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Big Brother is watching you!

Peru: Neue Strategien der Bergbaukonzerne gegen ihre KritikerInnen

Marco Arana, ein 44-jähriger katholischer Priester aus dem Andenstädtchen Cajamarca, wirkt an jenem Vormittag im Dezember 2006 recht mitgenommen. In einer Pressekonferenz in den Räumen der Nationalen Menschenrechtskoordination berichtet er, wie er und seine Kolleginnen und Kollegen in der Umwelt-NRO „Grufides“ seit Monaten belästigt und mit anonymen Anrufen bedroht werden. „Wenn er sich weiter mit der Goldmine anlegt, wird er einen Kopfschuss abbekommen“, sagte der anonyme Telefonanrufer im September 2006. Marco Arana, die Anwältin Mirtha Vásquez und weitere UmweltschützerInnen aus Cajamarca bemerken zudem seit Monaten, dass sie verfolgt, gefilmt und öffentlich belästigt werden. Eine polizeiliche Anzeige deswegen verläuft im Sande. Bis Marco Arana sich schließlich einen der jungen Verfolger schnappt und ihn eigenhändig aufs nächste Polizeirevier bringt. Der 22-jährige Miguel Saldanha gibt an, dass er im Auftrag einer privaten Sicherheitsfirma Marco Arana und dessen Kollegen ausspioniert hat. In der Wohnung, die als Abhörzentrum angemietet war, findet die Polizei Videoaufnahmen, mehrere Computer sowie ein großes Tableau, auf dem die Fotos der Umweltschützer samt Spitznamen verzeichnet sind. Der Priester Marco Arana bekam den Spitznamen „der Teufel“. Ähnlich wie bei einer Terroristen- oder sonstigen Verbrechergroßfahndung. 

Die Methode ist nicht neu: Observación – vigilancia – seguimiento (OVISE) heißt sie und hat spätestens seit der Festnahme des Führers vom Leuchtenden Pfad (Sendero Luminoso), Abimael Guzmán, im Jahre 1992 landesweite Berühmtheit erlangt. Nur: Damals waren es vom Staat beauftragte spezialisierte Polizisten, die diese Observierung durchführten. Wer aber steckt hinter der privaten Firma „C & G“? C&G ist das Familienunternehmen eines pensionierten Polizisten, der angibt, im Auftrag eines Medienorgans seit Monaten Informationen über die Umweltschützer zu sammeln. Den Namen der Zeitschrift oder des Senders und der angeblichen Reportage gibt er nicht an. Die Tageszeitung „ La República“ weist Verbindungen nach zum privaten Sicherheitsunternehmen Forza. Dieses wurde in den neunziger Jahren von Marineangehörigen aus dem Umfeld des damaligen Geheimdiestchefs Vladimiro Montesinos gegründet. Heute ist Forza eines der größten Sicherheitsunternehmen Perus. Zu seinen privilegierten Kunden gehört auch die Goldmine Yanacocha.

Dass er einst derart „verteufelt“ werden würde, hat Marco Arana nicht vorhergesehen, als er 1992 als junger Landpfarrer seine Bauern und Bäuerinnen im Dorf Porcón gegen die Goldmine Yanacocha verteidigte. Die Campesinos/as beklagten sich, dass die Goldmine ihnen ihre Grundstücke zum Spottpreis abgekauft hatte (vgl. Beitrag von Waldo Acebey im Schwerpunkt dieser ila). Die ganzen neunziger Jahre hindurch entwickelte sich die Investition des US-amerikanischen Unternehmens Newmont und der peruanischen Firma Buenaventura – aufgrund des ansteigenden Goldpreises und der ungebremsten Nachfrage – im wahrsten Sinne des Wortes zu einer Goldgrube. Die Bauern und Bäuerinnen der Umgebung dagegen bemerkten voller Bangen, wie der Fischbestand weniger wurde und wie Bewässerungskanäle austrockneten. Die BewohnerInnen von Cajamarca waren besorgt um die Qualität und Quantität ihres Trinkwassers. Marco Arana und seine UmweltschützerInnen waren damals MahnerInnen in der Wüste. Erst im Herbst 2004 eskalierte diese Unruhe, als das Bergbauunternehmen auch im Quilish, dem Hausberg Cajamarcas, Gold abbauen wollte. Ganz Cajamarca ging damals auf die Straße und demonstrierte für den Erhalt der Wasserqualität. Yanacocha gab die Schürfrechte für den Berg Quilish daraufhin auf, und Marco Arana gewann landesweite Bekannheit als Vermittler zwischen Campesinos/as und Staat bzw. Unternehmen.

Obwohl Yanacocha auf eine Ausbeutung des Berges Quilish verzichtete, rissen die Konflikte um Yanacocha seitdem nicht ab. Anschuldigungen seitens der Campesinos/as, dass ihre Bäche und Kanäle verschmutzt bzw. versiegt seien, stehen technische Gutachten des Bergbauunternehmens gegenüber, dass dies nicht der Fall sei. Der peruanische Staat, einer der Nutznießer des Goldabbaus durch erhöhte Steuereinnahmen, stellt sich auf die Seite der Unternehmen oder zeigt sich inkompetent, Umweltauflagen glaubwürdig durchzusetzen. Der bisher letzte Konflikt um Yanacocha ereignete sich im August 2006. Das Dorf Combayo protestierte wegen fehlender Ausgleichszahlungen und wegen Verschmutzung seiner Gewässer. Die DorfbewohnerInnen blockierten die Zufahrtsstraße zur Goldmine. Es kam zu gewalttätigen 
Auseinandersetzungen zwischen Campesinos/as und den Sicherheitskräften Yanacochas. Ein Bauer wurde dabei erschossen. Erst durch Vermittlung des Premierministers kam es zu einer – vorübergehenden – Einigung.

Dass Yanacocha seit dem Konflikt um den Berg Quilish dazugelernt und seine Strategie geändert hat, war deutlich zu sehen. Als Antwort auf die Blockade der Straßen durch die Bauern und Bäuerinnen stellte Yanacocha seine Förderung ein, ohne Lohnausgleich für seine ArbeiterInnen zu zahlen. Schuld an ihrem Lohnausfall seien die UmweltschützerInnen – so oder ähnlich muss es den ArbeiterInnen von Yanacocha gesagt worden sein. Denn hatten die ArbeiterInnen Yanacochas vor zwei Jahren noch ihre Solidarität mit den Bauern gezeigt, so gingen sie dieses Mal massiv auf die Straße. Auf ihren Transparenten standen Slogans wie: „Pfaffe Arana, lass uns arbeiten“. Der Bergbau im hochtechnologisierten Stile Yanacochas bringt zwar – gesamtwirtschaftlich und am Gewinn gemessen – wenig Arbeitsplätze. Aber für das beschauliche Cajamarca sind auch die 3000 festen Jobs und die 7000 Zeitverträge via SubunternehmerInnen wesentliche Wirtschaftsfaktoren. Zudem hat Yanacocha seit 2004 seine Zulieferbetriebe im Raum Cajamarca massiv ausgebaut. Durch ein neues Steuergesetz verbleiben außerdem 50 Prozent der Steuereinnahmen aus dem Bergbau bei der Regional- und Lokalregierung. Die neue Strategie Yanacochas ist klar. Nicht das Unternehmen selbst, sondern seine Arbeiter gehen für es auf die Straße – sogar in der bezahlten Arbeitszeit.

Abgeschaut haben könnte Yanacocha diese neue Strategie von einem anderen umstrittenen  US-Unternehmen in Peru. Die Firma Doe Run betreibt in La Oroya, vier Stunden von Lima entfernt, eine alte Schmelzhütte, die den elementarsten Umweltstandards Hohn spricht. Mit Tricks hat Doe Run es geschafft, vom peruanischen Staat immer neue Fristen zur umwelttechnologischen Aufrüstung ihres Werkes auszuhandeln. Unter anderem erreichten sie dies dadurch, dass sie ihre Arbeiter samt Familien auf die Straße schickten, um gegen die Umweltschützer zu protestieren. Yolanda Zurita, bis 2005 Koordinatorin der „Gesundheitsbewegung in La Oroya“, kann ein Lied davon singen: „Ich wurde oft belästigt oder auf der Straße angerempelt. Auf dem Markt erschienen Flugblätter, auf denen stand, dass Menschen wie ich sterben sollten. Zu Hause bekam ich anonyme Anrufe.“ Yolanda Zurita legte ihr Vorstandsamt in der Gesundheitsbewegung schließlich nieder. Sie ist aber überzeugt, dass es so nicht weitergehen kann: „Wir können die Menschen nicht gegen ihre eigenen Leute aufhetzen und gegeneinander kämpfen lassen.“

Was bezweckte eigentlich die monatelange und nicht zuletzt auch finanziell aufwendige Bespitzelung von Marco Arana und seinen KollegInnen von „Grufides“? Marco Arana selbst erklärt es sich damit, dass er eingeschüchtert werden sollte, dass seine moralische Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werden sollte und nicht zuletzt auch seine körperliche Unversehrtheit in Gefahr war. Die Filmaufnahmen zeigten Marco Arana bei Besuchen bei seinem Bruder und dessen Familie, bei der Messe, bei Besuchen in Bauerngemeinden. Ebenso wurden zwei weitere Priesterkollegen bespitzelt und gefilmt. Anscheinend sollte dieses Filmmaterial so zusammengeschnitten werden, dass es gezielt gestreute Gerüchte untermauert, welche den moralischen Lebenswandel der katholischen Priester – und damit ihre Glaubwürdigkeit in anderen Themen – in Frage stellen sollten. Auch hier wäre Marco Arana nicht das erste Opfer einer gezielten Medienkampagne mit boulevardjournalistischen Mitteln. Vor gut einem Jahr wurde der Jesuit Paco Muguiro aus Jaén im Norden Perus in einem landesweit ausgestrahlten Polit-TV-Programm als Teil eines terroristischen Netzwerkes des Leuchtenden Pfades gebrandmarkt. Paco Muguiros „Vergehen“: Er setzt sich gegen eine Konzessionsvergabe des Bergbauprojektes „Majaz“ ein.

Umweltschützer von der Bevölkerung zu isolieren, sie mit dem Attribut „Terrorist“ oder „Entwicklungsgegner“ zu bezeichnen und damit Polarisierungen und Feindbilder heraufzubeschwören; private Sicherheitsfirmen mit dem Schutz der Unternehmen zu beauftragen, während der Staat angeblich keine Kapazitäten hat, die ÖkologInnen zu schützen – dies sind einige der Strategien, welche von Unternehmen im Bergbau-, Erdöl- und Erdgassektor in Peru gezielt angewendet werden. Zu diesem Schluss kommt auch ein Seminar der Nationalen Menschenrechtskoordination zum Thema „Umweltschutz – Multinationale Unternehmen – Menschenrechte“. Umweltschützer aus dem ganzen Land haben sich dort getroffen und festgestellt, dass Marco Aranas Fall zwar der spektakulärste, aber bei weitem nicht der einzige Fall von gezielter Einschüchterung und Verfolgung ist. 

Wenn man diese Vorkommnisse in einen Zusammenhang stellt mit dem Vorhaben der peruanischen Regierung, die NRO stärker unter staatliche Kontrolle zu stellen, so ergibt dies für die demokratischen, freiheitlichen Rechte, aber auch für mehr Verteilungsgerechtigkeit in Peru, ein besorgniserregendes Bild. Die Korruptionsbekämpfung scheint ebenfalls nicht von der Stelle zu kommen. Der Staatsanwalt von Cajamarca hat inzwischen das Verfahren gegen die VerfolgerInnen der Umweltschützer von Cajamarca eingestellt. Der Sohn der Obersten Staatsanwältin, die über die Berufung entscheiden wird, hatte die angeklagte Sicherheitsfirma verteidigt. Und gleich den Spieß umgedreht: Angeklagt sind nun Marco Arana und Kollegen wegen Verleumdung.

Big Brother is watching you! – ilawordpress