Der Ritt zweier Menschen auf einem Dromedar ist nur auf den ersten Blick eine merkwürdige Dreierbeziehung. Die Reiter sitzen rechts und links vom Höcker, Gewichtsunterschiede werden mit Sandsäckchen ausgeglichen. Das Dromedar hält beide auf Abstand, was die Balance begünstigt, und ist für das Vorwärtskommen zuständig. Auf einer namenlosen Insel (Teneriffa? Fogo? Jedenfalls keine brasilianische Insel) umrunden Erika und der Tierarzt Dr. Adrián auf diese Weise einen Vulkan.
Der Doktor, wie er aus Erikas Mund immer nur heißt, ist verliebt in Erika, möchte sie heiraten, Kinder mit ihr haben. Erika lässt sich darauf erst einmal ein. So beschreibt sie es jedenfalls auf einem Tonband, das sie regelmäßig bespricht. Ein mündliches Tagebuch gleichsam, in dem sie sich permanent in Frage stellt und das einen direkten, aber stummen Adressaten hat: Alex, Künstler und Erikas langjähriger Freund, von dem sie eine Auszeit mit unbestimmter Dauer nimmt, nachdem die gemeinsame Freundin Karen an Krebs gestorben ist. Die Aufnahmen mimen Dialog, sind es aber nicht. Denn Erika redet Alex an, doch er bleibt stumm. Weder schreibt sie ihm, noch ruft sie ihn von ihrem Unterschlupf bei Freunden auf der namenlosen Insel an. Ob er ihre Worte je hören wird, bleibt offen.
Verwirrend? Nicht nachvollziehbar? Oh doch. Denn Erikas Geschichte ist ganz simpel: sie spielt an einem Ort – einer Insel – wird chronologisch und in einem überschaubaren Zeitraum erzählt und hat ein sehr begrenztes Personal. Klassisch aristotelisch gleichsam. Nicht klassisch aber entfaltet sich diese Versuchsanordnung von Anfang an. Die Erzählstimme ist die einer Frau, das Medium eine Tonspur. Die Perspektive ist radikal weiblich. Was Männer sagen oder tun, wird allein von Erika referiert. Sparsam, wie bei einem Hörspiel eingestreute Regieangaben zwischen den Aufnahmen („Schritte entfernen sich“, „Steinwürfe“ oder „Erika schreit fast“) sind anonym, möglicherweise von Erika selbst hinzugesetzt.
Erikas Zweierbeziehung mit dem bildenden Künstler Alex ist zerbrochen, nachdem die Dritte im Bunde, die Kunststudentin Karen, Erika eines Tages von ihrer unheilbaren Krankheit erzählt hat. Erikas Reaktion ist alles andere als konventionskonform: sie bricht den Kontakt sofort ab, tröstet nicht, antwortet auf keinen der verzweifelten Anrufe Karens noch folgt sie der Bitte von deren Mutter, Karen zu besuchen. Das Thema Schuld treibt Erika um. Nur das Nichtwissen macht frei von Schuld, sagt sie. Daher ihre endgültige Abwendung von Erika.
Doch die Kontaktverweigerung macht auch die Beziehung zu Alex unmöglich. Zwei geht nicht ohne drei, spürt Erika. Ist das Dromedar im Romantitel somit eine lediglich ungewöhnliche Metapher für eine uneingestandene Normalität, nämlich dass jede Zweierbeziehung eine oder einen Dritten braucht, der/die die beiden voreinander beschützt und den beiden gleichzeitig das „Füreinander Geschaffensein“ verdeutlicht? Siehe „Jules und Jim“ oder Jahrhunderte früher Tristan und Isolde. In Carola Saavedras Roman gibt es nur Beziehungen, die auf dieser Konstellation aufbauen: Karen ist die Dritte bei Erika und Alex, Alex bei seiner Galeristin Vanessa und deren Mann Boris, oder auch Alex bei Erika und dem Doktor, die ein Paar werden, weil es Alex gibt. Oder umgekehrt könnten Erika und Alex wieder ein Paar werden, weil es den Doktor gibt. Er, der Kunstbanause („Der Doktor ist einer von denen, die sagen, ich habe keine Lust auf Kunst, die man nur verstehen kann, wenn man eine Begleitbroschüre dazu liest“, S. 133), verliert am Ende Erika, die ihm nie die Wahrheit über sich erzählt, nie, dass sie Künstlerin ist, während sie doch dauernd auf ihren Aufnahmen für Alex über dessen Kunsttheorien nachdenkt.
Ihre wie zufällige Selbstinszenierung als Kunstfigur dem Doktor gegenüber („ich bin Lehrerin“) ist wie eine Realisierung von Alex’ Kunsttheorie. Danach schält der Künstler das Werk nicht aus dem Stein, es ist nicht schon vorhanden. Nicht der Gegenstand ist Kunst, vielmehr macht ihn der Zusammenhang, in den er gestellt wird, zur Kunst. Ist Erika in diesem Sinne wirklich nur die Muse Alex’, als die sie sich bisweilen darstellt, oder Stichwortgeberin, deren Ideen in das Werk Alex’ einfließen, aber nicht ausmachen – man kann nicht umhin, an Rodin und Camille Claudel zu denken. An Erika jedoch ist nichts Tragisches, Selbstzweifel haben produktives Potential. Die Tonbandaufnahmen sind vielleicht, warum nicht, nicht anderes als eine Installation. Und ist Alex dann nicht eine Erfindung?
Man kann Carola Saavedras Roman so lesen. Oder auch anders. Zum Beispiel als Lehrstück über die Unmöglichkeit der Kommunikation oder über die Leerstelle Glück. Bei einer Lesung in Köln bemerkte die Autorin, jede ihrer Inhaltsangaben falle anders aus. Das ist das Faszinierende an diesem dritten Roman dieser Autorin, dem ersten, der gerade ins Deutsche übersetzt wurde. 1973 in Chile geboren, kam sie als Dreijährige nach Brasilien, studierte Kommunikationswissenschaften in Deutschland, lebte rund zehn Jahre in Europa. Viel von diesem Gepäck ist in diesem Roman, der dennoch so gar nicht schwer ist – es kommt auf den Leser und die Leserin an, mit welcher Information, aus welcher Perspektive sie an ihn herangehen.
Carola Saavedra: Landschaft mit Dromedar, Übersetzung: Maria Hummitzsch, Verlag Beck, München 2013. 174 Seiten, 17,95 Euro