Bitte lächeln!

Der Film beginnt damit, dass ein älterer griesgrämig wirkender Mann, so um die 60, in einem heruntergekommenen Café frühstückt. Schnitt. Vor einem alten Haus mit wenig einladender Fassade steht eine etwa gleichaltrige, illusionslos dreinschauende Frau. Wenig später kommt der Mann, der eben gefrühstückt hatte, zu dem Haus, öffnet von außen einen Metallrolladen, gerade soweit, dass er tief gebückt den Innenraum betreten kann. Von dort zieht er den Rolladen ganz hoch und macht das Licht an. Nun tritt auch die Frau ein. Es ist eine kleine Fabrik, besser gesagt ein schäbiger Raum mit ein paar uralten Maschinen. Der Mann schaltet die Maschinen an. Man sieht, dass es sich um eine Textil-, genauer gesagt eine Strumpfproduktion handelt. Kurz darauf erscheinen zwei junge Frauen. Damit ist die Belegschaft komplett. Im abgetrennten Büro hängt die Jalousie halb herunter und der Mann versucht vergeblich, sie zu reparieren.

Das Ritual von der Öffnung des Metallrolladens, über das Anwerfen der Maschinen bis zum vergeblichen Versuch, die herunterhängende Jalousie zu reparieren, wiederholt sich auch am folgenden Tag und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Der Mann, Jacobo, ist der Eigentümer der Fabrik, die ältere Frau, Marta, die Vorarbeiterin. Jede Handlung und Geste der beiden ist eingefahren, man hat das Gefühl, dass sie seit Jahrzehnten das Gleiche tun. Lediglich die beiden jüngeren Arbeiterinnen sind noch lebendig, nicht in Routine erstarrt. Gesprochen wird wenig. Beiläufig erwähnt Jacobo, dass sein Bruder aus Brasilien zur Grabsteinsetzung der verstorbenen Mutter anreisen würde, und fragt Marta, ob sie nicht für ein paar Tage bei ihm einziehen könnte. Der Bruder hat Familie und ist beruflich erfolgreich, Jacobo, der sich ob seiner bescheidenen Junggesellenexistenz schämt, hat seinen Bruder angelogen und eine ebenfalls gut gehende Ehe vorgetäuscht. Die muss er jetzt seinem Bruder ein paar Tage vorgaukeln. Marta stimmt zu, insgeheim scheint sie seit Jahren auf einen Annäherungsversuch zu warten.

Die beiden Brüder haben sich wenig zu sagen. Jacobo hegt einen tiefen Groll gegen Hernán, der weggegangen ist und sein Glück gemacht hat, während er immer bei der Mutter war und nie aus Montevideo und seiner kleinen Klitsche herauskam. Nur Martas Anwesenheit verhindert, dass sich die beiden Brüder den ganzen Abend anschweigen. Als die Zeremonie auf dem jüdischen Friedhof am nächsten Tag vorbei ist und Hernán eigentlich wieder abreisen könnte, lädt er Jacobo und Marta in das Seebad Piriápolis an der uruguayischen Riviera ein. Marta freut sich über das Angebot, Jacobo willigt widerstrebend ein. In Piriápolis steigen die drei in einem ehemals eleganten Hotel ab, das seine besten Zeiten bereits hinter sich hat. Auch die sonstige Atmosphäre ist wenig geeignet, einen Kontrapunkt zur allgemeinen Skurrilität zu setzen, gibt es doch nichts weniger Einladendes als ein auf Sommergäste eingestelltes Seebad im Winter. Und doch kommt in Piriápolis eine Dynamik in die Beziehung des Trios.

Während Jacobo außer seiner Abneigung gegen seinen Bruder weiterhin kaum Gefühle zeigt und vor allem Martas Bedürfnisse ignoriert, beginnt diese sich gegenüber Hernán zu öffnen. Ganz vorsichtig, in kleinen Handlungen und Gesten, wagt sie sich vor. Jacobo registriert dies missmutig, schafft es aber nicht, um Marta zu kämpfen. Als Hernán schließlich abreist, ist die „Scheinehe“ von Marta und Jacobo zu Ende. Er hilft ihr, ihre Sachen in seiner Wohnung zusammenzupacken und bietet sich an, ihr ein Taxi zu rufen. Dann übergibt er ihr noch einen Umschlag. Am nächsten Morgen zieht Jacobo wieder den Metallrolladen seines Betriebes hoch – und dennoch ist alles anders als zuvor…

„Whisky“ ist ein Film, in dem vordergründig kaum etwas passiert und wenig gesprochen wird. Und trotzdem ist er spannend, wird umso spannender, je länger er dauert. Mit einer sehr dezenten Dramaturgie und einem eigenen subtilen Humor haben die Regisseure Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll einen bemerkenswerten Film inszeniert und mit Andrés Pazos (Jacobo) und Mirella Pascual (Marta) zwei DarstellerInnen gewonnen, die aus dem Ganzen ein kleines Meisterwerk machen. Man kann „Whisky“ individuell sehen, als Auseinandersetzung mit der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, aus festgefahrenen Rollen herauszutreten, man kann den Film aber auch als politische Parabel betrachten: Über Jahrzehnte ging es mit Uruguay bergab, weil die Mehrheit seiner BewohnerInnen keine Veränderungen wollten. Erst der frische Wind aus Brasilien lockte viele aus ihrer Erstarrung und ermutigte sie, etwas Neues zu versuchen. Am 31. Oktober haben sich 50,4 Prozent dafür ausgesprochen.

P.S. „Whisky“ hat nichts mit dem gleichnamigen Getränk zu tun, sondern ist in Uruguay das übliche Wort, wenn ein Fotograf diejenigen, die fotografiert werden sollen, zum Lächeln auffordert: Bitte lächeln!