Den „Eingeweihten“ sagen Titel und Untertitel durchaus, welche Intentionen das Buch verfolgt. Für alle, die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in der alten Bundesrepublik oder „BRD“, wie sie seinerzeit genannt wurde, um Solidarität für Argentinien und seine politisch Verfolgten gekämpft haben, kann dieses Buch zur Nachbereitung ebenso wie als Erinnerungshilfe dienlich sein. Gleich eingangs kommt kochender Zorn hoch, wenn die Erinnerung an die Schicksale der beiden deutschen bzw. deutschstämmigen Opfer Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank in Kurzfassung wieder erscheinen. Auch die schauerlichen Einzelberichte aus einem Buch der argentinischen Menschenrechtsorganisation CADHU, das ila-MitarbeiterInnen, oft unter Tränen, 1977 übersetzt hatten, werden wieder präsent. Oder die vor Schmerz und Schrecken wie versteinerte Mutter von Klaus Zieschank, die aus Argentinien angereist war, um die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik zur Hilfe für ihren Jungen aufzurütteln.
Nach dieser sehr sachlich geführten Einführung in das Horrorszenario der argentinischen Militärs folgt ein Interview mit dem Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der seit vielen Jahren an der Verfolgung nicht geahndeter Menschenrechtsverletzungen mitwirkt. Kalecks Ausführungen sind informativ und von wohltuender Nachdenklichkeit in Bezug auf Fragen der heutigen und damaligen Einschätzung der realen Situation in Argentinien, vor allem aber in der damaligen Bundesrepublik.
Besonders materialreich und – auch für Eingeweihte – höchst interessant ist der Beitrag von Dagmar Lieske über „Die argentinische Militärdiktatur im Spiegel der westdeutschen Öffentlichkeit 1976-1978“. Lieske arbeitet aus den vorhandenen Texten in Zeitungen und Dokumenten akribisch heraus, wo und wie die Öffentlichkeit ungeniert oder verdeckt getäuscht oder auch – durch Zeitschriften wie die „ila“ und die damals noch als „Chile-Nachrichten“ firmierenden (heutigen) „Lateinamerika-Nachrichten“ – tendenziell fundierter informiert wurde. Diese Texte sind eine Fundgrube für die vielen Einzelfakten, die seinerzeit die Menschen in der BRD informiert und zugleich verwirrt haben.
Nicht nur damalige BeobachterInnen, auch LeserInnen, die nach 1970 geboren wurden, bekommen einen guten Einblick in ein trauriges Kapitel deutsch-argentinischer Geschichte. Was den jüngeren aber fehlen dürfte, weil es nicht dezidiert in den Texten auftaucht, ist ein bestimmtes politisches Klima, das seinerzeit in der BRD vorherrschte und alle Handlungen und Äußerungen begleitete: ein heute kaum noch vorstellbarer Antikommunismus im Gefolge der Systemkonkurrenz der beiden Großmächte USA (kapitalistisch) und Sowjetunion (sozialistisch). Ronald Reagan machte später aus der einen Seite das „Reich des Bösen“ (Er meinte damit nicht den Westen). Das daraus entstandene Inquisitionsklima war in seiner Schärfe und Hysterie durchaus mit dem heutigen „Al-Kaida-Gespenst“ vergleichbar: Du hast es wohl auch mit Terroristen!?
Ein Versuch, die Inquisitionsstimmung in der damaligen BRD für die LeserInnen von heute rüberzubringen, fehlt eigentlich. Ein Hauch dieses Klimas vermitteln manchmal die zwischengeschobenen Gesprächszitate des ehemaligen BRD-Botschafters in Buenos Aires, der den Junta-Militärs „Standgerichtsurteile“ statt Massaker empfohlen hätte. Vielleicht wäre es auch sinnvoll gewesen, die Haltung der BRD von den politischen (nicht nur den wirtschaftlichen) Zielen her zu untersuchen. In Bonn war seit 1974 Helmut Schmidt (SPD) Kanzler einer sozialliberalen Koalition mit Hans-Dietrich Genscher (FDP) als Außenminister.
Schmidt war ein Machtmensch mit Blick auf Wirtschaft und auf die Gesamtgesellschaft, Genscher ein liberaler Machtopportunist. Schmidt hatte einen hervorragenden Draht zu einer der wichtigsten Figuren im US-Regierungsapparat jener Zeit: Henry Kissinger, 1969-73 Sicherheitsberater des US-Präsidenten, 1973-77 US-Außenminister. Die US-Administration hatte 1973 den Pinochet-Putsch in Chile ebenso gefördert wie den Militärputsch 1976 in Argentinien. Die Schmidt-Genscher-Regierung hatte sich seinerzeit wohl dieser US-Sicherheitsdoktrin (gegen die „kommunistische Gefahr“) auch in Bezug auf Lateinamerika angeschlossen. Dass davon so nebenbei auch die westdeutsche Wirtschaft profitierte, war vielleicht eher nützliches Zubrot als zentrales Ziel. Die Hartleibigkeit der BRD-Vertretung gegenüber hilfesuchenden Menschen in Argentinien erklärt sich daraus jedenfalls nicht.
Warum einzelne BRD-Medien die gestürzte Präsidentin Isabel Perón seinerzeit dazu benutzt hatten, sie als „Schlampe“ hinzustellen, der leider eine „starke Hand“ fehlte, weshalb letztendlich die Militärs zum Eingreifen gezwungen waren, analysiert Dagmar Lieske (Jahrgang 1978) aus heutiger Sicht umgekehrt deutlich fundierter, als dies 1976 hätte geleistet werden können. Offene Auseinandersetzungen über das Rollenverständnis von Mann und Frau gab es damals erst in zaghaften Anfängen. (Was inhaltlich mit der „Schlampe“ ausgedrückt werden sollte, hat man auch seinerzeit ohne Hintergrundanalyse sehr genau begriffen.)
Das in der „Bibliothek des Widerstands“ erschienene Buch enthält zusätzlich eine DVD mit zwei Kurzfilmen. Der Beitrag des argentinischen Schriftstellers und Historikers Osvaldo Bayer, der mehrere Jahre im Exil in der BRD verbrachte (und nebenbei auch etliche Jahre Mitarbeiter der ila war), zeigt eine menschlich wie inhaltlich beeindruckende Skizze über Elisabeth Käsemanns Tun und Suchen in ihrer kurzen Lebensphase in Argentinien. Der zweite Film von Frieder Wagner und Elvira Ochoa Wagner behandelt den Putsch der argentinischen Militärs und das bleierne Nichstun der Bundesregierung im Entführungsfall Klaus Zieschank. (Die Regierung Schmidt-Genscher blieb bei insgesamt rund hundert von der Junta ermordeten Deutschen oder Deutschstämmigen untätig.) Beide Filme sind sehr beeindruckend. Einfach anschauen und wirken lassen! Übrigens enthüllt die CD auch das Geheimnis hinter dem Titel „Dass du zwei Tage schweigst unter der Folter“.
In gleicher Aufmachung ist im LAIKA-Verlag auch die Buch/Film-Edition „Panteón Militar – Kreuzzug gegen die Subversion Argentinien 1973-1983“ erschienen. Neben einer DVD mit dem gleichnamigen Film von Wolfgang Landgraeber enthält das 144-seitige Buch Aufsätze von Osvaldo Bayer, Klaus Eichner, Elvira Ochoa, Frieder Wagner und Gaby Weber zur Kollaboration der deutschen Bundesregierung und deutscher Unternehmen, besonders Mercedes-Benz, mit der argentinischen Militärdiktatur.
Dass du zwei Tage schweigst unter der Folter. Elisabeth Käsemann, Klaus Zieschank, die Diktatur in Argentinien und die Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes, 192 Seiten & eine DVD mit den Filmen „…dass du zwei Tage schweigst unter der Folter!“ (BRD 1991, 45 Minuten und „Todesursache Schweigen“ (BRD 2003, 45 Minuten), LAIKA-Verlag, Hamburg 2010, 24,90 Euro
Panteón Militar– Kreuzzug gegen die Subversion Argentinien 1973-1983, 144 Seiten & 1 DVD mit dem Film „Panteón Militar“ (BRD/Argentinien 1991, 90 Minuten), LAIKA-Verlag, Hamburg 2010, 24,90 Euro