Auf Biegen und Brechen

Mitte Mai 2010. Sechs kleine Länder Zentralamerikas geben – offenbar freiwillig – ihre Entscheidungsbefugnisse in wirtschaftspolitischen Fragen auf. Sie lassen sich auf die unbeschränkte Niederlassungsfreiheit europäischer Banken, Versicherungen und Unternehmen auf ihrem Territorium ein, gestehen diesen sogar jeden beliebigen Gewinntransfer außer Landes zu. Mitten in der globalen Finanzkrise verzichten sie auf künftige Kapitalkontrollen, Entwicklung einer wirksamen Finanzaufsicht und Begrenzung (dubioser) neuer Finanzprodukte. Lenkungsinstrumente einheimischer Industrialisierungspolitik werden aufgegeben. Billige europäische Agrarprodukte dürfen einheimische Bauern künftig niederkonkurrieren.

All das und mehr unterschreiben sie in einträchtiger Runde mit einer aus einem Putsch und äußerst umstrittenen Wahlen hervorgegangenen Regierung. Warum rechte, neoliberale Regierungen ein Assoziationsabkommen des umrissenen Inhalts mit der EU eingehen, ist offensichtlich. Warum sich dem linken Lager zurechnende Regierungen wie die El Salvadors und Nicaraguas einem Vertrag zustimmen, der Zentralamerika ökonomisch noch weiter zurückwerfen wird als CAFTA, das Freihandelsabkommen mit den USA von 2004, provoziert Stirnrunzeln. Ebenso unverständlich ist auf den ersten Blick der Eifer, mit dem EU-Unterhändler um ein Abkommen mit einer Region gerungen haben, in die lediglich 0,4 Prozent der EU-Exporte gehen und aus der nur 0,2 Prozent der Importe kommen.

Wie alles anfing. Die seit 1999 alle zwei Jahre einberufenen Gipfel der Staatschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik (EU-LAC) sind eine seltsame Angelegenheit. Eigentlich passiert dort nichts wirklich Prickelndes. Aber es werden Familienfotos geschossen. Und stets versucht das Gastgeberland, mit irgendwelchen großen Ankündigungen mediales Interesse auf sich ziehen. So fiel etwa im Mai 2006 beim IV. Gipfel in Wien der Startschuss für die Aushandlung eines Assoziationsabkommens EU-Zentralamerika, das ein Kooperationsabkommen (englisch: PCA) von 2003 vertiefen und um ein Freihandelskapitel erweitern sollte. Kein Außenstehender wusste, dass man sich offensichtlich anschickte, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Denn zu dem Zeitpunkt hatten erst 13 der 21 damals betroffenen Staaten (15 der EU, sechs Zentralamerikas) dem besagten Kooperationsabkommen zugestimmt.[fn]Gleichzeitig wurde der Beginn der Aushandlung eines Assoziationsabkommens mit der Andengemeinschaft bekanntgegeben, aus dem dann ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru wurde. Der Verhandlungsprozess verlief weitgehend parallel.[/fn]

Als vier Jahre später, im Mai 2010, der damalige EU-Ratspräsident Zapatero beim VI. EU-LAC-Gipfel in Madrid vor die Mikrofone trat und den Abschluss der Verhandlungen zu einem Assoziationsabkommen kundtat, waren die hehren Absichten von Entwicklungszusammenarbeit vom weiterhin nicht von allen ratifizierten PCA noch weiter in den Hintergrund gerückt. Denn im neuen Abkommen geht es nur noch am Rande um Kooperation im Sinne von Armutsbekämpfung und Entwicklung. Egal: beim von Juni 2012 auf Januar 2013 verschobenen VII. EU-LAC Gipfel in Santiago de Chile sollen wieder kräftig die Hände geschüttelt werden. Die Verschiebung soll genügend Zeit geben, das AdA genannte Assoziationsabkommen EU-Zentralamerika von EU-Rat und -Parlament absegnen zu lassen. Wenn die Choreographie nicht aus dem Ruder läuft, wird als Bonbon dessen vorläufiges Inkrafttreten bekanntgegeben.

Niemand unter den Offiziellen wird dann erwähnen, dass es von Anfang an starke Kritik an dem Vorhaben gab. Nicht nur, weil das Vorläuferabkommen noch nicht in Kraft ist. Auch weil sozialen Organisationen, lokalen Kleinbauerngruppen in Zentralamerika und auch linken Kräften der dortigen Regierungen nicht einleuchtete, worin der Vorteil dieses Abkommens für ihre Region läge. Denn der Absatz von Orangen, Bananen und costaricanischen Weihnachtssternen in der EU ist angesichts eines gleichartigen Angebots aus immer mehr Weltgegenden nicht mehr sonderlich steigerbar – wenn man von höchst bedenklichen Produkten wie Palmöl und Zucker für Agrotreibstoffe oder Bergbau absieht. Mehr noch aber sahen und sehen KritikerInnen die Überwindung des Erbes jahrelanger Bürgerkriege, Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen, Festigung partizipativer Demokratien und regionale Integration als vorrangige Ziele. Dass sich ihre Länder durch Freihandelsabkommen fast ausschließlich auf die Rolle als Rohstoffexporteure festgelegen, betrachten sie als Hindernis für eine nachhaltige und inklusive Entwicklung. 

Doch genau diese Rolle als Rohstofflieferant und Markt für europäische Waren sollte mit dem AdA auch für künftige Zeiten festgeschrieben werden. So sah es das Global-Europe-Konzept vor, das der damalige EU-Handelskommissar Peter Mandelson seinen Dienststellen empfahl und dabei detailliert auflistete, in welchen Bereichen Liberalisierungen in Drittländern durchzusetzen seien. Das war ebenfalls 2006, also fast zeitgleich mit der Aufnahme von Verhandlungen in Asien, Afrika und Lateinamerika, unter anderem mit Zentralamerika. Über Freihandelsabkommen seien weltweit europäische Konzerninteressen durchzusetzen, und sei der Markt auch noch so winzig.

Lange sah es dennoch danach aus, als könne die EU-Handelsdirektion im Falle Zentralamerikas ihr Global-Europe-Konzept nicht in ein Abkommen umsetzen. Seit der ersten Verhandlungsrunde 2007 in Costa Rica hatten sich die UnterhändlerInnen beider Regionen (bis 2010 ohne Panama) sechsmal getroffen und nach europäischen Vorgaben unwidersprochen ausschließlich auf Englisch (!) verhandelt. Bei der siebten Runde am 1. April 2009 zog Nicaragua die Reißleine. Das Land werde nur weiterverhandeln, wenn die EU einen Kompensationsfonds zusage, mit dem die absehbaren negativen Konsequenzen u.a. bei Kleinbauern aufzufangen wären, ließ Nicaragua verlauten. Die EU-Verhandlungsdelegation schüttelte den Kopf und reiste ab mit dem Rat, doch in Arbeitsgruppen Modalitäten dieses Fonds auszuarbeiten. So sollte die Verhandlungsflamme in Abwesenheit der Europäer am Köcheln gehalten werden.

Der Grund: Wenn Nicaragua, in der Mitte Zentralamerikas gelegen, ausstiege, wäre das Abkommen aus europäischer Sicht witzlos. In der insgesamt schon kleinen Region wäre zollfreier Warentransport unmöglich gemacht. Die Taktik, Arbeitsgruppen auf den Weg zu bringen, zahlte sich aus. Gut drei Wochen später verkündete die EU-Handelsdirektion, die Verhandlungen seien (nach windigen Kompromissen zum Fonds) back on track. Man dürfe sogar vermuten, das Abkommen sei am Ende der nächsten Runde im Juli 2009 in Brüssel unter Dach und Fach.

Doch dazu kam es nicht. Der Putsch in Honduras am 28. Juni 2009 und der folgende Ausschluss des Landes aus der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) führte zum Aussetzen der Handelsrunde. Weitere Verhandlungen wurden zunächst offiziell auf Eis gelegt. Im hiesiegen Herbst dann wurde eine für solche Abkommen oligatorische Nachhaltigkeitsstudie (englisch SIA[fn]http://trade.ec.europa.eu/doclib/html/146042.htm[/fn]) fertig. Ihre Ergebnisse überraschen kaum: Insgesamt sei eine Steigerung der Handelsströme zu erwarten. Die Handelsbilanz werde für Zentralamerika aber auch künftig negativ ausfallen, abgesehen vom Dienstleistungsbereich in Costa Rica und Panama. In den übrigen Ländern werde nur der Export von Obst, Gemüse und Nüssen zunehmen. Steigende Bodenerosion und Abholzung seien vermutliche Folgen von mehr Anbau für Agrotreibstoffe und von vermehrten Investitionen in den Bergbau. Im Bereich von Finanzdienstleistungen, einschließlich Versicherungen, würde die EU ihre Präsenz steigern, was den Abbau von zentralamerikanischen Arbeitsplätzen in diesem Bereich nach sich ziehen könne. Bemerkenswert: Das Abkommen habe in der EU keinen abbildbaren Einfluss auf das Gesamtvolumen der Im- und Exporte. Grund genug, das Abkommen ganz aufzugeben. Aber, sagt das SIA, insgesamt sei das Abkommen dennoch vorteilhaft, nicht zuletzt, weil, wie es naiv heißt, europäische Investoren auf mehr Transparenz und Menschenrechte pochten!

Hinter den Kulissen werden die Verhandlungen am Leben gehalten. Bei Anfragen im Europäischen Parlament kippt die Begrifflichkeit der Kommissionsbeamten. Die Sprachregelung ersetzt das Wort „Putsch“ allmählich durch „events“, also „Ereignisse“. Im Januar 2010 reist die damalige außenpolitische Kommissarin, die österreichische Konservative Benita Ferrero-Waldner, in die Region.[fn]Benita Ferrero-Waldner wurde postwendend für ihr erfolgreiches Strippenziehen mit dem Vorsitz der beim VI. EU-LAC-Gipfel in Madrid ebenfalls gegründeten EU-Lateinamerika-Stiftung mit Sitz in Hamburg belohnt.[/fn] Daraufhin finden Anfang Februar informelle Sondierungsgespräche zur Wiederaufnahme der Verhandlungen statt. Alle sechs zentralamerikanischen Länder sind anwesend, auch Honduras, wo Wahlen den Vorwand geboten hatten, den Putsch zu vergessen. Und ebenso das Steuerparadies Panama, das sich für Vereinbarungen im Warenhandel nicht interessiert, aber bei Finanzdienstleistungen die Abmachungen substantiell „verbessern“ möchte. Ob man den Bock zum Gärtner machen wolle, fragen Europaabgeordnete Kommissionsvertreter. Die können nicht erkennen, dass panamaische Bankpraktiken kein Modell für die Region sein sollten.

Ende Februar 2010 sind alle UnterhändlerInnen wieder in friedlicher achter Runde in Brüssel versammelt, einschließlich Honduras, das nach den dortigen Wahlen angeblich wieder in den Kreis der Demokratien zurückgekehrt ist (Europas Liberale hatten es diesen Kreis ohnehin nie verlassen sehen). Auch die linkeren Regierungen Zentralamerikas akzeptieren die Rückkehr des Landes an den Verhandlungstisch. Man wolle das nicht so laut sagen, heißt es hinter vorgehaltener Hand, aber Honduras sei für die Nutzung des Landwegs in Zentralamerika unverzichtbar. Ein biregionales Abkommen ohne Honduras gebe wenig Sinn. Man vereinbart, bei den Verhandlung einen Zahn zuzulegen, und einigt sich auf drei weitere Sitzungen vor dem EU-LAC-Gipfel im Mai in Madrid.

Indessen wird der Widerstand in der Region lauter. Die salvadorianische FMLN fordert Mitte April eine ganz andere Schwerpunktsetzung. Die ungleiche Wirtschaftsstärke („Asymmetrien“), regionale Integration, Migration oder auch Biodiversität sollten in den Mittelpunkt des beabsichtigten Abkommens gerückt werden. Wenn man das Kapitel „Demokratie und Menschenrechte“ ernst nehme, dürfe Honduras nicht einbezogen werden. Am 5. Mai veröffentlicht der politische Ausschuss der FMLN einen Alarmruf. Das Assoziationsabkommen sei ein verkleidetes Freihandelsabkommen, durch den Einschluss von Honduras, aber auch Panamas, werde die regionale Integration weiter geschwächt, denn Panama boykottiere gemeinsame Institutionen wie das zentralamerikanische Parlament. Aus dem geforderten Kompensationsfonds sei nichts geworden. Das negative Beispiel des Freihandelsabkommens mit den USA, CAFTA, solle eine Lehre sein. Im Namen breiter Sektoren der Region fällt die FMLN ihr Urteil: Das Abkommen ist eine Sackgasse. Es ergebe nur Sinn, weiterzuverhandeln, wenn sich die Zielrichtung radikal ändere. 

Die EU-Unterhändler ballen die Faust in der Tasche, die spanische Regierung auch. Die Zeit bis zum Gipfel am 17. Mai wird eng. Spaniens imageramponierte Sozialisten wollen die Gelegenheit in Madrid nutzen, ihre EU-Präsidentschaft mit Siegerbotschaften aufzupolieren. Der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Kolumbien und Peru hat am 2. März 2011 gerade noch geklappt, hat aber den Makel, dass daraus anfangs ein Assoziationsabkommen mit der Andengemeinschaft als Ganzer werden sollte, was aber am gut begründeten Ausstieg Boliviens und Ecuadors scheiterte. Dass Zapatero den Deal zum Segen spanischer Energie- und Telekommunikationsunternehmen nicht noch in letzter Minute hinbiegen könnte und womöglich erst die nachfolgende PP-Regierung den Abschluss eines Assoziationsabkommens mitbesiegeln kann, wäre nicht auszudenken. Doch bei zwei weiteren Runden hakt es weiterhin. Am 6. Mai soll es in Guatemala am Sitz der SIECA (Organisation für die ökonomische Integration Zentralamerikas) klappen. Eine Kuh mit zwei Kälbern vor dem Verhandlungsgebäude versinnbildlicht, worum weiter gekämpft wird. 

Der Geschäftsführer des Viehzuchtbetriebs Imperial, Alan Figueroa, hat sie aus Protest dorthin gestellt. Die Quoten für Milch und Käse, aber auch Alkohol, Olivenöl, Reis (wieso exportiert die EU Reis?) und Schweinefleisch, die die Europäer Zentralamerika auch in letzter Minute noch beharrlich aufdrücken wollen, seien „der Ruin für lokale Produzenten“, so Figueroa. Der costaricanische Witrtschaftsminister Marco Vinicio Ruiz klagt: „Wir haben ihnen schon mehr gegeben als jedem anderen.“ (Prensa Libre, 7.5.2010) Rubén Morales, Wirtschaftsminister Guatemalas, konstatiert: „Wir kommen nicht zusammen, es gibt keinen Vertrag.“ (Últimas Noticias, 6.5.2010)

Die Runde platzt. Da es vor dem Madrider Gipfel am 17. Mai nun ohnehin nicht mehr klappe, gäbe es keine Eile mehr, so Marco Vinicio Ruiz. Soziale Organisationen beiderseits des Atlantiks, die das Abkommen von Anfang an kritisiert hatten, atmen auf. Nach Madrid wäre der „Erfolgsdruck“ raus und man werde sehen. Doch die sich freuen, blicken bald in die Röhre. Am Morgen des Gipfels gibt es für die AbkommenskritikerInnen ein böses Erwachen. Das Abkommen steht seit ein paar Stunden. Wohl nicht zuletzt weil die Präsidenten Zentralamerikas ein Machtwort aus Madrid zu hören bekamen – nicht einmal Abgeordnete der Regierungspartei FMLN sind eingeweiht, dass Präsident Funes eingeknickt ist.

Wieso sich innerhalb von zehn Tagen bei mehreren Regierungen der Wind um 180 Grad drehte, darüber gibt es genügend Spekulationen, in denen Zapatero eine Rolle spielt. Fakt ist hingegen, dass die Bevölkerungsmehrheiten in Zentralamerika die Folgen werden ausbaden müssen.

Das betrifft nicht nur die zollfreie Einfuhr von Milch oder Schweinefleisch aus europäischer Überproduktion, die nichtsubventionierte einheimische Erzeugnisse absehbar vom Markt drängen werden. Noch viel tiefer greifen jene Passagen des Abkommens in die Wirtschaften Zentralamerikas ein, bei denen es nicht um Zölle, sondern um die Spielregeln geht, das heißt um die Zurichtung der zentralamerikanischen Wirtschaftspolitiken auf die Bedürfnisse von Konzernen – und die sind in der Regel europäisch. 60 Prozent des weltweiten Handels findet innerhalb von Konzernen statt, die ihren Filialen nicht nur Schrauben und Teile der Fertigungskette schicken, sondern auch Gewinne so verschieben, dass sie nirgendwo mehr deklariert werden. Der Text des Assoziationsabkommens ist ein umfangreiches Kompendium, mit dem Firmen und deren Handelsanwälte künftig winken werden. Zu mehr als 85 Prozent besteht es aus detaillierten Vereinbarungen zu Handel und den Handelsregeln. Die Kapitel zu politischem Dialog und Entwicklungszusammenarbeit betreffen weniger als 15 Prozent. Das AdA ist bei Licht besehen ein klassisches Freihandelsabkommen, für das die EU-Handelsdirektion Passus für Passus die Vorgaben ihres Global-Europe-Konzepts erreicht hat. Die Struktur des bilateralen Handels wird sich nicht ändern. 2010 führte die EU aus Zentralamerika im wesentlichen Kaffee, Bananen, Ananas und Nüsse ein, dazu Microchips aus Costa Rica, das als einziges Land nennenswerte Industrieenklaven einrichten konnte. Umgekehrt gingen mehrheitlich Medikamente, Öl und Autos aus Europa an den Isthmus. Diese sehr spezifische Komplementarität „Rohstoffe gegen Maschinen“ wird sich nicht ändern.

Europa wird noch billiger exportieren und damit die einheimische Produktion noch weniger lohnenswert machen. 69 Prozent sind von Tag Eins nach Inkrafttreten des Abkommens an zollfrei, der Rest wird innerhalb von zehn bis maximal 15 Jahren abgebaut. Bis zu 87 Millionen Euro werden europäische Exporteure am Ende jährlich sparen. Hochgerechnet Peanuts aus EU-Sicht – was das für die nationalen Haushalte Zentralamerikas bedeutet, spielt keine Rolle. Aber es redet auch niemand darüber, dass öffentlich bezahlte EU-UnterhändlerInnen in solchen Verträgen keine öffentlichen, sondern Konzerninteressen durchsetzen.

Zentralamerika hat sich verpflichtet, die jetzige Zoll- und Steuerhöhe nicht mehr zu überschreiten und diese allmählich ganz abzuschaffen (standstill clause). Exportsteuern werden verboten, obwohl diese von der Welthandelsorganisation erlaubt sind und die Möglichkeit bieten, eigene Entwicklungsziele, wie etwa die Förderung und Diversifizierung schwacher Industrien, voranzustellen.

Sozusagen selbstmörderisch sind auch die Vereinbarungen im Bereich Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungen. Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Post, Telekommunikation, Schifffahrt, aber auch Forstwirtschaft und Bergbau, alles steht zum Ausverkauf. Unschwer abzusehen, dass europäische Konzerne Strom eher einer (europäischen) Industrieanlage zuleiten als einem indigenen Dorf. Spitzenkräfte, also Ingenieure und Manager, aus Europa werden keine Visascherereien mehr haben. Leitung und Know How kann daher noch einfacher in rein europäischer Hand gehalten werden. Honduras hat sogar extra in den Vertrag geschrieben, dass es jedeN EU-BürgerIn mindestens so gut behandelt wie die jedes anderen Landes. Umgekehrt wurde das den ZentralamerikanerInnen wichtige Kapitel Migration – gedacht war an die Armen – als Diskussionsthema in das Kapitel politischer Dialog verschoben.

Jeder Vernunft zuwider laufen schließlich die Festschreibungen im Bereich finanzieller Dienstleistungen. Europäische Banken können unbeschränkt und in unbegrenzter Zahl den Markt übernehmen und schalten und walten, wie sie wollen, während in Europa selbst längst klar ist, dass strengere Finanzaufsichten, Kapitalverkehrs- und Devisenkontrollen und die Begrenzung von Finanzprodukten gerade in der Krise, von großer Bedeutung sind. All das aber schafft das AdA munter ab. Die Kommission schwärmt davon, dass der kleine Mann und die kleine Frau nun endlich auf einen Kleinkredit für ihre Kuh hoffen dürfen. Die Wirklichkeit wird sein, dass bei der nächsten Kreditklemme in München, Madrid oder Singapur die Deutsche Bank ihre Filiale in Tegiucigalpa leer-räumt und niemand sie mehr daran hindern kann. Die Schutzklauseln zu den entsprechenden Kapiteln sind so schwach formuliert, dass sie praktisch unanwendbar sind.

Freihandelsabkommen sind der Natur nach reziprok: Beide Seiten sollten sich gegenseitig die gleiche Vorzugsbehandlung einräumen. Sind beide Industrieländer, können sie auf Augenhöhe verhandeln, nicht aber so, wenn sich auf einer Seite Entwicklungsländer befinden. Beispiel öffentliches Auftragswesen. Die EU hat verlangt und durchgesetzt, dass Zentralamerika öffentliche Ausschreibungen für diesen Sektor europäischen Unternehmen öffnet. So werden sicher Frankfurter Bauunternehmen an der Ausschreibung eines Brückenbaus in Honduras teilnehmen. Eine honduranische Firma wird aber sicher nicht den Zuschlag für eine Frankfurter Stadtautobahn bekommen. Das öffentliche Auftragswesen ist ein wichtiger Hebel für Industrie- und Arbeitsplatzpolitik. Ebenso kann man damit Klimapolitik steuern, Minderheiten fördern usw. Diese Möglichkeit geben die zentralamerikanischen Länder mit dem Abkommen aus der Hand.

Zentralamerika ist äußerst reich an Biodiversität. Aber Schutzmechanismen vor Biopiraterie kommen in dem Abkommen nicht vor. Dagegen wurden für Verstöße gegen in der EU geschütztes intellektuelles Eigentum (Patente, Internet) kriminelle Sanktionen durchgesetzt. Eine ähnliche Vereinbarung im Freihandelsabkommen mit den USA (CAFTA) hatte 2007 in Costa Rica zu großen Demonstrationen geführt. In einem im Oktober des gleichen Jahres durchgeführten Referendum gewannen die CAFTA-BefürworterInnen nur ganz knapp nach einer mit heftigen Drohungen geführten Kampagne.

Apropos CAFTA: Das erklärte Ziel der EU, CAFTA-Gleichheit zu erreichen, wurde erreicht und teils übertroffen. Firmenniederlassungen im Dienstleistungs- und Nicht-Dienstleistungsbereich – letztere wurden im CAFTA nicht liberalisiert – sind für Europäer in Zentralamerika weitestgehend erleichtert, Honduras und Panama zeigten sich da besonders offen. Umgekehrt gibt es für Firmen von dort in der EU nur sehr wenige offene Bereiche, hauptsächlich im Fertigungsbereich. Für die schöne neue AdA-Welt in Zentralamerika gilt damit „CAFTAplus“ ebenso wie „WTOplus“, da von Banken und Versicherungen bis zum Bergbau, von Strom- und Energieproduktion bis zur -verteilung, von Zustellungsdiensten bis zu öffentlichen Unternehmen mehr liberalisiert wurde, als die WTO vorschreibt. Völlig auf der Strecke geblieben ist die regionale Integration. Für die EU-Kommission bedeutete sie ohnehin nie mehr als eine Zollunion, die europäischen Exporteuren erspart, in jedem Land ein neues Zollformular auszufüllen.

Warum aber begehen sechs Regierungen durchaus unterschiedlicher politischer Couleur gemeinsam Harakiri? Warum sind sie nicht im derzeit geltenden APSplus geblieben, dem Allgemeinen Präferenzsystem der EU, das gegen Einhaltung von 27 Arbeits- und Umweltkonventionen für etliche Produkte zollfreie Einfuhr in die EU bietet? Sicher, das APS wird derzeit mit unsicherem Ausgang reformiert und kann einseitig von der EU gekündigt werden. Es hat im Süden auch nicht zur Diversifizierung der Industrie geführt. Doch das AdA wird das genauso wenig bewerkstelligen. Im Gegenteil. Zudem enthält das AdA Schutzklauseln, die Bananen- oder Ananasimporte in die EU stoppen können, wenn Einfuhrmengen „zu sehr“ steigen.

Noch ist nicht aller Tage Abend. Im Sommer oder Frühherbst entscheidet das europäische Parlament über eine Zustimmung, danach stimmen die EU-Mitgliedsländer ab. In Zentralamerika sind die Verfahren unterschiedlich. Dass dabei noch Sand ins Getriebe gerät, ist zu hoffen. Schließlich ist nicht erkennbar, dass irgendjemand an dem Abkommen verdient außer Konzernen und mit ihnen verbandelte Führungscliquen.