Horacio Vázquez-Rial, der in der spanischsprachigen Welt bereits seit langem als einer der großen Autoren Südamerikas gilt, bekommt jetzt auch auf dem deutschen Markt eine Chance. Sein bereits 1994 in Spanien erschienener Roman „Frontera Sur“ ist im Frühjahr 2005 unter dem Titel „Tango, der dein Herz verbrennt“ im Piper Verlag erschienen, genau ein Jahr später folgte sein Titel über Carlos Gardel, der wiederum schon seit 2001 in Spanien auf dem Markt ist, „Las dos muertes de Gardel“. Der jetzt auf Deutsch vorliegende Roman ist eines der renommierten literarischen Werke, die sich mit dem Mythos um die Person Gardels auseinandersetzen.
Die Entwicklung der argentinischen Musik, insbesondere des Tango, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Geschichte Argentiniens ist ein zentrales Thema in den Romanen Vázquez-Rials. Um die Person des Carlos Gardel, des sicherlich bekanntesten Tangosängers aller Zeiten, strickt dieser Roman sein Handlungsnetz. Der Roman widmet sich weniger dem Leben der Tango-Ikone als vielmehr den mysteriösen Umständen, unter denen er um selbiges kam, und was mit seinem Leichnam geschah.
Ein junger spanischer Journalist wird zufällig Augenzeuge des dramatischen Flugzeugunglücks, bei dem ein ganzes Tangoorchester und dessen Sänger, Carlos Gardel selbst, ums Leben kommt. Die Ursache des Flugzeugabsturzes, die genaue Aufklärung des Unfallhergangs und die Identifizierung der Opfer bleiben ein ebensolches Mysterium wie die wahre Identität des Mannes, den alle Welt als Carlos Gardel kennt. Der zufällige Augenzeuge des Geschehens beginnt sich für die Hintergründe alldessen zu interessieren und recherchiert. Schnell stößt er auf Ungereimtheiten, die ihn auch das Leben des Carlos Gardel hinterfragen lassen: Gab es den Gardel wirklich, wer war der Mann und wo stammte er wirklich her? Schnell bröckelt der Schein des Vorgegebenen.
Der junge Journalist trägt Informationen und Details zusammen, von denen niemand weiß oder wissen will, die absichtlich unter Verschluss gehalten werden. Es entspinnt sich eine krimigleiche Geschichte, die der Journalist als alter Mann einem jungen ambitionierten Autor, einem Alterego Vazquez-Rials, erzählt, damit dieser sie aufzeichnen und verarbeiten kann. Zu einem Buch über den Tod der Ikone, denn über deren Leben gibt es nach Ansicht des Erzählers bereits mehr als genug. Anhand des Interviews oder Zwiegesprächs zwischen den beiden fiktiven Figuren entspinnt sich das Ränkespiel, das bereits von der Geburt und Abstammung Gardels an um dessen Person gesponnen wurde und über seinen Tod hinausreichte.
Der dramatische Anfang des Romans setzt gleichermaßen dem Leben des Sängers ein Ende, wie die Spekulationen über den Unfallhergang nur das Ende eines verworrenen Wollknäuels bilden. Die LeserInnen erfahren alles über die verwickelte Lebens- und Todesgeschichte der bekanntesten Tangopersönlichkeit aller Zeiten, alle kriminellen Theorien von Betrug, Verschwörung, Diebstahl, Mord und Urkundenfälschung finden Eingang in die Romanhandlung. Diese hat mit ihrer fundierten Basis etwas von einer sehr erschreckenden, bedrückenden Biographie eines unglücklichen Menschen. Horacio Vázquez-Rial hat seinen Roman spannend strukturiert und in einer sehr lebendigen wie einfühlsamen Sprache geschrieben. Die LeserInnen werden ZeugInnen einer haarsträubenden Intrige, die mitreißt. Ein Lesegenuss und Muss für alle Tangoliebhaber.
Horacio Vázquez-Rial, Der Mann, der sich Carlos Gardel nannte. Übersetzung: Petra Zickmann und Stine Lehmann, Piper Verlag, München 2006, 372 Seiten, 22,90 Euro