Von der Hauptstadt Tegucigalpa aus unternahmen wir zahlreiche Exkursionen ins ganze Land, beobachteten Landbesetzungen und Demonstrationen. Wir waren nur drei Wochen in Honduras, haben in dieser kurzen Zeit aber mit sehr vielen Menschen gesprochen, viel Stadt, viel Bus, aber auch viel Landschaft gesehen und vor allem eine beeindruckende, sehr vielfältige Widerstandsbewegung kennengelernt. Diese ist wichtig, denn ihre Lebensstuation hat sich seit dem Putsch für die meisten Menschen verschlechtert.
Tegucigalpa oder Tegus, wie sie in Honduras oft genannt wird, ist eine weit verstreute Stadt auf vielen grünen Hügeln. Kein schöner Ort, die meisten Häuser und Geschäfte sind vergittert, vor den Banken und vielen Geschäften stehen bewaffnete Sicherheitskräfte. Uns fielen die vielen Grafitti auf, die Wände sind förmlich damit übersät.
In Tegus trafen wir viele Frauen und auch einige Männer aus der Resistencia, wie die Frente nacional de resistencia popular kurz genannt wird. Diese Widerstandsbewegung ist ein breites Bündnis, das sich nach dem Putsch 2009 zusammengefunden hat. Seitdem ist etwas in Bewegung geraten, was die herrschende Oligarchie – die ist nach wie vor die wahre Macht in Honduras – mit allen Mitteln zu stoppen versucht, bislang ohne Erfolg.
Wir erfuhren viel über den Putsch, seine Vor- und Nachgeschichte, einiges über die Diskussionen um die vom gestürzten Präsidenten Mel Zelaya, Teilen der Liberalen Partei und der Resistencia neu gegründeten „Partei für Freiheit und Neugründung“ mit dem Kürzel LIBRE. Diese tritt mit Zelayas Ehefrau Xiomara Castro als Spitzenkandidatin zu den nächsten Wahlen an. Für die einen ist LIBRE die Chance, 2013 die Wahlen zu gewinnen und doch noch eine neue Verfassung und eine andere Politik durchzusetzen, für die anderen ein gefährlicher Verschleiß von Kräften und Menschen in parteipolitischen Kämpfen. Während unserer Reise fanden die parteiinternen Vorwahlen statt. Es gab mehrere Todesdrohungen und auch einige Morde an KandidatInnen. Was ist, fragte eine unserer Gesprächspartnerinnen, wenn sie Xiomara ermorden? Oder wenn LIBRE die Wahlen gewinnt und danach erst die ganz große Repression beginnt? Da hörten wir es das erste Mal, das Wort von der „Kolumbianisierung“ von Honduras.
Immer wieder war die bedrückende Menschenrechtslage in Honduras Thema. Nicht nur Bertha Oliva, die Direktorin von COFADEH, der unabhängigen Menschenrechtsorganisation, schilderte uns eine besorgniserregende Situation, eine ständige Verschlechterung der Menschenrechtslage seit dem Putsch, zunehmende Straflosigkeit für die Täter, eine fast ungebrochene Macht der reichsten Familien, einen Ausverkauf des Landes. Die Morde an JournalistInnen und RechtsanwältInnen, an Frauen, an schwulen und lesbischen Menschen, an Jugendlichen und LehrerInnen sowie an KleinbäuerInnen haben alarmierende Ausmaß angenommen und nehmen weiter zu. Sie gehen fast ausschließlich auf das Konto von Militär und Polizei sowie privaten Sicherheitsdiensten der Großgrundbesitzer. Dazu kommt die allgemeine Kriminalität, denn die maras (Jugendbanden) und die Drogenbarone haben ebenfalls ihre eigenen Reiche errichtet. All das führt dazu, dass Honduras mit über 90 Morden pro 100 000 EinwohnerInnen zu den traurigen Spitzen der Mordstatistik weltweit zählt.
Davon bekamen wir aber nur indirekt etwas mit. Meist schnell als Gringos und Gringas – trotz unserer Beteuerungen, wir seien keine![fn]Als Gringos/as werden meistens nur US-AmerikanerInnen bezeichnet.[/fn] – erkannt, waren die meisten Menschen zurückhaltend freundlich und sehr an uns interessiert.
Einmal raus aus Tegus, konnte man sehen, wie schön das Land ist: grün, bergig, fruchtbar. Da es in der Regenzeit meist genug Wasser gibt, sind zwei oder mehr Ernten möglich. Ob der Reichtum an Gold, Silber und vielen anderen Mineralien Fluch oder Segen ist, darüber kann man trefflich streiten. Für die meisten BewohnerInnen eines Gebietes, wo Gold oder seltene Erden gefunden wurden oder Energieprojekte für den Bergbau geplant sind, haben die vielen Konzessionen der Nach-Putsch-Regierungen (mehrere hundert, und fast einhundert sind noch auf dem Weg) viele Nachteile: Zuerst gibt es schöne Worte und Versprechungen, dann folgen Korruption und die Spaltung der Bevölkerung, oft endet es mit Vertreibungen und nicht selten mit gesundheitlichen Schäden.
Wir waren auch in der Konfliktregion Bajo Aguán, wo Landkämpfe zwischen den Großgrundbesitzern und campesino/as an der Tagesordnung sind. Gilberto Ríos, der Direktor von FIAN Honduras, gab uns vorher einen Überblick über die Situation der Landbevölkerung und speziell die Lage in Bajo Aguán. Für ihn steckt Honduras mitten in einem gewaltsamen Konflikt sowie in einer tiefen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise. Staatsbeamte würden nur schleppend bezahlt, die Staatsschulden seien gigantisch und die aktuelle Regierung sehe die Lösung nur im Ausverkauf von Ressourcen.
Dass viele Ölpalmen zur Energiegewinnung angebaut werden, konnten wir bei stundenlangen Fahrten durch Ölpalmenfelder selbst feststellen. Da die Preise für Energiepflanzen auf dem Weltmarkt sehr gestiegen sind, werden immer mehr Flächen von Großgrundbesitzern dafür benutzt. Die Folge: Vertreibungen von Campesinos/as durch Polizei, Militär oder private Sicherheitsdienste. Dabei kommt es sehr oft zu gewaltsamen Übergriffen. Einen kleinen Einblick in die Situation bekamen wir, als sich unser Termin mit dem 2011 neu gegründeten Menschenrechtsbeobachtungszentrum Bajo Aguán verschob, weil bei einer gewaltsamen Räumung der Finca Los Laureles 34 campesinos/as festgenommen worden waren. Viele wurden bei der Räumung verprügelt, Flüchtende aus Autos gezerrt und Tränengasgranaten geworfen, ein Mann starb durch das Tränengas. Unter den 34 Festgenommenen waren mehrere Minderjährige und ein Baby. Wir fuhren dann vor den Justizpalast in Tocoa, neugierig beäugt und befragt von der wartenden Menge: Wer seid ihr? Unsere bloße Anwesenheit bedeutete für die Anwesenden einen gewissen Schutz. Die Verhafteten wurden schließlich freigelassen, mehrere waren mißhandelt worden.
Bei dem späteren Treffen mit dem Menschenrechtsobservatorium berichteten Vertreterinnen verschiedener Bauernorganisationen von Übergriffen durch Militär und Paramilitärs, von Morden, Verschwundenen und Vergewaltigungen, von Vertreibung und Angst. Am nächsten Tag besuchten wir drei sehr unterschiedliche Campesinogemeinden in Bajo Aguán: teils sehr organisiert und optimistisch, teils sehr ärmlich mit nichts als einer zerrissenen Plastikplane als „Haus“. Alle Gemeinden haben Vertreibungen erlebt, keine verfügt über Elektrizität oder fließendes Wasser.
Die Karibikküste von Honduras ist auf den ersten Blick ein Paradies: weißer Sand, Kokospalmen, Meer, selbstbewusste schwarze Menschen, leckeres Essen. Die hier lebenden Garifuna sind Nachkommen von SklavInnen, die durch einen Schiffbruch 1635 vor der Karibikinsel St. Vincent der Sklaverei entkamen, sich mit den indigenen Kariben vermischten und seit Ende des 18. Jahrhunderts die mittelamerikanische Atlantikküste besiedelten. Sie haben eine eigene Sprache, Musik und Kultur entwickelt, die von der UNO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Wir wohnten in Triunfo de la Cruz, eine „Ausnahmegemeinde“, wie uns die Präsidentin von OFRANEH, der Organisation der Garifuna in Honduras, später erklärte, denn die meisten Garifunasiedlungen sind kleiner. In Triunfo de la Cruz leben rund 10 000 Menschen und es ist eine Garfunastadt mit Garifunaverwaltung. In der Provinzhauptstadt Ceiba dagegen, die über einige touristische Infrastruktur verfügt, sind die meisten Geschäfte und Häuser in der Hand der Ladinos, dort verkaufen die Garifuna höchstens am Strand Essen und Kokosnüsse.
Wir besuchten in Triunfo de la Cruz das Radio Faluma Bimetu (Süße Kokosnuss) und den Garifunaaktivisten Alfredo López. Das Radio wurde 1995 von OFRANEH gegründet, um gegen die zunehmenden Enteignungen von kollektivem Garifunaland vorzugehen. Angesichts einer einseitigen Berichterstattung (die meisten Medien sind in der Hand der besitzenden Schichten) wollten die Garifuna ihre eigenen Nachrichten verbreiten. Alfredo López, der das Radio gegründet hat und Vizepräsident von OFRANEH ist, erzählte uns vom Hotelprojekt Los Micos auf Garifunaland, einem Hotelkomplex mit eigenem Golfplatz, der seit zwölf Jahren verhandelt und zurzeit gebaut wird. Er bezeichnete das Projekt als „ökologischen Selbstmord“, es bringe für die Garifuna nicht, wie behauptet, wirtschaftliche Vorteile und Fortschritt, sondern soziale und ökologische Probleme.
Das Radio und Alfredo wurden mehrfach bedroht, das Radio wurde bereits zweimal in Brand gesetzt, das letzte Mal im Januar nach dem Putsch. Alfredo selbst saß fünf Jahre im Gefängnis, die Anklagen waren fingiert, um ihn wegen seiner Aktivitäten gegen ein früheres Hotelprojekt (Marbella) aus dem Verkehr zu ziehen. Dieses kam nach langen Kämpfen nicht zustande. Die Garifuna konnten nachweisen, dass es zur Wäsche von Drogengeldern dienen sollte.
Wie angespannt die Lage in Triunfo de la Cruz ist, zeigt die Ermordung von drei Jugendlichen kurz vor unserem Besuch. Sie wurden von sechs Schwerbewaffneten in Polizeiuniform aus einem Billardsaal geholt. Einen Tag später fand man sie erschossen auf der Straße. Die Morde werden nicht aufgeklärt, selbst die Totenscheine zu bekommen war schwierig. Es ist unklar, ob die Täter wirklich Polizisten oder verkleidete private Sicherheitsmänner waren.
Das Micos-Hotelprojekt bzw. dessen Baustelle besichtigten wir am folgenden Tag. Da wir nicht durch das Tor durften, gingen wir über den Strand. Dort hinderte uns niemand daran, die Baustelle anzusehen. Wir trafen einen Essensverkäufer, der uns bestätigte, was wir vorher in Barra Vieja, einer Garifunagemeinde in der Bucht von Tela, erfahren hatten. Es gab Gemeinden, die sich gegen das Projekt wehrten und deshalb Repressalien ausgesetzt waren, aber auch Gemeinden, die hofften, von dem Bau der Hotelanlage zu profitieren. Auch viele BefürworterInnen sind inzwischen, nach etlichen gebrochenen Versprechungen, nicht mehr für das Projekt. Die meisten Bauarbeiter kommen von außerhalb, Garifuna gelten bei den Betreibern als „faul“ und als „Bettler“. Die wenigen, die auf dem Bau arbeiten, haben miserable Arbeitsbedingungen. Die Regel ist die 7-Tagewoche mit 12 bis 14 Stunden Arbeit und umgerechnet ca. 6-8 Euro täglich. Versicherung oder Urlaub gibt es nicht.
Im Gespräch mit Miriam Miranda, der Präsidentin von OFRANEH, deren Büro aus Sicherheitsgründen gerade aus der Provinzhauptstadt La Ceiba in die kleine Garifunagemeinde Sambo Creek umgezogen ist, ging es vor allem um drei geplante Modellstädte oder Charter Cities, die offiziell als Sonderentwicklungszonen bezeichnet werden. Eine davon ist auf angeblich „unbewohntem“ Garifunagebiet geplant.
Von Tegucigalpa aus unternahmen wir noch mehrere kleinere Exkursionen, so in das Siriatal, wo die BewohnerInnen bis heute unter der Goldmine Entremares der kanadischen Firma Goldcorp (die aktuell u.a. in Mexiko und Guatemala aktiv ist, vgl. ila 359) leiden, obwohl diese 2009 die Produktion einstellte. Am Abend vorher trafen wir uns zur Vorbereitung mit Dr. Juan Almendares. Der Arzt, Ex-Universitätsdirektor und früherer Präsidentschaftskandidat war der erste, der die Gesundheitsschäden durch den Goldabbau nachwies, trotz gegenteiliger Beteuerungen der Minenbetreiber, der honduranischen Regierung und der Sozialversicherung. Unter anderem als Folge seiner Studie setzte die honduranische Regierung die zulässige Belastungsgrenze von Schwermetallen herunter. Der Oberste Gerichtshof erklärte vor einigen Jahren 13 Artikel des Bergbaugesetzes für verfassungswidrig. Zurzeit wird an einem neuen Bergbaugesetz gearbeitet, das eindeutig die transnationalen Bergbaukonzerne bevorzugt und alle erreichten Erfolge wieder aufheben wird.
Im Valle de Siria besichtigten wir das ehemalige Minengelände (ein Vergnügen, das nur zahlungskräftigen TouristInnen vorbehalten ist) und das darauf von der Minengesellschaft errichtete „Zentrum für Ökotourismus“. Danach trafen wir uns mit Rudolfo Arteaga, dem Sprecher des Umweltkomitees vom Valle im Dorf Nuevo Palo Ralo. Er und später mehrere ehemalige Minenarbeiter berichteten von schweren gesundheitlichen Schäden durch die Goldmine. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Entremares/Goldcorp auf das neue Bergbaugesetz in Honduras wartet, um den offenen Tagebau wieder aufzunehmen, denn sie ist noch im Besitz von Konzessionen über 14 000 Hektar. Im Valle de Siria gibt es auch heiße Quellen und ein Projekt der deutschen GIZ, diese zur Energiegewinnung zu nutzen. Energie für die neue Goldmine? Dazu passt, dass die GIZ-MitarbeiterInnen in dem Zentrum für Ökotourismus der Minengesellschaft abgestiegen waren – ob sie allerdings wissen, dass es dort immer mal wieder zu massivem Fischsterben kommt? Denn die Schwermetalle, vor allem das beim Goldabbau eingesetzte Zyanid, wurden nur mit einer geringen Erdschicht bedeckt.
Bei unserem Besuch in der Grenzregion zu El Salvador kreisten die Gespräche mit den VertreterInnen der Lenca-Indígenas und StaudammgegnerInnen in La Esperanza um das Thema Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten, Ressourcenabbau und Menschenrechte. Bertha Cáceres, Direktorin der Indígenaorganisation COPINH, der gerade der Shalom-Friedenspreis in Deutschland verliehen wurde, und mehrere Mitglieder des Rates nahmen sich viel Zeit für uns. COPINH kämpft für die kollektiven, sozialen, politischen und spirituellen Rechte der Lenca. Das reicht vom Einsatz für Schulen, Gesundheitsversorgung, Frauenrechte bis zu den Kämpfen gegen die zahlreichen Minen- und Energieprojekte oder auch länderübergreifende „Entwicklungsprojekte“ wie den Plan Mesoamerica. Auch Bertha und die anderen COPINH-Mitglieder wurden bereits bedroht und angegriffen. Sie stellen eine zunehmende Militarisierung ihrer Region fest.
Als letztes stand ein Besuch der Halbinsel Zacate Grande an der Pazifikküste auf unserem Programm. Dort leben seit 150 Jahren rund ein Dutzend Gemeinden von Fischerei und Landwirtschaft. Aber auch hier gibt es gewalttätige Kämpfe um Landtitel, auch hier ist eine Modellstadt geplant. Das Land wurde im Jahr 1899 unter Präsident Terencio Sierra widerrechtlich (es war Staatseigentum) an seine Enkelin Carmen Malepin verschenkt. Miguel Facussé – ein Name, der uns während der gesamten Reise immer wieder begegnete, er und sein Familienimperium sind die größten Landbesitzer in Honduras – und andere Großgrundbesitzer kauften es in den 70er-Jahren (tatsächlich legten sie die Papiere erst in den 90er-Jahren vor). Die grüne Inselwelt dient ihnen nun als Sommerresidenz.
Das von Jugendlichen gegründete und betriebene Radio La Voz de Zacate Grande, das wir besuchten, klärt regelmäßig über die Lage der Landrechte auf der Halbinsel auf. Auch sie stehen unter Druck. So wurden schon mal acht Mitglieder des Radios verhaftet. Mehrere AktivistInnen von ADEPZA, der Widerstandsorganisation von Zacate Grande, informierten uns über die Situation in ihren Gemeinden. Auch hier Aggressionen und Vertreibungsversuche. Miguel Facussé und andere betreiben eine aktive Spaltungspolitik in den Gemeinden, mit kleinen Geschenken, Jobangeboten, dem Einsatz evangelikaler Sekten und demnächst auch mit einem eigenen Radio.
Wir übernachteten im gemeinsamen Menschenrechtscamp der italienischen Solidaritätsgruppen Zentralamerika CICA und COFADEH und konnten den Alltag der Menschenrechtsbeobachterinnen vor Ort erleben. Bereits in Tegus hatten wir die US-Menschenrechtsorganisation PROAH besucht, die Begleitungen im gesamten Land machen und eng mit COFADEH zusammenarbeiten. Alle Organisationen machten deutlich, dass dringend mehr internationale Delegationen oder MenschenrechtsbeobachterInnen für die zahlreichen Konfliktregionen und für die Wahlen 2013 in Honduras gesucht werden.