Am Sonntag, den 9. September 2012, ist Dom José Rodrigues, emeritierter Bischof von Juazeiro (Bahia), in Goiana, wo er die letzten elf Jahre in seiner Ordensgemeinschaft der Redemtoristen verbrachte, nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Sein Leichnam wurde am nächsten Tag nach Juazeiro überführt, wo er auf dem Gelände des von ihm gegründeten Fortbildungszentrums von Carnaíba unter großer Beteiligung der Bevölkerung beigesetzt wurde.
„Der Prophet des Semiárido ist tot“, so beschreibt ihn Roberto Malvezzi (Gogó), Mitarbeiter der Landpastoral (CPT) in seiner Abschiedsrede. Als Bischof der „Ausgeschlossenen und Armen“ ist Dom José nicht nur in die brasilianische Geschichte eingegangen, sondern er wurde weit über die Grenzen seines Landes bekannt aufgrund seines vehementen Widerstandes gegen die Herrschenden und seiner Anklagen gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, die die BrasilianerInnen erleiden mussten.
Dom José wurde am 25. März 1926 in Paraíba do Sul, Bundesstaat Rio de Janeiro, geboren. Schon früh trat er in die Kongregation vom Heiligen Erlöser ein. 1950 wurde er zum Priester geweiht, 1974 ernannte ihn Papst Paul VI. zum Bischof von Juazeiro.
Als er Anfang 1975 sein neues Amt inmitten der Militärregierung antrat, waren die Bauarbeiten des Sobradinho-Staudammes bereits in vollem Gang. Vier größere Städte seiner Diözese sollten überflutet und über 70.000 Menschen von ihrem Land, das ihnen bis dahin als Subsistenzwirtschaft diente, vertrieben werden, ohne dass die Betreibergesellschaft Chesf (Companhía Hidrelétrica do São Francisco) einen Plan zur Umsiedlung vorlegte. Angesichts dieser Problematik erhob Dom José fortan ruhelos seine Stimme zur Verteidigung der Menschen, die jegliche Perspektive auf ein würdiges Leben verloren hatten.
Unter den Bedingungen der Militärdiktatur, rief er die Menschen in der Region auf, sich zu organisieren und ihre Menschenrechte einzufordern. Er unterstützte sie dabei, sich in Vereinigungen zusammenzuschließen, um gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen. Er war der erste Bischof in der Diözese, der die Landpastoral (CPT), die Jugendpastoral, die Pastoral marginalisierter Frauen, unter vielen anderen Organisationen, ins Leben rief. Durch die Schaffung von Radioprogrammen förderte er die Massenkommunikation als Form von Erziehung und Bildung. Das Nachrichtenblatt der Diözese Caminhar Juntos (Gemeinsam Gehen) verbreitete sich rund um die Welt. Unermüdlich klagte er in Untersuchungskommissionen die Auswirkungen des Sobradinho-Staudammes, die illegale Landnahme und den Terror gegen die Landbevölkerung an.
Dies alles blieb nicht ohne Folgen für Dom José. Eine Welle von Diffamierungen, Beleidigungen bis hin zu Todesdrohungen setzte ein. An seinem Kirchenportal prangte mit roter Schrift: „Der Bischof von Juazeiro ist Kommunist.“ 1986 wurde er als Geisel entführt.
Ende 1979 sah ich Dom José zum ersten Mal in einem WDR-Fernsehinterview, in dem er die unmenschlichen Auswirkungen des Sobradinho-Staudammes unter Beteiligung deutscher Firmen und der Bundesregierung (Kredite der KfW) anprangerte. Erschüttert von dieser Zeugenaussage brachte ich das Thema in die ila ein und schlug vor, Kontakt mit Bischof Dom José aufzunehmen. Was folgte, war ein Bombardement an Informationen seitens des engagierten Bischofs und die Aufforderung, von Deutschland aus gegen den Bau des Sobradinho-Staudammes, vor allem aber gegen die Beteiligung deutscher Firmen, zu kämpfen. Keine Geldspenden wollte er, sondern eine gezielte Bewusstseinsarbeit hier, die dazu beitragen sollte, gegen diese Art der „tödlichen Entwicklungshilfe“ vorzugehen.
Im ila-info Nr. 34 vom April 1980 riefen wir „Gruppen und Einzelpersonen auf, sich an einer Aktion gegen deutsche Unternehmen/Institutionen des Sobradinho-Projektes zu beteiligen“. Die Resonanz war so groß, dass schon innerhalb kurzer Zeit deutschlandweit Solidaritätsgruppen, vor allem kirchliche Dritte-Welt-Gruppen, diesem Aufruf folgten. Mit Hilfe von Dom José, der die Kampagne jahrelang intensiv begleitete, und dem unermüdlichen Engagement vieler Gruppen war es gelungen, dass die Sobradinho-Kampagne nicht nur einen Namen bekam, sondern zum Symbol des Widerstandes eines Volkes gegen den Staudamm wurde. Diese Form der Solidaritätsarbeit galt schnell als Beispiel für nachfolgende Initiativen.
Unvergesslich wird mir die Messe bleiben, die Dom José in den 80er-Jahren mit Solidaritätsgruppen in Recklinghausen zelebrierte. Für mich als Protestantin war es eine Herausforderung, eine katholische Messe von A-Z zu dolmetschen. Es lief auch alles ganz gut, bis am Ende der Messe das Wort pecado fiel. Es folgte ein totaler black-out meinerseits, trotz zweimaliger Wiederholung des Wortes durch Dom José. Es herrschte sekunden-, vielleicht auch minutenlange Stille in der überfüllten Kirche, bis Padre Dieter an meine Seite trat und mir „Sünde“ ins Ohr flüsterte. Nach der Messe nahm mich Dom José lachend in den Arm und sagte: „Von dir hätte ich am allerwenigsten erwartet, dass du den Begriff der Sünde nicht kennst“.
So war er, humorvoll und bescheiden, der „kleine große Bischof“, wie ihn ein MitarbeiterInnen des von ihm mitgegründeten „Instituts für angepasste Landwirtschaft – IRPAA“ nannten, das gemäß seinem Motto No Nordeste não falta Água, falta Justiça (im Nordosten fehlt nicht das Wasser, sondern die Gerechtigkeit) die Arbeit von Dom José fortsetzt.
Descanse em paz, querido Dom José.