Wir werden auf eine rasante Busfahrt mitgenommen. Die Sicht ist schlecht, da die Frontscheibe mit Rissen übersät ist. Der Fahrer erklärt, dass Busfahrer Jäger sind, Passagierjäger. Von den sechs Millionen EinwohnerInnen in Santiago de Chile sind aufgrund der großen ökonomischen Ungleichheit vier Millionen PendlerInnen, die aus den staubigen Vororten ins reiche Zentrum der Stadt fahren und dabei bis zu vier Stunden am Tag im Bus verbringen. Der öffentliche Nahverkehr wird von 15 000 Busfahrern als Kleinunternehmer gestemmt. Pro Fahrgast erhalten sie acht Cent. Darum liefern sie sich Wettrennen, nehmen Abkürzungen zur nächsten Haltestelle und blockieren sich gegenseitig auf den Straßen. Auf den Strecken stehen sapos, Zeitstopper, die den Fahrern gegen kleines Geld sagen, wie weit der vorherige Bus entfernt ist. Somit wissen sie, ob es sich lohnt, den nächsten zu überholen. Jorge, ein Busfahrer, der Frau und Kind hat, sagt, dass er verrückt fährt, aber mit gewissen Mindestansprüchen, denn wenn ihm etwas zustößt, fehlt seiner Familie das Einkommen.
Auf der langen Reise der PendlerInnen geht es abwechslungsreich zu. An jeder Station steigen StraßenverkäuferInnen ein, die von Lebensmitteln über Zahnbürsten und Superkleber alles verkaufen, zu günstigeren Preisen als im Supermarkt. Außerdem sparen die Passagiere Zeit beim mobilen Einkauf. Dabei werden sie auf den langen Fahrten von StraßenmusikerInnen, Pantomimen, Kabarettisten und Sportkommentatoren unterhalten. Doch die StraßenarbeiterInnen werden von der Regierung kriminalisiert und von den Medien als Diebe dargestellt. Sie sind ständig auf der Jagd nach einem Bus, mit der Folge, dass allein in einem Jahr fünf VerkäuferInnen gestorben sind. Und sie selbst werden auch gejagt, von der Polizei. Werden sie erwischt, wird ihnen das Geld abgenommen und sie kommen ins Gefängnis. Der Verkäufer Marcos wurde sieben Tage in Haft genommen. Sieben Tage, an denen seine Familie kein Einkommen hat.
Da die Regierung den StraßenverkäuferInnen keine Arbeitserlaubnis erteilt, können sie keine Uniformen tragen, um sich von unseriösen VerkäuferInnen abzusetzen. Steuern können sie auch nicht zahlen, woraus ihnen umgekehrt wiederum ein Vorwurf gemacht wird. Sie haben keine Krankenversicherung, keine Rentenversicherung und sind auch nicht kreditwürdig. Obwohl der Beruf nicht hoch angesehen ist, fragt Liliana, die nach dem Tod ihres Mannes in den Bussen arbeitet, warum ihr dies peinlich sein sollte. Sie sei doch nicht kriminell oder prostituiere sich. Wofür sie übrigens auch gar nicht den richtigen Brustumfang hätte, sagt sie lachend. Alle dargestellten VerkäuferInnen kämpfen für ihre Familien, sie wollen kein Mitleid, sondern nehmen mit viel Mut, Energie, Humor und Kreativität ihr Leben in die Hand.
Doch die alten Busse, die individuell mit Gardinen und Heiligenbildchen dekoriert sind, sollen aus dem Verkehr gezogen werden, um einem neuen Nahverkehrssystem nach Vorbild des kolumbianischen Transmilenio zu weichen, dem Transantiago. Im Zuge der Reform des Transportwesens werden elektronische Zeittafeln installiert, wodurch die sapos arbeitslos werden. StraßenverkäuferInnen dürfen nicht mehr in die Busse. Busfahrer, die sie trotzdem hereinlassen, werden entlassen. Die neuen Großunternehmen, die nun das Streckennetz betreiben, übernehmen zwar die Busfahrer der Kleinunternehmen. Die müssen sich jedoch an das neue System anpassen: keine persönliche Dekoration mehr, kein Radio mehr, die Löhne sinken und sie müssen zunächst den Fahrpreis zu ihrer Arbeitsstelle aufbringen, ihre Arbeitszeit verlängert sich durch die lange Anfahrt und der Lohn wird nicht mehr täglich, sondern monatlich ausgezahlt. Diese Umstellung ist für die Familien, die keine finanziellen Rücklagen haben, nicht umsetzbar.
David, der schon als Neunjähriger aus reiner Abenteuerlust begonnen hat, als Straßenverkäufer zu arbeiten, gründet eine Gewerkschaft. Er mobilisiert die Menschen, diktiert Flugblätter und organisiert Busbesetzungen und Demonstrationen. Er sät Träume, seine Augen blitzen und er strahlt, wenn er laut träumt, dass die Kinder später StraßenverkäuferInnen werden möchten. Die Eltern werden dann sagen: „Dann streng dich an, das schaffen nur die Guten!“
Durch die neuen Busse, die in Deutschland hergestellt wurden, verlieren die StraßenverkäuferInnen über 50 Prozent ihres Einkommens, sie müssen Schulden machen. Marcos kann den Unterhalt nicht mehr aufbringen, sodass er seinen Sohn nicht mehr sehen darf und überlegt, kriminell zu werden. Das neue elektronische System funktioniert noch nicht. Zehntausende kommen nicht nach Hause oder zur Arbeit, es kommt zu stundenlangen Wartezeiten, die Anzahl der Busse ist unzureichend.
David lässt einen Brief an die Präsidentin verfassen, stellt Forderungen an den Stadtrat. Er organisiert permanent Demonstrationen. Er wird zu einer Anhörung eingeladen. Und durch seine charismatische Art, den Druck auf der Straße und gute Lobbyarbeit schafft er mit seiner Gewerkschaft das, womit kaum einer gerechnet hat: Die StraßenverkäuferInnen dürfen nun ganz legal arbeiten! Ein kleiner Sieg. Trotzdem sind die sapos weiterhin arbeitslos, die Busfahrer müssen auf ein Drittel ihres Gehaltes verzichten und die Fahrgäste 45 Prozent mehr für ihre Fahrkarte bezahlen.
Der Film von Sarah Moll ist temporeich, mit schöner Musik unterlegt und gibt aus dem Bus heraus einen Einblick in die Stadtteile von Santiago de Chile. Vor allem entlässt er die ZuschauerInnen mit der Hoffnung, dass es sich lohnt, sich für etwas einzusetzen und damit etwas zu bewegen.