Eigentlich war Samstag, der 12. Juni, ein Tag wie viele andere im Leben der Musiker der Gruppe Pasajeros aus Medellín. Sie spielten bei einer Kulturveranstaltung in Copacabana, wie ein Ort im Norden des Departements Antioquia heißt. Mit dem Konzert drückten sie ihre Solidarität mit der örtlichen Bevölkerung aus, die wegen der drohenden Einführung einer Straßenmaut protestierte. Unter den Organisatoren des kulturellen Events war auch der Gewerkschaftsdachverband CUT. Während der Veranstaltung tauchten ominöse Herren in Zivil auf, die sich nicht auswiesen, aber die BesucherInnen und auch die Musiker eifrig filmten und fotografierten. Etwas beunruhigend, denn in der Politszene Kolumbiens weiß man, dass solche Herren ihre Videos nicht aus privatem Interesse machen, sondern die „Resultate“ bei ihren Auftraggebern, irgendwelchen Sicherheitsdiensten, abliefern.
Später wurden Mitglieder einer Antiterror-Spezialeinheit vorstellig, forderten Hernán und Leonardo Rua sowie Roland Higuita auf sich auszuweisen und erklärten ihnen, sie seien festgenommen. Einen Haftbefehl hatten sie nicht dabei und Gründe für ihr Vorgehen nannten sie auch nicht. Aber wenig später, damit auch alles mit rechten Dingen zugeht, „legalisierte“ eine Staatsanwältin die Aktion mit der Begründung, „Informanten“ hätten den Hinweis gegeben, dass die drei Musiker „zu den Aufständischen“ gehörten. Das Netzwerk von „Informanten“, das heißt bezahlte Spitzel, deren Identität geschützt ist, ist einer der Kernpunkte von Präsident Uribes Politik. Der Name „Politik der demokratischen Sicherheit“ ist dabei eine schmeichelhafte Bezeichnung für generalisierten Antiterrorkampf. Eine Million Spitzel sollten schon im ersten Regierungsjahr rekrutiert werden. Ihre geheimen und nicht überprüfbaren Aussagen haben schon Hunderte, wenn nicht Tausende hinter Gitter gebracht. Dort sind jetzt auch die drei Mitglieder der überaus beliebten Musikgruppe Pasajeros. Sie ist nicht nur in Medellín, sondern im ganzen Land und über die Grenzen hinaus bekannt.
Gott sei Dank, damit sind wieder ein paar Terroristen mehr im Knast und die öffentliche Ordnung vor ihnen sicher. Und die Regierung hat bei der Terrorbekämpfung weitere Punkte gemacht und die diesbezügliche Statistik verbessert. Alles paletti. „Diktator“ Uribe, wie er zumindest heimlich genannt wird, kommt im Ausland mit seiner autoritären Politik ja auch ganz gut an. Erst am 6. September verlautbarte der oberste Sicherheitsbeauftragte der EU, Javier Solana, in einem Kommuniqué, dass zwischen Europa und Kolumbien freundschaftliche Bande bestehen und dass „dieses Land in der Vergangenheit doch leider so viel leiden musste, jetzt aber gewaltige Anstrengungen unternommen hat“. Aufmunternde Worte für Kolumbiens Außenministerin Barco, die zu Gast in Brüssel war.
Vielleicht sehen Leonardo, Hernán und Roland in ihren Gefängniszellen in Medellín, 2,5 auf 3 Meter, das mit dem Leiden auch, aber vermutlich völlig anders. Die Terrorismusanklage gegen sie wurde inzwischen fallen gelassen, jetzt werden sie noch der „Rebellion“ bezichtigt. Auch noch genug. Den Gefängnisalltag teilen sie mit vielen anderen Leuten aus Armenvierteln, einige aus Flüchtlingsinitiativen. Immerhin bekommen sie jetzt die Solidarität zurück, die sie vorher anderen schenkten. Es gibt zahlreiche Solidaritätsbekundungen, denn „man kann doch nicht zulassen, dass das Lied in Asche zerfällt“.
„Klar, unsere Verfolgung fällt nicht vom Himmel, sie hat mit dem zu tun, was wir machen und was wir singen. Wir sind eben unbequem wie alle, die die Wahrheit sagen, den Staat, die Regierungen und ihre unsoziale Politik kritisieren“, schreiben die drei Musiker am 16. Juni in einem Brief aus dem Knast. „Alle, die unsere Arbeit kennen und unsere Lieder mitgesungen haben, wissen, dass wir nie verheimlichten, dass für uns die kritische humanitäre Situation in diesem Land eine große Sorge ist“, führen sie am 18. Juni aus.
Klar, mit der Verhaftung der drei Musiker wurden Zeichen gesetzt, wieder mal die Grenzen verschoben und signalisiert, dass in Kolumbien niemand vor willkürlichen Verhaftungen gefeit ist. Auch populäre, öffentlich bekannte Leute nicht. Die Message richtet sich vor allem an die kritischen, engagierten KulturarbeiterInnen, in Kolumbien eine quirlige und äußerst kreative Szene: Hört auf mit eurer politischen Kunst und dem Gefasele von Gerechtigkeit! „Wie früher in den Diktaturen der Nachbarländer sind heute bei uns das Lied und die Poesie geknebelt und eingekerkert“, sorgen sich die Medelliner Menschenrechtsgruppen.
Wer sind die Pasajeros, die den kolumbianischen Staat so sehr
das Fürchten lehrten, dass er sie einsperren musste?
Die Pasajeros (dt.: Passagiere) verstehen sich in der Tradition des Protestliedes. In einem Wortspiel nennen sie sich aber Vertreter des canción propuesta und nicht des canción protesta. Mit ihrer Musik wollen sie also nicht (nur) protestieren, sondern auch Vorschläge machen, musikalisch und politisch. Neben vielen eigenen Texten singen sie zum Beispiel die des Uruguayers Mario Benedetti. Aufruf zum bewaffneten Kampf, weit gefehlt! Oder sollte man vielleicht folgenden Text als solchen verstehen? „Wenn man die Gefangenen von ihrem Hass befreien will, braucht’s dazu eine Schlacht, mit liebevollen Verbündeten…“ (aus der CD „Conmoción Interior“ von 2003)
Hernán und Leonardo Rua stammen aus einer traditionsreichen musikalischen Famile. 1989 trafen sie als Studenten an der Nationaluniversität in Medellín Roland Higuita. Sie fühlten eine geistige und musikalische Verwandtschaft, insbesondere eine Vorliebe für andine Musik. Bald traten sie auf verschiedenen Events gemeinsam auf. 1991 gründeten sie die Gruppe Pasajeros. Sie entwickeln einen empirischen, experimentellen und sehr persönlichen Musikstil und verstehen sich in der Linie des „neuen lateinamerikanischen Liedes“.
1994 gelingt es ihnen, ihre erste Aufnahme „Conquista y Huella“ (Eroberung und Spuren) herauszugeben. Inzwischen sind sie in studentischen Kreisen und bei sozialen Bewegungen gut bekannt. Sie treten auf verschiedenen Festivals im ganzen Land auf. 1996 folgt die zweite Veröffentlichung „Vive Ciudad“. 1997 reisen sie nach Cuba und musizieren dort. Danach folgt ihre Platte „Aún a fin de siglo“ (Selbst noch zum Ende des Jahrhunderts). Es folgen viele weitere Produktionen, nun auf CD. Ihre Musik wird moderner, reifer im Ausdruck und im Konzept des Protestliedes, dessen Wurzeln bewusst im sozialpolitischen Engagement und im andinen Volkslied gesehen werden.
Neben ihrer musikalischen Tätigkeit engagieren sich die Pasajeros bei sozialen Bewegungen und machen Kulturarbeit, begeben sich auf die Suche nach einer kulturellen Identität als Lateinamerikaner. Sie arbeiten mit Kindern und Jugendlichen in den Randvierteln von Medellín und erforschen mit ihnen musikalische Ausdrucksformen. Außerdem organisieren sie nun selbst große regionale Kulturtreffen. Nach einer Konzertreise durch Spanien schließen sie sich mit anderen Gruppen und Musikern zusammen, um neue musikalische Impulse zu setzen.
In einem ihrer Lieder singen sie:
Es la mordaza lo que ordena silenciar al viento
Es la mordaza quien manda disolver los colores
Encerrar la melodía del pincel
Encerrar la dulce gama del cantar
Es el hombre quien
Se resiste a entregar su sensibilidad.
Por los oscuros pasillos
Que proponen transitar
A fin de siglo.
Ahora se persigue al acto creador
Tal vez la única posibilidad
Que nos dejan para transitar
El horizonte de la libertad
Y no, no pare el viento de cantar
Y no, no cese el niño de soñar
Y no, no pare el hombre de crear
Y no, no dejes nunca de pintar
En las paredes …
Y no, no dejes nunca de pintar
A fin de siglo … ¡Libertad!