Kontext passierte dies?

Da gab es gar keine Gesetzgebung, nur einen internen Beschluss innerhalb des Landwirtschaftssekretariats, der die kommerzielle Nutzung des genmanipulierten Saatgutes zuließ. Dabei hielt sich dieser Beschluss noch nicht einmal an seine eigenen Bestimmungen, die besagen, dass jegliches transgene Saatgut erst von der Nationalen Kommission für Biotechnologie in der Landwirtschaft (CONABIA), der Marktaufsicht des Landwirtschaftssekretariats und dem Nationalen Dienst für Nahrungsmittelgesundheit (SENASA) zugelassen werden müssen. Doch diese Soja war vom SENASA und somit auch vom Landwirtschaftssekretariat nicht zugelassen worden, so eilig hatten sie es mit der Einführung. 

Ohne denjenigen, der den Beschluss unterzeichnet hat, entlasten zu wollen: Die argentinischen Produzenten übten einen sehr starken Druck aus, weil sie die Kommerzialisierung der Gensoja sofort haben wollten. Ich rede jetzt vor allem von den mittleren und kleinen Produzenten. Sie erhofften sich Arbeitserleichterung und höhere Einnahmen, um von ihren Schulden runterzukommen. Und in der Tat wurden sie dank der Soja ihre Schulden los.

Das Gensojamodell wurde also am Anfang von kleinen und mittleren Produzenten getragen?

Es gab eine große Unterstützung von diesen Sektoren. Ich erfuhr erst von einem Journalisten davon, der von Greenpeace mit einer Untersuchung beauftragt worden war, um herauszufinden, ob eine Kampagne gegen genetisch veränderte Organismen Erfolg haben würde. Dabei muss man wissen, dass Greenpeace zu diesem Thema keine Stellung bezieht, geschweige denn das Modell verurteilt. Und warum? Weil dieser Journalist herausgefunden hat, dass eine solche Kampagne, vor allem gegen die Soja RR[fn]Roundup Ready, genmanipulierte Soja, die gegen das Totalherbizid Roundup (Glyphosat) von Monsanto resistent ist[/fn], bei den Landwirten überhaupt nicht gut ankommen würde. Deshalb haben dann wir allein eine Kampagne gegen die Soja RR gestartet. 

Die Soja RR ist Teil eines Systems – des Agrarbusiness. Wenn der Landwirt die Landwirtschaft als ein Geschäft sieht, wünscht er sich technologische Mittel, die es ihm erlauben, in der Stadt zu leben und die landwirtschaftliche Bearbeitung des Bodens hinter sich zu lassen. Schon vor der Soja hatte sich dieser Mentalitätswandel vollzogen, deshalb war es 1996 selbstverständlich, dass der Landwirt nach einem Sojasaatgut verlangte, das resistent gegen das Herbizid Roundup ist. Argentinien war bereit für dieses Experiment und die Landbevölkerung unterstützte es. 

Die städtische Linke tat dies in gewisser Hinsicht auch, denn ab 1996/1997 gilt das Hauptaugenmerk der städtischen Linken allen sozialen Themen, dabei verhindert sie den Blick auf die Einführung des Sojamodells, das mittlerweile wie ein Krebsgeschwür die ganze Gesellschaft durchzieht. Die erste Etappe ist der Anbau für Futtermittel gewesen, nun beginnen wir mit der zweiten Etappe: Soja für die Produktion von Agrotreibstoffen.

In welchen Gegenden konzentriert sich der Anbau der Gensoja?

Der Anbau konzentriert sich in den sog. Kerngebieten Argentiniens – ein wichtiger Teil der Provinz Buenos Aires, ein großer Teil der Provinz Santa Fé, der Süden von Córdoba. Und zur Zeit wird in Entre Ríos auch damit begonnen. Dabei werden die besten Böden genutzt. Wenn man in Argentinien aufs Land fährt, merkt man schnell, dass hier kaum noch Menschen leben, Naturwälder sind verschwunden – insofern ist auch das neue Waldschutzgesetz, das auf Initiative von Greenpeace zustande kam, eine Farce, weil es eh kaum noch Wälder gibt.

In der Provinz Santiago del Estero ist das Phänomen erst in den letzten fünf Jahren aufgekommen. In dieser Zeit ist die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzflächen gut sichtbar geworden. Zwischen 1996 und 2003 konsolidierte sich das Modell in den Kerngebieten, danach dehnte es sich auf andere Gebiete aus und verdrängt vor allem andere landwirtschaftliche Aktivitäten, die sich wiederum mehr ins Landesinnere verlagern: Viehzucht, Imkerei, Zuckerrohranbau, gleichzeitig werden Naturwälder vernichtet. Im Verlauf dieses Prozesses gelangt die Soja nach Santiago del Estero. Bis zu dem Zeitpunkt hat es dort eine wichtige Zusammenarbeit zwischen Landwirten und studentischen Sektoren gegeben, die den studentischen Kampf hinter sich gelassen hatten, um sich auf dem Land zu engagieren. Das ist auch ein Kritikpunkt, den wir gegenüber der LandarbeiterInnenbewegung MOCASE in Santiago del Estero haben.

Inwiefern?

Zur gleichen Zeit, wie sich das Modell in der Praxis durchsetzte, wurde es an der agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Buenos Aires theoretisch weiterentwickelt. Da ist z.B. Gustavo Grobocopatel, Professor für Bodennutzung und der größte Sojafarmer Argentiniens, oder Héctor Ordóñez, sozusagen das Gehirn des Ganzen, Professor am Lehrstuhl für Agrarunternehmen; an seiner Seite Héctor Huergo, Direktor von Clarín rural, der Landwirtschaftsbeilage der Tageszeitung Clarín, ebenfalls eine Schlüsselperson. Dazu kommen einige Professoren aus dem Bereich der Naturwissenschaften: Estéban Hopp, Direktor für Biotechnologie am Nationalen Landwirtschaftsinstitut (INTA); der Naturwissenschaftler Alejandro Mentaberry; Moisés Burachik, Professor und Mitglied der CONABIA. Diese Handvoll Leute, von denen Ordóñez der Schlauste war, haben in der agrarwissenschaftlichen Fakultät das Modell entwickelt. Zur gleichen Zeit studierte die universitäre Linke den Marxismus, ging aufs Land, um mit den Bauern zusammenzuarbeiten. Damit wollten sie die alte Idee von Che Guevara umsetzen und selber zum Proletarier bzw. zum Bauern werden. Die Fehler der Linken und ihre alten Paradigmen begleiteten also die Etablierung dieses Agrarmodells.

Als dann die Provinzen Formosa, Santiago del Estero und der Norden von Santa Fé mit in das Modell eingebunden wurden, sahen sich die Campesinos auf einmal damit konfrontiert, dass es paramilitärische Gruppen gab, dass Leute mit Besitztiteln auftauchten und ihr Land für sich beanspruchten und einfach einzäunten etc. Daher organisierten sie sich in der MOCASE und wurden im Rahmen der LandarbeiterInnenorganisation Vía Campesina weltweit bekannt – aber als Opfer. Und das ist auch unsere Kritik an der MOCASE und an Vía Campesina, dass sie in der Opferrolle verharren und nicht erklären können, wie das Modell funktioniert. Denn zu dem Zeitpunkt, als sich das Modell etablierte, waren sie in einer anderen Welt und bemerkten dies erst, als sie aus ihren Häusern geprügelt wurden.

Für uns war es schwer, viele Jahre lang auf verlorenem Posten gegen das Modell anzukämpfen. Über mich wurde z.B. gesagt, ich wäre eingeknickt, weil ich jetzt zum Umweltschützer geworden wäre. Und in Argentinien zu sagen, jemand sei eingeknickt, ist mindestens genauso schlimm wie in diesem homophoben Land zu sagen, er wäre homosexuell!

Wer trägt jetzt, zwölf Jahre nach Einführung der Gensoja, das Modell?

Die Kleinproduzenten konnten bald nicht mehr mit der Konkurrenz mithalten und mussten ihre Länder an die Aussaatkonsortien verpachten, die auch die entsprechenden Maschinen haben. Diese Konsortien gehen in eine bestimmte Gegend und pachten Ländereien, 12 Hektar hier, 40 Hektar dort, 300 da. Wenn sie ungefähr 5000 Hektar zusammenhaben, starten sie mit dem Sojaprogramm. Doch auch das ändert sich gerade. Die Aussaatkonsortien werden durch Investitionsfonds aus Europa ersetzt. Als ich neulich in der Gegend von Tandil war, habe ich etwas Schlimmes entdeckt: Hier kaufen die Investitionsfonds Farmen auf und zahlen dafür viel mehr als den eigentlichen Hektarpreis. Die neuen Grundstücksverwalter reißen direkt die Gebäude nieder – damit sich dort niemand niederlässt, wie sie sagen. Dabei lebt in Argentinien auf dem Land sowieso fast niemand mehr. Dann besprühen die neuen Verwalter alles mit Herbiziden, „um den ganzen Bestand an Unkraut los zu werden“. Das ist ein direkter Angriff auf die Biodiversität. Damit töten sie auch die Fauna ab – man hat uns z. B. kontaktiert, weil Hunderte von toten Füchsen und Gürteltieren gefunden worden waren. Gleichzeitig nimmt die Bodenqualität immer mehr ab. Der Einsatz von chemischen Düngemitteln hat sich überall durchgesetzt, mit dem Mittel Urea (Harnstoff). In letzter Zeit wird Urea vermehrt aus der Ukraine importiert, weil es billiger ist. 

Die meisten Probleme und die größte Verschmutzung mit Agrochemikalien gibt es in der Region von San Lorenzo in der Provinz Santa Fé. Hier gibt es sehr viele Krebserkrankungen. Alle LKW, die aus Córdoba kommen – täglich 5000 bis 6000 – fahren hier durch und verlieren dabei giftige Partikel. In Córdoba hat die Bevölkerung erreicht, dass die Sojasilos verlegt werden, da sie nachweisen konnten, dass in der Nähe der Silos die Krebserkrankungen zugenommen hatten. Der ganze Süden von Santa Fé ist von diesen Problemen betroffen. Hier ist alles mit Soja – für die Agrotreibstoffproduktion – bebaut, außerdem ist dies die Region mit den meisten Häfen und deswegen sehr vielen Silos. Gleichzeitig ist dies eine Schlüsselgegend für das lateinamerikanische Infrastrukturprojekt IIRSA (siehe Artikel in ila 309). Etwa 10 000 Schiffsladungen werden hier monatlich umgeschlagen. Ein Meer aus Schiffen, die alle mit Soja beladen sind! Hinzu kommen Probleme mit Drogen- und Frauenhandel.

Argentinien spielte als drittgrößter Sojaproduzent weltweit und als eines der ersten Länder, das transgene Soja anbaute, eine wichtige Rolle bei der Ausdehnung des Sojamodells im Cono Sur – wie habt ihr diesen Prozess gesehen?

Von Argentinien gelangte die genetisch manipulierte Soja Ende der 90er Jahre nach Brasilien. Das war noch vor Lulas Amtsantritt. Damals hatte sich der Bundesstaat Rio Grande do Sul – unter Verwaltung der Arbeiterpartei PT – zur gentechnikfreien Zone erklärt. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Gensoja schon eingedrungen. Deshalb haben wir auch im Rahmen des ersten Weltsozialforums in Porto Alegre im Jahr 2000 Aktionen auf Gensojafeldern durchgeführt und die Pflanzen vernichtet. Gleichzeitig machte sich in Argentinien Victor Huergo von Clarín rural über die PT in Rio Grande do Sul lustig. Er sagte: wie, gentechnikfrei? Und was ist mit den ganzen LKW voll transgenem Saatgut, die bei euch ankommen?! Von hier aus wurde dieser illegale Saatgutexport geradezu angefeuert. Es müssen Hunderte von LKW gewesen sein – ich frage mich, warum die Grenzpolizei nichts gesehen hat. Und Monsanto schenkte den brasilianischen Produzenten, die das Fabrikationsschild auf dem Beutel vorzeigen konnte, das Herbizid Glyphosat. In dem Moment will China den Brasilianern keine zertifizierte konventionelle Soja mehr abkaufen und stattdessen von Argentinien beliefert werden – denn um schlechte Gensoja zu bekommen, kann auch direkt und billiger in Argentinien eingekauft werden! 

So wird den Brasilianern bewusst, dass sie transgene Soja exportieren, aufgrund der Samensorte mit dem schönen Namen Maradona. Dieses Saatgut war entgegen der brasilianischen Gesetzgebung eingeführt worden, was zeigt, dass Monsanto sich einen Teufel um unsere Gesetzgebung schert. Die PT-Regierung fängt dann an, Gensojafelder abzubrennen und bringt damit die Leute gegen sich auf. Als Lula 2002 sein Amt antritt, war die Sojaproblematik also schon bekannt und es wurde erwartet, dass er eine Lösung für das Problem der illegalen Gensojaproduktion findet. Also, was tun? Verkaufen wir sie noch ein letztes Mal und bauen dann keine neue Gensoja mehr an? Im zweiten Jahr wurde jedoch klar, dass das Zeug nach wie vor angebaut wurde, und zwar mehr als zuvor. So legalisierten sie schließlich die Gensoja. Aber Lula war m. E. nie besonders fest entschlossen, die Gensoja auszurotten. Schließlich ist sein Landwirtschaftsminister Roberto Rodrigues ein Vertreter des Agrobusiness.

Das ist ein allgemeines Problem der neuen so genannten progressiven Regierungen Lateinamerikas: Alle sind für das Agrarbusiness. In Uruguay z. B. hat vor kurzem Agrarminister Pepe Mujica verlauten lassen, dass gerade eine Maschinerie entwickelt wird, damit Kleinproduzenten die direkte Aussaat von Soja anwenden können – mit Pferdekarren! Viele der ehemaligen militanten Kämpfer der 70er Jahre sind heute Verteidiger der Soja. Selbst Fidel Castro persönlich hat gesagt, dass er das argentinische Sojamodell bewundere.

Wie ist die öffentliche Meinung in Argentinien zum transgenen Anbau?

Die meisten wissen nichts. Unsere Gruppe z. B. macht permanent Veranstaltungen zum Thema und wir können Veränderungen bei den Leuten feststellen. Sie machen sich Sorgen und haben eine Position gegen die Soja eingenommen. Diesbezügliche Positionierungen tauchen z. B. auch in Ortschaften wie Gualeguaychú auf (die eigentlich gegen die Verschmutzung des Grenzflusses durch eine uruguayische Zellulosefabrik kämpfen, Anm. d. Red.). Die Leute stellen einen Zusammenhang her zwischen den Zellulosefabriken, der Soja, den Agrotreibstoffen und den Minen – und dennoch haben sie diese Regierung gewählt, die mit der Unterstützung eines großen Teils der Linken das Modell weiter ausbauen will, gerade im Hinblick auf die Agrotreibstoffe. Wir werden jetzt zum ersten Mal in der Geschichte einen Wissenschaftsminister haben, Lino Barañao, einen Biotechnologen. Das deutet darauf hin, dass alles noch schlimmer wird. 

Die Forschung wird auch immer mehr vereinnahmt: Das INTA bekommt seit den 90er Jahren Subventionen von Firmen und forscht nun auch für sie. Der Wissenschaftler bekommt also ein Grundgehalt vom Staat und je nach Studie noch ein Extrahonorar von der entsprechenden Firma. 
Unser Anliegen im Hinblick auf die Biodiversitätskonferenz im Mai ist es, die Glyphosatproblematik in diese internationalen Zusammenkünfte hineinzutragen, sowohl der Krieg an der Grenze zwischen Ecuador und Kolumbien als auch das, was in Paraguay und Argentinien geschieht. Das Herbizid Roundup, dessen Wirkstoff das Glyphosat ist, wird ja immer giftiger, weil sie immer stärkere Varianten entwickeln. Mittlerweile gibt es Roundup Plus, Roundup Max – und seit kurzem auch noch das chinesische Roundup, das keinerlei Kontrollen unterliegt.