Die Nachricht vom Tod Francisco „Pancho“ Soberóns in Lima kam nicht unerwartet. Sie traf deswegen nicht weniger hart. Schon lange kämpfte er gegen eine ihn zunehmend beeinträchtigende Diabetes an. Eine zusätzliche Covid-19-Infektion hat er dann nicht mehr verkraftet. Er wurde 73 Jahre alt.

Sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust für alle, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte in Peru und Lateinamerika einsetzen. Mit ihm ist einer der großen Standhaften gegangen, einer, der sein Ziel nie aufgab, Gerechtigkeit für alle zu ermöglichen. Wie wohl kaum jemand anderer verband Pancho Erfahrung und Verlässlichkeit mit Bescheidenheit und Herzlichkeit. Für mich selbst war er immer einer, den ich um Rat fragen konnte und das unbedingt auch tun wollte, bevor ich einer Sache aktiv nachging, ganz gleich, ob es um Organisationen, Personen oder politische Entwicklungen ging. Seine Einschätzungen waren für mich maßgeblich.

Panchos Einsätze gegen bewaffnete Gewalt und Straflosigkeit waren Meilensteine für die Menschenrechte in Peru. Seit den 1980er-Jahren verfolgte er das Ziel, dass die Massaker an der einfachen Zivilbevölkerung in den Anden, die für das städtische Lima nicht zählten, vor Gericht kommen. Er war Mitgründer der Nationalen Menschenrechtsorganisation APRODEH, Generalsekretär der Nationalen Menschenrechtskoordination CNDDHH, Vizepräsident der internationalen Menschenrechtsorganisation FIDH und viel mehr und vor allem: Er war der wichtigste Kämpfer für eine gerechte Bestrafung des ehemaligen diktatorischen Präsidenten Alberto Fujimori (1990-2000) und seines Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos.

Was der unermüdliche Einsatz gegen menschenverachtenden Machtmissbrauch an emotionalem Durchhaltevermögen verlangt, habe ich erst richtig begriffen, als uns Pancho Einlass auf die Zuschauerränge beim Prozess gegen den arrogant auftretenden Fujimori verschaffte. Zu Beginn einer Pause drehte sich Fujimori winkend zu den Zuschauer*innen um und von denen klatschten etliche. Mir stockte der Atem, wir waren am Boden zerstört, Pancho nicht. „Das sind die, die von Fujimori profitiert haben”, sagte er. „Damit müssen wir umgehen.”

Solch niederschmetternde Momente waren für Pancho kein Grund zurückzustecken, selbst nicht, als sich 2008 der damalige Präsident Alan García daran machte, APRODEH mitsamt seinem Vorsitzenden Francisco Soberón wegen ihrer regierungskritischen Menschenrechtsarbeit als subversive Nestbeschmutzer anzugreifen.

Wie dann erfolglos versucht wurde, ihm Daumenschrauben anzusetzen und ihn (mindestens) mundtot zu machen, habe ich hautnah miterlebt. Vor der Abstimmung einer Resolution zum bevorstehenden EU-Lateinamerika-Gipfel der Staatschefs in beiden Kontinenten 2008 in Lima stellte die Europäische Volkspartei (EVP), die Fraktion der christdemokratischen und konservativen Parteien im Europäischen Parlament, den für die meisten Parlamentarier*innen überraschenden Änderungsantrag, die frühere peruanische Guerilla MRTA (die längst so gut wie gar nicht mehr existierte) auf die EU-Liste der terroristischen Organisationen zu setzen. Das war direkt auf APRODEH gemünzt, die Alan García als Vorfeldorganisation der MRTA verunglimpft hatte.

Der Antrag wurde glücklicherweise abgelehnt. Alan García und die EVP waren deswegen höchst verschnupft und verdächtigten klammheimliche Lobbyarbeit aus Peru gegen das Ansinnen. Aus nie aufgeklärter Quelle tauchte noch am selben Abend ein sehr professionell gemachtes Video auf, das mit bedrohlicher Untermalung der Orff’schen Carmina Burana Pancho zum Hüter des MRTA-Schatzes machte, mit dessen Geldern APRODEH die Untergrabung der rechtmäßigen Ordnung Perus finanziere. Pancho selbst hatte auf den Bildern einen Dolch im Rücken. Wenige Stunden nach der Verbreitung des Videos wurde das Büro von APRODEH aufs Gemeinste beschmiert.

Das bedeutete höchste Sorge um das Leben Panchos. Als die Europaabgeordneten kurz nach der Abstimmung zur parlamentarischen Begleitung des EU-Lateinamerika-Gipfels nach Lima fuhren, bestand die Strategie nicht darin, dass Pancho abtauchte, sondern dass er im Gegenteil als international geachteter Experte sehr sichtbar war. Entsprechend waren wir dauernd mit Pancho auf den Straßen Limas unterwegs.

Aber: Wir konnten bald wieder nach Europa zurückfahren. Pancho nicht. Er überstand die Angriffe und ja, er machte einfach weiter in seiner Arbeit für die Menschenrechte. Auch als seine Krankheit seinen Bewegungsspielraum zunehmend einschränkte und er fast blind war, gab er keineswegs auf. Ich wäre nie mehr nach Lima gefahren, ohne zu versuchen, ihn dort zu sehen. Zunächst noch trafen wir uns physisch, dann sprachen wir zumindest miteinander am Telefon.

Zuletzt waren seine Kommunikationsmittel vor allem elektronisch. Regelmäßig schickte er Artikel zu Menschenrechtsproblemen und -fragen in ganz Lateinamerika, oft mit der Aufforderung, aktiv zu werden, in jüngerer Zeit etwa zu den Entwicklungen in Kolumbien und Nicaragua. Seine letzte Email bekam ich am 4. August. Es war die Weiterleitung eines Tweets zu APRODEH. Wieder wird seine Organisation diffamiert. Es ist nun unsere Aufgabe, Panchos Einsatz gegen alle Versuche, die die Kreise der Mächtigen störende Menschenrechtsarbeit zu diskriminieren, fortzuführen.

Hasta siempre, Pancho!