Die Stimme der Mittelamerika-Solidarität

In den frühen achtziger Jahren waren mehrere Tausend Menschen aus Österreich, der Schweiz, der Bundesrepublik und der DDR in der Mittelamerika-Solidaritätsbewegung aktiv. In allen größeren Städten gab es Mittelamerikagruppen oder Solidaritätskomitees. In der DDR organisierten sich unabhängige Gruppen meistens unter dem Dach der Evangelischen Kirche. Das gemeinsame Ziel all dieser Initiativen war es, die Befreiungsprozesse in El Salvador und Nicaragua aktiv zu unterstützen. Öffentlich am stärksten wahrgenommen und heftig diskutiert – von rechten Kräften auch skandalisiert – wurde die von der damals linksalternativen „tageszeitung“ (taz) initiierte Spendenkampagne „Waffen für El Salvador“. Die taz hatte damals bewusst das provokante Motto gewählt, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Regierungen der USA und auch der BRD das Regime und die brutale Repression in El Salvador auf vielfältige Weise unterstützten, vor allem mit umfangreicher Entwicklungs-, Wirtschafts- und Militärhilfe. Wer ernsthaft ein Ende der Unterdrückung in El Salvador wollte, musste die in der FMLN/FDR zusammengeschlossenen Befreiungskräfte mit allem unterstützen, was sie für ihren Kampf brauchten, egal ob medizinisches Material, Technik für ihre Informations- und Propagandatätigkeit, Kleidung oder eben auch Waffen.

Mit der Spendenkampagne „Waffen für El Salvador“ verband die taz eine umfangreiche Berichterstattung zu Mittelamerika, die in der deutschsprachigen Medienlandschaft einmalig war. In Nicaragua waren die beiden Österreicher Leo Gabriel und Ralf Leonhard zeitweilig als feste Korrespondenten für die taz tätig (später auch der Schweizer Thomas Schmid). Immer wieder machten sie sich auf verschlungenen – und für sie gefährlichen – Wegen in die Konfliktzonen El Salvadors auf, um über die dortigen Entwicklungen informieren zu können.

Am längsten und kontinuierlichsten berichtete Ralf Leonhard aus Mittelamerika. Seine Bedeutung für die Solidaritätsarbeit der achtziger Jahre kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mehrmals in der Woche erschienen in der taz Beiträge aus seiner Feder, mit denen er uns, gemeint sind die damaligen Mitglieder der Solidaritätsgruppen, auf dem Laufenden hielt. Er schrieb über die Repression und deren Opfer, diplomatische Initiativen, militärische Auseinandersetzungen, Streiks, Konflikte an den Unis, die Lage der salvadorianischen Flüchtlinge in den Nachbarländern und den Alltag der Menschen, die versuchten, irgendwie zu überleben, gerade auch derer, die Familienmitglieder durch die Repression und den Krieg verloren hatten.

Dabei waren keineswegs alle in der Solibewegung mit seinen Berichten einverstanden. Es gab immer wieder Stimmen, die meinten, er berichte nicht „solidarisch“ genug. Ihnen missfiel, dass für Ralf die nicaraguanische FSLN und die in der salvadorianischen FMLN zusammengeschlossenen Organisationen keineswegs unantastbar waren und er deshalb auch über Widersprüche in deren Politik schrieb. Wie wichtig das war, zeigt vor allem die Entwicklung Nicaraguas. Der Autoritarismus in der FSLN und die Machtkonzentration in den Händen der Ortega-Clique begann ja nicht erst vor einigen Jahren, viele Anzeichen gab es dafür schon in den achtziger Jahren, und Ralf hat bereits damals darüber geschrieben.

Die Leute, die meinten, er sei der FMLN gegenüber zu kritisch gewesen, wussten nicht, wie wichtig er für die salvadorianische Guerilla war, sowohl publizistisch als auch praktisch. Er war es, der einen großen Teil der über vier Millionen DM, die über die Kampagne „Waffen für El Salvador“ gespendet wurden, an die FMLN-Mitgliedsorganisationen ERP, FPL, PCS, RN und PRTC weiterleitete.

Ralf Leonhard berichtete bis 1996 aus Zentralamerika. Dann kehrte er nach Wien zurück und arbeitete dort für das südwind-Magazin. Außerdem war er immer in unserer österreichischen Schwesterorganisation IGLA (Informationsgruppe Lateinamerika) und der Redaktion von deren Zeitschrift „lateinamerika anders“ aktiv, über viele Jahre als Obmann (Vorsitzender) der IGLA.

Am 21. Mai kam Ralf Leonhard beim Versuch, einen Hund aus dem Fluss Traisen zu retten, ums Leben. Herrmann Klosius, seit ihren Anfängen in der IGLA aktiv, schrieb uns: „Ralfs für uns alle völlig unerwarteter und kaum fassbarer Tod hat ihn, einen der vor allem in Sachen Lateinamerika kompetentesten Journalisten des Landes, aus einer fruchtbaren Phase seines Schaffens herausgerissen: Erst am vergangenen Dienstag (16. Mai – die Red.) hat Ö1 sein Journal Panorama zum Thema ,200 Jahre Monroe-Doktrin‘ ausgestrahlt. Schon für den 22. Mai war sein Abflug zu einer journalistischen Recherchereise nach Kolumbien und Peru geplant. Die Folgen seines unersetzlichen Verlusts für die Arbeit der IGLA und insbesondere für ihre seit Jahresbeginn auf virtuelles Erscheinen umgestellte Zeitschrift lateinamerika anders sind derzeit noch unabsehbar.“

Was könnten wir mehr sagen? Wir sind sprachlos traurig.