Das war knapp!

Bei einer Rekordwahlbeteiligung von knapp drei Millionen, 60 Prozent der registrierten Wahlberechtigten, beträgt die Differenz zugunsten der FMLN-Kandidaten 6364 Stimmen oder in Prozent ausgedrückt 0,22% der gültigen abgegebenen Stimmen. Die FMLN hat in acht der 14 Departements gewonnen, ARENA in sechs; auch bei den Stimmen aus dem Ausland liegt die FMLN vorne. Der Unterschied zwischen dem provisorischen Wahlergebnis, das am Abend des Wahltages vorlag, und dem endgültigen beträgt nur etwas mehr als 200 Stimmen. Das ist ein Beweis für die Qualität des Wahlsystems und des Obersten Wahlgerichtes (Tribunal Supremo Electoral, TSE).

Neben der höchsten Wahlbeteiligung in den zahlreichen Wahlen der 22 Jahre, die seit Unterzeichnung der Friedensverträge vergangen sind, haben denn auch die Vereinten Nationen, die Organisation Amerikanischer Staaten, die die offiziellen WahlbeobachterInnen gestellt hat, die EU, die nationalen und internationalen WahlbeobachterInnen und Dutzende von salvadorianischen Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen die Transparenz der beiden Wahlgänge und die Effizienz und Professionalität des TSE unterstrichen.

Wie nicht anders zu erwarten, sind die Unternehmerverbände anderer Meinung. Unisono mit ARENA stellen sie den ganzen Prozess in Frage. Das Wahlgesetz sei verletzt worden, behaupten sie, das TSE sei parteiisch zugunsten der regierenden FMLN, am Wahltag habe es Unregelmäßigkeiten gegeben und die Auszählakten der landesweit 10 445 Wahltische seien voller Ungereimtheiten. Die Asociación Nacional de la Empresa Privada, ANEP, der größte Unternehmerverband, schließt sich in der zitierten Stellungnahme vom 13.März allerdings nicht der ARENA-Forderung „Akte für Akte, Stimme für Stimme“ an. Vermutlich wissen die Bosse, dass diese Forderung nach dem Wahlgesetz nicht haltbar ist und dass TSE die entsprechenden ARENA-Anträge ablehnen muss. In der Tat sieht das Gesetz, dessen gültige Fassung maßgeblich von ARENA mitformuliert wurde, eine Nachzählung Stimme für Stimme nur vor, wenn die Anzahl der kollegial für ungültig erklärten Stimmen die Differenz zwischen dem Wahlsieger und dem Verlierer übersteigt. Bei 3198 ungültigen Stimmen gegenüber 6364 Stimmen Differenz ist dies nicht der Fall.

Die Rechtsextremen, die sich mit nachgewiesenen Wahlbetrügereien 20 Jahre lang an der Regierung hielten, können offensichtlich nicht verlieren, denn bis zur Stunde beharren sie darauf, Stimme für Stimme nachzuzählen oder die gesamten Wahlen für ungültig zu erklären, also Neuwahlen zu fordern. Man kann sich leicht vorstellen, dass die salvadorianische Bevölkerung dergestalt aus dem Wählen nicht herauskäme, denn es würde so lange neu gewählt, bis das Ergebnis ARENA passt. Derweil stellen die traurigen VerliererInnen die immer gleichen Anträge nicht nur beim TSE, sondern auch bei der Generalstaatsanwaltschaft und der Verwaltungs- bzw. Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes.

In einer ebenfalls am 13. März veröffentlichten Stellungnahme hat die Jesuitenuniversität UCA unter anderem auf Folgendes hingewiesen. „Indem sie die Transparenz des Wahlprozesses infrage stellt, stellt die Führung (von ARENA) die Arbeit ihrer eigenen Mitglieder in Frage.“ (An jedem einzelnen Wahltisch sitzen zwei ARENA-WahlhelferInnen, die jeweils StellvertreterInnen haben, und steht ein oder eine ARENA-Vigilante, AufpasserInnen der Partei, die ebenfalls StellvertreterInnen haben.) Und bezüglich des ARENA-Antrages bei der Generalstaatsanwaltschaft: „Unsere Wahlgesetzgebung sieht vor, dass die Generalstaatsanwaltschaft eine Überwachungsfunktion hat, wenn die beiden anderen Instanzen, die wahlbeteiligten Parteien und die munizipalen und departamentalen Wahlräte, diese Funktion nicht ausüben können oder wollen. Sich vor der Zeit an die letzte Instanz zu wenden, trägt nicht zur Stärkung unserer Institutionaliät bei.“

Je länger ARENA darauf beharrt, dass es Wahlfälschungen gab, desto öfter wechselt die Partei ihre Begründungen. Zuerst behaupteten ihre VertreterInnen, die Auszählakten seien gefälscht, zum Beispiel aus einer Eins sei eine Sieben, aus einer Null eine Neun zugunsten der FMLN gemacht worden. Dann hieß es, die 14 Akten, die nicht verarbeitet werden konnten, weil zum Beispiel die Unterschrift des munizipalen Wahlrates fehlte, und die sieben Akten mit Unregelmäßigkeiten seien pauschal der FMLN gutgeschrieben worden. Dann wiederum, sämtliche WahlhelferInnen der FMLN und deren Vigilantes hätten doppelt gewählt, weil sie einmal den Finger in Vaseline steckten, was keine Spuren hinterließ, und einmal in die dafür vorgesehene nicht abwaschbare Tinte. Schließlich behauptete die ARENA-Führung, Wahlberechtigte seien nicht zugelassen worden, weil sie den Wohnort gewechselt hatten. In allen Fällen schauten die WahlhelferInnen und Vigilantes von ARENA zu. In der Internetzeitung El Faro kommentierte Daniel Valencia: „Bis heute hat die Partei vier Versionen der mutmaßlichen Wahlfälschungen präsentiert und für keine dieser Versionen hat sie stichhaltige Beweise vorgelegt. Darauf angesprochen, wiederholen die ARENA-Führer stereotyp, die Beweise seien in den Wahlurnen, die deshalb geöffnet werden müssten, um Stimme für Stimme nachzuzählen.“

Zuletzt hat sich auch Präsident Mauricio Funes eingeschaltet: „Die Forderung nach Neuwahlen ist in jeder Hinsicht unlogisch, irrational und verstößt gegen die Verfassung.“ Die FMLN ist bisher nicht in die Diskussion um die Nachzählung oder gar eine Neuwahl eingestiegen. Sie hält sich zurück und ihre Fórmula (das Gespann, das zur Wahl stand), „Salvador y Oscar“, mahnt zur Gelassenheit und verspricht eine Regierung des nationalen Dialoges. Und nirgendwo sind FMLN-AktivistInnen auf die Straße gegangen, um ihren Wahlsieg zu verteidigen. Auch das unterscheidet sie von ARENA, deren AktivistInnen unweit des Hotels, in dem die endgültige Auszählung stattfand, aufmarschierten mit ihrer Forderung „Stimme für Stimme“ und ihren Kalauern wie „Vaterland ja, Kommunismus nein“, „El Salvador wird das Grab sein, in dem die Roten enden“.

Wenden wir uns interessanteren Fragen zu. Warum hat die FMLN in der zweiten Runde einen so knappen Vorsprung erzielt, wo sie doch in der ersten Runde im Landesdurchschnitt zehn Prozent vor ARENA lag? Der Vermutung, sie habe zu sehr auf dieses Erstergebnis vertraut und auf die Umfragen, die zwischen den beiden Wahlgängen gemacht wurden, sie sei sich eines haushohen Sieges sicher gewesen – wie 2012, als sie wegen solcher Siegessicherheit wichtige Hochburgen wie Soyapango und Mejicanos verlor – widersprechen die Anstrengungen der gesamten Parteibasis in der Zeit zwischen den Wahlen. Wahrscheinlicher ist, dass die FMLN die Mobilisierungsfähigkeit des Gegners unterschätzt hat. Tatsache ist, dass ARENA über 400 000 zusätzliche Stimmen mobilisiert hat, die FMLN über 170 000. Diese zusätzlichen Stimmen gehen nicht allein auf das Konto der erneuerten Personalausweise (das Documento Único de Identidad, DUI, dient auch als Wahlausweis), deren Erneuerung ARENA finanziert hat.

Hinzu kommen alte und neue irrationale Ängste, die an der ARENA-Basis nach wie vor leicht zu schüren sind, wie die eingefleischte Angst vor dem Kommunismus oder die nicht weniger irrationale Angst vor venezolanischen Zuständen, die die unterschiedlichen Geschichten und Situationen in den beiden Ländern ignoriert. Und die andere Frage: Wie geht es weiter? Am Abend des 16. März hat das TSE die letzten Anträge von ARENA abgelehnt und „Salvador y Oscar“ zu Wahlsiegern erklärt. Die Generalstaatsanwaltschaft wird sich vorläufig nicht einschalten, weil sie bei aller Rechtslastigkeit ihre Kompetenzen kennt, und das Verfassungsgericht wird sich Zeit nehmen, über den entsprechenden Antrag zu befinden. Schließlich haben sich die Streitkräfte, die noch in der Wahlnacht von ARENA aufgefordert wurden einzugreifen (was die Aufforderung zu einem Militärputsch bedeutete! – die Red.), eindeutig erklärt: „Wir verpflichten uns, die offiziellen Wahlergebnisse, wie sie das Oberste Wahlgericht bekannt geben wird, anzuerkennen.“ Nur der Verlierer, ARENA-Kandidat Norman Quijano, derzeit Bürgermeister von San Salvador, schlägt weiter einen drohenden Ton an: „El Salvador wird mit einem illegitimen Regierungschef fünf Jahre der Instabilität erleben.“