Agrotreibstoffe sind zum heißen Tipp geworden, zur Lösung für die dringlichsten Probleme des Planeten. Befürworter und Förderer dieser Lösung behaupten, dass Biosprit und Biodiesel, wie sie es nennen, den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren und das Ende des auf Erdöl basierenden Industriewachstums hinauszögern, nachhaltig und erneuerbar sind, die Energiesicherheit erhöhen und den Bauern und Bäuerinnen helfen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die rosige Zukunft, welche die Freunde der Agrotreibstoffe zeichnen, in vielfacher Weise den Albträumen der Vergangenheit ähnelt.

WissenschaftlerInnen und ÖkologInnen debattieren noch heiß über Pro und Contra dieser erneuerbaren Energien. Verschiedene Untersuchungen widersprechen sich bezüglich der Fragen, ob der Nettoertrag ihres Einsatzes positiv oder negativ ist, ob Treibhauseffekte und Verschmutzung ab- oder zunehmen und wie es mit den Kosten und den Effizienzen aussieht. Schnell und kraftvoll aber hat sich in diesen Fragen ein politischer Konsens eingestellt. In einigen wenigen Jahren ist ein Pro-Agrotreibstoff-Bündnis zwischen den wirtschaftlich und politisch mächtigsten Kräfte der Welt herangewachsen.

Wer aber steckt warum hinter dem „Biokraftstoff“-Boom? In seiner diesjährigen Botschaft an die Nation hat US-Präsident George Bush das Ziel proklamiert, in zehn Jahren zwanzig Prozent der fossilen durch Agrotreibstoffe zu ersetzen. Die Europäische Union hat eine ähnliche Zielmarke gesetzt. Auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm haben die Staatschefs sich aus vollem Herzen hinter die Anstrengungen gestellt, den Verbrauch von Agrotreibstoffen zu fördern, und die Internationalen Finanzinstitutionen haben milliardenschwere Kreditprogramme für diesen Zweck aufgelegt. Die Vorsitzenden der Interamerikanischen Ethanol-Kommission (Interamerican Ethanol Commission) zur Förderung des Agroethanolanbaus in den Amerikas sind Jeb Bush, der Präsidentenbruder und Gouverneur von Florida, Roberto Rodrigues, vormaliger Landwirtschaftsminister Brasiliens und führender Unternehmer des Agrobusiness, und Luis Moreno, der Präsident der Interamerikanischen Entwicklungsbank. 

Die Geschäftswelt ist genauso begeistert, wenn nicht noch mehr. Vier hochgradig globalisierte Wirtschaftssektoren haben sich zusammengefunden, um Forschung und Entwicklung, die Investitionen und die Produktion voranzutreiben: das Agrobusiness, die Erdölindustrie, die Kfz-Industrie und das Biotech-Business. Agrokonzerne wie ADM (Archer Daniels Midland Company, größter Agroethanolhersteller in den USA und größter Agrodieselproduzent in Deutschland), Cargill, Bunge und Dreyfus sind von Anfang an auf den Zug gesprungen. Dank großzügiger staatlicher Subventionen und ansehnlicher Profite überall auf der Welt ist die Produktion von Agrotreibstoffen für sie attraktiver denn je. 2005 betrug der Umsatz auf diesem Markt 15,7 Milliarden US-$ und war gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent gestiegen. Marktführer ADM produzierte 2006 4,4 Milliarden Liter Ethanol und plant, seine Kapazitäten in den nächsten beiden Jahren um ca. 2,5 Milliarden Liter zu erweitern. Cargill besitzt in Brasilien eine wachsende Anzahl von Zuckerfabriken, von Verträgen mit weiteren Zuckerraffinerien und von eigenen Zuckerrohrplantagen.

Für die Erdölkonzerne sind die Agrotreibstoffe interessant, weil sie mit deren Hilfe ihre Geschäfte verlängern und diversifizieren wollen. Die neuen Kraftstoffe setzen keineswegs veränderte Konsummuster oder einen Umbau der auf Erdöl basierenden Wirtschaft voraus. Durch den Beimischungszwang von fünf bis zehn Prozent Agroethanol oder -diesel kann der Einsatz fossiler Treibstoffe um eine Anzahl von Jahren verlängert werden. In ähnlicher Weise kann die Kfz-Industrie ihre Verkäufe halten oder gar erhöhen, weil die Leute gezwungen werden, neue, auf Agrosprit zugeschnittene Fahrzeuge zu kaufen. Das läuft alles schon und beerdigt zugleich die Argumente jener, die das letzte Tabu jedweden kapitalistischen Systems brechen wollen – die Einschränkung des Konsums. 

Die letzte der Großen Vier, die Biotechindustrie, mag zunächst als weniger offensichtlicher Nutznießer des Agrotreibstoffbooms erscheinen, hat aber enorme Perspektiven in diesem Sektor – und das in einer Zeit, in der sie auf wachsenden Widerstand stößt. Um die angepeilten Produktionsziele zu erreichen, müssen die einschlägigen Kulturpflanzen auf Energieproduktion programmiert, die Erträge gesteigert und die Herstellungskosten gesenkt werden. Genetisch veränderte Pflanzen eröffnen kurzfristige Profitmöglichkeiten in den beiden letztgenannten Bereichen. GVO-Sorten von Mais und Zuckerrohr, die den Erfordernissen der Ethanolproduktion angepasst sind, werden bereits in großem Umfang genutzt. Da 90 Prozent des in den USA produzierten Agroethanols aus Mais gewonnen werden und der meiste US-Mais bereits von GVO-Sorten stammt, hat der Biosprit auch schon den Spitznamen „Monsanto Vollmond“ bekommen, denn der Monsanto-Konzern ist der führende Hersteller von genetisch verändertem Maissaatgut. Die mit Genmanipulation arbeitende Forschung konzentriert sich auf noch höhere Erträge und auf Eigenschaften, die die Verarbeitung erleichtern. Ein Großteil der so entstehenden neuen Produkte ist wahrscheinlich ungeeignet für den menschlichen Verzehr. 

Mit dieser Art von Förderern wird eines glasklar: Die Agrotreibstoffrevolution ist alles Mögliche, nur keine Revolution. Was wir gegenwärtig erleben, ist ein Beispiel dafür, wie ein System reformiert wird, um es weiter bestehen zu lassen.Der Agrotreibstoffboom ist im Westen von der bereits erwähnten Interamerican Ethanol Commission und durch eine Fülle von bilateralen Verträgen angestoßen worden. Deren markanteste sind jene, die Bush im vergangenen März mit dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva abgeschlossen hat. Die entsprechenden Pläne drohen die landwirtschaftliche und politökonomische Geographie der Amerikas umzukrempeln. Veränderungen der Bodennutzung im Rahmen der Agrotreibstoffstrategie werden Landschaften und Leben nicht nur in den USA, sondern auf dem gesamten Kontinent verändern. Auch mit größeren Ernteerträgen und genetischen Anpassungen wird die Agroethanolproduktion in den USA weit hinter den jüngst gesetzten Produktionszielen zurückbleiben. Die Beschaffung des notwendigen Materials aus dem Ausland ist ein billiger und zuverlässiger Weg aus diesem Dilemma. In Ecuador plant das Agrobusiness, die Zuckerrohrproduktion um 50 000 Hektar zu erweitern und 100 000 Hektar Wald abzuholzen für die Ölpalmenplantagen. In Kolumbien wird Palmöl bereits als „Abholzungsdiesel“ bezeichnet.

Brasilien ist das Laboratorium für die Zukunft des Agroethanols. 80 Prozent der Fahrzeuge können mit diesem Treibstoff laufen und Ethanol macht 40 Prozent des Treibstoffs aus. Brasilien erzeugt bereits 60 Prozent der weltweiten Agroethanolproduktion. Dafür wird auf drei Millionen Hektar Zuckerrohr angebaut. Nach Angaben der Nationalen Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung, BNDES, produziert Brasilien zur Zeit jährlich 17 Milliarden Liter Agrosprit und will in Zukunft 50 Prozent des globalen Marktes für dieses Produkt kontrollieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist geplant, weitere 60 Millionen Hektar Land für den Zuckerrohranbau zu roden. Die bäuerlichen Kleinbetriebe sind das erste Opfer dieser Umstrukturierung. Es geht nicht darum, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bauern und Bäuerinnen in Brasilien und anderswo in Lateinamerika zu idealisieren. 

Aber die Produktion von Agrotreibstoffen ist keine wirkliche Perspektive, um deren Los zu verbessern. Im Gegenteil zeigen die brasilianischen Erfahrungen die erhebliche Gefahr, dass sich die Bedingungen für die bereits am unsichersten und elendsten lebenden Bevölkerungsgruppen weiter verschlechtern. James Thorlby von der Landpastorale CPT in Brasilien erklärt, wie die Agrotreibstoffplantagen Bauern und Bäuerinnen vertreiben und ihnen nur zwei Alternativen lassen: PlantagenarbeiterInnen zu werden oder SlumbewohnerInnen. Andere Analytiker befürchten, dass landlose Bauern und Bäuerinnen, die keine Arbeit auf den Plantagen finden, gezwungen sein werden, Land in wegen ihrer Biodiversität geschützten Gebieten zu roden. Die Konzentration des Bodens und der Zuckerraffinerien in den Händen der ländlichen Eliten und der transnationalen Konzerne treibt die Bauernfamilien aus ganzen Regionen. 

Obwohl die hohen Erzeugerpreise für Mais auf dem ganzen Kontinent den Bauern und Bäuerinnen zu Gute gekommen sind, warnt George Naylor von der National Family Farm Coalition davor, dass für diese kurzfristigen Gewinne in nicht allzu ferner Zukunft ein hoher Preis zu zahlen sein wird und dass wie immer die bäuerlichen Betriebe die Zeche werden begleichen müssen. Auf einer internationalen Konferenz zu Agrotreibstoffen am 30. August d.J. in Mexiko sagte er voraus, dass die hohen Preise nicht lange halten werden, weil die Anbauflächen für Ethanol-Mais ausgeweitet werden und dass am Ende die neuen Agrospritbauern ihre Höfe verlieren könnten. In Brasilien haben die Preise für Zuckerrohr bereits zu fallen begonnen. 

Die Frage ist, ob man die Produktion von Agrotreibstoffen rundum ablehnen oder sozial- und umweltverträglichere Optionen einklagen sollte. Das Problem liegt beim Einklagen, beim Druckausüben. Angesichts der ungeheueren wirtschaftlichen und politischen Macht der Interessen hinter dem Agrotreibstoffboom wird die Umsetzung des neuen Agrarmodelles Profite auf Kosten der Umwelt und Investitionsrenditen auf Kosten der Menschenrechte begünstigen. Unter solchen Bedingungen verflüchtigen sich die Chancen, dass ländliche Gemeinden und bäuerliche Betriebe einen Nutzen von dem neuen Boom haben werden, schneller als Ethanol. Ohne einen breiteren wissenschaftlichen Konsens über den Nutzen der Agrotreibstoffe und ohne eine Gesetzgebung, die die bäuerliche Landwirtschaft, die ArbeiterInnen, VerbraucherInnen, die Umwelt und die Ernährungssouveränität schützt, können die mit Volldampf vorangetriebenen Pläne für eine immer umfangreichere Agrotreibstoffproduktion nicht gerechtfertigt werden.

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