Die Früchte des Plan Colombia

Die Militäroperation, die von kolumbianischen Militärs auf ecuadorianischem Boden durchgeführt wurde, um den FARC-Kommandanten Raúl Reyes zu töten, ist Teil der Strategie der USA, um das militärische Gleichgewicht in der Region zu verändern. Im Blick ist dabei das Erdöl von Venezuela und Ecuador, aber auch Brasilien als aufsteigende Regionalmacht.

Laut den Erklärungen sind die FARC – bzw. der Narco-Terrorismus – das Ziel. Aber in Wirklichkeit richtete sich die kolumbianisch-nordamerikanische Militärattacke, bei der die Souveränität von Ecuador verletzt wurde, direkt auf Hugo Chávez. Wir erleben eine Situation, die die erste Phase einer breiten Offensive sein kann, um den bolivarischen Prozess zu destabilisieren und das Kräfteverhältnis in Südamerika zu verändern. 

Die Strategie wird in Etappen durchgeführt. Die erste war der Plan Colombia, um die militärische Kapazität des kolumbianischen Staates zu stärken und ihn unter den mächtigsten auf dem Kontinent einzureihen. Dann begann die Ausweitung des kolumbianischen Binnenkonfliktes auf die Nachbarstaaten. Die dritte Etappe scheint der „präventive Krieg“ zu sein, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zur bevorzugten Militärstrategie des Pentagon wurde.

Zum ersten Mal in langer Zeit ergreift Washington die Offensive in der Region und ist fähig, eine beträchtliche Zahl von Staaten Lateinamerikas hinter sich zu bringen. Es ist auch ein Machtbeweis in einem Moment, in dem die Regierung von Hugo Chávez ernsthafte innere Schwierigkeiten hat und keine Unterstützung bei ihrer Strategie findet, Spannung mit mehr Spannung zu beantworten.

Das Wachstum der Streitkräfte Kolumbiens ist furchteinflößend. Allein 2007 schuf das Heer 52 neue Einheiten. Es bekam Black Hawks-Helikopter von den USA geschenkt und kaufte 2006 13 Jagdflugzeuge von Israel und 25 Kampfflieger Super Tucano von Brasilien. Die Streitkräfte Kolumbiens übertreffen bei weitem die der Nachbarn. Das Verhältnis der Truppenstärke ist 6:1 gegenüber Venezuela und 11:1 gegenüber Ecuador. Aber der wichtigste Unterschied ist, dass es sich dabei um Truppen handelt, die im Dschungelkampf ausgebildet sind und die logistische Unterstützung von Washington haben. In nur wenigen Jahren hat sich in Südamerika eine spektakuläre Veränderung bezüglich der Militärmacht ergeben. Das ist das Ergebnis des Plan Colombia.

2003 schrieb der Soziologe James Petras, dass die eigentliche Sorge des US-Südkommandos, das in Wirklichkeit die Regionalpolitik konzipiert, darin besteht, dass „die Nachbarstaaten von Kolumbien (Ecuador, Venezuela, Panama, Brasilien), die in gleicher Weise die negativen Auswirkungen der neoliberalen Politik spüren, sich politisch gegen die militärische Beherrschung und die wirtschaftlichen Interessen der USA mobilisieren“. Deshalb steckt hinter der Strategie des Plan Colombia nicht wirklich, den internen Krieg in Kolumbien zu gewinnen, sondern ihn auf die Nachbarländer auszudehnen, als eine Form, ihre wachsende Autonomie von Washington zu neutralisieren. 

Aus politischen Gründen und wegen der reichen Bodenschätze ist die Kontrolle der Andenregion für die US-Hegemonie fundamental. Sie erlaubt, dass die nordamerikanischen Multis das Terrain, das sie in den 90ern zum Teil an die europäischen Konzerne verloren haben, wieder zurückgewinnen. Mit anderen Mitteln würde erreicht, was man mit der fehlgeschlagenen Gesamtamerikanischen Freihandelszone (ALCA) wollte. Sie unterbindet, dass sich andere aufstrebende Mächte (Brasilien, aber auch China und Indien) in der Region positionieren. 

Aber da ist auch noch das Öl. 1973 führten die USA 36 Prozent ihres Ölbedarfs ein, heute sind es 
56 Prozent. Venezuela ist der viertwichtigste Lieferant, Kolumbien steht an fünfter Stelle. Den Fluss der Energieressource abzusichern, erfordert eine territoriale Kontrolle mit militärischer Präsenz.

Alles sieht danach aus, dass Raúl Reyes, die „sichtbarste“ Figur der FARC, mehrmals vorher lokalisiert wurde. Nie wurde die Entscheidung zum Angriff getroffen. Der Beschluss, eine Aktion dieser Art und Tragweite in diesem Moment auszulösen, erlaubt mehrere Lesarten: Auf der einen Seite die innenpolitische Situation Venezuelas auszunützen, aber auch die Regierungsführung von Rafael Correa in Ecuador zu untergraben. Correa steht am Beginn eines Programms des Wechsels. Eine Achse ist die staatliche Kontrolle des Erdöls, eine andere ein solides Bündnis mit Brasilien. Eine Destabilisierung der Region hätte aber auch schädliche Auswirkungen auf Brasilien als aufstrebender regionaler Macht, die aus der internationalen Wirtschaftskrise gestärkt hervorgeht. Brasilien füllt die Lücke aus, die die wachsende Schwäche Washingtons in der Region hinterlässt. 

Es geht also darum, wie man die kriegerischen Tendenzen aufhalten und die Polarisierung auflösen kann. Brasiliens Diplomatie hinterließ einen guten Eindruck. Sie zeigte auf, dass ein stabiler Frieden in Lateinamerika auf der regionalen Integration gründen muss. Dafür ist der Aufbau der Südamerikanischen Ländergemeinschaft (Comunidad Sudamericana de Naciones) dringender denn je.