In den letzten beiden Jahren wurde die Situation der Menschenrechte in Mexiko mit drei unterschiedlichen Instrumenten der Vereinten Nationen überprüft. Erstens im Rahmen des UPR-Verfahrens (Universal Periodic Review – Universelles Periodisches Überprüfungsverfahren) vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, zweitens durch den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu extralegalen, summarischen und willkürlichen Hinrichtungen, Christof Heyns, und schließlich Ende April 2014 durch den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu Folter, Juan Méndez. Alle Überprüfungsmechanismen bestätigten übereinstimmend die kritische Menschenrechtslage im Land und empfahlen eine Vielzahl konkreter Maßnahmen zur Verbesserung der Situation.
Im UPR-Verfahren wird die Menschenrechtssituation eines Landes regelmäßig alle vier Jahre überprüft und anschließend werden Empfehlungen an die betroffene Regierung ausgesprochen. Die Mitglieder des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen sprachen insgesamt 176 Empfehlungen an Mexiko aus. Die Empfehlungen beziehen sich auf den Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen und JournalistInnen (vgl. Beitrag von Marta Durán in dieser ila) sowie die Umsetzung der Rechte von Frauen, Indígenas und Migranten. Ebenso wurden Aspekte des Justizwesens thematisiert, darunter die Rechtsfigur des arraigo (eine Art Vorbeugehaft) und die Militärjustiz. Im März dieses Jahres nahm die mexikanische Regierung in Genf vor dem Menschenrechtsrat Stellung zu den erhaltenen Empfehlungen. Sie nahm 166 Empfehlungen an, die restlichen zehn Empfehlungen lehnte die Regierung ab, darunter die Empfehlungen zur Abschaffung des arraigo. Dieses Instrument erlaubt zwecks Beweissicherung die vorläufige Festnahme Verdächtiger ohne formale Anklage. Nationale wie internationale Menschenrechtsorganisationen hatten wiederholt darauf hingewiesen, dass in der aktuellen Situation eine erhöhte Gefahr des Missbrauchs besteht und diese Art der Vorbeugehaft weiteren Menschenrechtsverletzungen wie Folter, extralegalen Hinrichtungen oder Verschwindenlassen Vorschub leistet.
Der zweite Mechanismus zur Überprüfung der Menschenrechtslage war der Besuch des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen zu extralegalen, summarischen und willkürlichen Hinrichtungen, Christof Heyns, letztes Jahr in Mexiko. In seinem vorläufigen Bericht thematisierte der Sonderberichterstatter den Einsatz des Militärs in Fragen der inneren Sicherheit, das hohe Gewaltniveau und die extreme Straflosigkeit auch in Fällen von Mord. Während der Regierungszeit von Präsident Felipe Calderón wurden 102 696 Menschen ermordet. Allerdings konnte die Regierung Enrique Peña Nieto dem Sonderberichterstatter auf Anfrage nur die Daten von 26 Fällen von Ermittlungen für den betroffenen Zeitraum vorlegen. Im Juni dieses Jahres stellt der Sonderberichterstatter seinen Bericht vor den Vereinten Nationen in Genf vor. Die Situation hat sich allerdings seit seinem Besuch nicht verbessert, das Gewaltniveau ist weiterhin hoch. Laut Presseberichten sind in den ersten 14 Monaten der Regierungszeit von Enrique Peña Nieto 23 640 Morde gezählt worden – bei anhaltender Straflosigkeit.
Schließlich besuchte vor kurzem – im April dieses Jahres – der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu Folter, Juan Méndez, unterschiedliche Haftanstalten, Einrichtungen für Vorbeugehaft sowie eine behördliche MigrantInneneinrichtung in Mexiko. Die staatliche Nationale Menschenrechtskommission CNDH (Comisión Nacional de Derechos Humanos) veröffentliche Daten, denen zufolge zwischen 2006 und 2012 7253 Foltervorwürfe bei ihr angezeigt worden waren. Méndez kritisierte die systematische Anwendung von Folter durch alle Ebenen der Sicherheitskräfte, sowohl durch Militärangehörige als auch durch PolizistInnen. Der Besuch einer Einrichtung für Untersuchungshäftlinge in Monterrey wurde dem Sonderberichterstatter verwehrt, obwohl gerade auch aus dieser Einrichtung Foltervorwürfe vorlagen. Auch Méndez verwies auf die Straflosigkeit als dringendes Problem, das es zu lösen gelte. Recherchen mexikanischer JournalistInnen bei Staatsanwaltschaft und Militär ergaben, dass in den letzten zehn Jahren kein einziger Fall von Folter vor zivilen oder Militärgerichten behandelt wurde.
In einem ausstehenden vierten Verfahren gegenüber den Vereinten Nationen wird die Problematik des Verschwindenlassens behandelt. Enrique Peña Nieto hatte kurz nach Amtsantritt die Zahl von über 26 000 Verschwundenen bekanntgegeben. Für all diese Fälle machte er die Vorgängerregierung verantwortlich und versprach Aufklärung. Im März dieses Jahres legte die Regierung ihren Staatenbericht dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen gewaltsames Verschwindenlassen vor. Der Bericht geht auf juristische Fragen, wie das im Februar 2013 in Kraft getretene Opfergesetz, ebenso ein wie auf staatliche Institutionen zum Schutz vor Verschwindenlassen und zur Aufklärung von Fällen von Verschwindenlassen. Die Sondereinheit zur Suche verschwundener Personen (Unidad Especializada de Búsqueda de Personas Desaparecidas), das Nationale Register verschwundener Personen (Registro Nacional de Datos de Personas Extraviadas o Desaparecidas), die Sonderstaatsanwaltschaft zur Betreuung für Opfer von Verbrechen (Procuraduría Social de Atención a las Víctimas de Delitos – Províctima) werden als strukturelle Verbesserung zur Aufklärung der Verbrechen und Betreuung der Opfer erwähnt.
De facto hat sich allerdings in keinem der angesprochenen Bereiche gravierender Menschenrechtsverletzungen etwas verändert. Es werden weiterhin diesselben Greueltaten verübt wie in vorangegangenen Jahren, es gibt immer wieder neue Fälle extralegaler Hinrichtungen und gewaltsamen Verschwindenlassens. Dies zeigt sich besonders deutlich in jenen Regionen, in welchen Betroffene oder Familienangehörige beginnen sich zu organisieren und Fälle zu dokumentieren. Strukturelle Verbesserungen im politischen oder juristischen Bereich hat es nicht gegeben. Die von der Regierung beispielsweise im Staatenbericht für den Ausschuss gegen gewaltsames Verschwindenlassen aufgeführten Institutionen sind entweder bereits aufgelöst worden (Províctima) oder funktionieren noch nicht, wie beispielsweise Institutionen, die aufgrund des Opfergesetzes begründet worden sind.
Die von allen nationalen wie internationalen Experten kritisierte Straflosigkeit, vom Sonderberichterstatter Heyns als „systematisch und endemisch“ bezeichnet, hat weiterhin Bestand. Davon zeugen auch die offiziellen Regierungsangaben in den verschiedenen Verfahren, sei es zur äußerst niedrigen Aufklärungsrate bei Morden oder wie oben aufgeführt in Fällen von Folter. Gleiches bestätigt sich auch in den Fällen von Verschwindenlassen. Laut mexikanischem Staatenbericht hat die Generalstaatsanwaltschaft zwischen den Jahren 2006 und 2013 nur 99 Vorermittlungen wegen gewaltsamen Verschwindenlassens durchgeführt. In demselben Bericht bestätigt die mexikanische Regierung, dass nur sechs Urteile gefällt worden sind.
Betroffene bezeichnen die Regierungspolitik als bewusstes Täuschungsmanöver. Demzufolge etabliert die Regierung nur scheinbar staatliche Institutionen gegen Straflosigkeit oder zur Aufklärung von Menschenrechtsverbrechen. Wesentlich mehr finanzielle Ressourcen werden dagegen für die Öffentlichkeitsarbeit bereitgestellt. So nimmt in der Staatsanwaltschaft der Haushalt für den Bereich Kommunikation und Pressearbeit mehr Gelder in Anspruch als der gesamte Bereich für Untersuchungen föderaler Delikte, darunter fallen auch die Fälle von Verschwindenlassen. Und die Lobbyarbeit der mexikanischen Botschaften zugunsten ihrer Regierung ist bekannt. Erst kürzlich bemühte sich die mexikanische Botschaft in Deutschland gar aktiv darum, kritische Töne in der internationalen Berichterstattung zu Mexiko zu unterbinden.
Doch die Unzufriedenheit breiter Teile der Bevölkerung wächst. Soziale Proteste zu unterschiedlichen Themen im Bildungsbereich oder zu den Privatisierungsplänen im Energiesektor zeugen davon. Auch die vielen öffentlichen Demonstrationen von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen erhöhen den Druck auf die Regierung. Deren Antwort auf die Unruhen hat Bestand: Proteste werden auf unterschiedliche Art und Weise niedergeschlagen und kriminalisiert, die Verantwortung staatlicher Akteure für die Menschenrechtsverletzungen negiert.