Der Tangara Inti (Sonnentangara) ist ein kleiner, gelbleuchtender Singvogel, der zwischen Kakteen, Bambus und Bäumen des Trockenwaldes im Machariapo-Tal in der Zone B des bolivianischen Madidi-Nationalparks umherfliegt. Anders als noch vor vier Jahren singt der kleine Vogel heute im Landkreis Apolo gegen den Lärm von schweren Maschinen an, die auf der Suche nach Gold die Bäume niederreißen und das Flussbett des Tuichi aufwühlen.

„Die Bergwerksaktivitäten und die Ausweitung der landwirtschaftlich genutzten Flächen beeinträchtigen das Habitat des Sonnentangara“, sagt Luis, ein Parkwächter, dessen Namen wir zu seinem Schutz ebenso geändert haben wie die der anderen Parkwächter, die in diesem Beitrag zu Wort kommen. Dabei zeigt Luis auf ein Bergarbeitercamp in der Ferne am Rande des Tuichi-Flusses. Die Goldgewinnungsaktivitäten dort sind illegal. Und die Bergwerksfirmen haben Schranken errichtet, die den Parkwächtern den Zugang verwehren. Manche hätten sie auch schon direkt bedroht, sagt Luis. Deshalb könnten sie ihre Schutzaufgaben nicht erfüllen.

Wegen der hohen Nachfrage und der gestiegenen Weltmarktpreise dringen Goldsucher*innen aus Bolivien, aber auch aus dem Ausland immer weiter vor, auch in die Schutzgebiete. Am Tuichi-Fluss wurde schon früher gelegentlich handwerklich Gold gewonnen, berichten Anwohner*innen, nun werde mit schwerem Gerät gearbeitet. Obwohl das dem geltenden Recht widerspricht, hat es der Nationale Dienst für Naturschutzgebiete bislang nicht geschafft, die Ausweitung des illegalen Goldbergbaus zu stoppen oder wenigstens die Maschinen aus dem Gebiet zu verbannen. Der Madidi-Park ist das zweitgrößte bolivianische Naturschutzgebiet und eine der artenreichsten Biosphären der Welt. Der Sonnentangara ist eine der sechs endemischen von etwa 1000 Vogelarten, die in der Region leben. Auch wurden laut Informationen der Wildlife Conservations Society 8244 verschiedene Vaskulärpflanzen identifiziert.

Der Park ist neben dem Schutz von einheimischen Tier- und Pflanzenarten auch wichtig für den Klimaschutz, die Reduzierung der Kohlendioxidemissionen und die Wasserversorgung, heißt es in einer Presseerklärung des SERNAP. In dem Gebiet leben verteilt auf 30 Gemeinden vier indigene Völker.

Wegen der dort vorhandenen biologischen und kulturellen Vielfalt wurde die Zone in das Landscape-Madidi-Programm aufgenommen, zu dem auch die Schutzgebiete von Apolobamba und Pilón Lajas gehören. Im Jahr 2021 wurde die Finanzierung durch den Legacy Landscapes Fund (LLF) aufgenommen. Dieser wurde geschaffen, um Geldmangel bei der Bewahrung von außergewöhnlichen Naturschutzgebieten im Süden auszugleichen.

Der LLF ist ein in Frankfurt ansässiger Fonds unter Beteiligung unter anderem des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der Kreditanstalt für Wiederaufbau und internationaler Umweltorganisationen.

Die Madidi-Region gehört zu den ersten geförderten Schutzgebieten. Vorgesehen sind innerhalb von 15 Jahren jährlich eine Million US-Dollar. Die Gelder wurden vom bolivianischen SERNAP als zuständiger Behörde beantragt und werden von der internationalen NRO Wildlife Conservation Society im Land umgesetzt.
Die Finanzierung sollte im Januar 2022 beginnen. Tatsächlich wurde es dann August, weil zunächst Abkommen mit der bolivianischen Regierung geschlossen und Genehmigungen, etwa für den Ankauf von Fahrzeugen, erteilt werden mussten, berichtet Lilian Painter, Direktorin der WCS in Bolivien. Die bolivianische Antikorruptions­gesetzgebung macht die Mittelverwaltung durch staatliche Stellen wesentlich komplizierter, als es bei den NRO der Fall ist. „In einigen Fällen musste WCS die Gelder direkt verausgaben, weil der SERNAP als staatliche Behörde zu große Probleme dabei hatte“, so Painter. So wurden bis Dezember vergangenen Jahres nur 60 Prozent der für das erste Jahr bewilligten Mittel ausgegeben. Der Rest soll nun in 2023 zusätzlich Verwendung finden. Das sei ein guter Anteil der Mittelverwendung in einem ersten Projektjahr, sagt Adelheid Knäble, Leiterin des Büros der Kreditanstalt für Wiederaufbau für Bolivien und Paraguay. Man habe gute Fortschritte erzielt. Gleichwohl sei es ein Thema, an dessen Verbesserung kontinuierlich gearbeitet werde. Das Modell der Allianz einer NRO und der Kanalisierung von Ressourcen zu staatlichen Stellen sei innovativ und habe erst ausgestaltet werden müssen. Auf mittlere Sicht werde es über den Transfer von Fachwissen Kapazitäten stärken, betont Knäble.

In diesem Rahmen wurden die Monitoring- und Land­schaftsschutzaktivitäten verbessert. Über 2000 Patrouillen seien in den drei Naturschutzgebieten unterstützt worden. Im Madidi wurden 52-mal Bußgelder verhängt, 48-mal im Pilón Lajas Park und 17-mal in Apolobamba. Ohne die Gelder des LLF sei es „wenig wahrscheinlich, dass diese Patrouillen durchgeführt worden wären, da der SERNAP über die Gehälter hinaus praktisch über keinerlei operative Mittel verfügte“, betont Painter von der WCS.

Entgegen der Planung wurde jedoch bislang der Landnutzungsplan des Madidi nicht aktualisiert. Schließlich üben die Goldkooperativen Druck aus, weil sie ihre Aktivitäten innerhalb des Schutzgebietes zu konsolidieren versuchen, in dem die mechanisierte Goldgewinnung eigentlich verboten ist. Zumindest bis zum April 2023, als die Reporterinnen von La Brava die beiden Zonen des Madidi-Parks besucht haben, hatten die Parkwächter Schwierigkeiten, ihren Kontrollaufgaben nachzukommen. Die dortigen 28 Parkwächter einschließlich der Vorgesetzten reichten angesichts der Ausdehnung des Territoriums nicht aus, um effektive Kontrollen durchzuführen.

Die Auszahlung der Hilfsgelder ist ein Kreuzweg. Sie kämen nur mit großer Verspätung, beschwert sich Parkwächter Rodrigo. Das für Januar bis März vorgesehene Budget für operative Kosten habe erst im April zur Verfügung gestanden. Sein Kollege Oscar ergänzt, dass auch im letzten Jahr nicht alle geplanten Aktivitäten hätten umgesetzt werden können, weil die Zahlungen ausgeblieben seien. „Man sagte uns, wir seien nicht imstande, die Gelder umzusetzen.“ Man habe die Vorgaben mit an die 45 Prozent Mittelverwendung nicht erreicht. Sie seien gefragt worden, warum sie mehr Geld wollten, erzählt Rodrigo, wenn sie nicht einmal die vorhandenen Mittel hätten ausgeben können. Wie Oscar sieht auch Rodrigo die Verantwortung beim SERNAP. Seit vielen Jahren sei diese Institution „politisiert“ und zu ineffizient, um die vorhandenen Mittel gut zu verwalten.
Das Projekt ist ehrgeizig. Drei Ziele wurden für die ersten fünf Jahre formuliert: Erstens in der strikten Schutzzone den Anteil von ein Prozent der Fläche nicht zu überschreiten, der von Menschen beeinträchtigt wird. Zweitens die Anzahl und Verbreitung von Tierarten mit einem großen Bewegungsradius, wie Jaguar, Tapir, Wildschwein, Otter oder Kragenbär, zu erhalten. Und drittens in der Bevölkerung die Bereitschaft zur Bewahrung und nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen zu erhöhen. Das erste Ziel wird vor allem durch die Bergwerkswirtschaft gefährdet, die im Madidi immer weiter voranschreitet. Bis Dezember waren schon 8000 Hektar durch diese und andere menschliche Aktivitäten beeinträchtigt. Das sind bereit 0,79 Prozent der Gesamtfläche.

Der Agrarökologe und Universitätsdozent für Naturschutz Daniel Robinson befürchtet, dass die Finanzierung angesichts dieser Zahlen bereits in Gefahr ist. „Wenn schon im Jahr 2022 eine Fläche von 8000 Hektar beeinträchtigt war, ist es wahrscheinlich, dass mit der Bergwerkswirtschaft noch weitere 4000 Hektar dazukommen.“ Das sei ein Problem für die Projektfinanzierung, denn es liege in der Verantwortung des SERNAP, wenn diese Grenze schon im ersten Jahr überschritten werde.

Die Direktorin der WCS meint dagegen, dass die Ergebnisse aus dem ersten Projektjahr zeigen, dass die Ziele erreicht werden könnten. Das Projekt sei wichtig, um den Bedrohungen begegnen zu können: „Wir können doch nicht einfach die Arme verschränken und sagen, dass alles viel zu schwer ist. Die Ergebnisse des ersten Jahres geben uns Hoffnung.“ Im ersten Jahr hätten sie die Rahmenbedingungen für den Schutz des Madidi-Parks verbessern können. Der frühere Direktor des Madidi-Parks Marcos Uzquiano ist weniger optimistisch. Er erklärt, dass die indirekten Auswirkungen menschlicher Eingriffe bei den ein Prozent nicht berücksichtigt würden. Die Bergwerkswirtschaft sei illegal und erfülle auch die gesetzlichen Umweltauflagen nicht. „Wie kommen die Bergarbeiter an den Tuichi-Fluss? Gibt es Zahlen dazu, wie viel Kilometer Wege erschlossen wurden, um das schwere Gerät bis an den Tuichi zu bringen?“ Und man wisse doch, dass die Bergwerkswirtschaft auch ein Türöffner für andere Aktivitäten im Naturschutzgebiet sei.

Die Bewohner*innen von San José de Uchupiamonas, einer der letzten Gemeinden in der Zone A am Tuichi, sehen mit großer Besorgnis, dass das Wasser des Flusses nicht mehr klar ist. Das ist auch kein Wunder, wenn die Bergbaukooperativen Tag für Tag den Abraum[fn]Bezeichnung aus dem Bergbau für Erd- und Gesteinsschichten, die das Nutzmineral überdecken. Ein großes Problem ist auch die Kontaminierung mit Quecksilber. Siehe dazu den Beitrag von Karen Gil in der ila 454.[/fn] der Goldausbeutung in den Fluss entsorgen, angelockt vom Gold, das niemals das Leben bezahlen können wird, das durch den Abbau zerstört wird.