In den letzten Jahren sah es so aus, als gäbe es in der CDU einen breiten Konsens gegen AfD, Pegida & Co. Sicher, die bayrische Schwesterpartei blinkt traditionell gerne nach rechtsaußen, aber die „modernen“ CDU-Spitzenpolitiker*innen wie Angela Merkel, Peter Altmaier, Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet oder Daniel Günther grenzten sich klar nach rechts ab. Doch dann mussten die Christdemokrat*innen bei einigen Wahlen Federn lassen, und Angela Merkel kündigte ihren Rückzug an. Flugs betrat Friedrich Merz wieder die politische Bühne. Der frühere Fraktionsvorsitzende vom rechten, wirtschaftsliberalen Parteiflügel war in den letzten Jahren Aufsichtsratsvorsitzender verschiedener Großunternehmen, darunter der Niederlassung des weltweit größten Vermögensverwalters Black Rock, also ein Repräsentant des international agierenden Finanzkapitals. Merz machte schnell klar, dass Neoliberalismus und Rechtspopulismus für ihn zusammengehören, als er sich für die Abschaffung des Artikels 16 des Grundgesetzes, also des Rechts auf Asyl, aussprach. Natürlich weiß er, dass 98,5 Prozent der derzeit offiziell hier lebenden Flüchtlinge keinen legalen Status aufgrund individueller Verfolgung haben, sondern als Bürgerkriegsflüchtlinge „geduldet“ sind. Aber darum ging es ihm nicht. Ihm ging es allein um die politische Botschaft an eine bestimmte Klientel.
Um Argumentationsmuster und Erfolg des Rechtspopulismus zu verstehen, empfiehlt sich die Lektüre des jüngst erschienenen Buches „Der Rechtsruck“ von Markus Metz und Georg Seeßlen. In ihren „Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels“ nähern sich die Autoren dem Phänomen des Rechtspopulismus ökonomisch, politisch und kulturell an, resümieren Ideen dessen politischer Vordenker (wozu auch deren Rezeption der Gedanken des von Mussolini zu Tode gequälten italienischen Kommunisten Antonio Gramsci gehört) und untersuchen die Rolle der Medien, die Bedeutung der Sprache und der Populärkultur für die Etablierung rechten Gedankengutes. Ebenso sezieren sie die Feindbilder, zu denen neben den „Flüchtlingen“ die „Genderideologie“ und ein liberales „Establishment“ in Politik und Kultur gehören.
Zentral für die rechte Ideologieproduktion ist die Konstruktion von Gegensatzpaaren, wie etwa „Provinz“ vs. „Stadt“ und „wir“ vs. „die Fremden“. Während sich Letzteres sofort erschließt, mag Ersteres zunächst überraschen. Es geht dabei auch nicht um reale Lebensverhältnisse, sondern um Symbolik und Imagination. Provinz gilt als gesund, traditionsbewusst, sicher, überschaubar, Stadt dagegen als chaotisch, unsicher, überfremdet, unübersichtlich. Real sind ländliche Regionen heute vielerorts nicht weniger differenziert, multikulturell, kreativ und offen im Umgang mit Traditionen als städtische Räume mit ihren ethnisch und sozial stärker abgegrenzten Wohnvierteln oder klientelorientierten Kultureinrichtungen, die von kleinen Räumen für Avantgarde und innovative Experimente bis zu großen Arenen reichen, wo häufig dumpfester Mainstream präsentiert wird. Aber ideologisch wird etwa in den beliebten TV-Unterhaltungssendungen der sogenannten „Volksmusik“ von mit Dirndeln und Kniebundhosen verkleideten Schlagersänger*innen eine Fiktion des Landlebens präsentiert, in der die Welt noch in Ordnung ist, wo Männer noch Männer und Frauen noch Frauen sind und wo man noch unter sich ist.
Es ist das Bild eines pseudoharmonischen „wir“, das latent von den „Fremden“ bedroht ist. Letzteren wird permanent unterstellt, dass sie „uns“ etwas wegnehmen wollen, vor allem die Arbeit.
Dabei zeigen die Autoren, dass Arbeit die fixe Idee der Rechtspopulisten ist. Einerseits werfen sie den Flüchtlingen vor, dass sie nicht arbeiteten und auf „unsere Kosten“ Sozialleistungen bezögen. Andererseits wird behauptet, sie würden uns „unsere“ Arbeit wegnehmen.
In Abwandlung von Adornos und Horkheimers Aussage „Wer vom Faschismus redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen“ schreiben Metz und Seeßlen, wer vom Rechtspopulismus rede, dürfe vom Neoliberalismus nicht schweigen. Denn der habe nicht nur die sozialen Strukturen, sondern auch das Bewusstsein der Individuen über ihre eigene Lage grundlegend verändert. Habe der traditionelle Kapitalismus die Gesellschaft in Klassen mit unterschiedlichen Interessen aufgespalten, teile sie der Neoliberalismus vor allem in Gewinner und Verlierer. Im traditionellen Kapitalismus hätten sich die Arbeiter*innen organisiert, um ihre Interessen zu verteidigen. Im Neoliberalismus wäre das kaum noch möglich, weil niemand zu den „Verlierern“ gehören will. Man muss nur einmal in einem öffentlichen Verkehrsmittel hören, wie häufig Schüler*innen Worte wie „Looser“ oder „Opfer“ in den Mund nehmen, um andere Kinder zu diskriminieren. Aber auch die aktuellen „Gewinner“ seien nicht auf der sicheren Seite, denn ein Wesensmerkmal des deregulierten, neoliberalen Kapitalismus sei, dass viele von denen, die heute noch zu den „Gewinnern“ gehören, morgen vielleicht schon „Verlierer“ sind.
Wenn Menschen aber unter ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen leiden, sich jedoch nicht mehr vorstellen können, sich kollektiv zu wehren, suchen sie zu ihrer physischen Entlastung Sündenböcke. Diese werden dafür verantwortlich gemacht, dass sie sich so schlecht fühlen. Da bieten sich die „Fremden“ an. Deren Boshaftigkeit wird von den rechtspopulistischen Agitator*innen permanent beschworen. Deshalb sollen „die“ leiden. Viele können ihren Frust offensichtlich besser ertragen, wenn anderen Rechte und Perspektiven genommen werden, auch wenn sich an den eigenen Lebensbedingungen nichts ändert. Das haben Trump, Bolsonaro, Gauland, Kurz und wie sie alle heißen verstanden und bedienen ihre Klientel entsprechend.