Baobab ist nicht nur ein Verlag, sondern auch ein Verein – wie ist dieses Konstrukt entstanden?
Baobab entstand in den 70er-Jahren aus der „Erklärung von Bern“ und der damals herrschenden entwicklungspolitischen Aufbruchstimmung. Damals kam die Frage auf: Welche Bilder vom Süden werden in der Kinder- und Jugendliteratur vermittelt? So bildete sich eine Arbeitsgruppe und 1975 erschien eine erste Empfehlungsliste für Kinderliteratur, die der Vorläufer von dem ist, was heute „Kolibri“ ist. Diese Empfehlungsliste ist seitdem ohne Unterbrechung herausgekommen. Parallell zu dieser Arbeit schälte sich in den 80er-Jahren die Erkenntnis heraus, dass auf dem deutschsprachigen Buchmarkt etwas fehlt, nämlich authentische Stimmen aus dem Süden, zumindest bei der Kinderliteratur. So entstand die Idee, selber Bücher herauszugeben. Im Jahr 1990 ist das erste Buch von uns erschienen, allerdings noch nicht als Verlag, sondern als Herausgeber. Gleichzeitig mauserte sich die ursprüngliche Arbeitgruppe zu einer eigenständigen Fachstelle, die von der „Erklärung von Bern“ und terre des hommes schweiz finanziert wurde. Die Facharbeit, auch im Bereich der Leseförderung, die Zusammenarbeit mit Schulen, wurde im Laufe der 00er-Jahre ausgebaut. Und immer kamen gleichzeitig Bücher heraus. Den Schritt in die Selbständigkeit haben wir am 1. Januar 2011 gemacht, wir wurden ein eigener Verein mit Gemeinnützigkeit und haben dabei die Herausgeberschaft in eine Verlegerschaft umgewandelt. Davor waren die Bücher bei wechselnden Verlagen, das wurde für uns aber immer unattraktiver, weil wir unser Profil klarer haben wollten. Jetzt haben wir Vereinsmitglieder, man kann auch Fördermitglied werden, aber wir sind kein Mitgliederverein im größeren Stil. Der Vereinsstatus ermöglicht uns zudem, Fördermittel zu beantragen.
Was machen die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen bei Baobab?
Das längerfristig angelegte Projekt ist das Verzeichnis „Kolibri“ mit 25 ehrenamtlich Mitarbeitenden, zum Teil schon seit über zehn Jahren. Sie prüfen alle Kinder- und Jugendbücher, die auf dem deutschsprachigen Buchmarkt erscheinen und auf irgendeine Art und Weise die Frage der kulturellen Vermittlung oder der kulturellen Identität in sich tragen. Jedes Buch wird von drei Personen gelesen und auf den monatlichen Treffen vorgestellt. Was wir als empfehlenswert für einen Nord-Süd-Dialog, eine faire Auseinandersetzung zwischen den Kulturen oder für die Vermittlung der Kulturen empfinden, kommt in dieses Verzeichnis.
Diese Lesegruppen gibt es bereits seit den 70er-Jahren und sie orientieren sich an bestimmten Kriterien, sie klopfen etwa die Texte nach unterschwelligem Rassismus oder paternalistischen Darstellungsweisen ab.
Genau, das hat sich von der Struktur her nicht verändert. Natürlich werden die Kriterien von Zeit zu Zeit überprüft und erweitert bzw. aktualisiert. Dieselben Kriterien gelten grundsätzlich auch für alle unsere Bücher, die wir selbst herausgeben; bei einer Übersetzung und Veröffentlichung ist es allerdings komplexer. Das Grundkriterium ist, dass wir ausschließlich AutorInnen aus Asien, Afrika und Lateinamerika, allenfalls noch von europäischen Minderheiten veröffentlichen, aber keine europäischen AutorInnen. Wir sind also permanent auf der Suche nach entweder schon publizierten Büchern oder nach AutorInnen oder KünstlerInnen, die Lust haben, etwas zusammen mit uns zu entwickeln. Es gibt schöne Bücher, die für den lokalen Markt funktionieren und verstanden werden, bei denen wir aber wissen, dass sie im deutschsprachigen Raum kaum einer kaufen würde. Nicht jedes Buch ist in der Lage, diese kulturelle Brücke zu schlagen. Es gibt starke kulturelle, im Bilderbuch auch visuelle Unterschiede, und da die Eltern die Kinderbücher kaufen, muss man immer erst diese Hürde überwinden. Viele Eltern kaufen zudem gerne die Bücher, die sie selber gelesen haben, als sie Kinder waren. Die Eltern von einem anderen Stil zu überzeugen, von einer ganz anderen Art, eine Geschichte zu erzählen, das kann ganz schön schwierig sein. Natürlich sind wir eine Non-Profit-Organisation und es gibt Bücher, die wir machen wollen, weil sie wichtig sind. Insgesamt müssen wir aber Bücher produzieren, die auch gefragt sind und die letztlich im Kinderzimmer landen. Deshalb überprüfen wir einerseits, was in dem einen oder dem anderen Markt funktionieren kann. Andererseits aber auch die literarische Qualität: Was ist eine gute Geschichte, was ist ein guter Geschichtenbogen, wie viel Spannung braucht es, wie nah ist ein Jugendbuch am Leben eines Jugendlichen bei uns?
Nehmen wir Lateinamerika als Beispiel: Da ist oft viel mehr Moral drin als bei uns. In den 1970ern und 80ern war das auch bei uns noch so, aber heute haben sich Kinder- und Jugendbücher, die erfolgreich sind, literarisch weit davon entfernt. In vielen Ländern herrscht die Auffassung, dass Literatur die jungen Menschen erziehen muss. Da kommt zum Teil der Holzhammer zum Einsatz und das ertragen wir gar nicht mehr!
Wie viele lieferbare Titel aus Lateinamerika hat Baobab aktuell im Programm?
Insgesamt haben wir 35 lieferbare Titel, ein knappes Viertel davon ist aus Lateinamerika. Lateinamerika ist ein nicht ganz einfacher Markt für uns: Mexiko ist ganz gut vertreten, Brasilien ebenfalls, und wir hatten vor einigen Jahren Geschichten aus Kolumbien und Argentinien, aber Länder wie Uruguay, Paraguay, Bolivien, Peru – das ist schwieriger. Ich suche immer und schau mir vieles an, aber es passt leider selten etwas, aus den genannten Gründen: weil es formal schwierig ist oder weil es unseren westlichen Qualitätskriterien nicht entspricht.
Bei der Literatur, die sich stark mit Tradition beschäftigt, bin ich zudem zurückhaltend. Baobab Books möchte kulturelle Vielfalt nicht in erster Linie über Tradition darstellen. Es ist uns wichtig zu zeigen, dass alle Kulturen und Gesellschaften sich entwickeln und auch ein zeitgenössisches künstlerisches Schaffen haben. Es geht beispielsweise nicht nur darum, alte, indigene Traditionen zu bewahren, sondern auch zu sehen, wohin sich die Menschen heute hin entwickeln. Aus diesem Grund ist Baobab zurückhaltend, wenn es um Märchen oder um traditionelle Geschichten aus der mündlichen Überlieferung geht.
Weil es ein in der Vergangenheit angesiedeltes, starres Bild von Kultur festschreiben würde?
Genau. Daran denken die meisten Menschen, wenn sie „andere Kulturen“ hören: Sie denken zuerst an das Essen und dann kommen die Märchen. So viel lässt man zu und danach geht die Klappe runter. Dem möchten wir entgegenwirken.
Das „Kolibri“-Verzeichnis hieß früher ja mal „Fremde Welten“. Weil wir diesen Namen aber irgendwann kritisch sahen, haben wir es in „Kolibri“ umbenannt. Der Kolibri sucht den Nektar und muss das Gleichgewicht halten, mit großem Aufwand: Er nimmt so viel Energie auf, wie er verbraucht. Wir fanden dieses Balancefinden ein schönes Bild für den interkulturellen Dialog.
Der Verlag will ja etwas Neues anbieten, das den Horizont erweitert. Aber wenn es zu sehr von den Lebenswelten hier entfernt ist, funktioniert es nicht. Das ist ein schmaler Grat.
Häufig sage ich: Ja, das ist ein schönes Buch, aber wenn ich mir überlege, welche Botschaft damit vermittelt wird, entscheide ich mich in vielen Fällen doch dagegen. Baobab hat diesen kleinen Platz in der deutschen Buchlandschaft von 8500 neuen Kinder- und Jugendbüchern jährlich, wir kämpfen um Aufmerksamkeit und machen drei, vier Titel im Jahr, dann möchte ich diese auch sehr präzise platzieren und eben nicht ein bisschen Folklore, ein bisschen bunt. Nein, ich möchte Aussagen machen können. Zum Beispiel das Buch „Bené – schneller als das schnellste Huhn“ (siehe Rezension auf S. 31): Es erzählt aus dem Alltag, ohne ihn zu interpretieren. Es kommt nicht als Buch über Kinderarbeit oder arme Kinder in Brasilien daher, es zeigt keine Folklore oder thematisiert die Frage, warum der Junge jetzt schwarz ist. Es wird einfach nur dargestellt. Das gefällt mir. Das geschieht mit einer Selbstverständlichkeit und nicht mit dem Hinweis „Jetzt erklären wir euch mal was“.
Ihr arbeitet auch mit Schulen zusammen. Was läuft da genau?
Wir bieten Unterrichtsmaterialien für unterschiedliche Stufen an, die die Bücher ergänzen. Die können sich die LehrerInnen kostenlos runterladen und haben so einsatzbereite Materialien für den Unterricht. So versuchen wir, die Bücher als Schullektüre zu platzieren, das ist nicht ganz einfach. Die Lehrer nehmen oft lieber das, was sie schon kennen. Des Weiteren haben wir ein Schulbesuchsprogramm, vor allem in der Schweiz. Die Lehrperson wählt das Buch aus und eine Animatorin von uns kommt für zwei Schulstunden in die Klasse und arbeitet mit ihr zur Thematik. So behandeln wir zum Beispiel das Buch „Der Bus von Rosa Parks“, in dem es um Rassismus und Widerstand geht. Die Kinder haben das Buch vorher nicht gelesen, bekommen darüber einen spielerischen Einstieg und am Schluss bleibt das Buch als Geschenk in der Klasse.
Was steht als nächstes an?
Zurzeit arbeiten wir an der nächsten Veröffentlichung im Frühjahr 2016, da wird wieder etwas von der Brasilianerin Eymar Toledo herauskommen, für den Herbst steht Indien auf dem Programm. Jetzt im November machen wir eine zweiwöchige Lesereise mit einem malaysischen Autor. Das ist auch etwas, was uns auszeichnet: Wir machen die Bücher, aber auch viel auf der Vermittlungsebene und wir versuchen permanent diesen Nord-Süd- beziehungsweise Ost-West-Dialog zu führen, zu beleben und für die Kinder erlebbar zu machen.