Kannst du dich kurz vorstellen?
Ich bin 43 Jahre alt und komme aus einem kleinen Dorf namens Ocobamba in der Provinz Andahuaylas, wo ich auch in die Grundschule gegangen bin. Nachdem ich die Grundschule beendet hatte, haben mich meine Eltern in die nächst größere Stadt nach Andahuaylas geschickt. Dort besuchte ich fünf Jahre lang die weiterführende Schule. Im Jahr 1980, als der Terrorismus sich auszubreiten begann, kamen die Militärs und die Polizei nach Andahuaylas. Als Junge von 15 Jahren war ich begeistert von der Polizei. So bewarb ich mich bei ihr und ging nach Lima. Die ganze Zeit über, während der Terrorismus wütete, arbeitete ich bei der Polizei. Ich war an verschiedenen Orten im Einsatz, auch in den Anden, wo der Notstand und besonders viel Gewalt herrschten.
Wie entstand die Band UCHPA und warum singt ihr in Quechua?
Die Geschichte von UCHPA beginnt ungefähr im Jahre 1993. Die Jugendlichen, die heute die Schule mit 16 Jahren beenden, wollen kein Quechua mehr sprechen, sie schämen sich dafür. Damit aber die Sprache Quechua erhalten bleibt und auch weiterverbreitet wird, singe ich in Quechua und zwar zu moderner Musik. Damals in Ayacucho nahmen ein Freund und ich erstmals eine Kassette auf, da es noch keine CDs gab. Nie haben wir daran gedacht Musik zu machen, denn wir sind von Haus aus keine Musiker und haben nie Musik studiert. Später nahmen wir unsere erste CD auf mit dem Titel wayrapin qaparichkan („Es schreit im Wind“). Die Leute waren begeistert von unserer Musik und bald waren wir im Fernsehen und im Radio zu hören. Für mich war das unglaublich, denn ich war bis dahin nie in die Öffentlichkeit getreten. Für die zweite Aufnahme habe ich weitere Freunde zusammengetrommelt, so dass wir eine Besetzung mit Schlagzeug, Gitarre, Bass und Waqrapukus hatten. Waqrapukus sind zwei Instrumente aus Stier- und Kuhhörnern, ein männliches und ein weibliches, mit zwei verschiedenen Tönen – sie hören sich sehr mystisch an.
Ich wollte diese beiden Instrumente bei UCHPA einsetzen, da sie das Leben der Campesinos widerspiegeln. Dann kam die letzte und dritte Phase von UCHPA. Ich wurde von der Polizei versetzt, meine Freunde sind mir nicht gefolgt und somit löste sich die Gruppe auf. Also gründete ich UCHPA neu. Die dritte Aufnahme, Hukman muski („Ein anderer Atem“), machten wir 1999 in Lima. Die zweite Aufnahme hieß qauka kausay („In Frieden leben“). Mittlerweile bin ich mit den Vorbereitungen für eine vierte Aufnahme beschäftigt, die voraussichtlich im Februar 2007 erscheinen wird. Bei meinen Konzerten trage ich eine kaputte Jeans und drüber einen Rock mit bunten Bändern. In meinem Dorf gibt es eine Karnevalstradition: Alle unverheirateten Männer tragen diese Kleidung, um während dieser drei Tage eine Frau zu finden.
Welches Publikum sprecht ihr an? Und wie übermittelt ihr eure Botschaft, wenn die Leute kein Quechua verstehen?
Auf meinen Konzerten sehe ich Leute mit langen Haaren und Lederjacken und vier Meter weiter stehen Frauen mit traditioneller Kleidung vom Land und alle tanzen zu dem gleichen Lied. UCHPA ist eine Gruppe, die alle Generationen anspricht. Einige Jugendliche haben mir erzählt: „Ich hatte eine CD von UCHPA und mein Opa hat sie mir geklaut.“ Den Leuten, die die Texte nicht verstehen, gefällt die Musik trotzdem, wegen des Feelings, sie reißt die Leute mit.
Welche Musik hören PeruanerInnen normalerweise? Wie ordnest du deine Musik ein?
Peru ist ein multikulturelles Land, wo es viele verschiedene Arten von Musik gibt. Normalerweise hören die Peruaner Huayno, Tondero und La Marinera.[fn]Afroperuanische bzw. nordperuanische Musikstile[/fn] Aber in den Anden hört man Huayno, die Folkloremusik von dort. Es gibt zwei Arten von Huayno, den traditionellen Huayno der weißen Leute aus der Stadt, den „sauberen Huayno“. Und es gibt den indigenen Huayno aus den Anden, den Huayno der ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen aus dem wirklichen Peru. Für mich ist dieser Huayno der beste, den ich auch bei meiner Musik einsetze und mit Elementen aus z.B. der Rockmusik verbinde. Wir machen keine Mainstream-Musik, weil wir in Quechua singen. Wir könnten auch auf Spanisch singen und damit viel mehr Geld verdienen – aber nein, ich werde immer in Quechua singen, denn das ist meine Muttersprache.
Wovon handeln die Texte von UCHPA?
Der Bürgerkrieg in Peru war eine sehr schwierige Zeit und somit handeln auch fast alle meine Lieder von diesen Jahren. Der Terror bestand aus zwei „Leuchtenden Pfaden“, dem roten „Leuchtenden Pfad“ und dem grünen „Leuchtenden Pfad“. Der rote „Leuchtende Pfad“ (Sendero Luminoso), als solcher natürlich bekannt, und der grüne „Leuchtende Pfad“, bestehend aus den Uniformierten, den Militärs und der Polizei. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass vom grünen „Leuchtenden Pfad“ mehr Gewalt ausging, denn der hatte mehr Macht, um alle Arten von Gräueltaten durchzuführen. Von daher beziehen sich viele meiner Lieder auf die Gewalt von damals. Nur ein einziges Lied habe ich über die Liebe geschrieben. Ein paar wenige beziehen sich auf Umweltfragen, ein anderes Lied ist über einen Freund, der 53 Jahre alt ist und immer noch bei seinen Eltern wohnt. Lieder über das wirkliche Leben.
Und es gibt einige Lieder, die ich für meine damaligen Freunde singe, die durch den Bürgerkrieg umgekommen sind. Ich hatte sehr viele Freunde, die ich vom einen auf den anderen Tag nie wiedergesehen habe. Es gibt ein sehr trauriges Lied, das heißt „Manañachiki qausqayki“, was soviel bedeutet wie „Ich werde dich sicherlich nie mehr sehen“. Ich singe über die Armut, über Waisenkinder und es ist authentisch, weil ich von dort komme, weil ich einer von ihnen bin. Es gibt viele Künstler, die über die Gewalt, die Armut usw. sprechen, aber unglaubwürdig wirken, weil sie es selber nie erlebt haben. Ich kann viel Geld haben und über tausend Dinge reden, wenn ich aber kein Herz habe, dann nützt es keinem etwas.
Warum hast du aufgehört, bei der Polizei zu arbeiten?
Jeder hat mir gesagt, dass ich nichts von einem Polizisten habe, warum auch immer. Aber ich war Polizist von 1982 bis 2005, also fast 23 Jahre lang. Die Situation bei der Polizei war schwierig. Bei der Polizei gibt es tausend Dinge, die einem nicht gefallen, und einige wenige Dinge, die einem gefallen. Was ich nach dem Abschied von der Polizei vermisse, ist der Sport, sonst nichts. Mein Ziel war es, 20 Jahre lang bei der Polizei zu arbeiten, damit ich danach einen gesetzlichen Anspruch auf Rente und freien Zugang zu allen medizinischen Versorgungseinrichtungen habe. Ich wollte diese 20 Jahre zu Ende bringen, um mich danach anderen Dingen widmen zu können, so wie der Kunst. Das war der Grund, weshalb ich bei der Polizei gekündigt habe.
Wie hast du dich bei deiner Arbeit als Polizist gefühlt?
Während des Bürgerkriegs habe ich an verschiedenen Orten gearbeitet, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land und auf der Hochebene. Die Arbeit war sehr unterschiedlich, aber die Gewalt war immer präsent und es wurden sehr viele Menschen getötet. Wir mussten uns natürlich immer mit dem „Leuchtenden Pfad“ und der „Revolutionären Bewegung Túpac Amaru“ (MRTA) auseinandersetzen. Was aber keiner weiß, oder keiner sagen will, weil es in diesem Falle keine Entschädigungszahlungen gibt, ist, dass sich viele Polizisten gegenseitig umgebracht haben. Wir haben uns gegenseitig umgebracht. Ich habe sehr viele schlimme Dinge erlebt, an die ich mich nicht erinnern möchte. Ich fühle mich dann so, als wäre es erst vor zwei Stunden passiert. Ich sehe die Bilder vor mir und werde sie nie ausradieren können. Ich kann nur wiederholen, dass es sehr schrecklich war und dass es nicht im geringsten angenehm war Polizist zu sein. In den letzen Jahren habe ich versucht mich mit anderen Dingen zu beschäftigen und mich auszuruhen.
Welche Aufgaben hattest du bei der Polizei?
Ich habe in Ayacucho in der Notstandszone gearbeitet, wo es die meisten Terrorakte gab. Bei dieser Arbeit konntest du nicht nach deinen Idealen handeln, sondern du musstest mit Waffen kämpfen und du musstest töten. Später habe ich bei der Tourismuspolizei, als Verkehrspolizist, im Gefängnis und in Polizeistationen gearbeitet. Es gab natürlich viel Korruption und illegale Aktivitäten, weshalb ich hoffte, dass die Jahre schnell vergehen und ich bald aus der Polizei austreten könne. Ich wollte nie länger als nötig bei der Polizei bleiben.
Hast du daran geglaubt, als Polizist Gutes für die Menschen tun zu können?
Natürlich, ich glaube, ich konnte einigen Menschen helfen. Ich habe auch immer versucht Frauen zu helfen, die von ihren Männern misshandelt wurden. Die misshandelten Frauen kamen zu mir, oft mit Blut überströmt und mit drei bis fünf Kindern. Daraufhin habe ich dafür gesorgt, dass der Mann ins Gefängnis kam. Und als ich später im Gefängnis arbeitete, habe ich viele dieser Männer wiedergetroffen und sie erneut ermahnt, keine Frauen zu schlagen. Hier in Peru ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Ehemann seine eigene Frau umbringt.
Gab es Dinge, die du gegen deinen Willen tun musstest?
Natürlich, wem gefällt es schon, illegale Dinge zu tun oder Menschen schlecht zu behandeln? Die Zeit damals war gekennzeichnet von Grausamkeiten. Ich werde jetzt keine Einzelheiten wiedergeben, aber natürlich handelte es sich bei den illegalen Dingen um Finanzielles. Also Geld, das aus korrupten Quellen kam. Meine Kollegen ärgert es noch immer, wenn ich darüber rede, aber es ist die Wahrheit. Natürlich sind nicht alle so, aber die große Mehrheit.
Du hast erwähnt, dass die Militärs eine größere Schuld tragen als der Leuchtende Pfad. Warum denkst du das? Laut der Wahrheitskommission (CVR) tragen beide ungefähr die gleiche Schuld.
Ich kann sagen, dass bei der CVR Falschaussagen gemacht wurden. Wenn du einem Peruaner eine militärische Ausrüstung gibst, dann ist das das größte, was ihm passieren kann, dann ist er der Chef. Und damit gibst du ihm einen Anlass, andere zu missbrauchen. Wenn man vorher nachdenken würde, wäre es vielleicht anders. Die Uniformierten haben viele Exzesse begangen und bis heute genießen sie viele Privilegien. Vor allem die Oberkommandierenden, die eine große Schuld tragen, sind heute wieder auf ihren alten Posten. Stell dir das mal vor!
Mittlerweile arbeitest du für die Menschenrechte zusammen mit Opfern des Bürgerkriegs. Woher dieser radikale Wandel?
Es scheint radikal, aber die Realität ist eine andere. Als ich Polizist war, habe ich viele Misshandlungen miterlebt, in der Regel gegenüber den quechuasprachigen Menschen, weshalb ich oft Streit mit meinen Kollegen hatte. Die meisten Polizisten kamen aus Lima oder von der Küste, sie hatten eine hellere Hautfarbe und waren viel größer als die Leute aus den Anden. Meine Kollegen nahmen an, ich sei ein Terrorist, und dachten sogar daran mich umzubringen. Jetzt, wo ich bei ANFASEP, der Angehörigenorganisation von Verschleppten und Verschwundenen arbeite, gehöre ich zu denen, die Quechua sprechen. Ich kann nicht sagen, dass ich als Polizist anders dachte als heute. Ich identifiziere mich mit der Gruppe der Quechua Sprechenden und ich weiß, dass sie ca. 70 Prozent der Todesopfer des Bürgerkrieges ausmachen. Ich fühle mich wohl zwischen den Mamas von ANFASEP, mit ihnen kann ich gemeinsam weinen. Das war zu der Zeit als Polizist nicht möglich.
Wie fühlst du dich bei der Arbeit, die du jetzt machst?
Es ist eine sehr komplexe Arbeit. Ich kann nicht sagen, dass ich mich besonders wohl fühle, denn die Mamas sind Vertriebene und Opfer des Bürgerkrieges. Meine Kollegen und ich haben viele Menschen getötet, weshalb ich mich schlecht fühle und traurig bin. Ich kann nicht leugnen, was passiert ist.
Siehst du deine jetzige Arbeit als eine Art Entschädigung an?
Ich würde eher sagen, dass ich mich mit den Menschen verbünde, um gemeinsam für eine Entschädigung zu kämpfen. Ich kenne die Bedürfnisse der Mamas genau und fühle auch ganz genau, was sie brauchen, denn ich komme aus demselben Umfeld. Meiner Meinung nach wären die Mamas mit 100 Soles (ca. 25 Euro) im Monat sehr zufrieden. Sie haben aber nicht mal einen Sol. Bei meiner Arbeit versuche ich mit ihnen zu lachen, spreche mit ihnen Quechua, aber all das ist keine Entschädigung. Was ich mache, ist, die Wahrheit zu verbreiten, die Leute auf den verschiedenen politischen Ebenen zu sensibilisieren und mit den Touristen im Museum der Erinnerung, das zu ANFASEP gehört, zu reden und ihnen die wahre Geschichte zu erzählen.
Fühlst du dich schuldig, wenn die Mamas dir von ihrem Schicksal erzählen?
Ich fühle mich natürlich schlecht und ich fühle mich schuldig, denn ich bin oder war ein Teil der Uniformierten. Ich war ein aktives Mitglied der Polizei. Aber es beruhigt mich zu wissen, was ich getan habe und was nicht. Natürlich muss ich auch zugeben, dass ich schlechte Dinge getan habe, auf die ich nicht sehr stolz bin. Ich trage sehr viel Leid in mir, und ich werde keine Ruhe finden können. Also versuche ich jeden Tag tausend Dinge zu tun, damit ich vergessen kann, was ich getan habe. Aber ich weiß, ich werde es nie vergessen oder verdrängen können.
Gibt es noch etwas, das dir auf dem Herzen liegt?
Es ist wichtig zu wissen, dass es immer weniger Menschen gibt, die Quechua sprechen. Und ich hoffe, dass sie nicht in Vergessenheit geraten. Quechua sollte gepflegt und weitergegeben werden, damit die Sprache nicht ausstirbt. Noch ist Quechua eine lebendige Sprache: Ama ya qunqaychikchu kay hatun chiqap sumaq inka rimaymanta, manan chinkanmanchuqaya kay miski runa simi – Vergesst nicht die große, wahrhaftige und süße Sprache der Inka, die süße Sprache der Menschen darf nicht sterben.