Mexiko und Kolumbien gelten als die risikoreichsten Länder für JournalistInnen in Lateinamerika. Du bist Korrespondentin der Nachrichtenagentur Interpress Service (IPS) in Kolumbien und berichtest oft über gefährliche Themen wie Menschenrechte und den bewaffneten Konflikt. Mit welchen Problemen bist du konfrontiert, wenn du diese kritischen Themen aufgreifst?
Ich schreibe über Widerstand gegen den Krieg. Das ist eine heikle Angelegenheit, da in Kolumbien Krieg derzeit offizielle Politik ist. Verletzungen der Menschenrechte und Verstöße gegen das Humanitäre Völkerrecht sind lediglich Folge davon. Ein Problem, das ich habe, ist meine Angst. Seit vielen Jahren habe ich keine direkten Drohungen mehr erhalten. Aber bei jedem Angriff und jeder Verfolgung, die gegen einen Pressekollegen oder eine -kollegin gerichtet ist, fühle ich mich selbst getroffen. So etwas schwächt uns alle, wie uns auch positive Erfahrungen gemeinschaftlich stärken. Über den Krieg in Kolumbien zu informieren sehe ich als eine große kollektive Arbeit, an der auch die JournalistInnen der großen Medien und die ausländischen KorrespondentInnen beteiligt sind. Jeder trägt sein Körnchen dazu bei, um die Wahrheit im Krieg zu retten.
Bei meinen Reportagen sorgt mich in erster Linie, dass ich möglicherweise Menschen oder Gemeinden in Gefahr bringe, nur weil ich erzähle, was sie mir sagen, oder wie sie leben. Es gibt heute – in diesem Augenblick – viele Gemeinden und Führungspersonen, die ein enorm hohes Risiko haben. Aber das Problem besteht nicht nur darin aufzupassen, dass die Information, die ich veröffentliche, ihnen nicht weiter schadet. Manchmal werde ich trübsinnig, wenn ich die Menschen in ihrer Lage zurücklassen muss und einfach nach Bogotá zurückfahre. In weiten Teilen Kolumbiens leidet die Bevölkerung wirklich sehr und hat unbegreiflich viel Mut. Mich schmerzt es auch, dass die Gemeinden, die vom Krieg betroffen sind und selbst nicht gehört werden, uns JournalistInnen wie ihre Retter sehen. Wenn wir nur die Dinge ändern könnten!
Auch wenn ich exklusive Informationen habe, veröffentliche ich sie häufig nicht, um Menschen zu schützen. Das ist als Journalistin oft frustrierend, aber ich habe mich dafür entschieden, humanitäre Erwägungen immer obenan zu stellen. Ich sehe auch davon ab, den Krieg anzuheizen. Allein das bedeutet, sich der aktuellen Regierungslinie zu widersetzen. Hier ist es äußerst wichtig, konstant und konzentriert den vielfältigen Geschehnissen und Quellen nachzugehen, damit man nicht zum Opfer der Strategien von Desinformation wird. Diese werden aktiv eingesetzt, aber Gott sei Dank sind sie auch durchschaubar, zuweilen stümperhaft. Nur um diesen Strategien nicht aufzulaufen, muss man dauernd am Ball bleiben. Die wirksamste „Spritze“, um nicht in die Falle zu gehen, ist über Prozesse zu berichten und nicht nur isolierte Nachrichten zu machen. Und, was kein Problem ist, eher eine Lektion, man muss andauernd lesen und studieren. Ein Journalist, der z.B. von Geschichte keine Ahnung hat, kann nichts verstehen.
Die Stiftung für Pressefreiheit (Fundación para la Libertad de Prensa, FLIP) und das Institut Presse und Gesellschaft (Instituto Prensa y Sociedad, IPYS) haben Ende Juni einen Sonderbericht herausgegeben, der sich auf die Probleme von JournalistInnen, die über den Demobilisierungsprozess der Paramilitärs informieren, bezieht.[fn]Alianza FLIPYS. Fundación para la Libertad de Prensa (FLIP) – Instituto Prensa y Sociedad (IPYS): Informe especial – Periodistas reclaman garantías para cubrir el proceso de justicia y paz. 26 de junio de 2007 (http://www.flip.org.co/documentos/215-Informe%20FLIPYS.doc). – Deutsche Fassung gekürzt in: Kolumbien Aktuell No. 454 v. 03.07.07[/fn] Worum handelt es sich konkret?
Die Presseleute haben keinen Zugang zu den gerichtlichen Anhörungen, bei denen die Paramilitärs ihre Geständnisse ablegen. Sie dürfen auch nicht in den Saal, der den Opfern der Paramilitärs zugewiesen wird. Dort werden in einem geschlossenen Raum die Anhörungen übertragen. Einige KollegInnen haben sich trotzdem Zugang verschafft, aber das war eine Ausnahme, und sie kamen nur ohne ihre Aufnahmegeräte rein. Nur eine einzige Kamera darf für wenige Minuten im Gerichtssaal ein paar Aufnahmen machen. Später werden diese Bilder von allen Nachrichtensendern ausgestrahlt. Die JournalistInnen können die langen Erklärungen der Paramilitärs nur über die Berichte der RechtsanwältInnen, oder manchmal der Opfer, rekonstruieren. Die Versionen weichen zuweilen stark voneinander ab.
Während die Presse vor dem Gebäude wartet, wird sie von den Anhängern der belangten Paramilitärs überwacht. Diese machen Fotos oder filmen sie. Auch bei Interviews mit den Opfern (z.B. Angehörige von Personen, die von Paramilitärs ermordet wurden – d. Red.) werden sie von diesen Leuten belästigt. Das Verhalten zielt also auf Einschüchterung ab. Auch die Polizei kontrolliert die Presse. Dagegen liegen keine Informationen vor, dass die Behörden nachforschen würden, warum und wozu die Presse von den Gefolgsleuten der paramilitärischen Bosse fotografiert und gefilmt wird.
Das, um nicht direkt von den „Geständnissen“ der Paramilitärs zu reden. Denn was diese sagen und was sie verschweigen, und der Moment, in dem sie das eine oder das andere tun, legt offen, dass die „Wahrheit“ bei diesen Geständnissen ein Werkzeug ist, um die Regierung unter Druck zu setzen. Diese hinterlässt nachhaltig den Eindruck, dass sie eine Geisel des Schweigens der Paramilitärs ist, obwohl sie bekundet, dass sie will, dass die ganze Wahrheit der Verbrechen der Paramilitärs und ihrer Implikationen ans Licht kommt.
Ein Schutzmechanismus für JournalistInnen in Kriegsländern ist gewöhnlich Selbstzensur. Gilt das auch für den kolumbianischen Journalismus?
Ja, so ist es. Wir JournalistInnen in Kolumbien, die über diese kritischen Themen berichten, sind darauf angewiesen, dass unsere Leserschaft fähig ist, zwischen den Zeilen zu lesen. Information, die aus Kolumbien stammt, unterliegt der Selbstzensur, das darf man nicht aus dem Blick lassen. Die Wahrheit braucht auch ein Publikum, das einen eigenen Standpunkt hat und unabhängig urteilen kann.
Gibt es andere Mechanismen von Zensur?
Ja. Zum Beispiel unterschiedet sich häufig die wahrheitsgetreue Fassung eines Reporters über Vorfälle in einer Kampfzone von der Fassung, die schließlich aufgrund der Linie des Herausgebers veröffentlicht wird. Dabei zensiert ein Herausgeber den Korrespondenten. Warum? Für die Kriegstreiber und diejenigen, die den Krieg bejahen, ist es wichtig, dass die militärische Realität nicht gezeigt wird, und nicht allzu viel über die Auswirkungen des Krieges – seine Grausamkeit, die Opfer – ans Licht kommt. Das bedeutet, dass die Öffentlichkeit nicht unterrichtet ist, was wirklich passiert, und Entscheidungen – zum Beispiel bei Wahlen – nicht auf einer informierten Grundlage fällen kann. Mir gefällt es absolut nicht, dass Hugo Chávez einen Oppositionskanal mit einem Nachrichtensender geschlossen hat (Chávez hat keinen Kanal geschlossen, er hat ihm nur die terrestrische Frequenz entzogen, er kann weiter über Kabel und Satellit senden – vgl. Beitrag von Raúl Zibechi in dieser ila – die Red.). Aber der kolumbianische Präsident könnte gar keinen Oppositionssender schließen, just, weil es keinen gibt.
Ausschlaggebend sind die Anzeigen, und die werden je nach dem Verhalten des Pressemediums gestrichen oder gewährt. Dieser wirksame Hebel wird vor allem mit den staatlich finanzierten Anzeigen und Spots angesetzt, in den Kleinstädten praktisch die einzigen, aber auch die Privatwirtschaft agiert so. Zum Beispiel in Valledupar heißt es aufpassen für JournalistInnen, die vom Drehbuch abweichen. Valledupar ist die Hauptstadt des Departements Cesar, das vom Paramilitarismus beherrscht wird. Hier können die KollegInnen nichts weiter als die offizielle Version eines Ereignisses veröffentlichen, und damit Punkt! In Arauca, mit Grenzen zu Venezuela, hat die FARC-Guerilla am 7. August Journalisten bedroht. Sie würden zum „militärischen Ziel“ erklärt, wenn sie nicht zwei FARC-Kommuniqués in voller Länge veröffentlichten. Und weil sie die vorgelesen haben, wurden sie von den Autoritäten bedroht, sogar von den Zivilbehörden: Man wolle den Sender schließen… Ich glaube, dass sich die Situation wegen der Kommunal- und Regionalwahlen im Oktober noch zuspitzen wird.
2005 hast du den Preis „Richard de Zoysa“ für unabhängigen Journalismus bekommen. Gibt es in Kolumbien Freiräume für einen unabhängigen Journalismus? Es gibt ja nicht nur den bewaffneten Konflikt, sondern auch eine ausgeprägte Pressekonzentration…
In der Tat war ich erschrocken, als ich von diesem Preis erfuhr, er wurde in der Kategorie „gefährliche Berichterstattung“ vergeben. Ich habe den Artikel hervorgeholt, der ausgezeichnet wurde, ich wollte sehen, welcher Teufel mich beim Schreiben geritten hatte. Nach dem Lesen hatte ich einen noch größeren Schreck. „Die Gedanken sind frei“, sagt ein altes deutsches Volkslied, Unabhängigkeit und Freiheit stecken einfach im Kopf. Bei allen kolumbianischen Medien gibt es mutige und engagierte JournalistInnen,
egal ob das den Verlegern und der Leitung passt oder nicht.
Ein konkretes Beispiel: Hollman Morris hat am 2. August den wichtigsten lateinamerikanischen Journalismuspreis gewonnen, vergeben von der Stiftung, die Nobelpreisträger Gabriel García Márquez gegründet hat. Wir sind alle über seine Auszeichnung glücklich, er ist ein ausgezeichneter und unabhängiger Journalist. Hollman Morris hat sich trotz Todesdrohungen gegen das Exil entschlossen. Eine Reportage seines Fernsehprogramms Contravía wurde Anfang August im Parlament gezeigt, als Zeugnis des Völkermords, den die Paramilitärs verübt haben. Aber Contravía ist seit Anfang Juli nicht mehr auf Sendung, weil es keine Finanzierung mehr hat. Das Programm wird von einem schwächlichen staatlichen Kanal ausgestrahlt, den Beiträgen nur Sendezeiten um Mitternacht gewährt, wenn die meisten schon zu Bett gegangen sind. Mit zwei Unterbrechungen – eine hat vier Monate gedauert – hat sich dieses alternative Programm dank der Finanzierung von Kanada, der EU, Holland, Großbritannien und der britischen Open Society Foundation erhalten. Das Team von Contravía besteht aus fünf Personen, fast alle junge JournalistInnen, die dort ihre Ausbildung absolvierten. Sie arbeiten mit dem Minimum.
Was müsste sich verändern, um die Räume für einen unabhängigen Journalismus zu erweitern?
Die JournalistInnen in Kolumbien brauchen eine gute Aus- und Fortbildung und vor allem anständige Arbeitsbedingungen. Die staatlich finanzierten Anzeigen sollten auf Basis des öffentlichen Interesses verteilt werden und bei der Vergabe von Sendezeiten sollte als oberstes Gebot das Recht der Gesellschaft, informiert zu sein, gelten. Es ist sehr wichtig, den Unterschied zwischen der Freiheit der Presse und dem Recht auf Information zu verstehen. In Kolumbien kann jeder, der über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, ein Presseorgan gründen, und diese Freiheit beizubehalten wird mit Nachdruck verteidigt. Aber das Recht auf Information gehört der ganzen Gesellschaft, obwohl nur wenige, die Geld haben, das so anerkennen würden. Darauf bezieht sich das weite Feld des unabhängigen Journalismus. Wichtig: Ein Publikum oder eine Leserschaft ohne Zugang zu Bildung ist nicht in der Lage, die Hintergründe zu verstehen, über die ein/e Journalist/in informiert. Die Gewährleistung des Rechts auf Information bedarf des Zugangs der gesamten Gesellschaft zu Bildung.
Das heißt, wir brauchen Demokratie.
Du hast als Journalistin in Deutschland gearbeitet und kennst die Medienlandschaft bei uns. Gibt es Unterschiede, die dir ins Auge springen?
An der deutschen Gesellschaft gefällt mir insbesondere, dass das Recht der Allgemeinheit auf Bildung und Kultur gewährleistet ist. Das ist ein guter Nährboden für anspruchsvolle und tiefgehende Information. Natürlich mag es Leute geben, die sich eher eine Seifenoper und nicht eine dieser außergewöhnlichen Dokumentationen der ARD ansehen. Für mich ist es ein bedeutender Fortschritt, dass zwischen Staat und Regierung unterschieden wird. Das erlaubt Medien, die staatliche Frequenzen nutzen oder in staatlicher Hand sind, Unabhängigkeit gegenüber den Regierungen. In Kolumbien halten es die jeweiligen Regierungen für völlig normal, dass sie den Staat in den Dienst ihrer Interessen, inklusive die ihrer Familien, stellen, – in einem Land mit hoher Wahlenthaltung. Über Jahrzehnte wurden die TV-Nachrichtensendungen an die Söhne von Ex-Präsidenten oder an die der Chefs der zwei Mehrheitsparteien vergeben. Für mich ist es sehr wichtig, dass in Deutschland als Lektion aus der eigenen Geschichte die Verherrlichung von Gewalt oder die Rechtfertigung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verboten ist. Fände dieses Prinzip in Kolumbien Anwendung, so würde unseren derzeitigen Präsidenten und viele seiner AnhängerInnen die Strafe der Justiz ereilen.