Wenn die linksgerichteten Regierungen von Hugo Chávez über Rafael Correa oder Evo Morales bis José „Pepe“ Mujica und Cristina Fernández de Kirchner die Bedeutung der Bildung unterstreichen, konnten und können sie sich also auf prominente Vorbilder mit hoher linker Glaubwürdigkeit berufen. Auch die Ziele ihrer Bildungspolitik sind klar im progressiven Kanon angesiedelt. Bildung soll den Weg zur sozialen Gerechtigkeit bahnen und teilweise, wie im Fall der Bolivarianischen Revolution in Venezuela, auch explizit der Politisierung dienen. Zumindest die Formel „mehr Bildung = mehr Gerechtigkeit“ erhält aber auch von ganz anderer Seite Zuspruch: Internationale Organisationen von der UNESCO über die Weltbank bis zum Internationalen Währungsfonds stimmen in den Chor der Bildungsoptimisten ein. Dieser breite Konsens ist nicht verwunderlich, Bildung gilt schließlich als entwicklungspolitischer Königsweg. Von mehr und besserer Bildung erwartet man sich nicht nur einen Beitrag im Kampf gegen Armut und Ungleichheit, sondern auch die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und des Bruttoinlandsprodukts, eine Verbesserung der Gesundheitssituation, Gewaltprävention, die Förderung der Demokratie etc. Kurz, Bildung erscheint als entwicklungspolitischer Alleskönner.
Schon auf dem zweiten Blick zeigt sich jedoch, wie brüchig dieser Bildungskonsens ist. De facto ist die Bildungspolitik (nicht nur) in Lateinamerika ein stark umkämpftes Terrain. Deutlich wird dies vor allem, wenn es nicht allgemein um mehr und bessere Bildung geht, sondern wenn die Reduzierung von Bildungsungleichheiten und damit die Infragestellung der Bildungsprivilegien der Mittel- und Oberschichten im Fokus steht. Allem bildungspolitischen Reformeifer der Vergangenheit zum Trotz haben sich die Bildungssysteme der Region als besonders hartnäckige Institutionen zur Reproduktion und Legitimierung sozialer Ungleichheiten erwiesen.
Der Zugang zur Bildung hat sich in Lateinamerika in der Vergangenheit schrittweise ausgeweitet. Heute besuchen (fast) alle Kinder die Grundschule und auch die Sekundarbildung hat ihren Status als Distinktionsmerkmal der Mittelschicht verloren. Trotz dieser Erfolge sind die Ungleichheiten des Bildungszugangs jedoch in der Vorschule, der (höheren) Sekundarbildung und vor allem in den Universitäten weiter sehr präsent. Die Ungleichheiten des Bildungszugangs haben sich somit eher nach hinten verschoben denn abgebaut. Zudem garantiert der Schulbesuch per se keine Lernerfolge. In internationalen Vergleichsstudien (etwa PISA) erzielen die lateinamerikanischen Bildungssysteme regelmäßig unterdurchschnittliche Ergebnisse. Zusätzlich zu den grundsätzlichen Problemen solcher Bildungstests (Wer definiert Bildungsqualität? Wie wird sie gemessen?) versperrt der Fokus auf die insgesamt schwache Bildungsqualität den Blick auf die enormen Ungleichheiten zwischen verschiedenen Schulen und Schultypen eines Landes. Die Ungleichheiten hinsichtlich Ausstattung der Schulen, Ausbildung der Lehrkräfte und vor allem der sozialen Kontextbedingungen führen dazu, dass der Schulalltag von SchülerInnen der Mittel- und Oberschicht mit dem von Kindern aus sozial benachteiligten Familien in den städtischen Armenvierteln oder auf dem Land oft trotz gleicher Lehrpläne und Lehrkraftausbildung außer der Pausenklingel wenig Gemeinsamkeiten aufweist. Ungleiche Effekte sozialer Herkunft werden so in der Schule noch verstärkt und haben systematische Benachteiligungen der marginalisierten Bevölkerung und Privilegierungen der Mittel- und Oberschicht zur Folge. Diese Tendenz wird noch dadurch verschärft, dass die Schule trotz des Gesamtschulkonzeptes hochgradig sozial segregiert. Die Mittel- und Oberschicht hat sich zunehmend in exklusive Privatschulen zurückgezogen, die jenseits der Bildungsqualität auch eine hohe gesellschaftliche Wertschätzung der Bildungstitel garantieren. Spiegelbildlich wirken Zeugnisse von Schulen aus Armutsvierteln oder von indigenen Schulen auf dem Land am Arbeitsmarkt oft stigmatisierend.
Bei Amtsantritt waren die verschiedenen Linksregierungen folglich mit großen bildungspolitischen Problemen konfrontiert. Neben Bildungsungleichheiten betraf dies auch die Unterfinanzierung der Bildungssysteme und verstaubte Lehrpläne, die oftmals gesellschaftlich umstrittene Themen wie den Umgang mit der Diktaturvergangenheit, sexuelle Diversität oder die Förderung indigener Kultur gar nicht oder nur ansatzweise beinhalteten. Die Linksregierungen beließen es nicht bei Sonntagsreden, sondern gaben der Bildung tatsächlich Priorität. Deutlichen Ausdruck fand dies nicht zuletzt in höheren Bildungsausgaben. Zudem können als gemeinsame Nenner der bildungspolitischen Agenda der progressiven Regierungen die Abkehr von neoliberalen Bildungsmodellen und eine Stärkung der öffentlichen Bildung, die Ausweitung des Bildungszugangs für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen sowie curriculare Reformen genannt werden. Und dennoch gibt es nicht die Bildungspolitik der Linksregierungen. Dafür sind nicht nur die politischen Ausrichtungen der Regierungen, sondern auch die Kontexte und Herausforderungen der einzelnen Länder zu verschieden. Im Folgenden werden drei Beispiele progressiver Bildungspolitiken in Lateinamerika (die Bildungsexpansion in Venezuela, der Plan Ceibal in Uruguay und die Millenniumsschulen in Ecuador) kurz vorgestellt und diskutiert.
Die Bildungspolitik der bolivarianischen Revolution in Venezuela hat international große Aufmerksamkeit erregt. Konkret wurde eine massive Bildungsexpansion erreicht. Seit dem Amtsantritt von Chávez stieg die Zahl der SchülerInnen in Vorschule, Grundschule und dem Sekundarbereich von circa 5,5 Millionen auf heute knapp über 8 Millionen. Dies wurde durch eine Vervierfachung der Zahl der Studierenden ergänzt. Letzteres ging vor allem auf massive Programme der Erwachsenenbildung, die Bildungsmissionen (Misiones Educativas) zurück, die von der Alphabetisierung bis zur Hochschulbildung niedrigschwellige Bildungsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Jugendliche und Erwachsene schufen.
Diese beeindruckenden Zahlen nutzte die Regierung, um Venezuela zum größten Klassenzimmer der Welt auszurufen. Tatsächlich kann kein Zweifel bestehen, dass das exklusive Bildungssystem geöffnet wurde. Gerade sozial benachteiligten Menschen wurden auf diese Weise vormals versperrte Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Ein neuer Bildungsenthusiasmus entstand. Dieser positive Effekt wird aber von gegenläufigen Tendenzen deutlich eingetrübt. Die anfänglichen Programme zur Verbesserung der Bildungsqualität in Schulen mit einem hohen Anteil armer Kinder und Jugendlicher wurden schnell dem Drang nach neuen Rekorden bei den SchülerInnenzahlen geopfert. Während die Opposition meist primär die Ideologisierung der Bildung beklagt und auch der Bildungsexpansion skeptisch gegenübersteht, liegen die tatsächlichen Probleme bei den Grundvoraussetzungen eines guten Unterrichts: Gebäude, Lehr- und Lernmaterialien, Ausbildung der Lehrkräfte, soziale Kontextfaktoren und vieles mehr. Als Venezuela dann mit dem sinkenden Erdölpreis in eine Wirtschaftskrise versank, traten die Engpässe im Bildungsbereich mit aller Deutlichkeit am Beispiel der Erosion des Schulspeisungsprogramms zutage. Mehr noch, in der aktuellen Krise gehen die SchülerInnenzahlen erneut zurück. Die Erfolgsmeldungen verblassen.
Besonders deutlich werden die Widersprüche jedoch an einer anderen Stelle. Die „revolutionäre“ Bildungspolitik führte de facto zu einer Stärkung der Privatschulen. Der Anteil der SchülerInnen auf Privatschulen stieg während der Regierungen von Hugo Chávez und Nicolás Maduro von 18,4 auf 23 Prozent. Was zunächst wie ein moderater Anstieg wirkt, erscheint vor dem Hintergrund der deutlichen Ausweitung der SchülerInnenanzahl als dramatische Fluchtbewegung der Mittelschichten (auch der bolivarianischen Kader) aus dem öffentlichen Bildungssektor. Dass sich diese Tendenz auch in der Krise fortsetzt, verdeutlicht das geringe Vertrauen großer Teile der (urbanen) Bevölkerung in die öffentliche Bildung. Diese geringe Wertschätzung der öffentlichen Bildung steigert sich im Falle der Bildungsmissionen sogar zum Stigma. Die Bildungstitel der AbsolventInnen werden überwiegend nicht als Zeichen ihrer Qualifikation, sondern als politisches Statement der Regierungsnähe plus Ausdruck der sozialen Herkunft gelesen. Die Bildungsmissionen eröffnen so kaum die erhofften Aufstiegsmöglichkeiten. Im Gegenteil, im Kontext der extremen politischen Polarisierung werden diese bisweilen sogar aktiv versperrt.
Im Gegensatz zum venezolanischen Fall fielen die bildungspolitischen Veränderungen in Uruguay eher moderat aus. Im Zentrum der Bildungspolitik der Frente-Amplio-Regierung steht eine Reihe kleinteiliger Programme zur Verbesserung der Bildungssituation sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher und zum Ausbau von Ganztagsschulen, die mit unterschiedlichem, aber insgesamt überschaubarem Erfolg und Elan umgesetzt wurden. Dies wurde von dringend erforderlichen, aber keinesfalls spektakulären Lohnerhöhungen für die Lehrkräfte ergänzt. Und dennoch schaffte es Uruguay ins bildungspolitische Rampenlicht. Mit der Umsetzung des Plan Ceibal wurde das Land zum Pionier der Initiative One Laptop per Child. Seit 2007 erhielten erst alle SchülerInnen öffentlicher Grundschulen und später auch der Sekundarschulen vom Staat einen Mini-Laptop ausgehändigt. Pittoreske Bilder von Kindern, die im Landesinneren mit dem Laptop in der Hand auf Pferden zur Schule reiten, gingen um die Welt. Verschiedene Länder Lateinamerikas, darunter Argentinien, Ecuador und Venezuela, führten kurze Zeit später ähnliche Programme ein. Besonders deutlich wird die Vorreiterrolle Uruguays jedoch, wenn man bedenkt, dass die deutsche Bildungsministerin Johanna Wanka im Herbst vergangenen Jahres den innovativen Vorschlag verkündete, mehr Computer an die Schulen zu bringen. Auf diesem Feld ist Uruguay Deutschland also mindestens zehn Jahre voraus und eine Beschäftigung mit dem uruguayischen Fall könnte der deutschen Politik wertvollen Anschauungsunterricht geben.
Positiv ist sicherlich, dass in Uruguay zukünftig kein Kind ohne Basiskenntnisse im Umgang mit Computern aufwachsen wird. Gerade für sozial benachteiligte Familien bedeuteten die Laptops zudem oft den ersten Zugang zum Internet. Die Wirkung geht hier weit über die Kinder hinaus und umfasst tendenziell den gesamten Haushalt. Dies ist jedoch keineswegs gleichbedeutend mit der Schließung des digital gap (digitales Gefälle). Schließlich sagt der Zugang zum Laptop wenig über die Nutzung aus. Besonders deutlich wird dies in der Schule. Die Reparaturanfälligkeit der Geräte, Probleme mit der Internetverbindung etc. haben zur Konsequenz, dass das Potenzial der Laptops nur unzureichend ausgeschöpft wurde. Hinzu kommt, dass lange Zeit die Entwicklung von didaktischen Materialien und die Fortbildung der Lehrkräfte vernachlässigt wurden. Die Computer werden dann oft primär genutzt, um die Kinder zu beschäftigen. Zudem wurden Klagen über die mangelnde Leistungsfähigkeit der Geräte laut. So loben zwar Vertreter exklusiver Privatschulen von Montevideo oft mit paternalistischem Unterton den Regierungsplan als Chance für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Eine eigene Teilnahme schließen sie mit Verweis auf die Gewohnheiten ihrer zahlungskräftigen Klientel aus. Den Mini-Laptops der Regierung fehlt der Distinktionsgewinn. In der Konsequenz wich die anfängliche Euphorie schnell einer zunehmenden Ernüchterung. Das Hauptproblem besteht jedoch nicht in der Umsetzung, sondern generell im Technikoptimismus, der dem Plan Ceibal zu Grund liegt. Die werbewirksame Umsetzung der Laptopverteilung überstrahlte nur kurzzeitig die grundlegenden Probleme des uruguayischen Bildungssystems. Dabei ist klar, dass der Plan Ceibal alleine die Bildungsungleichheiten nicht einebnen kann. Die Laptops sind ein Instrument für den Schulalltag, das unterschiedlich genutzt wird. Sie stellen kein bildungspolitisches Allheilmittel dar.
Auch die Regierung von Rafael Correa in Ecuador hat der Bildung politische Priorität eingeräumt. Neben einem ambitionierten Projekt zur Verbesserung von Forschung und Lehre an den Universitäten des Landes bildet der Aufbau sogenannter Millenniumsschulen einen zentralen Pfeiler der Bildungsreformen. Dabei handelt es sich um den Bau von modern ausgestatteten Schulzentren in sozial benachteiligten Gebieten des Landes. Allein in den historisch vom Staat stets vernachlässigten Amazonasprovinzen wurden bis März 2017 bereits 21 Millenniumsschulen errichtet.
Die Millenniumsschulen bilden einen deutlichen Kontrast zu den klassischen (Land-)Schulen der Region. Sie zeichnen sich unter anderem durch moderne Labors, gut ausgestattete Bibliotheken und Klassenräume sowie weitläufige Pausenhöfe aus und sollen gut ausgebildete Lehrkräfte anziehen. Das Ziel ist klar formuliert: Die Kinder im Amazonasgebiet sollen mindestens so gute Bedingungen in der Schule vorfinden wie ihre Altersgenossen in den Großstädten Quito oder Guayaquil. Dennoch sind die Millenniumsschulen heftig umstritten. Erstens drängt sich angesichts des frappierenden Kontrasts hinsichtlich Lehr- und Lernbedingungen zwischen den Millenniumsschulen einerseits und den durch Mangel an Schulmaterialien, verfallene Klassenräume und fehlende Infrastruktur gekennzeichneten Nachbarschulen andererseits die Frage nach der Verteilung der Ressourcen und dem Entstehen neuer (Bildungs-)Ungleichheiten, etwa in ländlichen Regionen, auf. Die hohen Kosten der Millenniumsschulen werden immer wieder, besonders in Zeiten knapper Kassen nach dem Fall der Erdölpreise, kritisiert.
Zweitens kann qualitative Bildung nur schwer am Reißbrett gesichert werden. Ein Beispiel: Weil es in der Region an ausgebildeten LehrerInnen mangelt, werden die Lehrkräfte für die Millenniumsschulen des Amazonasgebiets meist aus dem Hochland oder den Küstenprovinzen angeworben. Diese kennen jedoch weder die lokalen Sprachen und Traditionen, noch sind sie mit dem Alltag im Amazonasgebiet vertraut. Oft bleiben sie nicht lange, mit der Konsequenz, dass der Unterricht dann mangels Lehrkräften monatelang ausfällt. Die gut ausgestatteten Labore bleiben ungenutzt, die Verbesserung der Bildungsqualität bleibt aus. Im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf hat der Kandidat der Regierungspartei Alianza País, Lenín Moreno, der Kritik an den Millenniumsschulen teilweise zugestimmt und den Bau einiger Schulen gar als weiße Elefanten, also große Entwicklungsprojekte von geringem Nutzen, tituliert.
Letzteres ist eng verbunden mit einem dritten zentralen Kritikpunkt an den Millenniumsschulen. Es handelt sich um ein in Top-down-Manier geplantes Entwicklungs- und Modernisierungsprojekt. Insbesondere VertreterInnen der indigenen Bevölkerung stehen den Millenniumsschulen kritisch gegenüber. Raum für die Partizipation der Bevölkerung ist kaum vorhanden und die Errichtung einer Millenniumsschule bedeutet oft das Todesurteil für kleinere Dorfschulen. Die Errichtung von Millenniumsschulen impliziert meist längere Schulwege für die Kinder sowie den Kontrollverlust über Lehrinhalte und Vermittlung indigenen Wissens in der interkulturellen Bildung durch die lokale Gemeinschaft. Viele VertreterInnen indigener Gemeinschaften befürchten deshalb, dass die Schulen der Entfremdung der Kinder und Jugendlichen von der eigenen Kultur Vorschub leisten. Sie sehen die Millenniumsschulen in der Tradition von altbekannten staatlichen Modernisierungsprojekten, die die indigene Bevölkerung als passive EmpfängerInnen von Entwicklungsprojekten ansehen.
Bildungspolitik ist für die Linksregierungen ein zentrales Vehikel auf dem Weg zur sozialen Gerechtigkeit, gesellschaftlichen Transformation und der vielbeschworenen zweiten Unabhängigkeit der Region. Die angestoßenen Bildungsreformen entfalteten durchaus Wirkung: Die Relevanz der Ausweitung des Bildungszugangs für das Leben, den Alltag und die Würde von Millionen VenezolanerInnen sollte ebenso wenig unterschätzt werden wie die Bedeutung hochwertiger Schulinfrastruktur im Amazonasgebiet Ecuadors oder das Potential des Plan Ceibal. Gleichzeitig stehen die Beispiele exemplarisch für verschiedene bildungspolitische Fehleinschätzungen der Regierungen. Der einseitige Fokus auf quantitative Erfolge bei der Bildungsexpansion in Venezuela, der Technikoptimismus der uruguayischen Bildungspolitik und der koloniale Charakter der Millenniumsschulen repräsentieren jeweils sehr unterschiedlich gelagerte Probleme der Reformprozesse, die weit über die Bildungspolitik hinaus Gültigkeit besitzen.
Die insgesamt wenig erfolgreiche bildungspolitische Bilanz der Linksregierungen erklärt sich jedoch nicht primär aus politischen Fehlentscheidungen. Vielmehr verdeutlichen die enttäuschten Hoffnungen auf eine soziale Transformation vor allem die Grenzen der Bildungspolitik. Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungsqualität stoßen an Grenzen, wenn die sozialen Kontextbedingungen eine qualitativ hochwertige Bildung kaum ermöglichen. Zudem führte die Ausweitung des Bildungszugangs in ganz Lateinamerika dazu, dass sich die Mittelschicht zur Verteidigung ihrer Privilegien weiter aus dem öffentlichen in das private Bildungssystem zurückzieht. Es sind also vor allem soziale Faktoren, die das Potenzial der Bildungspolitik schmälern. Das nimmt der Bildung nicht ihre Bedeutung für den gesellschaftlichen Wandel. Allerdings braucht sie hierfür zunächst eine Veränderung der sozialen Verhältnisse. Anders ausgedrückt, eine progressive Bildungspolitik kann nur wirken, wenn gleichzeitig außerhalb des Bildungssektors die verschiedenen Dimensionen sozialer Ungleichheiten, unter anderem Einkommen, Segregation, Stadt-Land, rassistische Diskriminierungen, abgebaut werden.