Eigentlich wollte ich nur Erbsen und Kartoffeln auf meinem Ackerstück pflanzen, dann habe ich für alle Fälle noch Quinoa gesät“, erzählt Victor Zenteno, Promotor und Mitglied einer Gruppe von Kleinbauern und -bäuerinnen aus Peñas im Altiplano südlich von Oruro, auf einem Treffen des bolivianischen Agroforstnetzwerks ECOSAF. Erst hat der Frost die Erbsenpflanzen vertrocknen lassen, dann der Hagel die Kartoffeln. Nur die Quinoa habe er am Ende ernten können und auch zum Verkauf noch genug übrig gehabt. Die Pflege der Mischkultur, um immer ausreichend zu essen zu haben, ist ein Grundprinzip andiner Agrarkultur. Lieber mehr Sicherheit als die Aussicht auf höchstmöglichen Gewinn. Etwa acht unterschiedliche Quinoa- und sechs Kartoffelsorten baut der 50-jährige Victor an. Und mitten in den Acker pflanzt er Apfelbäume und Ulmen. Deren Blätter helfen die Feuchtigkeit im Boden zu halten und diesem Nährstoffe zuzuführen.
In der Zeit der sogenannten grünen Revolution seit den 60er-Jahren mussten die Bäume den Traktoren weichen, man setzte auf Monokultur und Hochertragssorten. Die traditionelle Artenvielfalt und das mit ihrem Anbau verbundene Wissen reduzierten sich auf einige wenige traditionelle Bauern und Bäuerinnen. So gibt es Kartoffeln mit breiteren Blättern für Zeiten größerer Trockenheit oder solche mit kleineren Blättern, die eher Hagel und Frost widerstehen. Eigentlich habe er alles genau nach dem Agrarkalender und den Mondzyklen geplant, erzählt Victor. Die hätten nämlich Einfluss auf die Regenfälle. „Doch mit dem Klimawandel kann man das nicht mehr so genau wissen.“ Insgesamt sind die Regenfälle zurückgegangen, dramatisch für eine ohnehin trockene Region wie die auf 3800 Metern gelegene Hochebene. Und wenn es regnet, dann häufig nicht zu den gewohnten Zeiten. Anstatt dass ein anhaltender Landregen die Erde gut durchtränkt, stürzt das Wasser in Wolkenbrüchen zur Erde, die noch die letzte Krume wegzuschwemmen drohen. Ackerfrüchte können sowohl vertrocknen als auch verfaulen.
Hinzu kommt die nahegelegene Bergwerkswirtschaft, die erhebliche Mengen des kostbaren Nasses verbraucht und auch noch verschmutzt. Die Hälfte weniger hätten sie nun zur Bewässerung zur Verfügung. Das verkürzt die Perioden, in denen Ackerbau möglich ist. Die Bauern und Bäuerinnen, die sich noch erinnern, wählen schneller wachsende Sorten oder suchen sie dort, wo sie noch angebaut werden. Einen Kollegen, dessen Ernte jedes Jahr besser als die seine ausgefallen sei, habe er nach seinem Rezept gefragt, berichtet Zenteno: „Ich gehe spiritueller ran“, habe der geantwortet. Er mache grundsätzlich eine Mesa Blanca, ein Brandopfer, für den Acker, die Mutter Erde. Alle Wesen hätten schließlich Gefühle, selbst wenn sie es nicht so direkt ausdrücken könnten. Auch Victor ist sich sicher, dass er nur genau hinschauen muss, um zu erkennen, ob irgendetwas nicht in Ordnung ist, etwa wenn die Pflanze nach Sonnenaufgang sich nicht richtig öffne. „Man muss sie verstehen lernen.“
Vier der zwölf Bauern aus Victors Gruppe stellen seit einigen Jahren von der konventionellen, modernen Landwirtschaft wieder auf traditionelle, ökologische Methoden um. Ihre Äcker waren der lebende Beweis, dem die anderen acht nun folgen. Drei oder vier Hektar Land bewirtschaftet eine Person, maximal zehn. Sieben Zentner Quinoa sei der Ertrag von einem Hektar. Er bekomme pro Zentner 300 Bolivianos, nicht die 450, für die sie von den Zwischenhändlern auf dem Markt in der Stadt verkauft würden. Etwa neun Hektar Quinoaanbau benötigt demnach eine fünfköpfige Familie, um über die absolute Armutsgrenze der Vereinten Nationen zu kommen. Es gebe auch ProduzentInnen, die 100 Hektar zur Verfügung hätten, Landkonflikte wegen der Quinoa hätten zugenommen, berichtet der Bauer. Als 2003 der Quinoapreis so stark gestiegen war, seien viele aus der Stadt zurückgekommen. Doch die hätten das traditionelle Wissen der Kleinbauern und -bäuerinnen vergessen. Statt für schützenden Bewuchs zu sorgen wie Victor, würde alles gerodet. Wenn die Böden ausgelaugt seien, zögen diese ProduzentInnen an neue Standorte weiter.
Ob er wenigstens höhere Preise für seine ökologische Produktion erziele? Nein, die Zertifizierung sei inzwischen in den Händen einiger weniger multinationaler Betriebe und die Kosten könne er nicht aufbringen. Trotzdem hält er an der ökologischen Produktion fest. Denn so behalten die Böden ihre Fruchtbarkeit und er hat auch morgen noch ein einigermaßen gesichertes Einkommen. Victor ist überzeugt, dass die konventionelle Landwirtschaft nicht imstande ist, die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen. Deshalb engagiert er sich bei ECOSAF, einer kleinen, aber in verschiedenen ökologischen Zonen Boliviens vernetzten Gruppe von ProduzentInnen und WissenschaftlerInnen. Sie hat sich das Prinzip der Vielfalt zu eigen gemacht. Die Parzelle wird als lebendiger Organismus verstanden, der dem natürlichen Wald ähnlich ist und die natürlichen Prozesse nachahmt. Nach Jahren praktischer Erprobung des Ansatzes ist es nun das Ziel, dass die Kombination von Obst- und Nutzholzbäumen, Sträuchern, Kräutern und Ackerfrüchten, die nebeneinander auf dem gleichen Terrain gepflanzt werden, um sich zu ergänzen, Teil staatlicher Agrarförderpolitik wird. Doch noch ist auf politischer Ebene zu wenig darüber bekannt, wie aus verlassenen, erodierten Steinfeldern innerhalb weniger Jahre grüne Inseln werden können, die den Bauern und Bäuerinnen nicht nur die eigene Ernährung, sondern auch ein Mindesteinkommen sichern können.