Beliebt, aber im Radio vernachlässigt

Wie ist Natty Radio entstanden? 

Natty Radio gibt es seit 13 Jahren und ist ursprünglich als ein Schulprojekt entstanden. Wir sollten ein neues Medium ausprobieren. Ich habe mich mit ein paar Freunden für das Format Internetradio entschieden. Da wir alle Reggaefans waren, ist es auch ein Reggaeradio geworden. Und wir sind dabei geblieben. Mittlerweile ist es die größte Plattform für mexikanischen Reggae und wird weltweit gehört. Dazu gehört auch die Plattform Reggaemexicano.com, auf der wir Künstler vorstellen und Konzerte bewerben. 

Wie groß ist die Reggaeszene in Mexiko? Wie viele Leute kommen zu den Konzerten?

Die Reggaebewegung in Mexiko ist im Verhältnis zu anderen Subkulturen etwas kleiner. Doch seit ungefähr sechs Jahren erleben wir einen neuen Reggaeboom. Ich habe das Gefühl, dass wir sehr viele neue Hörer und Fans gewinnen konnten. Es gibt mexikanische Reggaegruppen bereits seit 20 bis 25 Jahren, aber jetzt fängt eine neue Generation an, diese Musik zu hören und zu machen, dazu gehören auch neue Stilrichtungen. Ich würde sagen, dass in Mexiko die Reggaeszene sehr stark ist, aber leider nicht sehr häufig im Radio gespielt wird. Sehr viele internationale Reggaegrößen sind schon in Mexiko aufgetreten, aus Jamaica, aus England, sogar aus Japan. Da kommen immer auch Leute, die ordentlich feiern, aber es sind keine Massen. In den großen Medien ist Reggae kaum vertreten, wir sind immer noch nicht Mainstream. Nur bei großen Gruppen gibt es wirklich hohe Besuchszahlen: Als z.B. Damian Marley in Mexiko auftrat, kamen 3000 Leute. Kleinere Reggaekonzerte sind in Mexiko eher schlecht besucht.

Wie stark ist der Einfluss der mexikanischen Gruppen?

Die Anfänge der Reggaebewegung in Mexiko standen stark unter dem Einfluss aus der Karibik. Die erste Reggaeband Mexikos war Splash. Die Hälfte der Band stammte aus der dominikanischen Republik und hatte dort bereits angefangen Musik zu machen. Sie haben ihre Rhythmen und ihren Stil mitgebracht. Mittlerweile gibt es ein paar gute mexikanische Reggaebands, zum Beispiel Antidoping, die wohl größte und bekannteste Band Mexikos. Sie tourt auch außerhalb Mexikos, etwa in Deutschland oder den USA. Es gibt sie mittlerweile seit über 20 Jahren. Sie haben ihre Wurzeln nicht nur im Reggae, sondern auch im Rock Steady, und das haben sie beibehalten. Viele mexikanische Gruppen sind nicht so bekannt, obwohl sie schon seit über zehn Jahren dabei sind. Wenn argentinische Bands kommen, füllen sie die Hallen, während zu manchen mexikanischen Gruppen kaum Publikum kommt. 

Wie ist das Verhältnis zu anderen Musikrichtungen, wie beispielsweise Ska? Viele Gruppen aus Mexiko, die in Deutschland bekannt sind, spielen Ska – gibt es da Schnittmengen?

Es ist schon üblich, dass Reggae und Skagruppen gemeinsam auftreten, allein um viele Leute zu erreichen. Wenn man das ganz nüchtern betrachtet, ist es aber nicht unbedingt der Musikgeschmack, der die Bands zusammenbringt, sondern eher eine Kalkulation, um viele Leute zu erreichen. Einmal ist es dazu gekommen, dass Tokyo Ska Paradise Orchestra aus Japan zusammen mit Cultura Profética aus Puerto Rico aufgetreten sind. Jeder für sich hätte wohl die Halle füllen können, aber so war es sicherer. 

Die mexikanischen Skabands fallen durch ihre politischen und kritischen Texte auf. Ist das im Reggae ähnlich?

Es gibt auch im Reggae Songs, die ein kritisches Bewusstsein transportieren und Probleme auf den Straßen thematisieren. Aber wenn man ehrlich ist, hat Reggae mit solchen Texten dem mexikanischen Publikum meistens nicht gefallen. Es ist einfach nicht dasselbe, wenn man auf einem entspannten und friedlichen Reggaerhythmus Protestmusik macht. Im Gegensatz dazu ist Ska schnell und aggressiv, da ist man auf Energie vorbereitet und es herrscht eine Bombenmischung. Wenn man Reggae hört, freut man sich über eine positive Botschaft, die etwas friedlicher ist.

Wie schwer ist es für euch, Räume für Reggae-Konzerte und Partys zu finden?

Bis vor einigen Jahren gab es eine Menge Orte, die relativ frei waren und wo es ganz einfach war, Konzerte zu veranstalten. Die Regierung hat das sogar richtig unterstützt, ob auf Fußballplätzen oder in Hallen. Das hat sich leider geändert, heute ist es wesentlich schwieriger geworden. Wir müssen gezielt nach Orten suchen, wo Musik gemacht wird, also Bars oder Discos, meistens bei privaten Veranstaltern. Dort wird dann auch mal ein Reggae-Abend gemacht, aber die vermieten so lange, wie sie sich davon Geld versprechen. Deswegen sind ihnen große Festivals lieber als kleine Partys. 

Wie sieht es mit Homophobie im mexikanischen Reggae aus? Ist es ähnlich problematisch wie in Jamaica?

Ich würde sagen, dass es im mexikanischen Reggae diese Stimmung nicht gibt. Hier wird sehr viel von Positivität gesungen – buena vibra – und der Liebe zwischen den Menschen. Auch wenn es sein kann, dass es bei einzelnen Leuten vielleicht Vorurteile gibt, wirst du das in den Texten der mexikanischen Gruppen niemals hören. Hier gibt es keine homophoben Sprüche oder Beleidigungen. Zum Beispiel kennen die meisten Leute in der Reggae-Szene den Ausdruck Battyman (abwertendes Wort für Schwule, d. Red.), aber in den Texten der mexikanischen Gruppen wird dieses Wort nicht benutzt. 

Wie ist die Rolle der Frau im mexikanischen Reggae?

Es gibt viele Frauen in der Reggaeszene, und nicht nur als Fans der Musik, sondern ebenfalls von der Rastafarikultur. Es gab mal eine größere internationale Bewegung, die versucht hat, die Rastafarikulturen weltweit zusammenzubringen, und die dann in den Ländern, wo es große Reggaeszenen gibt, Veranstaltungen organisiert hat. In Mexiko wurden fast alle diese Events von Frauen organisiert. Die dort vertretene Einstellung war ähnlich wie die in Jamaica: Es ging darum, sich mental von „Babylon“ zu befreien, eine positive Einstellung zu behalten und mächtig zu bleiben. Auch musikalisch äußert sich das, da es eine Menge Frauen in Mexiko gibt, die Reggae machen.

Wie stark ist der Austausch zwischen den Reggaeszenen aus Mexiko und Jamaica?

Die jamaicanischen Größen kommen schon seit langer Zeit auch nach Mexiko. In den letzten Jahren sind sie bei dieser Gelegenheit häufig von mexikanischen Künstlern in die Tonstudios eingeladen worden, um dort Rhythmen auszutauschen und Musik zu machen. Daher gibt es immer mehr Jamaicaner, die die Infrastruktur in Mexiko für ihre eigene Musik nutzen und ihre Alben hier aufnehmen. Sie verbreiten hier ihre Musik und sind gerne in Mexiko, z.B. Daddy Freddy oder History Man. Sie haben gute Kontakte zu mexikanischen Produktionshäusern. So kommt es zu einem regen Austausch zwischen den beiden Ländern.