Es war eigentlich ein Verdienst der Linken – Anarchisten, Sozialisten, später auch Kommunisten –, die argentinische Gewerkschaftsbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gegründet zu haben. Doch als der Peronismus 1945 als politische Kraft entstand, riss er die Arbeiterklasse an sich. Linke Strömungen wurden zu Randgruppen in der Arbeiterbewegung. Die neuen peronis-tischen Gewerkschafter waren oft ehemalige Linke, die sich zur richtigen Zeit Perón angeschlossen hatten. Das brachte ihnen wichtige Vorteile gegenüber den Kollegen, die den alten Linksparteien treu blieben:

• Sie wurden von staatlicher Seite unterstützt.
• Die peronistische Gesetzgebung setzte viele Errungenschaften durch, für die die Arbeiterbewegung lange gekämpft hatte.
• Die Wirtschaftspolitik Peróns zwischen 1946 und 1955 führte zu deutlichen Verbesserungen des Lebensstandards der Arbeiterklasse.
• Während die traditionellen linken Gewerkschaften nur die klassenbewussteren Arbeiter europäischen Ursprungs vertraten, schaffte es der Peronismus, die neuen, durch den Industrialisierungsprozess der dreißiger Jahre in die Städte gezogenen Arbeiter bäuerlicher Herkunft politisch und gewerkschaftlich zu mobilisieren.

In der ersten Regierungszeit Peróns (1946-55) waren die Gewerkschaften politische Stützen der Regierung gegen die oppositionelle Oligarchie. Aber sie waren wenig kämpferisch. Die meisten Maßnahmen, die den Lebensstandard der Arbeiter verbesserten, wurden nicht durch Klassenkampf errungen, sondern von der Regierung dekretiert. Die Gesetzgebung Peróns erzwang die Bildung von Einheitsgewerkschaften. In jeder Branche durfte lediglich die repräsentativste Gewerkschaft Tarifverträge mit dem Unternehmerverband aushandeln. Das zwang kleinere Organisationen sich der Mehrheitsgewerkschaft anzuschließen. Diese Regelung gilt bis heute. Diese Konstellation förderte die Entstehung einer Gewerkschaftsbürokratie, die in der Praxis eher die Regierung als ihre Basis vertrat. Die Tatsache, dass es den Arbeitern materiell gut ging, festigte die Position der Bürokraten.

Im September 1955 wurde Perón durch einen Militärputsch gestürzt. Die Oligarchie, die katholische Kirche und ein guter Teil der Mittelklasse unterstützten die „Freiheitsrevolution“. Auch manche Linken machten dabei mit. Viele politische und gewerkschaftliche Führer wurden verhaftet, die peronistische Partei verboten. Sämtliche Gewerkschaften wurden interveniert, d. h. die Führung abgesetzt und die Verwaltung provisorisch von einem Regierungsbeamten übernommen. Die peronistische Arbeiterbewegung begann Widerstand zu leisten. Nun musste alles von unten erkämpft werden – in harter Konfrontation mit der Militärregierung. In dem Maße, wie freie Wahlen in den Gewerkschaften durchgesetzt werden konnten, gewannen die Peronisten die Organisationen Stück für Stück zurück. Gleichzeitig gab es Streiks und Demonstrationen gegen die Wirtschaftspolitik der Militärregierung und ihrer Nachfolger. In diesen Auseinandersetzungen bildete sich eine andere Art von Gewerkschaftern heraus. Sie waren zwar auch Peronisten, aber nicht mehr der Obrigkeit ergeben. Bei einigen war das nur taktisch bedingt, bei anderen hatte dies ideologische Folgen. In den 18 Jahren zwischen 1955 und 1973 entwickelten sich die peronistischen Gewerkschaften zu einem politischen Machtfaktor. Diese Entwicklung wurde von zwei Tatsachen bedingt:

• Es gab Vollbeschäftigung. Von der Möglichkeit, das Land zu lähmen, machte die Arbeiterbewegung oft Gebrauch. Damit konnte sie mehrmals liberale Regierungsprogramme zum Scheitern bringen und Zugeständnisse erringen. Obwohl die Zivil- und Militärregierungen, die der „Freiheitsrevolution“ nachfolgten, vorwiegend reaktionär waren, konnte so der Abbau des peronistischen Wohlfahrtsstaats weitgehend verhindert werden.
• Die peronistische Partei blieb die meiste Zeit verboten. Aus diesem Grund wurden die Gewerkschaften die Hauptträger der peronistischen Bewegung.

Mit der Wiedererringung ihrer Macht verabschiedeten sich die peronistischen Gewerkschaften von ihrem Widerstandsgeist der Jahre 1956-59. Sie blieben zwar oppositionell, machten sich aber materiell von der Gunst des Staates abhängig. Die Gewerkschaften bauten Krankenhäuser und Polikliniken, Ferienheime und weitere soziale Einrichtungen. Sie verfügten über hohe Mitgliedsbeiträge, die den Kollegen direkt vom Lohn abgezogen wurden. Das machte die Gewerkschaften reich, aber auch erpressbar. Staat und Unternehmen konnten durch Angriffe auf ihre Wirtschaftsgrundlage Druck ausüben.
Auch die Beziehungen zu ihren Mitgliedern wurden verändert. Viele ArbeiterInnen waren in derGewerkschaft, weil es materiell vorteilhaft war und nicht aufgrund einer solidarischen oder gar kämpferischen Haltung.

1966 wurde unter General Onganía wieder eine Militärdiktatur eingesetzt, die alle politischen Parteien in die Illegalität trieb. Das hatte zwei Folgen:

1. Die unorganisierte Widerstandsfront erweiterte sich: nun kämpften nicht nur die Peronisten, sondern alle demokratischen Kräfte gegen die Diktatur. Ideologisch unterschiedliche Gruppen (Peronisten, Marxisten, Christen und Nationalisten) begannen bewaffneten Widerstand zu leisten.
2. Die Gewerkschaftsführer suchten den Kompromiss mit der Militärdiktatur. Andere Gewerkschafter sprachen sich radikal dagegen aus. Es kam zur Spaltung der peronistischen Gewerkschaftsbewegung. Peronistische und linke Gewerkschafter machten gemeinsame Sache beim Widerstand. In einigen Industriezentren wie Córdoba wurden linke Strömungen stark. Kämpferische Betriebsräte riefen zu wilden Streiks auf, ungeachtet gegenteiliger Gewerkschaftsbeschlüsse.

Diese wachsende Opposition führte 1973 zum Ende der Militärdiktatur, der Legalisierung sämtlicher Parteien einschließlich der peronistischen PJ und freien Wahlen, die die Peronisten gewannen.
Die zweite peronistische Regierungsperiode (1973-76) war durch blutige Kämpfe innerhalb der peronistischen Bewegung gekennzeichnet. Dabei schlug sich die Gewerkschaftsbürokratie entschieden zu den konservativen Kräften. Sie arbeitete zusammen mit der extremen Rechten beim Zurückdrängen der linksperonistischen Montoneros und schließlich deren Vernichtung. Die peronistische Linke hatte ihre eigene gewerkschaftliche Strömung aufgebaut (JTP: Peronistische Arbeiterjugend), mit der sie die Gewerkschaftsbürokratie zu verdrängen trachtete. Perón, die Bürokratie und die extreme Rechte wollten davon nichts wissen. Ganz im Gegenteil wurde per Gesetz ein Verfahren etabliert, das jede Erneuerung der Gewerkschaftsführungen so gut wie unmöglich machte. Als die Montoneros bereits hoffnungslos in der Defensive waren, geriet die Gewerkschaftsbürokratie selbst in Konflikt mit der extremen Rechten unter der Regierung Isabel Peróns. Doch da war es zu spät. Die peronistische Bewegung war schon im Auflösungsprozess, als die Militärs im März 1976 putschten.

Als sich die Uniformierten 1983 nach sieben Jahren brutaler Diktatur wieder in ihre Kassernen zurückzogen, wurde der Peronismus zum ersten Mal in seiner Geschichte bei Wahlen besiegt. Der darauf folgende Erneuerungsprozess verwandelte die PJ in eine normale Partei. Der Begriff Bewegung wurde abgelegt. Bewegung war der Peronismus, den die herrschenden Klassen nicht haben wollten. Der gegen den das Militär die „Freiheitsrevolution“ gemacht hatte. Zur Bewegung gehörten auch Gewerkschaften und weitere wilde Gruppen. Die Partei dagegen versprach Rücksicht auf die Regeln der liberalen Demokratie.
Als 1989 die PJ mit Carlos Menem an der Spitze die Regierung übernahm, verwandelte sie sich in die Avantgarde der neoliberalen Rechten. Der Peronismus der neunziger Jahre demolierte das, was der Peronismus 1946-1955 geschaffen hatte. Privatisierung der Staatsbetriebe, Arbeitsflexibilisierung, Deregulierung, Marktöffnung, Deindustrialisierung und schließlich galoppierende Arbeitslosigkeit markierten ein derart systematisches Gebilde des Rückschritts, wie es nicht einmal die Militärs gewagt hatten.

Viel weniger als das hatte die Arbeiterklasse 1956-59 auf die Straßen getrieben. Doch die Bedingungen hatten sich geändert, und zwar nicht nur, weil die Gewerkschaftsführungen viel korrupter geworden waren. Die Arbeitslosigkeit machte die beschäftigten ArbeiterInnen konservativ. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes lähmte die Kampfbereitschaft. Nach den neoliberalen Reformen geriet die Arbeiterbewegung zunehmend in die Bedeutungslosigkeit. Dagegen wuchsen die Bewegungen der Arbeitslosen. Die Gewerkschaftsbewegung spaltete sich in drei Strömungen:

• „Die Dicken“ werden die Bürokraten genannt, die die meisten großen Gewerkschaften hinter sich haben. Mit Rodolfo Daer an der Spitze unterwarfen sie sich vollständig der Politik Menems. Sie bildeten die Führungsmehrheit in der alten Gewerkschaftszentrale CGT.
• Hugo Moyano führte eine Dissidentenzentrale, die zwar auch bürokratisch war, sich aber gegen Menems und De la Ruas neoliberale Politik aussprach und einige Demonstrationen dagegen machte.
Infolge des Anti-Menem-Diskurses des jetzigen Präsidenten Néstor Kirchner verloren die „Dicken“ politisch an Boden und gingen eine Wiedervereinigung mit den Dissidenten ein, wobei Moyano jetzt die Hauptgeige spielt.
• Die dritte – heute zweite – Gewerkschaftszentrale, die CTA, ist zahlenmäßig die kleinste, aber auch die aktivste, und war von Anfang an konsequent im Widerstand gegen die neoliberale Politik. Ihre Hauptfigur ist Víctor De Gennaro, der ebenfalls peronistischen Ursprungs ist, aber im Unterschied zu Moyano und Daer mit der PJ nichts zu tun hat. Die CTA steht für Gewerkschaftsfreiheit, also gegen die gesetzlich erzwungenen Einheitsgewerkschaften. Sie nimmt auch Einzelpersonen auf – nicht nur beigetretene Gewerkschaften – und zählt zu ihren Mitgliedsgruppen auch eine Organisation von Arbeitslosen. Der CTA gehören Linke und Linksperonisten an, obwohl es jenseits der CTA auch Linke gibt, die sie für ebenso bürokratisch wie die CGT halten. Als im Dezember 2001 die Bevölkerung von Buenos Aires gegen die neoliberale Herrschaft aufstand, hat sich keine der drei Zentralen daran beteiligt.

Die künftige Entwicklung der Arbeiterbewegung ist in vieler Hinsicht offen. Da die peronistische Bewegung in der Tat nicht mehr existiert, kann man auch nicht mehr von einer peronistischen Gewerkschafts- bewegung reden. Der Peronismus hat aber die argentinische Arbeiterbewegung geprägt. Die meisten Gewerkschafter hängen nach wie vor am Vater Staat. Gerade jetzt, wo die wichtigsten politischen Schritte in Richtung eines Abschieds vom Neoliberalismus vom Präsidenten und nicht von den Gewerkschaften stammten, wird sich diese Orientierung erneuern. Zudem wird die bürokratische Struktur der Gewerkschaften immer ein Hindernis für jede emanzipatorische Entwicklung sein. Auf der anderen Seite ist die organisierte Arbeiterbewegung heute ein Teil der argentinischen Gesellschaft, ein wichtiger Teil, aber nicht mehr ihre Wirbelsäule, wie sie früher genannt wurde. Umso wichtiger ist ihre Zusammenarbeit mit der Arbeitslosenbewegung und anderen sozialen Bewegungen und Gruppen.