In der bundesdeutschen Asyldebatte der letzten 25 Jahre haben bürgerliche Politiker*innen und Medien immer zwischen politischen Flüchtlingen, die Asyl in Deutschland erhalten können, und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden, die keinesfalls asylberechtigt sind. Diese Trennung, die noch immer den intellektuellen Querdenker des 18. und 19. Jahrhunderts als Prototyp des politischen Flüchtlings sieht, geht an der Realität völlig vorbei.
Das gilt für Europa und mehr noch für Lateinamerika, wo seit vielen Jahrzehnten Menschen unterwegs sind, um Orte zu suchen, wo sie sicherer leben können. Dabei bedeutet Sicherheit für die Einzelnen etwas sehr Unterschiedliches. Die einen hoffen auf Schutz vor Gewalt, andere vor Diskriminierung, wieder andere vor Verfolgung (ob sie wegen ihrer politischen Überzeugungen verfolgt wurden oder weil sie zufällig auf einem Stück Land gelebt haben, auf das mächtige Unternehmen scharf sind, ist dabei zweitrangig). Viele Migrant*innen suchen soziale Sicherheit, oft einfach nur ausreichende Ernährung und medizinische Versorgung. Das Ziel der meisten lateinamerikanischen Migrant*innen sind die USA, aber auch Länder wie Argentinien, Uruguay oder Panama, wo man ruhiger und besser leben kann als andernorts in Lateinamerika. Viele überschreiten gar keine Landesgrenzen, sondern suchen in ihrem Herkunftsland sicherere Orte. Das gilt etwa für die sechs Millionen internen Flüchtlinge in Kolumbien.
Vor dem Hintergrund der aufgeregten, in Teilen hysterischen Flüchtlingsdebatte in Europa lenkt die Soziologin Raina Zimmering den Blick auf Lateinamerika und stellt dar, warum Menschen ihre Herkunftsregionen verlassen, welche Hoffnungen sie damit verbinden und wie man dort auf sie reagiert, wo sie sich niederlassen (möchten). Sie erzählt von der Gewalt der organisierten Kriminalität und der allzuoft mit dieser verbündeten Politik und Staatsorgane in Ländern wie Mexiko, Guatemala oder Honduras. Dort sind insbesondere ärmere Jugendliche höchst gefährdet und haben kaum Chancen, einigermaßen sicher leben zu können.
Sie stellt dar, wie die Regierungen der USA die Einwanderung bekämpfen, dabei aber so agieren, dass sie mit ihren repressiven Maßnahmen und Deportationen die Konflikte in den Herkunftsländern der Migrant*innen weiter verschärfen und nur noch mehr Menschen zur Migration treiben, auch wenn die sehr wohl wissen, dass schon der Weg in Richtung Norden lebensgefährlich ist.
Von den Politiker*innen – sowohl in den USA als auch in Lateinamerika – erwartet die Autorin wenig konstruktive Ansätze, den Menschen, sowohl denen, die sich auf den Weg machen, als auch denen, die bleiben, sichere Perspektiven zu bieten. Die Hoffnung setzt sie vor allem auf gesellschaftliche Initiativen der Migrant*innen selber, der sie unterstützenden Gruppen und politisch-sozialer Bewegungen, wie etwa die Zapatist*innen in Chiapas.
Alles in allem ein wichtiges Buch, das helfen könnte, die von Rassismus und Wohlstandschauvinismus geprägten Diskussionen in Europa in vernünftigere und humanistischere Bahnen zu lenken. Doch ich fürchte, dass diejenigen, die die Debatten dominieren und mit dem Thema Migration ihr politisches Süppchen kochen, kein Interesse an differenzierten Analysen haben.