Der Kampf um die Deutungshoheit

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem die vier großen westlichen Nachrichtenagenturen Agence France Presse (AFP), Reuters, United Press International (UPI) und Associated Press (AP), die ihre Korrespondenten weltweit aufstellten und die Agenda der Weltnachrichten dominierten. In der Auseinandersetzung zwischen dem westlichen und sowjetischen Block wurde den Informationsflüssen von politischer Seite höchste Priorität beigemessen. Die Nachrichten und Informationen sollten propagandistischen und ideologischen Zwecken dienen und im Wettkampf der Systeme für Verbündete unter der weltweiten Staatengemeinschaft werben. Während das Sowjetregime auf der staatlichen Kontrolle und Regulierung seiner Informationsflüsse auf nationalem Territorium beharrte, vertraten die westlichen Staaten die Doktrin des freien Informationsflusses im Verständnis der freien Marktwirtschaft. Die Funktion der Massenmedien in der Nord-Süd-Kommunikation beschränkte sich gemäß der Modernisierungstheorie in erster Linie auf die Vermittlung westlicher, „fortschrittlicher“ Werte, um traditionelle, „entwicklungshemmende“ Faktoren in den so genannten Entwicklungsländern zu überwinden.

Der Dualismus zwischen Tradition und Moderne prägte demnach auch das Menschenbild der westlichen Welt gegenüber den erst seit wenigen Jahren politisch unabhängig gewordenen Staaten des Südens. Mittels Informationen glaubte man, die Menschen der Dritten Welt derart beeinflussen zu können, dass sich eine gesellschaftliche Evolution nach westlichem Vorbild quasi von selbst einstellen werde. Ein ungehinderter Zugriff auf die Medien- und Kommunikationsinfrastruktur der Drittweltstaaten war dafür dringend notwendig, so dass die politische Free-Flow-Doktrin ein enges Bündnis mit der aggressiven Expansionspolitik westlicher Medienkonzerne einging. Diese ideologische Ausrichtung ignorierte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der sich neu formierenden Staaten und unterschlug, dass Medien immer auch Ergebnis gesellschaftlicher Ko-Evolutionsprozesse sind, die von einem spezifisch gewachsenen organisatorischen Bedarf an Problemlösungskapazitäten der Gesellschaft mitbestimmt werden. 

Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre formierten sich zahlreiche Autoren aus Lateinamerika, die die Schule der Dependenztheorie entscheidend prägten und vor allem exogene Faktoren für die „Unterentwicklung“ der „Entwicklungsländer“ verantwortlich machten. In ihren Augen hatten die Länder des Südens zwar ihre politische Unabhängigkeit erkämpft, waren aber in wirtschaftlicher Hinsicht immer noch abhängig von den ehemaligen Kolonisatoren. Sie betonten die Kontinuität der Fremdbestimmung in Form eines ökonomischen Neokolonialismus westlicher Staaten und prangerten die internationale Herrschaftsstruktur und Arbeitsteilung an. Die Theorie des Medien- und Kulturimperialismus knüpfte an diese Thesen an. Sie erbrachte den empirischen Nachweis, dass der Weltnachrichtenfluss von westlichen Agenturen beherrscht und das Selbstbild der neuen Staaten somit fremdgesteuert wurde. Sie kritisierten, dass die Informationen nur in eine Richtung von den Zentren (Industriestaaten) in die Peripherie (Entwicklungsländer) flossen und kein gleichberechtigter Informationsaustausch stattfand. Die Blockfreien Staaten erhoben diese Theorie zum Paradigma ihres politischen Konzeptes und verlangten auf internationaler Ebene eine Dekolonisierung aller gesellschaftlichen Bereiche. 

Neben einer Neuen Internationalen Weltwirtschaftsordnung (NIWO) wurde auf der Gipfelkonferenz der Blockfreien 1976 erstmals eine Neue Weltinformations- und -kommunikationsordnung (NWIKO) gefordert. Letztere führte innerhalb der UNESCO, die als einzige Organisation innerhalb des Institutionengefüges der Vereinten Nationen mit einem Mandat für Kommunikations- und Informationsfragen ausgestattet war, zu langwierigen Konflikten. Die Demokratisierung der Weltmedienordnung wurde damit auf eine Entweder-Oder-Frage zwischen radikalliberaler oder staatszentrierter Organisation des Mediensystems verengt. Für die Menschen in Lateinamerika stellten beide Möglichkeiten keine wirkliche Alternative dar. Denn zum einen zensierten die in vielen Ländern wütenden Militärregime nach Belieben den Kommunikationsfluss zu ihren Gunsten und verhinderten jede Form oppositioneller Berichterstattung. Zum anderen aber biederten sich die privaten Medien den Machthabern der Länder an und bildeten ein polit-ökonomisches Interessengeflecht. Die mächtige chilenische Tageszeitung El Mercurio beispielsweise trug wesentlich zum Sturz Allendes bei und verhalf Pinochet an die Macht. In Brasilien unterstützte die Mediengruppe O Globo das Militärregime und der mexikanische Konzern Televisa sah sich stets als Getreuer des PRI-Regimes und hatte diesem Umstand seine langjährige Monopolstellung zu verdanken. Der Bevölkerung zeigten diese Machenschaften, dass die Kooperation zwischen marktwirtschaftlich „freien Medien“ und politisch repressiven bzw. mörderischen Regimen durchaus möglich war. Das Vertrauen in die Massenmedien wurde dadurch ernsthaft erschüttert. Gesellschaftliche Gruppen und Marginalisierte, die auf der medialen bzw. politischen Agenda nicht existierten, setzten ihre Hoffnungen daher in die Basismedien, die für sie am ehesten Unabhängigkeit garantierten. So ist die lange Geschichte dieser Medien in Lateinamerika zu erklären, die beispielsweise in Bolivien in Form der Radios der Minenarbeiter bis in die 1950er Jahre zurückreicht. 

Auf internationaler politischer Ebene verschärfte sich die Blockkonfrontation um eine NWIKO und führte schließlich zum Austritt der USA (1984) und Großbritanniens (1985) aus der UNESCO, die damit ihre stärksten Geldgeber verloren und fortan mit finanziellen Einschnitten zu kämpfen hatte. Die Förderung der Blockfreien schrumpfte auf ein mediales Entwicklungsprogramm zusammen, das nur einzelne kleine Medienprojekte in den Ländern des Südens mit Technik und Personal fördern konnte. Zudem wurde die ideologische Schärfe aus der Debatte genommen und der Medienbereich innerhalb der UNESCO deutlich entpolitisiert. Die USA schlugen unter Reagan einen neuen außenpolitischen Kurs ein und legten stärkere Priorität auf internationale Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Institutionen wie IWF und Weltbank, die nicht nach dem Abstimmungsprinzip „Ein Land – eine Stimme“ funktionierten, sondern die Stimmengewichtung nach finanzieller Beteiligung regelten. Die Devise lautete seitdem: Trade not Aid (Handel statt Hilfe). Damit gewann die Free-Flow-Doktrin wieder politisches Gewicht und drängte kritische Medientheorien nicht zuletzt wegen derer theoretischer Reduktionen zurück. Mit Thatcher und Reagan gewann die neoliberale Ideologie seit den 1980ern glühende politische Anhänger, die die damit einhergehenden wirtschaftlichen Umstrukturierungen (v. a. Privatisierung öffentlicher Aufgaben und weitgehende Zerstörung sozialstaatlicher Elemente) auch international zum hegemonialen Prinzip erhoben. Die Privatisierungswelle in den Ländern Lateinamerikas fand deshalb mit voller Wucht statt, weil sich die Regierungen in einer Schuldenkrise befanden und sich den neoliberalen Strukturanpassungsprogrammen von IWF und Weltbank ergeben mussten, um finanzielle Anleihen zu erhalten. Demnach hatten die meisten lateinamerikanischen Staaten andere Probleme als die Reformierung ihres Mediensektors und die Förderung unabhängiger Massenmedien. Das private Medienmodell gewann die Oberhand und differenzierte sich fortan weiter aus, so dass sich heute in allen Ländern Lateinamerikas zwischen 80 und 90 Prozent der Medien in den Händen weniger privater Akteure befinden. Ein duales Mediensystem wie der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk oder die britische BBC bzw. staatlich geförderte Medien blieben die absolute Ausnahme und sind bis heute unbedeutend.

Für die Bevölkerung ergab sich damit die zweite große historische Lehre, dass nämlich auf die politische Zensur der Militärregime eine wirtschaftliche Zensur unter bürgerlich-demokratischen Bedingungen folgte, die weite Bevölkerungsteile weiterhin vom öffentlichen Kommunikationsraum ausschloss. Dieser Exklusionsmechanismus ist nicht auf den bösen Willen einzelner Personen zurückzuführen, sondern liegt in der kapitalistischen Produktionsweise selbst begründet. Bei einem kommerziellen Rundfunksystem sind die Medienprodukte immer durch ihren Doppelcharakter gekennzeichnet, indem sie nämlich einerseits Programm- und andererseits Werbeträger sind. Ziel der privaten Medien ist es, die Werbeeinnahmen zu maximieren, damit das Publikum selbst zur Ware wird, welches mit seiner Aufmerksamkeit gegenüber der Werbung mit der kostenlosen Nutzung des Programms belohnt wird. Je stärker die Werbeindustrie den finanziellen Rahmen der Medienkonzerne bestimmt, desto stärker orientieren sich mediale Inhalte an den Bedürfnissen der Geldgeber. Das Programm wird zwangsläufig so gestaltet, dass damit eine finanzstarke Käuferschicht angesprochen wird, deren Kaufkraft für die Werbeindustrie interessant ist. In Lateinamerika gibt es im Gegensatz zu europäischen Ländern keine gesetzlichen Vorgaben zur Werbebegrenzung, weswegen teilweise ein Viertel der Sendezeit auf Werbung verwendet wird. Die privaten Rundfunkanstalten sehen sich daher eher als kommerzieller Dienstleister, der reinweg nach dem Kalkül der Gewinnmaximierung arbeitet, denn als Institution mit Verantwortung für die Aufrechterhaltung der politischen Öffentlichkeit. Aufklärerisches Ideal und kapitalistische Wirklichkeit lassen sich an diesem Punkt nur begrenzt miteinander vermitteln. Information wird als Ware behandelt, deren absoluter Wert auf dem Markt im Verhältnis zu anderen Produkten in ein Äquivalenzverhältnis gesetzt wird. Informationen bzw. mediale Angebote sind der Tauschgesellschaft demnach nicht äußerlich, sondern integraler Bestandteil des Warentausches. Aufgrund dieses strukturellen Zusammenhangs verbietet es sich, bei kommerziellen Massenmedien von einem Markt der Ideen und Meinungen zu sprechen.

Mit der Privatisierungswelle in Lateinamerika ist zwar in den 1980ern ein sprunghafter Anstieg medialer Angebote zu beobachten, allerdings konzentrieren sich davon etwa die Hälfte auf die Länder Brasilien und Mexiko, die über eine relativ starke Mittelschicht verfügen. Sergio Costa spricht deshalb von einer mangelnden Strukturierung der demokratischen Öffentlichkeit in Lateinamerika, die im Gegensatz zu Europa direkt von einer oralen zu einer massenmedialen bzw. fragmentierten Öffentlichkeit überging, ohne eine Phase bürgerlicher Öffentlichkeit und der Rationalisierung politischer Entscheidungen im öffentlichen Raum. Nicht zuletzt die mangelnde Zugangsmöglichkeit zum öffentlichen Raum hat für viele Bevölkerungsteile zum Vertrauensverlust in demokratische Institutionen beigetragen. Die Frage nach der Funktionsfähigkeit der Demokratie stellte sich insbesondere jenen, die sich vom traditionellen Parteiensystem nicht repräsentiert fühlten und in den Medien als politisches Subjekt quasi nicht existierten. Als selektive Instanzen konstruierten die privaten Medien ein Bild der Wirklichkeit, das den Lebensumständen eines Großteils der Bevölkerung nicht entsprach. Seit den 1980er Jahren entwickelten sich daher in zahlreichen Ländern Stadtteilzeitungen und -radios oder Kinoclubs, die auf lokaler Ebene eigene Weltzugänge und Deutungsmuster bereitstellten und die Repräsentationslogik der Massenmedien zu durchbrechen versuchten. Natürlich bleiben diese Medieninitiativen aufgrund der finanziellen Ausstattung marginal und kämpfen häufig um ihre Existenz, da sie sich gesetzlich in einer prekären Lage befinden und teilweise illegal Frequenzen nutzen. Entscheidend ist folgendes: Im Kampf um unabhängige Massenmedien wird seit Mitte der 1980er nicht mehr im Rahmen internationaler Institutionen zwischen den Regierungen verhandelt, sondern die sozialen Bewegungen fordern eine stärkere Partizipation an den öffentlichen Kommunikationsflüssen und setzen sich für Information als freies und öffentliches Gut ein.

Wie die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, verschärft sich der „Kampf um die Medien“ besonders dort, wo wir es mit politischen und sozialen Transformationsprozessen zu tun haben, die entscheidend von den sozialen Bewegungen in Gang gesetzt wurden. In Venezuela wurden die Basismedien durch die neue Verfassung von 1999 und eine Regelung von 2002 gestärkt. Mit Hilfe von CONATEL (Nationale Kommission für Telekommunikation) werden kommunitären Radio- und Fernsehstationen Technik und Immobilien zur Verfügung gestellt und eine Finanzierung ermöglicht, indem Anzeigen und Spots staatlicher Betriebe geschaltet werden. Die heftigsten Konflikte drehen sich allerdings um das Leitmedium Fernsehen, seitdem Chávez nach der Etablierung des öffentlichen Senders ViveTV nun auch die Frequenz des privaten Senders RCTV an den öffentlichen Kanal TVes vergeben hat. In Bolivien formiert sich eine starke Bewegung, die das Menschenrecht auf Kommunikation und Information in der neuen Verfassung verankert sehen will. Erste Ansätze der Regierung Morales nach dem Vorbild Venezuelas finden sich auf dem Sektor der Telekommunikation, wo der Konzern Entel, der 70 Prozent Marktanteil des Mobilfunkgeschäfts innehält und sich in den Händen von Telecom Italia befindet, wiederverstaatlicht werden soll. In Ecuador gibt es unter Rafael Correa ebenfalls Bestrebungen, parallel zu den privaten Medien öffentliche Rundfunkstationen zu etablieren und die Demokratisierung der Massenmedien durch die Aufteilung von Eigentumsanteilen durchzusetzen. 

Das sicherlich ambitionierteste Reformprojekt ist der transnationale Nachrichtensender TeleSur, der nach den Worten des Generaldirektors des Senders Aharonian das „erste gegenhegemoniale TV-Kommunikationsprojekt in Südamerika“ darstellen soll und sich als Alternative zu CNN versteht. Initiiert von Venezuela, sind mittlerweile die Regierungen Argentiniens, Cubas, Uruguays, Boliviens und zukünftig wohl auch Nicaraguas und Ecuadors Anteilseigner am Sender. Neben der informationellen Souveränität treibt Venezuela nun auch die technische Unabhängigkeit vom Weltmarkt voran, indem 2008 der erste venezolanische Nachrichtensatellit in die Erdumlaufbahn geschickt werden soll. Der Satellit wird in einem chinesischen Unternehmen entwickelt, das sich im Gegensatz zu Europa und den USA offener in Sachen Technologie- und Wissenstransfer zeigt und venezolanische Militärs schult.

Was wir derzeit in einigen Ländern Lateinamerikas erleben, ist ein Wandel des Verhältnisses zwischen Politik und Ökonomie, der in soziale und politische Kämpfe verwoben ist. Anstatt aber regierungsnahe bzw. staatliche Sender kritiklos zu bejahen, sollte man das historische Gedächtnis aktivieren und sich in Erinnerung rufen, welche Gefahr staatlicher Verlautbarungsjournalismus in sich trägt. Gegenüber der Dichotomie staatlich versus marktwirtschaftlich ist die überparteiliche und partizipative Alternative im massenmedialen Bereich vorzuziehen, deren Instrumentalisierung durch politisch dominante Akteure wesentlich schwerer fallen dürfte. Es wird also auch in Zukunft spannend bleiben, inwieweit die Trias aus sozialen Bewegungen, alternativen Medien und politischen Transformationen zur Demokratisierung politischer Öffentlichkeit beitragen wird.