Dieses Buch ist eigentlich kein Buch, sondern ein über drei Kilogramm schweres, überdimensioniertes Table Book, mit dem man leicht jemanden erschlagen könnte. Der im Oktober 2015 im Phaidon Verlag erschienene Band Body of Art hat sich nicht weniger vorgenommen, als die Darstellung des menschlichen Körpers in der Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart zu zeigen und zu kommentieren, ausgehend von der westlichen Tradition mit außereuropäischen Erweiterungen. Ein starker Fokus liegt auf der Gegenwartskunst und ihren kritischen Ansätzen.
Direkt das erste Bild dieses verschwenderisch ausgestatteten Bildbandes, Marie-Guillemine Benoists Portrait of a Negresse aus dem Jahr 1800 fesselt, weil es eine Geschichte erzählt. Es füllt eine ganze Seite und ist ganz vorne im Buch, direkt hinter dem Einführungstext von Jennifer Blessing, abgebildet, wodurch es eine besondere Bedeutung bekommt. Ruhig und gelassen schaut eine junge schwarze Frau die Leserin an – dennoch ist ihr Blick ähnlich rätselhaft wie der der Mona Lisa. Die französische Malerin Marie-Guillemine Benoist (1768-1826) malte es vermutlich kurz nach der Abschaffung der Sklaverei 1794 in der damaligen französischen Kolonie Guadeloupe, wohin sie mit ihrem Mann vor der Französischen Revolution floh. 1802 führte Napoleon die Sklaverei in den Kolonien wieder ein. Wurden schwarze SklavInnen nach Frankreich gebracht, arbeiteten sie als Dienstpersonal.
Benoist war Künstlerin zu einer Zeit, als dies Seltenheitswert besaß (Benoist gehörte sogar zu einem kleinen Kreis professioneller, meist adeliger Malerinnen), sie porträtiert hier eine braunhäutige Frau, auch das hatte damals Seltenheitswert. Es ist nicht bekannt, wer die junge Frau ist, Benoist nannte sie nur „negresse“. Und das wirft weitere Fragen auf – wollte die Malerin mit ihr nur ein Symbol, eine Allegorie für schwarzes und weibliches Empowerment darstellen? Das Bild wurde zum Symbol der weiblichen Emanzipation und der Menschenrechte, aber die Dargestellte starb vermutlich als Sklavin oder Dienerin. Im Jahr 1818 erwarb der französische König Ludwig XVIII. das Bild, das heute im Louvre hängt. Die schwarze Frau als Inspiration und Medium in der Kunst?
In dem Buch ist diese beeindruckende namenlose Frau auf einer linken Seite abgebildet und gegenüber steht nur ein Wort auf einer abgesehen davon leeren Seite: Beauty. Ein Etikett? Daran schließt sich ein Text über das Thema Schönheit an, illustriert durch eine Fülle von kurz kommentierten farbigen Bildern: von Botticellis Geburt der Venus, Manets nackter Olympia von 1863 samt dem frechen Selbstporträt von Morimua von 1988, der sich in derselben Pose mit schwarzer Dienerin im Hintergrund malte, bis zur Venus von Willendorf. Es folgen viele weitere bekannte und einige weniger bekannte Abbildungen, immer wieder werden (meist liegende) weibliche Akte gezeigt, auch einige männliche, fast alle jung und schön und zur sinnlichen Betrachtung einladend. Einige der Reaktionen von Künstlerinnen auf diese Darstellungsweise werden ebenfalls gezeigt – schließlich ist seit der Renaissance der liegende weibliche Akt ein zentrales Motiv in der Malerei, das stark auf den männlichen Betrachter ausgerichtet ist, wie Feministinnen kritisieren, weil so vermeintliche Rechte des Mannes verdeutlicht werden. Etwa die Fotos von der US-amerikanischen Künstlerin Hannah Wilke in den verschiedenen Stadien ihrer Krebserkrankung oder eines der überbordenden Gemälde der englischen Malerin Jenny Salville, die immer ihren eigenen riesigen Körper malt, der so üppig ist, dass das Bild dafür zu klein ist. Beide wirken aber mehr wie ein Schönheitspflästerchen in der Bilderfülle an schönen nackten Menschen. Ist das Schönheit? Was ist Schönheit? Dass die Frage offen bleibt, spricht vielleicht für den Bildband.
Viele weitere Themenbereiche zum Körper in der Kunst/ Kunstkörper werden in der Folge ähnlich kommentiert und bebildert. Diese Bereiche wurden wie auch der erste, „Schönheit“, von den VerlagsherausgeberInnen ausgesucht und geschrieben. Die Bereiche heißen: Identität, Macht, Religion, Sex & Gender, Grenzen des Körpers, Körper und Raum, der missgebildete Körper, der abwesende Körper. Überall findet man jede Menge Kunst, jede Menge Körper, in den unterschiedlichsten Stadien und Manifestationen, nicht immer schön. Es ist spannend und aufregend, zu blättern, zu schauen, zu vergleichen und zu lesen, obwohl die Message, wenn es denn eine gibt, in der Fülle der dargestellten Kunstwerke untergeht. Zum Schluss gibt es noch eine Zeittafel von 24000 v. Chr. bis 2015, die historische Ereignisse und Kunstentwicklungen zusammenführt. Für 2015 beispielsweise das Charlie-Hebdo-Attentat in Paris, die Entdeckung von 130 000 Jahre altem Neandertalerschmuck in Kroatien und die Geschlechtsumwandlung von Ex-Goldmedaillengewinner Bruce Jenner mit 65 Jahren. Nun ja, das ist zumindest eine originelle Zusammenfassung des Jahres.
In der Verlagsankündigung heißt es, es sei das einzige Buch seiner Art, das erste Buch, das umfassend die verschiedene Wege erforscht, in denen der menschliche Körper für KünstlerInnen über Tausende von Jahren zugleich Inspiration und Medium war. Tatsächlich ist es ein großes Werk. So groß, dass es in keine Tasche, keinen Rucksack, kein Bücherregal passt. Am besten legt man es auf einen stabilen Tisch. Dann kann man auch immer wieder darin blättern.