Mexiko leidet unter einer Krise mit beispielloser Gewalt, auch geschlechtsspezifischer Gewalt, ausgelöst durch kriminelle Gruppen und militarisierte staatliche Kräfte (die mit der Abschiebung von Migrant*innen beauftragt sind), die alle aufgrund von legalen und illegalen internationalen Waffentransfers mit modernen Waffen ausgerüstet sind. Bemühungen, die Gewalt und die Ursachen der erzwungenen Migration einzudämmen, müssen Schusswaffen als eines der wichtigsten Elemente dieser Gewalt anerkennen.

Der Einsatz von Streitkräften gegen kriminelle Organisationen in Mexiko, bekannt als die Mérida-Initiative, die 2007 mit US-Hilfe begann, war katastrophal. Die Zahl der Morde durch Schusswaffen in Mexiko ist von 3208 im Jahr 2005 auf mehr als 35 000 im vergangenen Jahr gestiegen, ein Ende ist nicht in Sicht. Ein Grund dafür ist, dass die Verhaftung und Ermordung von Führern der Drogenkartelle einen rücksichtslosen Wettbewerb um die Hoheit über die von jenen bis dato kontrollierten lukrativen illegalen Geschäfte verursacht, was zu weiterer Gewalt führt. Die Mérida-Initiative ging mit einem exponentiellen Wachstum der US-Waffenexporte an die mexikanische Polizei einher.

Der Kauf und die Verwendung von Waffen durch die staatlichen Streitkräfte in Mexiko hat weniger Aufmerksamkeit erhalten als der illegale Waffenhandel, obwohl Mexiko sich weiterhin sowohl durch die Einfuhr als auch durch die Produktion von Waffen aufrüstet – auch für die neue militärische Nationalgarde, die sowohl im Süden als auch im Norden Mexikos stationiert ist, um Migrant*innen daran zu hindern, in den Norden zu gelangen. Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) hat letztes Jahr folgendes Statement abgegeben: „Der Kauf von Waffen wird im Allgemeinen stark reduziert werden. Das Verteidigungsministerium besitzt eigene Waffenfabriken; es ist selbstversorgend.” Mexikos eigene Produktion von Gewehren für die Armee hat in den letzten Jahren zugenommen. Dennoch waren die Verkäufe von US-Schusswaffen an Mexiko in den ersten anderthalb Jahren der Regierung AMLO vergleichbar mit den vier vorangegangenen Jahren.

Deutschland verbietet seit 2011 praktisch alle Waffenexporte nach Mexiko. Mexiko berichtete jedoch, dass die deutsche Firma Dynamit Defense im Jahr 2018 mehr als 4100 RGW60-Granatwerfer an das mexikanische Militär verkauft hat. Darüber hinaus hat Sig Sauer, das sich zu 100 Prozent im Besitz einer deutschen Holdinggesellschaft befindet, Zehntausende von Waffen aus seinem US-amerikanischen Werk in Newington, New Hampshire, nach Mexiko exportiert. Die Flüchtlinge abschiebende Nationalgarde gab im April bekannt, dass sie 50 000 Sig-Sauer-Waffen kaufen werde. Der deutsche Filmemacher Daniel Harrich hat Beweise vorgelegt, die darauf hindeuten, dass die Basis vieler Pistolen, die aus New Hampshire nach Mexiko verschifft wurden – trotz des Fehlens einer deutschen Ausfuhrgenehmigung – deutsche Technologie ist.

Uns liegen auch Rechnungen für Gewehre und Pistolen von Sig Sauer vor, die an die Staatspolizei im nördlichen Bundesstaat Tamaulipas exportiert wurden, bevor und kurz nachdem diese Staatspolizei für ein Massaker an acht Menschen in Nuevo Laredo im September 2019 verantwortlich war..

Die Regierung von Donald Trump, der während des Präsi­dent­schaftswahlkampfes 2016 30 Millionen Dollar an Wahl­­kampf­spenden aus der Waffenlobby erhielt, übertrug am 9. März formell die Aufsicht über Waffenexporte vom Außenministerium auf das Handelsministerium. Mit dieser Gesetzesänderung, die keiner Genehmigung durch den Kongress bedurfte, wird die Unterrichtung des Kongresses über jede Waffenexportlizenz (mit Ausnahme von Maschinengewehren) aufgehoben. Insider aus der Waffenindustrie haben gesagt, sie erwarteten, dass diese Änderung zu einem Anstieg der – bereits wachsenden – US-Waffenexporte um 20 Prozent führen wird.

Im September 2019 drängte der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard die Regierung Trump öffentlich dazu, Maßnahmen gegen den Waffenhandel zu ergreifen, und kündigte die Einrichtung einer binationalen Arbeitsgruppe an, die Daten über in Mexiko sichergestellte Schusswaffen aus dem Handel untersuchen soll.

Die entscheidendsten Maßnahmen, die die Vereinigten Staaten ergreifen könnten, um die Gewalt in Mexiko zu verringern, wären ein Ende des kommerziellen Verkaufs und der ungehinderten Zugänglichkeit von Angriffs- und Schnellfeuerwaffen – Maßnahmen, die in Meinungs­umfragen in den USA von mehr als 60 Prozent und im Repräsentantenhaus von einer knappen Mehrheit unterstützt werden.

Die Zunahme der Morde durch Feuerwaffen in Mexiko zeigt auch, warum so viele Familien in Mittelamerika und Mexiko angesichts der verheerenden Waffengewalt beschließen, ihr Zuhause, ihre Lebensgrundlage, ihre Gemeinschaft und ihren Besitz zu verlassen. Der Waffenhandel der USA nach Mexiko schafft einen Teufelskreis des Elends, der die Menschen Richtung US-Grenze treibt.

Von den USA stammende Gewehre drangsalieren die Migrant*innen und zwingen sie auch entlang der gesamten Route zwischen Zentralamerika und den Vereinigten Staaten zur Flucht. In Honduras, El Salvador und Guatemala machen US-amerikanische Schusswaffen in den Händen von Banden und Staatskräften das Leben in Nachbarschaften und Gemeinden unhaltbar und zwingen Familien zur Flucht. In Mexiko angekommen, hat die Polizei, die mit aus den Vereinigten Staaten importierten Waffen ausgerüstet ist und von Washington aufgefordert wurde, den Flüchtlingsstrom zu stoppen, Hunderttausende solcher Migrant*innen festgenommen und abgeschoben.

Migrantenfamilien, die Routen abseits von Polizeirazzien wählen, landen in Gegenden, die von nichtstaatlichen kriminellen Organisationen kontrolliert werden, die überwiegend mit Waffen ausgerüstet sind, die von Waffenhändlern in Texas, Arizona und anderen US-Grenzstaaten gehandelt werden. Diese Gruppen haben selbst Tausende von Migrant*innen entführt und verschwinden lassen.

Wenn die Migrant*innen die US-Grenze erreichen, stehen sie plötzlich Grenzpatrouillen mit hochleistungsfähigen Waffen gegenüber. In allen Fällen profitieren die amerikanischen Waffenproduzenten von dem verzweifelten Wettlauf um die Sicherheit der zentralamerikanischen Familien.

Mexiko ist für Mittelamerikaner*innen nicht sicher – mehr als zwei Drittel geben an, Opfer von Gewalt in Mexiko geworden zu sein. Schätzungsweise 35 000 Migrant*innen in Mexiko sind entführt worden und verschwunden. „Das Verschwinden von Migrant*innen in Mexiko ist, gemessen an der brachialen Zahl, mit den schlimmsten Militärdiktaturen … in der westlichen Hemisphäre vergleichbar“, sagt Everard Meade vom Trans-Border Institute in San Diego. Obwohl die Vereinigten Staaten in fast alle lateinamerikanischen Länder exportieren, steht Mexiko an der Spitze der Importländer. Im vergangenen Jahr kaufte Mexiko legal mehr Waffen, Teile und Munition aus den Vereinigten Staaten als die drei nächstgrößten Käufer von Waffen aus den USA in der Region – Brasilien, Kolumbien und Chile – zusammen.

Unabhängig davon, ob sich Migrant*innen an von Kartellen kontrollierte „Kojoten“ (Schlepper) wenden oder in öffentlichen Bussen fahren, sind sie besonders anfällig für Erpressung, gewaltsames Verschwinden, Vergewaltigung und andere Gewalttaten durch kriminelle Organisationen, die mit Schusswaffen aus den USA ausgestattet sind. Migrant*innen auf der Karibikroute in Richtung Norden müssen durch den mexikanischen Bundesstaat Tamaulipas reisen, und ein Drittel der im vergangenen Jahr aus den Vereinigten Staaten abgeschobenen Migrant*innen wurde über Tamaulipas geschickt. Tamaulipas ist jedoch auch der mexikanische Bundesstaat mit der größten Zahl illegal gehandelter Waffen – von 2000 bis 2015 wurden mehr als 30 000 Schusswaffen sichergestellt. Mehr als sechstausend Menschen – viele von ihnen Migrant*innen – wurden in Tamaulipas entführt und sind gewaltsam verschwunden.

Das in den USA ansässige Projekt „Stop US Arms to Mexico“, das 2017 unter der Schirmherrschaft der Menschen­rechtsorganisation Global Exchange begonnen wurde, erforscht und organisiert Lobbyarbeit und Aktionen sowohl gegen legale Waffenexporte als auch gegen den illegalen Waffenhandel aus den Vereinigten Staaten nach Mexiko.

Aber wir wissen, dass Waffenproduzenten in Europa und anderen Ländern auch von Waffenverkäufen an das Militär und die Polizei in Mexiko profitieren. Wir glauben, dass die Zusammenarbeit zwischen Forscher*innen und Aktivist*innen in waffenexportierenden Ländern und Menschenrechtsverteidiger*innen, Opfern und anderen in Mexiko genau dies gemeinsam ans Licht bringen und eine wirksamere Verteidigung organisieren kann, um Regierungen und Waffenproduzenten für Waffengewalt zur Verantwortung zu ziehen. Wir schließen uns mit solchen Gruppen zusammen, um den Zustrom von Waffen zu stoppen, der in Mexiko und Mittelamerika enormes Leid verursacht.

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