Trumps Verfügung über den Mauerbau verschreit „Ausländer*innen“ als bedrohliche Einschlepper*innen von Kriminalität und Terrorismus und sieht in ihnen eine „klare und akute Gefahr“ für die nationale Sicherheit. Als Reaktion darauf betonen liberale Kritiker*innen, dass die Grenzmauer eine Verschwendung von Geld und Ressourcen sei. Die Technologie-Zeitschrift des Massachusetts Institute of Technology (MIT Technology Review) fordert dazu auf, „die Fragen, ob es klug sei, eine Mauer entlang der US-mexikanischen Grenze zu bauen, beiseitezustellen“ und stattdessen das Augenmerk auf ihre exorbitanten Kosten zu richten: mit etwa 40 Milliarden US-Dollar deutlich mehr als die von Paul Ryan (R-WI), Sprecher des Weißen Hauses, angesetzten 12 bis 15 Milliarden Dollar. Das Washingtoner Lateinamerika-Büro (WOLA), eine liberale Nicht-Regierungs-Organisation mit Sitz in D.C., die zu Menschenrechten in den Amerikas arbeitet, weist darauf hin, dass das Aufstellen von 665 km Zaun – das ist genau die Länge der Landgrenze, die nicht im Rahmen der „Grenzsicherheit“-Initiativen der Clinton- und Bush-Ära bereits eingemauert wurde, 11,37 Milliarden USD kosten würde. Ein weiterer liberaler Mauer-Kritiker, Robert Reich von der Berkeley-Universität, betont, dass Grenzüberquerungen ohnehin aus der Mode kommen, da Mexiko „weniger junge Leute produziert“.
Es scheint also gesichert, dass die Mauer verlustreich und nutzlos sein wird – weniger klar ist jedoch, ob das überhaupt von Bedeutung ist, zumindest für die Trump-Unterstützer*innen des rechten Flügels. Was pragmatische und ökonomische Argumente gegen den Grenzwall nämlich übersehen, ist, dass sein primärer Zweck symbolisch ist. Das bedeutet, die tatsächlichen Adressat*innen des versprochenen Mauerbaus sitzen in den Vorstädten des Trump-Landes, weit weg von der US-mexikanischen Grenze.
Wie jeder andere politische Slogan ist auch „Baut die Mauer!“, der Kampfschrei der Trump-Kampagne, sowohl ein Anspruch als auch eine Forderung. Der Anspruch der Anhänger*innen ist hier vordergründig kulturell, obwohl ein geografischer vorgegeben wird. Der Ausruf vereint die ihn Singenden in einer über ihr „Weiß sein“ und ihre Sprache definierten Gemeinde. Diejenigen innerhalb der Mauer teilen eine pure amerikanische Nationalität, von niemandem verunreinigt, der als „lateinamerikanisch“ oder sonst irgendwie „ausländisch“ wahrgenommen wird. Sie arbeiten hart, sprechen englisch und sind – der Slogan deutet das zwischen den Zeilen an – weiß. Anders gesagt, die Mauer ist nicht nur symbolisch für diejenigen, die sie ausschließen soll, sondern auch für diejenigen, die sie einschließt.
Aus diesem Anspruch leitet sich die Forderung ab. Was die „Baut die Mauer“-Rufenden wollen und was Trumps Verfügung über den Mauerbau verspricht, ist eine offizielle Bestätigung und eine materielle Manifestation dieser ethno-nationalen Fantasie. Das ist alles, was die Mauer bringt – aber das ist schon eine Menge.
In der Tat scheint der zum Präsidenten gewordene Softwareentwickler zu begreifen, was der eigentliche Punkt einer Grenzmauer, und vielleicht von Grenzen überhaupt, ist, eine Inszenierung. Wiederholt betonte er während des Wahlkampfs, die Mauer werde „groß“ und „wunderschön“ sein. Einmal twitterte er während der Kampagne: „ Eine Nation OHNE GRENZEN ist keine Nation.“ Die Verfügung, die Trump im Januar unterzeichnete, beschreibt, dass der Grenzwall die „Sicherheit und territoriale Integrität“ der Nation bewahren solle. Doch Sicherheit folgt nicht aus territorialer Integrität: „Territoriale Integrität“ ist ein ideologischer Wert, kein pragmatischer.
Der Traum einer undurchlässigen kulturellen Grenze zu Mexiko ist außerdem natürlich älter als Trump. Die Grenze zu Mexiko existierte bis 1911 überhaupt nur auf Landkarten. In diesem Jahr, so schreibt es Rachel St. John in ihrer Geschichte der Grenze, Line in the Sand (Strich im Sand), wurde der erste Teil eines Grenzzauns fertig gestellt – um die Wanderung von Rindern zu beschränken. Erst in der Clinton-Ära, im Angesicht von NAFTA, dem Drogenkrieg und dem zunehmenden Chauvinismus der nationalistischen Rechten, wurden diese Grenzzäune durch so etwas wie eine „Mauer“ ersetzt.
Trumps Verfügung, die Clintons begonnenes Werk zu Ende führen soll, weist zudem Bundesbehörden an, „illegale Ausländer*innen zügig, konsequent und menschlich zu repatriieren“. Der Präsident fordert also, Ausländer*innen zu behandeln, als wären sie Menschen und kein Vieh. Dabei erinnert die Mauer doch implizit an die unverblümten Verbotsschilder, auf denen vor Jahrzehnten in den Grenzstädten zu lesen war: „Keine Hunde, keine Schwarzen, keine Mexikaner*innen“.
Noch früher, während einer anderen imperialen Ära, als nicht einmal ein Viehzaun mexikanisches und US-amerikanisches Gebiet trennte – noch bevor „US-amerikanisches Gebiet“ in seiner heutigen Form überhaupt existierte – nannten die Trumps des 19. Jahrhunderts ihre Mauerfantasie „Angelsachsismus“. Was „Baut die Mauer!“ nur andeutet, drückt die Forderung nach einer „angelsächsischen Republik“ ganz direkt aus: Weiße Europäer waren dazu bestimmt, die Vereinigten Staaten zu regieren und die Vereinigten Staaten wiederum waren dazu bestimmt, über Amerika zu herrschen. Als wütende Antwort auf den US-amerikanischen Angelsachsismus prägte der kolumbianische Dichter José María Torres Caicedo den Begriff „Lateinamerika“, um die Würde des spanischen Amerikas zu verteidigen. Genau das ist es, was pragmatische Argumente gegen die Mauer übersehen, was der Grenzwall aber eindeutig impliziert: die Vorstellung, dass „lateinamerikanisch“ und „amerikanisch“ überhaupt zwei verschiedene kulturelle Identitäten sind – eine Vorstellung, die kein Produkt von Geografie, sondern von Ideologie ist.
Es gibt noch ein weiteres zwingendes Argument für die praktische Nutzlosigkeit der Mauer. Todd Miller fasst die unter anderem in der NACLA (Schwesterzeitschrift der ila in den USA – die Red.) zusammen: Die Mauer gibt es längst. Drohnenüberwachung, Anstieg der Grenzpatrouillen und, ja, auch viele tatsächliche Mauern bewachen schon jetzt die Grenze. Trump macht einfach nur, was er am besten kann: Er entwirft eine protzige Fassade mit seinem Namen drauf. „Glaubt mir, niemand ist besser im Mauern bauen als ich“, erzählte Trump gerne auf seiner Wahlkampftour. Dementsprechend war eine Anforderung der offiziellen Ausschreibung für den Bau des Grenzwalls, dass „die Nordseite der Mauer (also die zu den USA hin) ästhetisch ansprechend sein soll“, wohingegen die Südseite dies nicht zu sein brauche – das Mauerpublikum lebt dort schließlich nicht.
Der bereits existierenden Grenzmauer inhärent ist zudem ein hoher Grad an imperialem Symbolismus. Ein Großteil wurde erbaut aus nicht mehr gebrauchten Helikopterlandematten aus dem Vietnam- und dem Ersten Golfkrieg, den recycelten Überbleibseln vergangener imperialer Abenteuer. Mit denen verglichen, wirkt die Grenzmauer geradezu bescheiden.
Wenn wir die Mauer also ablehnen, müssen wir uns fragen, gegen was genau wir eigentlich Stellung beziehen. Ist es der Militarismus und Nationalismus von Clintons Mauer oder einfach die extravagante Geschmacklosigkeit von Trump? Die pragmatischen Argumente gegen die Mauer mögen völlig richtig sein, doch einfach nur auf Trumps Heuchelei hinzuweisen, hat bisher nicht besonders gut funktioniert. Schlimmer noch: Wegen ihrer verschwenderischen Kosten gegen die Mauer zu argumentieren, bringt einige unangenehme Fragen mit sich. Wäre diese Xenophobie tolerierbar, wenn sie nur billiger wäre? Und welche Argumente lassen sich gegen eine Grenzmauer finden, die nicht auch gegen die Grenze an sich anzubringen wären?