Die industrielle Zellstoffproduktion war stets mit hohen Umweltbelastungen verbunden. So wandte sich Greenpeace schon in seinen Gründungsjahren gegen die Verschmutzung der Gewässer durch Papierfabriken und die Ausbreitung von Dioxinen über die Chlorbleiche. Die edle Zellulose, Symbol für „Reinheit” und “Weis(ß)heit”, hatte Flecken bekommen. In den 80er und 90er Jahren riefen Umweltverbände zum sparsamen Umgang mit Zelluloseprodukten auf und propagierten unansehnlich graues, rauhes Recyclingpapier als Alternative. Heute hat sich das Bild gewandelt. Die Läden sind gefüllt mit blütenweißen Zelluloseprodukten, unzählige Aufdrucke bzw. Label wie „chlorfrei”, „aus Plantagen” oder „tropenholzfrei” beteuern die „Umweltfreundlichkeit” der Ware. Doch wer genau hinschaut, wird bemerken, dass Produkte aus 100 Prozent Atpapier nach wie vor ein Nischendasein führen. Was ist geschehen?
Die Ursache für die „ökologische Korrektheit” der Zelluloseproduzenten ist nur zum Teil auf das allgemein gestiegene Umweltbewusstsein zurückzuführen. Die Firmen erkannten, dass es wenig sinnvoll ist, die öffentliche Kritik zu ignorieren, da sich ein beschädigtes Image vor allem im Rahmen der Vergabepraktiken von Fördergeldern und Krediten durch öffentliche Institutionen und Banken negativ bemerkbar macht. So hat die Weltbank schon Anfang der 90er Jahre die Unterstützung von industriellen Großprojekten an eine Reihe von Umwelt- und Sozialauflagen gekoppelt. Daher haben sich die betroffenen Unternehmen für eine Strategie des Dialogs mit ihren KritikerInnen entschieden, um „Lösungen” oder „Alternativen” für die aufgezeigten Probleme zu entwickeln.
Anders als in allgemeinen Verbraucherkampagnen mussten sich die Umweltverbände nun mit betriebswirtschaftlichen Sachzwängen auseinander setzen. Sie akzeptierten, dass es sozial unverantwortlich wäre, zu starke Forderungen zu stellen, die die im Sektor eingebundenen Arbeitskräfte gefährden könnten. So blieben Fragen nach der Notwendigkeit eines bestimmten Produktes oder nach der kompletten Unterlassung von umweltschädigenden Herstellungsprozessen ausgeklammert, da damit aus Sicht der Firmen Einschnitte in der Wettbewerbsfähigkeit und eben auch Entlassungen verbunden seien.
Stattdessen standen nun technische Fragen zur Ökologisierung der Produktionsprozesse im Mittelpunkt. Statt um den „Umbau der Industriegesellschaft” drehten sich die Kampagnen nun um Dinge wie das „Drei-Liter-Auto”; statt „Altpapier” als Symbol für den Wandel der Wegwerf- zur Recyclingwirtschaft wird nun umwelttechnisch optimiertes „chlorfreies Papier” propagiert.
Die an den Runden Tischen beteiligten NRO sahen sich gezwungen, sich zu professionalisieren, um das nötige Expertenwissen in die Diskussionen einbringen zu können. Die finanziellen Mittel dazu bekamen sie durch Projektpartnerschaften mit den Firmen selbst oder von neu geschaffenen öffentlichen Institutionen, die Umweltbelange in einem breiteren wirtschaftlichen Kontext angehen wollten. Dazu war das Know-how des „tertiären Sektors” oder der „Zivilgesellschaft”, wie die NRO nun genannt wurden, sehr willkommen. Auf internationaler Ebene wurde diese Form der Zusammenarbeit von ökonomischen, ökologischen und sozialen Interessen während der UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 als zentraler Bestandteil einer Strategie für eine „nachhaltige Entwicklung” allgemein anerkannt. Den über diese Form der „ökologischen Modernisierung” erworbenen Zugang zu den Zentren der Macht dankten die entsprechenden Umweltorganisationen durch „Politikfähigkeit” und Pragmatismus, während sie sich von Strategien der Konfrontation mit Politik und Wirtschaft verabschiedeten. Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie bezeichnet das nach Rio 1992 geschaffene politische Feld als „globales Umweltregime“. Es besteht aus partizipativen Gremien wie der Comission of Sustainable Development und den Intergovernmental Panels, die gemeinsam mit der organisierten Zivilgesellschaft und der Scientific community nach Wegen suchen, um den Nachhaltigkeitsgedanken politisch durchzusetzen.
Das wohl bekannteste Resultat des Umweltregimes ist der 1997 in Kyoto ausgehandelte Emissionshandel. Der Kompromiss stellte die Weichen für die Arbeitsweise des Umweltregimes, indem er auf Marktkräfte setzte, was es Unternehmen ermöglicht, weiterhin die Atmosphäre mit klimaschädlichen Gasen zu verschmutzen, wenn sie anderswo in Maßnahmen zur Reduzierung derselben investieren. Die Betonung von ökonomischen Steuerungsinstrumenten als Mittel zur Zügelung des ungebremsten Kapitalismus zeigt, dass sich das globale Umweltregime einem anderen weltweit agierenden Regime unterordnet, dem der ökonomischen Globalisierung, das sich 1995 durch die World Trade Organisation (WTO) konsolidiert hat. Dennoch geht die Unterordnung des Umweltregimes nicht so weit, dass multinational agierende Firmen Umwelt- und Sozialbelange einfach ignorieren könnten. Kaum ein Unternehmen verzichtet auf allgemeine Absichtserklärungen über seine ökologische und gesellschaftliche Verantwortung. Gerade in Lateinamerika setzen Umweltinstitutionen und -organisationen große Hoffnungen in eine Art Standardisierung und Formalisierung von freiwilligen Selbstverpflichtungen (Responsabilidad Social Corporativa), um deren Einhaltung wenigstens ansatzweise einfordern zu können. In der Regel reduzieren sich die Aktivitäten jedoch nur auf öffentlich wirksame Maßnahmen wie die Beteiligung an Kampagnen gegen Kinderarbeit und an Naturschutzprojekten oder die Förderung von Jugendprojekten in Favelas (Elendsviertel).
Fortschrittlichere Firmen unterziehen sich diversen Auditverfahren, die zumindest eine regelmäßige Überprüfung ihrer Performance bezüglich der Qualitätssicherung, aber auch in Bezug auf Umweltmaßnahmen und interne Sozialstrukturen vorsehen. Die bekanntesten Audits dieser Art sind die jeweiligen Normen der Industrial Standards Organization (z. B. ISO 9000, ISO 14000 etc.). Inzwischen ist ein gewinnträchtiger Markt von Auditunternehmen entstanden, der zeigt, dass die Firmen auch stattliche Summen in solche betrieblichen Überprüfungen investieren. Es fragt sich, woher die Motivation für diese Ausgaben kommt. In einer Presseerklärung der Auditfirma Villafañe & Asociados heißt es z. B. dazu: „Die soziale Unternehmensverantwortung ist ein Bündel von Prinzipien, Politiken, Programmen und Aktionen bezüglich der sozialen und natürlichen Umgebung, die auf die Einbeziehung von Werten und Erwartungen der internen Belegschaft und der externen Öffentlichkeit in die Unternehmensstrategie abzielen, mit der Zielsetzung, den Wert der Marke und die Reputation der Firma zu erhöhen.”
Es geht also um so genannte Win-Win-Strategien, die neben den gewünschten ökologischen und sozialen Verbesserungen auch der Rentabilität des Betriebes zugute kommen. Dazu zählen zum Beispiel Kostensenkungen durch Energie- und Materialeffizienz, Anpassung an die Nachfragesituation auf den Märkten, um Überschüsse zu vermeiden (Just in time), die Einhaltung der Gesetzgebung, um die Risiken durch behördliche Kontrollen gering zu halten, und eben die oben erwähnten öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten mit einem nicht zu unterschätzenden Werbeeffekt. Auf sozialer Ebene stehen Fortbildungsmaßnahmen, Verbesserung des Arbeitsklimas, geregelte Arbeitsverträge, Gesundheitsprogramme und Freizeitangebote auf der Tagesordnung, die letztendlich die Produktivität der MitarbeiterInnen erhöhen. Ein gewünschter Nebeneffekt ist die Gewährleistung der Loyalität der ArbeitnehmerInnen als Mittel zur Vermeidung von Streiks.
Die Frage stellt sich nun, ob mit Hilfe der diversen Zertifizierungen als Formen der Global Governance, die zwischen dem Umweltregime und der ökonomischen Globalisierung agieren, die Widersprüche des aktuellen Entwicklungsmodells überwunden werden können. Diese Problematik möchte ich anhand der Debatte um die von der Firma Botnia errichteten Papierfabrik in Fray Bentos, im Grenzgebiet zwischen Uruguay und Argentinien, erörtern, die durch die massiven Proteste der lokalen Bevölkerung die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erlangte. Obwohl sie eine Umweltverträglichkeitsstudie nach den Kriterien der Weltbank vorlegte, geriet die Firma so sehr in die Kritik, dass die grüne Fraktion im Europäischen Parlament einen Workshop organisierte (siehe Beitrag von Chris Lang zur Finanzierung in diesem Heft). Dort wurde darüber diskutiert, ob das Vorhaben förderungswürdig sei, das von Exportkreditagenturen betreut wird, die von der EU kontrolliert werden. Die Debatte, zu der eine Reihe von NRO aus den betreffenden Ländern eingeladen wurde, drehte sich hauptsächlich um Mängel der vorgelegten Umweltstudien und um das Bleichverfahren, das nur auf einer elementarchlorfreien Technik beruht (ECF), anstatt das aus umwelttechnischen Gesichtspunkten modernere, aber teurere gänzlich chlorfreie Verfahren (TCF) einzusetzen. Es handelte sich also um eine typische, auf technische Prozesse fixierte Diskussion, die die Alternativen zu dem Produkt selbst – Recyclingpapier statt Papier aus Frischzellulose – nicht berührte.
Einige Teilnehmer brachten schließlich eine der wichtigsten Ursachen der lokalen Proteste in die Debatte mit ein: den gewaltigen Holzbedarf, der von über mehreren 100 000 Hektar von Eukalyptuspflanzungen in Argentinien, Uruguay und Brasilien gedeckt werden soll. Anhand dieser Problematik taten sich Differenzen zwischen den NRO auf. Während die Vertreter von World Rainforest Movement (mit Sitz in Uruguay) die Ausbreitung von Eukalyptusplantagen strikt ablehnten, unterstrich Greenpeace Argentinien die „Unvermeidbarkeit” neuer Plantagen angesichts der steigenden globalen Nachfrage nach Frischzellulose. Um ökologische und soziale Folgen zu vermeiden, sollte die Firma jedoch nur zertifiziertes Rohmaterial akzeptieren – ein Kompromiss, dem die Firma auch zustimmte.
Als Beispiel wurde der FSC (Forest Stewardship Council) genannt, der 1993 auf Initiative des WWF als eine Antwort auf europäische Kampagnen zum Tropenholzboykott entstanden ist. Die offizielle Gründung des FSC fand allerdings erst 1996 statt, nachdem sich die beteiligten NRO darauf einigten, nicht allzu strenge Bewertungskriterien zu formulieren, um das Interesse möglichst vieler Firmen an der Zertifizierung zu wecken. Dahinter stand die Überzeugung, dass sich die Standards immer noch verschärfen ließen, wenn die Marktführerschaft erreicht sei. Hintergrund war das zeitgleiche Auftreten von anderen Zertifizierungssystemen, die ebenfalls für sich in Anspruch nehmen, „nachhaltige Forstwirtschaft” zu zertifizieren. Doch der Zertifizierungsmarkt ist auch heute noch heiß umkämpft. Im Papiersektor hat vor allem das PEFC (Pan-European Forest Certification Council) den FSC an Fläche weit überrundet.
Auf internationaler Ebene gilt der FSC wegen der Unterstützung durch große NRO wie Greenpeace und Friends of the Earth nach wie vor als glaubwürdigste Initiative. Doch ein im Jahr 2002 veröffentlichter Bericht der Rainforest Foundation mit Fallstudien zu problematischen Zertifizierungen in Indonesien, Thailand, Malaysia, Kanada, Irland und Brasilien zeigte ein anderes Bild. In allen dargestellten Fällen wurde die zu großzügige Auslegung der Prinzipien und Kriterien beklagt. Die Ursache dafür liegt zum einen darin, dass der Zertifizierer direkte Verträge mit der zertifizierungswilligen Firma abschließt. Um das wirtschaftliche Überleben durch Folgeverträge zu sichern, muss der Zertifizierer wohlwollende Berichte anfertigen.
Tiefgreifendere Probleme sind mit den vom FSC vorgeschriebenen Stakeholderprozessen verbunden, die oft als entscheidender Unterschied zu anderen Zertifizierungssystemen gepriesen werden. Diese sehen vor, ungeklärte Fragen im Dialog mit der lokalen Bevölkerung zu lösen. Erste Probleme sind bereits mit der praktischen Durchführung der Anhörung der lokalen Stakeholder verbunden, die aus Kostengründen an einem zentralen Ort stattfindet. Die Ankündigung der Versammlung erfolgt über lokale Zeitungen, Email oder Radio. Isoliert oder abgelegen lebende Bevölkerungsgruppen, die keinen Zugang zu elektronischen oder gedruckten Medien haben oder die Fahrtkosten zum Veranstaltungsort nicht aufbringen können, bleiben so vom Stakeholderprozess ausgeschlossen. Die Versammlungen selbst finden keineswegs in einem machtneutralen Raum statt. Allein die technischen Powerpointpräsentationen der Firmenvertreter schüchtern Stakeholder mit geringerer Bildung ein, die Einwände von Bauern werden oft mit so genanntem Expertenwissen und Verweisen auf das Fehlen „wissenschaftlicher Beweise“ zurückgewiesen, und – nicht selten – fürchten die TeilnehmerInnen Repressalien, wenn sie sich öffentlich äußern.
Ein Vorfall in den seit 1999 FSC-zertifizierten Eukalyptusplantagen von Vallourec&Mannesman, die sich im brasilianischen Minas Gerais befinden, lenkt das Augenmerk auf Konflikte ganz anderer Art, die selbst im hypothetischen Falle einer perfekt durchgeführten Zertifizierung nicht lösbar sind, da sie mit unterschiedlichen Weltsichten zu tun haben, die sich in der jeweiligen Form der Raumnutzung materialisieren. Im Februar 2007 wurde ein Kleinbauer vor den Augen seiner 14jährigen Tochter mit drei Schüssen in den Mund von der Privatmiliz von V&M erschossen, weil er in den Plantagen Feuerholz sammelte. Dieser Mord war einer der traurigen Höhepunkte einer langjährigen Kette von Konflikten zwischen der Firma und den lokalen Gemeinden. Die Landesregierung hatte der Firma bereits in den 70er Jahren Konzessionen für die Pflanzungen von Eukalyptus erteilt. Die lokale Bevölkerung blieb dabei unberücksichtigt, da sie keine Besitztitel für die entsprechenden Flächen vorweisen konnte. Basierend auf ihren Vorstellungen von gemeinschaftlicher Territorialität setzten sie aber ihre Aktivitäten fort und holten sich das einzig nutzbare Gut, das in den Plantagen verfügbar ist – Brennholz zum Kochen. In den Augen der Firma werden diese Aktivitäten entsprechend der privatwirtschaftlichen Auffassung von Territorialität als Hausfriedensbruch und Diebstahl interpretiert, weshalb sie eigens angeheuerte Milizen einsetzte, um ihre Plantagen vor Übergriffen zu schützen.
Die Dimension der unterschiedlichen Auffassung von Raum hat Juarez Teixeira, Vertreter der Kleinbauerngewerkschaft Bocaiúva, besonders gut auf den Punkt gebracht, als er die Territorialität seiner Großväter und Väter mit Freiheit gleichsetzte, die seiner Generation durch die Eukalyptusplantagen geraubt wurde. Einer fixen, über Privatbesitz oder -nutzung definierten Territorialität kapitalistischer Gesellschaften, die parzelliert und auf Karten festgeschrieben werden kann, stehen also flexible, weitgehend gemeinschaftlich genutzte Territorien traditioneller Gruppen gegenüber. Konflikte zwischen diesen unterschiedlichen Auffassungen von Territorialität lassen sich kaum über Dialoge und Absprachen lösen.
Letztendlich müssen wir uns eingestehen, dass Selbstverpflichtungserklärungen und Zertifizierung vor allem ein Ziel haben: die Ausdehnung des „Umweltraums” der reichen Eliten in Nord und Süd zu rechtfertigen. Doch da Land keine „erneuerbare Ressource” ist, können selbst die strengsten ökologischen und sozialen Kriterien die durch die Flächenexpansion entstehenden Konflikte nicht verhindern. Und so zeigt sich, dass Strategien der ökologischen Modernisierung nicht in der Lage sind, den grundlegenden Widerspruch zwischen Kapitalismus und Nachhaltigkeit zu lösen: die ewige Sucht nach materieller Akkumulation.