Ende 2000, die Wirtschaftskrise von 2001 steht unmittelbar bevor, werden außerhalb von Buenos Aires, auf dem Gelände des vornehmen Country Club Altos de la Cascada, einem privilegierten Wohnkomplex für die Familien reicher Geschäftsleute, drei Männerleichen in einem Pool gefunden. Alle gehen von einem Unfall aus, doch am Ende hält Claudia Piñeiro in „Die Donnerstagswitwen“ für uns eine handfeste Überraschung bereit. Zunächst aber liefert sie in kurzweiligen Rückblicken und lebhaften Szenen tiefgreifende Einblicke in den Lebensalltag inmitten einer privilegierten Gated Community. Sie lässt die letzten Jahre der drei Opfer Revue passieren, beschreibt die Geschichte und Geschicke mehrerer Familien, Begebenheiten, die in die 1990er Jahren zurückreichen und die schließlich den Tod der drei Männer erklären helfen.

„Altos de la Cascada ist eine Privatsiedlung, ringsherum zieht sich ein Drahtzaun, verborgen hinter allen möglichen Sträuchern… Hier gibt es einen Golfplatz, Tennisplätze, ein großes Schwimmbad und zwei Klubhäuser. Und private Security. Tagsüber sind es fünfzehn, nachts zweiundzwanzig Wachmänner. Ein gut zweihundert Hektar großes geschütztes Gebiet, zu dem man nur mit Genehmigung Zutritt erhält.“ Dies ist die Szenerie, in der sich das Geschehen abspielt. Abschottung zur Außenwelt, Überwachung rund um die Uhr, eigene Verwaltung, ein strenges Reglement, private Ordnungskräfte, ein Staat im Staate. Die Neureichen zogen hierhin, die ProfiteurInnen des Wirtschaftsbooms der Menem-Zeit, die krampfhaft versuchen, Lebensstil und Allüren der herrschenden Elite zu imitieren. 

Abgründe tun sich auf in diesem Biotop: Gustavo schlägt seine Ehefrau, jeder weiß Bescheid, doch niemand schaut hin oder greift ein. Auch für die Situation der Menschen in der Umgebung interessiert sich niemand. Das einzige, was zählt, ist die eigene Sicherheit, das Aufrechterhalten einer Scheinwelt, in der es keine Straßensperren und Überfälle verelendeter Massen oder Entführungen gibt. Nur der Besitz oder besser, die Bewahrung des eigenen Reichtums ist von Bedeutung. Folglich sind der soziale Absturz und der Wegzug aus dem Country Club das Schlimmste, was einem passieren kann. Der Roman erinnert an die Werke von Manuel Puig, der gerne die schäbigen Welten in den eigenen vier Wänden thematisierte, der detaillierte Phantasien von alldem lieferte, was sich im Verborgenen abspielt, was passieren kann, wenn man ein Haus betritt und die Tür hinter sich schließt.

Im Zentrum des Geschehens stehen Virginia, ihr Mann Ronie und Juani, ihr Sohn, sowie dessen Freundin Romina. Virginia wurde eher durch Zufall zur Maklerin für die gesamte Wohnanlage. Sie kennt sich aus, hat ein Händchen fürs Geschäft, führt Buch über alle Bewohnerinnen und Bewohner und stellt Betrachtungen über dies und jenes an. Nebenbei sorgt sie dafür, dass der Lebensstandard der Familie mehr oder weniger gehalten werden kann. Ronie hat durch die Wirtschaftskrise vor mehreren Jahren seinen Job verloren, und bei seinen gelegentlichen Geschäften wird er eher vom Pech verfolgt. Romina ist ein Adoptivkind, kommt aus den nördlichen, an Paraguay grenzenden Landesteilen und hat eine dunklere Hautfarbe. Sie ist im Country Club ganz ähnlichen Diskriminierungen ausgesetzt wie etwa die sozial schwachen BewohnerInnen der angrenzenden Siedlung Santa María de los Tigrecitos, die im Country Club als Dienstpersonal, Handwerker oder Gärtner benötigt werden. Gesellschaftliche Übel wie rassistische oder klassenbedingte Diskriminierung finden sich ganz selbstverständlich auch in der abgeschlossenen, elitären, auf Besitzstandswahrung programmierten Community von Altos de la Cascada.
 
Früher oder später freunden sich Virginia und Ronie mit allen anderen Familien an. Man kennt sich, schließlich hat Virginia allen die Häuser vermittelt, man trifft sich auf dem Tennisplatz, beim Golfspiel oder privat. Donnerstags lassen die Männer ihre Frauen allein und treffen sich zum Kartenspielen und zu Trinkgelagen. Das Alphatier der Siedlung ist Tano Scaglia, erfolgreicher Geschäftsführer der argentinischen Niederlassung eines niederländischen Versicherungskonzerns, ein Mann, der „zu den Leuten gehört, die alles erreichen, was sie sich im Leben vornehmen. Auch über den Tod hinaus“. Als der Konzern aus Amsterdam seine Zelte in Argentinien abbricht, wird Tano arbeitslos, und das Unglück nimmt seinen Lauf.

„Die Donnerstagswitwen“ ist eine als Krimi verpackte Sozialsatire, die Autorin benutzt Elemente des Kriminalromans als Vehikel, um soziale Verhältnisse zu thematisieren. Wie in ihren anderen Romanen geht es Claudia Piñeiro also nicht um Todesfälle, Opfer, Täter oder gar um die Aufklärung eines Verbrechens. Es geht ihr um die realitätsgetreue Beschreibung von Zuständen, die der Leser oder die Leserin selbst interpretieren und bewerten muss. Piñeiro schrieb viele Stücke fürs Theater und schärfte so ihr Sprachgefühl. Die stilistisch geschliffenen Dialoge wirken wahrhaftig und kommen ohne überflüssiges Beiwerk daher. Ein wahrer Lesegenuss, natürlich auch dank der hervorragenden Übersetzung von Peter Kultzen. Die dekadente Welt der Bourgeoisie von Altos de la Cascada wurde übrigens 2009 in Argentinien erfolgreich verfilmt.
 

Claudia Piñeiro, Die Donnerstagswitwen, Zürich (Unionsverlag) 2010, 320 Seiten, 19,90 Euro
Die Homepage des Films: www.lasviudasdelosjueves.com

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