Die Revolution ist eine Konstante in der Arbeit von Mexikos wohl fleißigstem Autor Paco Ignacio Taibo II. Rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag der unvollendeten Mexikanischen Revolution ist mit „Der Schatten des Schattens“ einer der besten Kriminalromane des schnauzbärtigen Rebellen erschienen. Er gibt Aufschluss, weshalb die Revolution auf halber Strecke stehen blieb.
Auf dem Zócalo, dem zentralen Platz von Mexiko-Stadt, hat man zum 100. Jahrestag eine Ausstellung zur Geschichte der Revolution aufgebaut. In den Augen des studierten Historikers Paco Ignacio Taibo II ist die Schau nur ein schlechter Witz. Was wolle man von einer konservativen Regierung erwarten, die sich zur Revolution von 1910 irgendwie bekennen müsse, aber mit dem revolutionären Inhalt rein gar nichts am Hut habe, fragt Taibo II schmunzelnd.
Wie kaum ein Anderer hat er sich mit der Revolution beschäftigt und sie steht auch im Mittelpunkt von „Der Schatten des Schattens“, einem seiner frühen Kriminalromane. Gut zwanzig Jahre nach seiner Publikation in Mexiko ist der Band nun auch auf Deutsch erschienen. Für den Autor eine gute Nachricht, denn schließlich zählt das Buch, das zu Beginn der zwanziger Jahre in Mexiko-Stadt spielt, für Fans und Autor zum Besten, was er je geschrieben hat. Dabei stand Taibo II vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen hatte er sich vorgenommen, eine Geschichte mit vier zentralen Figuren zu erzählen, zum anderen sollten die Gründe für das Scheitern der Revolution zentrales Thema im Hintergrund sein. Um diesen Spagat zu bewältigen, hat Taibo II das Buch schlitzohrig im Chaos angelegt, „um die Wolken dann beiseite zu schieben, die das Antlitz der Realität verdunkeln“.
Ausprobieren wollte Taibo II, ob der Roman das erzählen kann, was der Journalismus und die politische Analyse damals nicht aufzeigen konnten beziehungsweise durften – die Gründe für das Scheitern der Revolution. Dem konspirativen Treiben zwischen mexikanischen Militärs und US-amerikanischen Politikern sowie den mörderischen Versuchen, dies zu kaschieren, kommen die vier Protagonisten in „Der Schatten des Schattens“ auf die Spur. Skurrile Typen – wie sollte es anders sein, denn über einen Mangel an Phantasie kann sich Paco Ignacio Taibo II nicht beklagen. Zu dem wissbegierigen und trinkfreudigen Journalisten Pioquinto Manterola, der autobiographische Züge trägt (allerdings trinkt der Autor keinen Alkohol, sondern nur Coca-Cola – nobody is perfect), gesellt sich der Anwalt Verdugo, der liebend gern die Rechte der Damen der Nacht vertritt. Der dritte im Bunde ist der Dichter Fermín Valencia, der mit Werbetexten sein Geld verdient, und schließlich der Chinese Tomás Wong. Eine eingespielte Runde, die nicht nur die Vorliebe für das Domino teilt, sondern auch für die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem Heimatland. Die dynamischen Vier geraten alsbald in den Strudel der historischen Ereignisse, wobei der Autor geschickt fiktive Passagen und Figuren mit realen Ereignissen und Personen kombiniert und die Leser auf eine spannende Zeitreise in die Wirren des nachrevolutionären Mexiko schickt.
Dabei dient der Krimi als fahrbarer Untersatz, um sich in der Geschichte fortzubewegen, denn diese ist das eigentliche Steckenpferd des Autors. Taibo II stammt aus politisch aktiven Verhältnissen. Als Sohn des Fernsehjournalisten und Autors Paco Ignacio Taibo I kam Francisco Ignacio Taibo Mahojo im Januar 1949 im spanischen Gijón auf die Welt. Seine Mutter stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie. Ihr Vater, ein anarchistischer Gewerkschafter, hatte im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft und war mit einem schwer bewaffneten Fischkutter im Gefecht auf hoher See untergegangen. Seiner Person hat „Pit II“, wie der Autor der Kürze halber auch genannt wird, so manche literarische Aufwartung gemacht. Auch in „Schatten des Schattens” darf ein Ausflug in die anarchosyndikalistische Gewerkschafterwelt der damaligen Zeit nicht fehlen und Tomás Wong ist dabei der Reiseleiter. Ehrensache für Mexikos einfallsreichsten Autor. Der hält Distanz zur Staatsmacht und arbeitet prinzipientreu für die Sache der Bewegung. Für Konferenzen auf der Straße, wo über die gescheiterte Revolution genauso diskutiert wird wie über die nicht sonderlich ermutigende Gegenwart, ist der Mann immer zu haben. Regelmäßig ist er für die fragmentierte Linke unterwegs, verfasst hier und da auch mal wieder einen Artikel für ein Gewerkschaftsblatt und fährt dann mit seiner Arbeit fort. Die ist vielfältig, denn Pit II schreibt parallel an mindes-tens fünf oder sechs Projekten, historischen Studien, Kriminal- oder auch Abenteuerromanen und immer gibt es etwas zu lernen. Das bringt ihm nicht unbedingt den Respekt der literarischen Welt Mexikos ein. Dort wird der immense Output eher naserümpfend zur Kenntnis genommen und wohl auch der Einfallsreichtum neidvoll registriert. In der fragmentierten mexikanischen Linken ist der Mann mit dem Schnauzer und den listig blinzelnden Augen hingegen ein Star, von dem Mann und Frau viel lernen können. Zum Beispiel warum es 1910 letztendlich nicht klappte mit dem Umbau der Gesellschaft – das kann man in „Der Schatten des Schattens“ nachlesen.
Paco Ignacio Taibo II: Der Schatten des Schattens. Roman. Übersetzung: Harry Stürmer. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010. 232 S., 18,- Euro