In ihrer Studie „Sklaverei bilanzieren. Herrschaft und Management“ erweitert die US-amerikanische Historikerin Caitlin Rosenthal unsere Vorstellung davon, wie die moderne Plantagensklaverei in der Karibik und den Südstaaten der USA zur Entwicklung des Kapitalismus vor der industriellen Revolution beigetragen hat. Drehte sich der Streit seit Eric Williams‘ „Capitalism and Slavery“ (1944) vor allem um die quantitative Frage, welche Bedeutung die Gewinne aus der Plantagenökonomie für die Finanzierung der industriellen Revolution in England hatten, so lenkt Rosenthal mit ihren Nachforschungen in Archiven der Unternehmensgeschichte den Blick auf die qualitative Seite des Zusammenhangs von Sklaverei und Kapitalismus.
Dabei geht es ihr nicht nur um die empirische Erhärtung der These, dass es sich bei der Plantagensklaverei in der Neuen Welt schon im 18. Jahrhundert um ein durchrationalisiertes fabrikmäßiges Produktionsregime handelte, wie es schon C.L.R. James (vgl. Besprechung in dieser Ausgabe) oder Sidney Mintz angedeutet hatten. Mit ihrer akribischen Erforschung der Journale und Buchhaltungsunterlagen der Plantagen kann sie zeigen, warum gerade die Ausbeutung von Arbeitskraft auf der Basis von Versklavung und nicht die im 19. Jahrhundert zur kapitalistischen Norm erhobene Ausbeutung von sogenannter freier Lohnarbeit zum Motor der Entwicklung einer modernen buchhalterischen Erfassung, Kontrolle und Lenkung von Arbeitskraft wurde. „Systematische Buchführungstechniken gediehen auf den Sklavenplantagen der Vorkriegszeit – nicht trotz der Sklaverei, sondern wegen ihr.“ (S. 188)
Die auf Sklaverei basierende Arbeitsorganisation bot das ideale „Forschungslabor für die Entwicklung der Buchhaltung“ (S. 21), weil es noch Jahrzehnte dauern sollte, bevor sich mit dem Institut der Lohnarbeit ein ähnlich durchrationalisierter Produktionsablauf durchsetzen ließ. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war selbst in Westeuropa unter den aufstrebenden Kapitalisten keineswegs ausgemacht, ob offene Versklavung oder Lohnsklaverei die beste Form der Ausbeutung wäre. Im Sinne eines durchrationalisierten Betriebsablaufs sprach zunächst viel für die Sklaverei, und selbst nach den bürgerlichen Revolutionen von 1789 und 1848 setzte eben jenes Bürgertum politisch viel daran, Formen der Versklavung im Produktionsprozess aufrechtzuerhalten.
Ihre Forschungen sieht Caitlin Rosenthal als Beitrag zu einer neuen Strömung in der Geschichtswissenschaft, die in den USA als „New History of Capitalism“ bezeichnet wird. Unter dem Eindruck der globalen Finanzkrise von 2007/2008 fragt eine neue Generation von Historiker*innen wieder danach, wie ein Wirtschaftssystem entstanden ist und entstehen konnte, das auf derartige Abgründe zusteuern kann. Gerade in den USA wird insbesondere nachgespürt, wie enorm wichtig die Sklaverei für den Aufstieg des US-amerikanischen Kapitalismus war. Unter anderem waren es die Studien von Walter Johnson (River of Dark Dreams: Slavery and Empire in the Cotton Kingdom, 2013), Edward Baptist (The Half That Has Never Been Told: The Making of American Capitalism, 2014) und dem Doktorvater von Rosenthal, Sven Beckert (Empire of Cotton: A Global History, 2014, dt.: King Cotton. Eine Globalgeschichte des Kapitalismus, 2014), die der Sklaverei einen neuen Stellenwert in dieser Geschichte einräumten.
Von verschiedener Seite ist diesen Autor*innen vorgeworfen worden, dass sie sich weigern, eine klare Definition davon zu geben, was Kapitalismus ausmacht. Und auch Rosenthal zögert, „den Begriff ‚Kapitalismus‘ zu verwenden, da er Verwirrung stiften kann“, indem er „ein Verständnis der Sklaverei“ ausschließen könne (S. 328). Der Hintergrund ist bekannt: Sowohl die bürgerliche wie die marxistische Geschichtsschreibung haben nur zu oft durch eine schematische Einteilung in historische Epochen wie Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus die Ausbeutung von versklavten Menschen a priori aus der Untersuchung des Kapitalismus ausgeschlossen oder höchstens als „Anomalie“ gelten lassen. Dem widerspricht aber schon der simple Befund, dass sich Kapitalismus und Plantagensklaverei im atlantischen Raum gleichzeitig und Hand in Hand entwickelt haben. Rosenthal löst das Problem geschickt, indem sie sich mit einer allgemeinen Definition begnügt, die unter Kapitalismus die Akkumulation von Kapital im Zusammenhang mit der Kommodifizierung von Arbeit versteht. Arbeit oder Arbeitskraft kann auf die verschiedensten Weisen zu einer marktgängigen Ware werden – dazu gehören gleichermaßen Lohnarbeit wie der Kauf und Verkauf von Menschen als Privateigentum. Sie unterläuft damit die strikte Trennung dieser beiden Formen, die sowohl im abolitionistischen Diskurs wie leider auch im orthodoxen Marxismus eine so große Rolle gespielt hat. Zur Verdeutlichung der besonderen Rolle der modernen Sklaverei arbeitet sie durchgängig mit einer vergleichenden Perspektive, in der sie die frühe buchhalterische Erfassung und Kontrolle von Arbeitskraft auf den Sklavenplantagen der späteren Praxis von kapitalistischen Großbetrieben am Ende des 19. Jahrhunderts gegenüberstellt, die bislang als die eigentlichen Innovatoren galten. Es ist erstaunlich, wie viele der späteren Optimierungsstrategien sie dadurch bis an den Anfang des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen kann.
Sicherlich war es ein Vorteil für ihre Forschung, dass sie vor ihrem Studium der Geschichtswissenschaft selbst als Unternehmensberaterin gearbeitet hat und mit Buchhaltung aus der Praxis vertraut ist. Dadurch kann sie auf Grundlage des Archivmaterials eine spannend geschriebene Darstellung des Alltagslebens auf den Plantagen liefern, wie sie in vielen Überblicksdarstellungen nicht zu finden ist. Ausgehend von den überlieferten Journalen schaut sie mit den Augen des Managements auf Arbeit, Leben und Leiden in diesen frühen Großbetrieben des Kapitalismus. Aber es ist kein Blick der totalen Kontrolle, sondern gerade in den Buchhaltungsunterlagen findet sie immer wieder Hinweise auf den alltäglichen Widerstand der Versklavten – durch Langsamarbeiten, Absentismus, Weglaufen, Rebellion und Aufstand. Selbst einfache Werkzeuge wie Äxte oder Spaten mussten sorgsam inventarisiert werden, um ihre Nutzung als Waffen gegen die Ausbeuter zu verhindern. Und umgekehrt wurde auch das ganze monströse Ausmaß an Gewalt und Terror genauestens dokumentiert, um den Erfolg der bestialischen Disziplinierung kontrollieren zu können. Wie Rosenthal schreibt, will sie damit zwischen zwei gegenläufigen Tendenzen in der Geschichtsschreibung vermitteln, die entweder die Handlungsfähigkeit der Versklavten betonen oder sie nur als Opfer eines übermächtigen Systems darstellen. „Um die Bedeutung der Momente des Widerstands zu verstehen, müssen wir das System begreifen, in dem versklavte Menschen ums Überleben kämpften. Sobald wir die Stärke des Systems erkennen, erscheinen die Bemühungen versklavter Menschen, die Macht ihrer Besitzer zu untergraben, nicht als verstreute Betriebsstörungen, sondern als eine beständige Unterströmung des Widerstands“ (S. 296).
Gegliedert hat sie die Analyse ihres Materials in fünf Kapitel, die keiner strengen Chronologie folgen, sondern immer wieder eine vergleichende Perspektive einnehmen. Im ersten Kapitel befinden wir uns auf den Zuckerplantagen der Karibik, die mit mehreren Tausend größtenteils versklavten Arbeiter*innen die mit Abstand größten Betriebe des Frühkapitalismus im 18. Jahrhundert darstellten. Rosenthal nennt es „eine der quälendsten historischen Fragen in Bezug auf die Plantagenwirtschaft auf den Westindischen Inseln, wie eine kleine Anzahl weißer Männer die Macht über so viele versklavte Afrikaner aufrechterhalten konnte“ (S. 66). In der britischen Karibik lag der Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung am Ende des 18. Jahrhunderts bei über 90 Prozent. Die buchhalterische Verwaltung, Einteilung und Kontrolle der Arbeitskräfte verweist auf komplexe Managementhierarchien, in denen auch versklavte Menschen zu Antreibern und Managern gemacht wurden und auf verschiedenste Weise bestraft und belohnt werden konnten. „Geknechtet durch die Androhung von Gewalt und die Macht der Information waren die versklavten Männer und Frauen nicht nur dazu gezwungen, zusammen zu schuften, sondern auch, sich gegenseitig zu managen.“ (S. 73)
Das zweite Kapitel behandelt die schon früh vorhandene Standardisierung dieser „Papiertechnologien“, mit denen immer größere Unternehmenseinheiten aufgebaut und auch aus der Ferne verwaltet und gesteuert werden konnten. Bereits im 18. Jahrhundert konnten die Plantagenbesitzer auf ein ganzes Sortiment von standardisierten Journalen und vorgedruckten Berichtsbögen zurückgreifen, das darauf spezialisierte Schreibwarenhändler und Druckereien anboten. Am Schluss des Kapitels vergleicht Rosenthal diese durchrationalisierte Arbeitsorganisation mit den auf Lohnarbeit beruhenden Fabriken an der Ostküste der USA zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Wie sich aus deren Buchhaltung ergibt, waren sie mit einem ganz anderen Problem beschäftigt, nämlich der enormen Fluktuation ihrer Arbeitskräfte, die einfach kündigen konnten. Erst nachdem sozialstaatliche Leistungen und höhere Löhne wie der von Ford 1914 eingeführte Fünf-Dollar-Tag die „freien“ Arbeitskräfte langfristig an ein Unternehmen ketten und dem Fließband unterwerfen konnten, war unter diesen Bedingungen eine – von der Plantagenwirtschaft vorweggenommene – „wissenschaftliche Betriebsführung“ möglich. „Es war nicht die Mühle, die karibische Plantagen fabrikähnlich machte; es war die Choreografie der Arbeit“ (S. 113).
Das dritte Kapitel konzentriert sich auf diese „wissenschaftliche Betriebsführung“ und bringt uns auf die Baumwollfelder im Süden der USA der Vorkriegszeit – mit Krieg ist hier immer der Sezessionskrieg 1861–1865 gemeint, der zur formalen Abschaffung der Sklaverei in den USA führte. Anders als in der Zuckerproduktion ließ sich die individuelle Arbeitsproduktivität im Baumwollanbau sehr viel leichter als Pflückmenge pro Kopf und Tag messen, die in vorgedruckten Journalen täglich erfasst wurde. Bemerkenswert ist, wie systematisch sich die Pflanzer des Südens mit der Steigerung der Arbeitsproduktivität beschäftigten, die in den Fabriken des Nordens erst in den 1880er-Jahren zum Thema wurde (S.138). Den zwischen Ökonom*innen und Historiker*innen entbrannten Streit darüber, ob die enormen Produktivitätssteigerungen in der Vorkriegszeit auf der Einführung von neuen, ertragreicheren und besser „pflückbaren“ Saaten oder auf dem Terror der Peitsche beruhten, hält Rosenthal für irreführend. Es sei gerade die komplexe Verbindung beider Methoden gewesen, durch die sich die biologisch möglich gewordene und buchhalterisch berechnete höhere Pflückrate auch arbeitsorganisatorisch durchsetzen ließ (S. 162).
Im vierten Kapitel beschäftigt sich Rosenthal mit einem modernen, kapitalistischen Aspekt der Sklaverei, der in vielen Darstellungen übersehen oder unterschätzt wird. Auch hier kommt ihr der buchhalterische Blick zur Hilfe. Versklavte Menschen waren als handelbares Gut extrem teuer und bildeten damit einen großen Teil des investierten fixen Kapitals, der die Summen des für Land, Werkzeuge oder Maschinen vorgeschossenen Kapitals bei Weitem übertraf. Als Humankapital im buchstäblichen Sinne banden sie die Plantagen damit in die moderne Kreditwirtschaft ein und wurden sorgsam in den Bilanzen des Betriebsvermögens erfasst. Dieses menschliche Kapital konnte nicht nur versichert werden, sondern auf es konnten auch Hypotheken aufgenommen werden, und die persönliche Entwicklung von Geburt bis zum Tod wurde in Kategorien der Abschreibung, der Wertsteigerung oder Wertminderung erfasst. Aufgrund dieser Bedeutung wurde der Wert dieses Kapitals in einer fiktiven Einheit der „Vollarbeitskraft“ gemessen, wodurch Menschen als Dreiviertelarbeitskräfte oder Halbarbeitskräfte usw. taxiert werden konnten. Damit nahmen „Sklavenhalter des amerikanischen Südens eine Vorreiterrolle in der Wertbestimmungspraxis des 19. Jahrhunderts ein“ (S. 237).
Das abschließende fünfte Kapitel behandelt die Zeit nach dem Sezessionskrieg und die durch die formale Freiheit der ehemals Versklavten bedingten Veränderungen in der Unternehmensführung. Zum einen wird dadurch noch deutlicher, welche Vorteile die Sklaverei der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ geboten hatte. Zum anderen belegen die schon bald eingeführten rassistischen Gesetze zur Einschränkung der Freiheiten oder der Rückgriff auf angemietete Sträflinge, dass sich die Südstaaten noch lange nicht mit der Emanzipation abgefunden hatten.
An den moralisch gefärbten Passagen des Buchs wird deutlich, dass Rosenthal den Kapitalismus als solchen nicht radikal infrage stellt. Wenn sie der Bilanzierung der Sklaverei vorwirft, aus individuellen Menschen abstrakte Größen von Arbeitskraft zu machen, liegt der Gedanke nahe, dass Konzerne in demokratischen Gesellschaften ihre „Mitarbeiter*innen“ kaum anders behandeln – was sie aber nicht ausspricht. Die gelernte Unternehmensberaterin erschrickt gewissermaßen darüber, dass es in ihrem buchhalterischen Handwerk angelegt ist, mit allen möglichen Formen der Unmenschlichkeit und der Abpressung von Arbeit kompatibel zu sein. Es hat seine Unschuld als neutrale und objektive Optimierung von abstrakten Kennziffern des unternehmerischen Erfolgs verloren. Am weitesten nähert sich die Autorin einer allgemeineren Kritik im „Postskriptum“ des Buchs, in dem sie auf Ähnlichkeiten zwischen der Antreiberei von Versklavten und den von Frederick Winslow Taylor in seinen „Grundsätze[n] der wissenschaftlichen Betriebsführung“ (1911) vorgeschlagenen Methoden eingeht. Aber da sie beim Vergleich zu dem mittlerweile zum Schimpfwort gewordenen „Taylorismus“ stehen bleibt, besteht für sie doch noch die vage Möglichkeit eines Happy Ends mit dem Kapitalismus. Trotz dieser Grenzen einer liberalen Kritik bietet ihre Studie eine Fülle von Material und Denkanstöße für die Frage nach dem Zusammenhang von modernen Managementtechnologien und Kategorien der abstrakten Arbeit, der Entfremdung und der Ausbeutung, auf denen der Kapitalismus bis heute beruht.