In Argentinien gibt es jetzt die sogenannte Homo-Ehe, wie ist diese Nachricht in Cuba aufgenommen worden?
M. Castro: Ich bin sehr froh, dass es die ArgentinierInnen geschafft haben. In Cuba lösen diese Themen widersprüchliche Reaktionen aus: Einige feiern solche Entscheidungen, andere sind dadurch verängstigt und besorgt. Das geht quer durch alle sozialen Bereiche.
Im Interview mit der ila vor drei Jahren kündigten Sie Änderungen im cubanischen Familiengesetzbuch an, die auch auf Cuba die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglichen könnten – wie ist es aktuell darum bestellt?
Die Änderungsvorschläge sind jetzt auf der Liste der Gesetzesprojekte, die 2011 in der Volkskammer behandelt werden. Jetzt haben wir die Gelegenheit, mit den Abgeordneten zu debattieren und sie mit unseren Argumenten zu überzeugen. Das Familiengesetzbuch umfasst viele Themen, nicht nur in Bezug auf die Rechte der LGBT (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender): die Rechte von Kindern, Frauen und SeniorInnen, die Vorbeugung gegen geschlechtsspezifische Gewalt etc. Für alle diese Bereiche sind Verbesserungsvorschläge ausgearbeitet worden.
Um was handelt es sich bei den Initiativen, die es seit kurzem innerhalb der ALBA-Länder gibt, um den Kampf gegen Homophobie zu koordinieren?
M. Castro: Anfang dieses Jahres haben wir ein Abkommen zwischen dem CENESEX und der venezolanischen Ombudsstelle für Menschenrechte geschlossen. Im Mai gab es dann ein sehr gutes Seminar in Caracas mit dem Titel „Sexualitäten, Diversitäten und Menschenrechte“. Im Vorfeld war es zwar zu Anfeindungen gegen die Ombudsstelle gekommen – so war die Ombudsfrau z.B. als „Lesbe“ beschimpft worden –, aber wir sind dann im Fernsehen aufgetreten und die Aufregung der VenezolanerInnen legte sich etwas. Die zukünftige Zusammenarbeit soll in der Forschung laufen, bei Veröffentlichungen und der Weiterbildung von Berufstätigen und Aktivisten. In Venezuela gibt es viele LGBT-Gruppen, doch die Bewegung ist recht zersplittert. Auf diesem Seminar kamen sie zusammen und waren alle hoch motiviert.
Und auf der cubanischen Seite – wer hat außer den CENESEX-VertreterInnen teilgenommen?
M. Castro: Das CENESEX arbeitet interdisziplinär und mit verschiedenen Sektoren der cubanischen Gesellschaft zusammen; es kooperiert mit staatlichen Institutionen sowie mit Organisationen der Zivilgesellschaft – insofern hat sich auch die cubanische Gesellschaft an dem Seminar beteiligt. Das CENESEX koordiniert die Partizipation der Bevölkerung und bildet Berufstätige und Aktivisten weiter.
Alberto Roque Guerra, in einem Interview haben Sie gesagt, dass es auf Cuba keine LGBT-Bewegung gebe, sondern lediglich Leute, die auf der Suche nach Vergnügungen seien. Um was handelt es sich dann bei Gruppen wie Reinaldo Arenas in memoriam[fn]Reinaldo Arenas (1943-1990): Cubanischer Schriftsteller, der im Cuba der 60er/70er Jahre aufgrund seiner oppositionellen und offen schwulen Haltung zensiert und verhaftet wurde. Seine Autobiografie wurde 2000 verfilmt (Before night falls).[/fn] oder Movimiento cubano por la liberación homosexual?
A. Roque Guerra: Das hat folgenden Hintergrund: Im Jahr 2008 hatten wir zum ersten Mal den „Tag gegen die Homophobie“ organisiert, über den in den Medien, auch den internationalen, sehr gut berichtet wurde. Zu der Zeit entstanden wie aus dem Nichts heraus kleine Gruppen, die sich als Teil der „Zivilgesellschaft“ sehen, u.a. Reinaldo Arenas in memoriam. Diese Gruppen haben meist nur zwei, drei Mitglieder, sind mit einem Blog im Internet präsent und werden von einer Organisation aus Miami finanziert, der Unity Coalition of Florida, damit auf Cuba LGBT-Aktivitäten stattfinden, die nichts mit dem CENESEX zu tun haben.
So hatten sie für den 26. Juni 2008 zu einer Demonstration aufgerufen, die ein totaler Reinfall war, weil nur zwei Leute kamen – und 40 Journalisten! Hinterher sagten sie, die Demonstration sei mit Polizeigewalt verboten worden – dabei ist einfach niemand gekommen. Nach diesem Ereignis wurde ich dann in besagtem Interview gefragt, ob es in Cuba eine Bewegung für homosexuelle Befreiung gebe. Worauf ich antwortete, dass ich das nicht als Bewegung bezeichnen würde, da die LGBT noch kein politisches Bewusstsein für ihre Rechte entwickelt hätten. Und das gilt auch heute noch, obwohl wir weitergekommen sind.
Wir befinden uns in einer Phase der Katharsis und sind noch weit davon entfernt, unsere Rechte auf eine politische, eine gemeinschaftliche Art und Weise einzufordern, so wie es in anderen Ländern schon geschieht. Und die jetzigen Forderungen beziehen sich auf schwule Kneipen, schwule Partys und Treffpunkte. Das ist in der Tat auch ein Recht. Aber es gibt andere grundlegende Rechte, die bisher noch nicht von der Mehrheit der schwul-lesbischen Szene als selbstverständlich erachtet werden. Einige Schwule wollen sich erst gar nicht beteiligen, und es gibt auch welche, die sogar gegen unsere Aktivitäten sind.
Aber auch Treffpunkte, die zunächst „nur“ kulturell besetzt sind, bieten doch den Nährboden dafür, dass Bewegungen entstehen, dass sich Leute organisieren und politisieren …
M. Castro: Das ist ein Prozess, die Gesellschaft entwickelt ein Bewusstsein, auch die LGBT-Bevölkerung selbst. Der „Tag gegen die Homophobie“ – eigentlich heißt er „Tag für das Recht auf freie sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität“ – ist ja nicht unser einziges Projekt. Mit Konferenzen, Weiterbildungsmaßnahmen, Theateraufführungen und Kino-Vorführungen machen wir dieses Recht bekannt und stellen es zur Debatte. Vor zwei Jahren haben wir den Cine Club diferente gestartet: Einmal im Monat werden in einem Kino in der Innenstadt von Havanna Filme gezeigt. Wunderbare Debatten haben in diesem Rahmen schon stattgefunden. Und auch die LGBT-Bevölkerung selbst bildet sich hier weiter. Weltweit habe ich im Hinblick auf die LGBT-Bewegungen beobachtet, dass es die Tendenz zur Spaltung gibt und dass sie untereinander Vorurteile reproduzieren. Das ist ein sehr alter menschlicher Mechanismus. Doch wir wollen nicht mehr, dass der Schwule den Heterosexuellen ablehnt oder die Lesbe den Transsexuellen etc. Wir wollen stattdessen, dass die ganze Gesellschaft die Notwendigkeit erkennt, dass wir die Mechanismen der Diskriminierung beseitigen müssen.
Was läuft konkret, um z.B. die Mentalität der cubanischen Polizisten zu verändern?
M. Castro: Seit mehreren Jahren führen wir Weiterbildungsseminare durch; im Moment systematisieren wir diesen Prozess, sodass die Polizei mindestens zwei Mal im Jahr Weiterbildungskurse erhält. Zuletzt hat uns die Leitung der Nationalpolizei vorgeschlagen, dass wir die Ausbilder weiterbilden, damit sie kontinuierlich diese Themen in die Ausbildung mit einfließen lassen. Wenn wir den „Tag gegen die Homophobie“ organisieren, treffen wir uns vorher mit den Polizisten aus der Gegend, sie sind ja für die Verkehrsführung zuständig. Als wir dieses Jahr mit unserer Feier vorbeigezogen sind – wir machen keine Demonstration, sondern eine conga, das ist ein bestimmter Tanz aus Santiago de Cuba, der sehr ansteckend und lustig ist –, haben mir die travestis gesagt: „Guck mal, die Polizisten sind aber besser geworden!“.
Aber es gibt nach wie vor willkürliche Festnahmen und Angriffe auf LGBT?
A. Roque Guerra: Die Polizei verfolgt nach wie vor LGBT. Ihr Handeln ist dabei stark mit Vorurteilen behaftet. Andererseits gibt es LGBT, die die Gesetze verletzten – wie Heterosexuelle auch. Manchmal haben sie Probleme an den Orten, die eine starke Polizeipräsenz erfordern, weil sich dort Kleinkriminelle treffen, die z.B. Drogen verkaufen. Gleichzeitig arbeiten wir mit der LGBT-Bevölkerung daran, dass sie ihre Rechte – und deren Grenzen – kennen. Im Zuge einer gegenseitigen Provokation kann es schnell dazu kommen, dass der Polizist sagt, „das war Beamtenbeleidigung“ oder „Störung der öffentlichen Ordnung“. Dabei legen wir besonderen Wert darauf, dass die Personen, die am meisten exponiert sind – travestis und Transgender –, ihre Rechte kennen lernen. So haben wir auch im CENESEX eine juristische Beratungsstelle, an die sie mit ihren Beschwerden herantreten können.
M. Castro: Wir haben nachweisen können, dass die Polizei niemanden allein deswegen festnimmt, weil er homosexuell ist. Bei travestis und Transgender hat es einige Fälle gegeben; aber die Polizisten wissen, dass sie das eigentlich nicht dürfen, dass sie sich strikt an die Gesetze zu halten haben.
Warum wird der „Tag gegen die Homophobie“ im Mai begangen und nicht Ende Juni, wie in vielen Ländern der Welt in Erinnerung an den Stonewall-Aufstand im Rahmen des Christopher Street Day?
M. Castro: Wir identifizieren uns nicht mit den Geschehnissen rund um den Stonewall-Aufstand, weil sie nichts mit der cubanischen Realität zu tun haben. Als wir hörten, dass ein französischer Aktivist den 17. Mai als internationalen Tag gegen die Homophobie vorgeschlagen hatte, weil die Internationale Gesundheitsorganisation am 17. Mai 1990 Homosexualität aus der Liste der Geisteskrankheiten gestrichen hatte, hat uns das überzeugt. Dieses Datum gefällt uns besser, weil nicht Homosexualität das Problem ist, sondern Homophobie. Sie muss bekämpft werden. Außerdem finden wir diese Gay-Pride-Demonstrationen ziemlich patriarchal, weil sie ein sehr männlich beherrschtes Terrain sind; Lesben und Transgender kommen erst an zweiter Stelle.
Und die eben erwähnten oppositionellen Gruppen, welchen Tag bevorzugen sie?
A. Roque Guerra: Im Juni 2008 gab es den Versuch, eine Gay-Pride-Demonstration mit Bezug zu den Stonewall-Ereignissen zu machen, um unsere Veranstaltungen zu boykottieren: Das war die Demonstration, die ich vorher erwähnt hatte, zu der nur zwei Personen kamen, die angeblich sechs verschiedene Organisationen repräsentierten. Meine Position als schwuler Cubaner ist folgende: Ich arbeite freiwillig für eine Organisation, deren Strategie mir geeignet scheint, etwas zu verändern.
Wir haben nichts dagegen, wenn eine Bewegung in der cubanischen Zivilgesellschaft entsteht – ich betone: in der cubanischen, ohne ausländische Beeinflussung, ohne Söldnertum, das mit finanziellen Mitteln von außen cubanische Institutionen boykottiert. Selbst wenn wir unterschiedliche Modelle haben, aber die gleichen Ziele verfolgen, können wir zusammenarbeiten, weil Widersprüche die Arbeit bereichern. Aber bei diesen Gruppen haben wir das Gefühl, dass sie uns transkulturelle Muster aufdrängen wollen, die wir zwar nicht ablehnen, die aber nicht notwendigerweise unsere Wahl sind. Ein anderes Beispiel: Die Wahl eines Mister Gay an einem cubanischen Strand. Mister Gay!!! Hello!
M. Castro: Das Wort Mister ärgert uns, es erinnert an die Zeiten, als Cubaner die Bediensteten der Misters waren. Du musst also deine Kultur kennen und wissen, was du vor dem Hintergrund deiner Kultur auf welche Art und Weise einführen kannst. Deshalb wusste ich von Anfang an, dass eine Gay-Pride-Demonstration nicht funktionieren kann und dass sie sehr viel Ablehnung hervorrufen würde. Das ist keine gute Strategie. Wir wollen doch das Interesse der Leute anregen. Und deshalb erschien mir auch die Initiative für den 17. Mai viel interessanter.
Auch in Nicaragua wird jetzt überlegt, am 17. Mai den „Tag gegen die Homophobie“ zu begehen. Allerdings hatten wir mit dem Datum ein kleines Problem: Am 17. Mai werden in Cuba drei wichtige Ereignisse auf dem Land gefeiert, u.a. das Gesetz zur Agrarreform. Deshalb ist der 17. Mai der Tag des cubanischen Bauern. Als wir mit unseren Planungen begannen, sagten uns viele Leute: „Das geht nicht, der 17. Mai ist unantastbar!“ Einige machten Witze: „Der schwule Bauer feiert dann halt zwei Mal an dem Tag!“ Unser Ausweg aus dem Dilemma: Am 17. Mai selbst machen wir eine kleinere symbolische Aktion, und an dem Samstag davor oder danach findet der große Umzug statt.
Welche Entwicklungen gibt es im Hinblick auf die Operationen zur Geschlechtsumwandlung?
M. Castro: Circa 30 Personen sind als Transsexuelle identifiziert worden. Seit 1979 gibt es die ersten Behandlungen, dabei sind auch die Hormonbehandlungen kostenloser Bestandteil des cubanischen Gesundheitssystems; im Jahr 1988 gab es die erste Operation. Leider wurde dieser Erfolg nicht adäquat in den Medien dargestellt, und die Bevölkerung konnte nicht von der Notwendigkeit dieses Eingriffs überzeugt werden, so dass das Gesundheitsministerium diese Operationen vorerst einstellte. Seit 2004 haben wir das Thema erneut auf die Agenda gesetzt und schließlich 2008 erreicht, dass das Gesundheitsministerium einen Beschluss gefasst hat, der operative Geschlechtsumwandlungen wieder ermöglicht und der die Einrichtung eines Gesundheitszentrums für Transsexuelle in einem Krankenhauses in Havanna vorsieht. Bisher sind schon mehr als zehn Personen operiert worden. Außerdem haben wir ein Gesetzesprojekt eingebracht, das es Transsexuellen ermöglicht, die Geschlechtsidentität zu wechseln, auch offiziell, ohne operiert werden zu müssen, denn nicht alle wollen oder können sich einem Eingriff unterziehen. Darüber ist aber noch nicht entschieden worden.
Wie kommt eure Aufklärungsarbeit bei den jungen Leuten an?
M. Castro: Dazu eine Anekdote: Wir wollten bei den ArchitekturstudentInnen einen Film zeigen und entschieden uns für Milk (die Geschichte des schwulen US-amerikanischen Kommunalpolitikers Harvey Milk, d. Red.). Nach dem ersten homosexuellen Kuss stand die Hälfte des Publikums auf und ging! Solche Filme sind also für den Anfang nicht geeignet, wir müssen mit allgemeinen Fragestellungen zum Geschlechterverhältnis beginnen. Und das waren StudentInnen, gebildete junge Leute! Eigentlich müssten doch die jungen Leute neue Ideen einbringen, aber das kommt nicht von alleine. Sie müssen einen Reflexionsprozess durchlaufen und sich auf neue Ideen einlassen. Oft wird ja gesagt, dass die cubanische Führung aus lauter alten Leuten besteht, aber dann sage ich: Es gibt doch niemand anderes, der mehr Erneuerungen anstoßen würde als sie, die immer noch sehr revolutionär sind.
Es sind vor allem viele alte Männer …
M. Castro: Die Präsenz von Frauen in den oberen Führungsebenen des Staates muss ausgebaut werden. Das müssen sich die Frauen erkämpfen, und damit das passiert, muss mehr Weiterbildung zum Geschlechterverhältnis stattfinden. Wir glauben allerdings nicht, dass Quoten oder positive Diskriminierung weiterhelfen. Die Leute müssen verstehen, warum es wichtig ist, dass Frauen bestimmte Stellungen besetzen. Heutzutage wird das oft formal dahingesagt; so gibt es Männer, die große Reden schwingen: „Die compañeras sind besser als wir“, woraufhin ich sage: „Was redest du da? Bilde dich mal weiter und hör auf mit diesen lächerlichen Phrasen! Wenn du von Frauenrechten sprichst, dann setz dich ernsthaft damit auseinander!“ Mit unserem jetzigen Kenntnisstand ertragen wir solche Dummheiten einfach nicht mehr.