Denkmal für unsere Heldinnen und Helden

Mit seinen Büchern will Eduardo Galeano Historie, Geschichten und Menschen dem Vergessen entreißen. Diesem Vorsatz bleibt er auch in seinem neuen Buch treu. In „Kinder der Tage“ folgt er der Chronologie des Kalenders und liefert 365 erzählerische Miniaturen. Galeano skizziert überraschende Begebenheiten aus allen Kontinenten. Vor allem aber liebt er es, wenig bekannten und unbekannten Hel­dinnen und Helden, die gegen soziale Ungerechtigkeiten aufbegehrt haben, ein kleines Denkmal zu setzen.

So etwa der Indígena Manuela León, die am 8. Januar 1872 auf Befehl des ecuadorianischen Präsidenten hingerichtet wurde. Sie hatte zahlreiche Aufstände angezettelt und die Indígenas gegen Steuerzahlungen und Fronarbeit mobilisiert. Im Todesurteil änderte der Präsident ihren Namen in „Manuel“, um zu kaschieren, dass er eine Frau an die Wand stellen ließ. Gegen die Diktatur des dominikanischen Diktators Trujillo kämpften die drei Mirabal-Schwestern, die am 25. November 1960 von Schergen des Tyrannen ermordet und in einen Abgrund geworfen wurden. „Zu ihrem Gedenken…ist heute der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, anders gesagt: gegen die Gewalt der kleinen Trujillos, die die Diktatur in ihrem eigenen Haus ausüben“.

Heldinnen waren für Galeano auch die Prostituierten im Bordell der argentinischen Hafenstadt San Julián. Am 17. Februar 1922 schlugen sie den Soldaten, die gerade einen Streik der Tagelöhner blutig niedergeschlagen hatten, die Tür vor der Nase zu und jagten sie mit „Mörder, Mörder“-Rufen fort. Eingang in das Buch fanden aber auch zeitgenössische Helden, etwa der Tunesier Mohammed Bouazizi, der sich am 17. Dezember 2010 aus Protest gegen die wiederholt erlittene Polizeiwillkür mit Benzin übergoss und anzündete und der mit seinem Tod die Arabellion mit auslöste.
Das am 1. September 2009 in Köln der Öffentlichkeit übergebene Denkmal für Deserteure findet Galeano bemerkenswert, denn wann gebe es schon mal eine Ehrung für desertierte Soldaten, die gerne als Verräter angesehen würden? Ja, Deserteure seien Verräter, Verräter an den Kriegen. Auch die deutschen Fußballerinnen, die am 20. September 2003 und erneut 2007 Weltmeisterinnen wurden, findet der Fußballnarr Galeano in seinem Buch erwähnenswert, denn „sie hatten keinen rosengesäumten Weg hinter sich.“ Schließlich war in Deutschland der Frauenfußball von 1955 bis 1970 verboten, und der DFB hatte auch erklärt warum: Im Kampf um den Ball verschwinde die weibliche Eleganz, Körper und Seele erlitten Schäden, die Zurschaustellung des Körpers verletze das natürliche Schamgefühl.

Hin und wieder stellt Galeano Fakten gegenüber, um die Relevanz bestimmter Ereignisse zu unterstreichen: Am 9. Juni 1901 heirateten im galicischen La Coruña Elisa Sánchez und Marcela Gracia. Elisa hatte sich als Mann verkleidet. Als dies aufflog, empörten sich die Zeitungen über den „ekelhaften Skandal, diese unmoralische Schamlosigkeit“, Kirche und Polizei begannen eine Hetzjagd, und die Frauen flohen nach Argentinien, wo sich ihre Spur verlor. Dort wurde gut 100 Jahre später, am 10. Juni 2010 die homosexuelle Ehe legalisiert, die Gegner riefen „den Krieg Gottes gegen die höllische Ehe“ aus, doch schließlich wurde Argentinien das erste Land Lateinamerikas, „das die vollständige Gleichheit aller Frauen und Männer im Regenbogen der sexuellen Vielfalt anerkannte“.

Das kurzweilige Buch ist ein interessantes Nachschlagewerk, eine einzigartige Schatztruhe an historischen Anekdoten. Es animiert zu weiterer Recherche, steckt voller überraschender Zitate und erlaubt mehrere Lesarten, verschiedenen Methoden folgend: ein Kapitel pro Tag wie beim Abreißkalender, die gezielte Suche nach historischen Daten, Ländern, Regionen oder Personen anhand des Registers oder aber das ziel­lose Blättern und Verlieren in der Weltgeschichte.

Eduardo Galeano, Kinder der Tage; Übersetzung: Lutz Kliche, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2012, 416 Seiten, 24,- Euro