Ein Dokumentarfilm schaffte es, die Konflikte rund um den Bau des Wasserkraftwerks El Quimbo im Süden Kolumbiens überregional bekannt zu machen und eine nationale Debatte anzuregen. Der Journalist Bladimir Sánchez Espitia und Kameramann Bruno Federico waren am 14./15. Februar 2012 vor Ort, als Fischer und Bauern, einschließlich Frauen, Kinder und betagte Menschen, von Sondereinheiten der Polizei auf brutalste Weise weggeräumt wurden. Mit ihrem verzweifelten Protest wollten sie verhindern, dass der Río Magdalena, Kolumbiens majestätischer Strom, umgeleitet wird. Die Journalisten filmten das gewalttätige Vorgehen der Polizei, die Granaten, Schusswaffen, Pfeffer- und Tränengas gegen wehrlose Menschen einsetzte, und führten Interviews mit Verwundeten und ZeugInnen. „El video que el gobierno colombiano no quiere que veamos“, ein 14-Minuten-Video, „das uns die kolumbianische Regierung am liebsten nicht sehen lassen will”, wurde auf Youtube von über einer Million Menschen angeklickt.[fn]www.youtube.com/watch?v=BFv4HG8ALeA (Teil 1 des Videos) undwww.youtube.com/watch?v=ZTcYivbdOAs&feature=relmfu (Teil 2) [/fn] Der Filmemacher erhielt Drohungen und musste die Region vorübergehend verlassen, aber die Wirkung seiner Arbeit ist enorm. „Ein friedlicher Protest wird mit einer Brutalität der Polizei niedergeschlagen, die an die Art erinnert, wie autoritäre Regime auf die Proteste ihrer Bürger reagieren. Die Bilder von einem Bauern, der am Auge verletzt wurde und das Augenlicht verloren hat, zeigen die Grausamkeit und Demütigung auf, mit der die Ärmsten behandelt werden“, urteilt Andrés Hernández, Anwalt und Universitätsdozent. Entsetzt äußerte sich der Geistliche Jaime Tovar über den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz in einem „demokratischen Land“.
Präsident Juan Manuel Santos spielte die Vorkommnisse herunter und kriminalisierte den gewaltfreien Protest. Er behauptete sogar, dabei hätte auch die Guerillagruppe FARC ihre Hand im Spiel. Für Bergbauminister Cárdenas handelt es sich um eine kleine, politisch manipulierte Minderheit, die sich dem Staudammprojekt entgegenstellt, ungeachtet der massiven Beteiligung an den zahlreichen Foren und Mobilisierungen in und außerhalb der Region.
Der Plan für ein Wasserkraftwerk am Oberlauf des Magdalena im südlichen Departement Huila wurde von der Vorgängerregierung unter Alvaro Uribe Vélez (2002-2010) entwickelt, die auf die Expansion großer Bergbau- und Energieprojekte setzte. Bergbau und Energie gelten auch für die aktuelle Regierung als „Entwicklungsmotor“. Die Megaprojekte, bei denen die Interessen der AnwohnerInnen übergangen werden, haben die sozialen, aber auch die Umweltkonflikte in Kolumbien potenziert. El Quimbo ist dafür ein Beispiel.
Die Ausschreibung für das Wasserkraftwerk gewann Emgesa S.A., eine Firma, die, 1997 entstanden, der kolumbianischen EEB (Empresa de Energía de Bogotá) und der spanischen Endesa gehört. Für Endesa ist Kolumbien derzeit der wichtigste Investitionsstandort in Lateinamerika. Die Unternehmungen für den El Quimbo-Staudamm begannen 2008, bereits 2014 soll Strom erzeugt werden. Mit einer Leistung von 400 Megawatt soll El Quimbo zusätzliche fünf Prozent Energie für Kolumbiens Eigenbedarf produzieren, gleichfalls ist der Export von Strom in die Nachbarländer vorgesehen. Über 8800 Hektar Land müssen dafür überflutet und mindestens 1300 Menschen umgesiedelt werden. Aber nicht nur diejenigen, die im direkten Umfeld des zukünftigen Staudamms und Stausees leben, werden geschädigt. Die mehrheitlich arme Bevölkerung der Region lebt von kleinbäuerlicher Landwirtschaft und Fischfang, ihre Existenzgrundlagen sind durch das Megaprojekt bedroht.
Anfang März hatte Emgesa vor, das Wasser des Magdalena durch einen Tunnel umzuleiten und damit einen wichtigen Bauabschnitt abzuschließen. Aber die Pläne scheiterten vorläufig, der Strom wollte partout seinen Lauf nicht ändern und war stattdessen angestiegen. „Die Pacha Mama (Mutter Erde) und der Río Magdalena setzen sich gegen das Wasserkraftwerk El Quimbo zur Wehr“, meinten daraufhin die StaudammgegnerInnen. Sie haben sich in der kolumbianischen Bewegung Ríos Vivos (Lebendige Flüsse) zusammengeschlossen.
Erneuerbare Energie aus Wasserkraft gilt gemeinhin als „sauber“, ein Konzept, mit dem die KritikerInnen nicht einverstanden sind. Denn Millionen Menschen wurden – und werden – weltweit durch Staudämme vertrieben. Die Dynamik wichtiger Flüsse hat sich dadurch nachhaltig verändert, der Fischreichtum reduziert. Dies wurde auch von der „Weltkommission für Staudämme“ anerkannt, die 2000 den Bericht „Staudämme und Entwicklung: ein neuer Rahmen zur Entscheidungsfindung“ vorlegte, in dem sie globale Normen für Planungs- und Entscheidungsprozesse bei Wasser- und Energieprojekten formuliert. „Außerdem lösen die Betreiberfirmen die mit den Gemeinden getroffenen Vereinbarungen oft nicht ein, wie es in Kolumbien mehrfach geschehen ist. Deshalb ist für uns die Energie durch Staudämme keine saubere Energie“, folgert die Bewegung Ríos Vivos. Sie plädiert für eine kritische Debatte über Kolumbiens Energiepolitik.
Seit vier Jahren stemmt sich Asoquimbo (Asociación de Afectados por el Proyecto Hidroeléctrico El Quimbo) als Organisation der Betroffenen gegen das Megaprojekt. Asoquimbo fordert, die Baumaßnahmen sofort einzustellen, es soll eine öffentliche Umweltanhörung einberufen werden. Die Umweltlizenz für das Projekt sei 2009 zu schnell, ohne seriöse Datenbasis und trotz Defiziten ausgestellt worden, meinen Wissenschaftler. Dem Umweltministerium wird auch aktuell mangelndes Kontrollengagement vorgeworfen. Als regionale Entwicklungsalternative schlägt Asoquimbo vor, statt einen Staudamm zu bauen, eine rechtlich abgesicherte bäuerliche Zone zum Anbau von Nahrungsmitteln einzurichten. Auch hat die Betroffenenorganisation, gemeinsam mit der Ríos Vivos-Bewegung, konkrete Vorstellungen entwickelt, wie Konflikte bei Großprojekten wie El Quimbo gemindert werden könnten. Es sollte ein Rechtsrahmen geschaffen werden, um klar zu definieren, wer als „geschädigt“ gilt, denn oft werden Gruppen von Betroffenen ausgegrenzt. Die sozioökonomischen Daten der potenziell Geschädigten sollten von unabhängigen Einrichtungen und nicht von den Unternehmen selbst erhoben werden.
„El Quimbo sät Energie für alle Generationen“, wird auf der Webseite von Endesa/Emgesa versprochen, es gibt Fotos netter Kinder, die auch „Teil von El Quimbo“ sind.[fn]www.proyectoelquimboemgesa.com.co/site/[/fn] Emgesa ist sich laut Selbstaussage seiner Sozialverpflichtung mit den Gemeinden im Umfeld seiner Operationen bewusst, deshalb wurden „direkt oder über die Endesa Colombia-Stiftung Projekte in den Bereichen Bildung, Gemeindeinfrastruktur, Umwelt und einkommenschaffende Maßnahmen durchgeführt“.
Emgesa-Hauptanteilseigner ist mit 51 Prozent das Energieunternehmen von Bogotá, EEB, bei dem wiederum der Distrikt Bogotá, also die Kommune, mit 80 Prozent Mehrheitseigner ist. Deshalb sitzt auch der Bürgermeister der Hauptstadt, derzeit Gustavo Petro, im Emgesa-Vorstand, seine Stimme hat Gewicht. Als Oppositionspolitiker mit Guerillavergangenheit hat Petro früher seine Skepsis in Bezug auf Staudammprojekte ausgedrückt und sich für eine Stärkung der Rechte der Betroffenen eingesetzt. Deshalb ist man gespannt, wie er sich im El Quimbo-Konflikt positionieren wird. Eine Intervention zugunsten der Forderungen der GegnerInnen – die Suspendierung des Projekts – kann heikle finanzielle, juristische und politische Folgen nach sich ziehen.
Im März wurden Diskussionsforen, Mobilisierungen und Aktionen Zivilen Ungehorsams gegen das Staudammprojekt im Huila-Departement und in mehreren Städten Kolumbiens durchgeführt. Aber auch in Spanien, Italien und den USA wurde aktive Solidarität gezeigt. Anlässe dafür gab es genug, wie zum Beispiel den „15. Internationalen Aktionstag gegen Staudämme, für die Flüsse, Wasser und Leben“ am 16. März, und den Weltwassertag am 22. des Monats.
Da der italienische Stromkonzern Enel 2009 die spanische Endesa weitgehend übernommen hat – er hält 92 Prozent der Endesa-Anteile –, ist der internationale Protest mittlerweile an die Adresse beider Konzerne gerichtet. In vielen Ländern wächst der Unmut wegen des Gebarens des spanisch-italienischen Energiegiganten. Am 29. April haben sich erstmals VertreterInnen betroffener Gemeinden aus Chile, Guatemala, Kolumbien, Rumänien, Albanien, Russland und Italien in Rom getroffen. Es ist eine Kampagne geplant: „Stoppen wir Enel – Für ein neues Energiemodell!“[fn]www.stopenel.noblogs.org[/fn]